Protokoll der Sitzung vom 18.11.2004

In der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift G+G Wissenschaft wird ausgeführt, dass die Liste der Qualitätsdefizite in deutschen Pflegeheimen lang ist. In jedem zweiten Heim gibt es keine individuellen Pflegeziele und in jedem dritten Haus keine fachgerechte Planung der Pflegeprozesse. Bisher haben 10 % der ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen ein freiwilliges, externes Qualitätssiegel oder -zertifikat von unterschiedlichen Anbietern erworben.

Ein hoher Grad an Übereinstimmung mit gesetzlichen Kriterien zeigt interessierten Einrichtungen, dass die Auszeichnung mit einem freiwilligen Qualitätssiegel auch die Prüfung durch den MDK erleichtern kann. In einem vorgenommenen Abgleich der MDK-Prüfanleitung mit den Prüfkatalogen lassen sich die Übereinstimmungen quantifizieren. Besonders in den Bereichen Qualitätsmanagement und Pflegedokumentation sind weitgehende Übereinstimmungen zu finden.

Nur durch eine umfassende Qualitätsentwicklung kann den vielfältigen Anforderungen und Erwartungen der Bewohnerinnen, Bewohner und Patienten entsprochen werden. Die Souveränität und das Wohlbefinden des pflegebedürftigen Menschen muss im Mittelpunkt stehen. Eine Qualitätsprüfung strahlt aber nicht nur nach innen, das Zertifikat kann auch für die Außendarstellung genutzt werden.

Produkte werden reihenweise geprüft und getestet. Es wird ein Benchmarking durchgeführt und dann eventuell zertifiziert. Die Zertifizierung der Pflege

an Menschen muss ebenfalls eine Selbstverständlichkeit werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich neige wirklich nicht zur Dramatisierung, aber es ist erschreckend, dass nach einer Umfrage 65 % der Pflegekräfte nicht in einer Pflegeeinrichtung wohnen möchten.

Unter dem Stichwort „Zertifizierung in der Pflege“ steht im Internet das alte Sprichwort „Schreien löscht das Feuer nicht“. Ich sage das deshalb, weil ich sowohl aus den Reihen der Heime und den Reihen der Politik, und zwar aller Fraktionen, als auch aus den Gesprächen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern und deren Angehörigen Hinweise, Mahnungen und Anregungen bekomme. Wenn ich die Fragen, die Sorgen und die Anregungen zusammennehme, kann ich nur zu dem Schluss kommen: Wir brauchen eine flächendeckende Zertifizierung.

(Beifall bei der SPD)

Wir dürfen nicht nur reden, sondern müssen das Wasser bereitstellen, damit das Feuer rechtzeitig gelöscht werden kann.

Die CDU-Fraktion bitte ich, nach Thüringen zu sehen. Die CDU-Kollegen dort sind schon ein Stück weiter auf dem Weg zur Zertifizierung von Pflegeheimen.

Auch vor diesem Hintergrund meine ich, dass der SPD-Antrag im Ausschuss nach Diskussionen mit den Regierungsfraktionen und den Grünen unstrittig abgestimmt werden kann. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die CDU-Fraktion hat sich die Kollegin Frau Jahns zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Jahns!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion beschäftigt sich mit dem Thema „Zertifizierung von Pflegeeinrichtungen unterstützen“. Es ist richtig: Zertifizierung, Qualifizierung und auch Qualitätsmanagement sind Schlagworte in der Gesundheitspolitik, die auch in der

Pflege, insbesondere in den Pflegeeinrichtungen, eine große Rolle spielen.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aufgrund Ihres Antrages frage ich mich natürlich, warum Sie auf Bundesebene nicht selbst initiativ geworden sind; denn Sie sind doch in der Bundesregierung. Sie sagen: Auf Bundesebene müssen Mindeststandards und staatliche Anerkennung erreicht werden. - Sie haben doch den besten Draht nach Berlin, um sich dort auch entsprechend einzusetzen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Darüber hinaus hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gerade vor einigen Wochen mehrere Anfragen auf Bundesebene eingereicht, die sich mit diesen Themen beschäftigen. Ich wünschte mir natürlich, dass sich Ihre Fraktion auf Bundesebene entsprechend dafür einsetzen und die Anregungen der CDU/CSU-Fraktion mit umsetzen würde.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber es war natürlich auch für die CDU in Niedersachsen und ganz besonders auch für unsere Sozialministerin Frau Dr. von der Leyen selbstverständlich, dass wir uns in Niedersachsen sofort nach Regierungsübernahme mit dem Thema Verbesserung in der Pflege auseinander setzen. Der erste Antrag, den wir in dieser Beziehung gestellt haben, war der Antrag „Bürokratieabbau in der Pflege“.

(David McAllister [CDU]: Aha! Hört, hört!)

Wir alle sind uns darüber einig, dass das Pflegethema für die Menschen ein besonders wichtiges Thema ist, gerade unter dem Gesichtspunkt der demografischen Entwicklung nicht nur in Niedersachsen, sondern in allen Bundesländern.

Kostengesichtspunkte im Rahmen des Gesundheitssystems werden immer mehr in den Vordergrund gerückt. Aber wir müssen natürlich auch die tatsächliche Pflege am Menschen beachten. Es ist besonders wichtig, dass wir in Niedersachsen Sorge dafür tragen, dass die Pflegeeinrichtungen den Menschen eine gute Versorgung bieten und dass sich die Menschen in Niedersachsen in diesen Einrichtungen gut aufgehoben fühlen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

In den letzten Jahren ist die Pflegesituation durch einige negative Berichterstattungen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt worden. Aber wir sind in Niedersachsen auf dem Weg, aufgrund der letzten Berichterstattungen bzw. Überprüfungen durch den MDK sagen zu können, dass eine Verbesserung eintritt. Pflegemängel sind abgestellt worden. Insofern haben wir die Hoffnung, dass sich die Situation tatsächlich verbessert.

Die Einrichtungsträger und natürlich auch die Kassen haben dazu beigetragen, dass sich die Situation positiv verändert. Sie fordern in Ihrem Antrag von uns, dass wir uns mit den Kommunen und mit den Pflegekassen in Verbindung setzen und dass wir uns gegenüber den Pflegekassen dafür einsetzen, nachgewiesene Qualität besser zu honorieren. Auch dafür, meine Damen und Herren von der SPD, sind wir der falsche Ansprechpartner. Sie wissen, dass das Selbstverwaltung ist und dass wir relativ wenig Einfluss darauf haben, hier eine Verbesserung der Situation zu erreichen.

Nichtsdestotrotz ist aber festzustellen, dass viele Einrichtungen mittlerweile dazu übergegangen sind, aus eigenem Interesse Qualitätsmanagement und Strukturverbesserungen durchzusetzen. An dieser Stelle ist es wichtig, dass diese Qualitätsmanagementsysteme im Gesundheitswesen vielseitig eingesetzt und auch umgesetzt werden. Dies kann aber nur - das ist noch einmal hervorzuheben - in gegenseitigem Einvernehmen zwischen den Leistungsträgern und den Leistungserbringern geschehen. Einheitliche Vorgaben, wie Sie sie fordern, existieren in der Tat nicht, aber jede Einrichtung ist gehalten, aus eigener Kreativität heraus für eine optimale Positionierung auch im Rahmen des Wettbewerbs zu sorgen, sodass sie sich selber durch ihre eigenen Programme profilieren kann und dadurch auch eine bessere Akzeptanz bei Angehörigen oder bei zu Pflegenden bekommt.

Qualitätsmanagement bedeutet, Ziele zu definieren, Verantwortung für deren Realisierung zu übernehmen und sich zu Qualität und deren kontinuierlicher Verbesserung zu bekennen. Hierzu gehört dann natürlich auch die Messbarkeit dieser Leistungen. Zertifizierungen geben Sicherheit, im Rahmen von Überprüfungen durch akkreditierte Institute Nachweise über Qualität und Leistung vorweisen zu können.

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie fordern in Ihrem Antrag, die Zertifizierung von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen zu

unterstützen. Sie wissen selbst, dass gerade in Ihrer Regierungszeit verschiedene Anstöße unternommen worden sind, um in Niedersachsen die Leistungsträger auf der einen Seite und die Leistungserbringer auf der anderen Seite zu bewegen, ein einheitliches Qualitätssiegel zu schaffen. Leider war eine Einigung nicht möglich, weil die beteiligten Partner unterschiedliche Auffassungen haben. Einer der großen Wohlfahrtsverbände war strikt gegen einheitliche Zertifizierungskriterien, und auch die Krankenkassen als Kostenträger haben erhebliche Vorbehalte.

Auf Bundesebene sind in § 80 des Pflegequalitätssicherungsgesetzes Maßstäbe zur Einhaltung der Pflegequalität festgeschrieben. Danach sind auch schon zum heutigen Zeitpunkt entsprechende Vereinbarungen zwischen Einrichtungsträgern und Kassen möglich. Allerdings möchte ich an dieser Stelle lobend hervorheben, dass es einige Wohlfahrtsverbände gibt, die sich im Interesse ihres wirtschaftlichen und pflegerischen Gesamtangebots eigene Zertifizierungsmerkmale geschaffen haben, an denen sie sich messen lassen, und damit im Qualitätssicherungs- und Gestaltungsbereich führend sind. So wendet z. B. das Deutsche Rote Kreuz Kriterien nach ISO 9001 im Bereich der Qualitätsnachweise an. Auch das Diakonische Werk hat ein eigenes Qualitätssiegel entwickelt, das sogar weit über die Anforderungen von ISO 9001 hinausgeht. Hierin einbezogen sind z. B. die Verantwortung der Leitung einer Einrichtung, die Leistungsbeschreibung, die Verwaltung, Betriebswirtschaft, Qualitätsmanagement, Personalfortund Weiterbildung, Pflege, psychosoziale Beratung und Betreuung usw. Auch die privaten Anbieter haben zum Teil derartige Kriterien. Allerdings kann man Qualität in die Einrichtungen nicht hineinzertifizieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das ist der Punkt: Die Einrichtungen können sich also nicht nur auf einheitliche Kriterien ausrichten, denn das würde eine komplette Gleichmachung bedeuten, und das kann nicht im Interesse des Personals und auch nicht im Interesse der Angehörigen und der zu Pflegenden sein.

Zwischen den Anbietern und den Kassen gibt es, wie Sie wissen, Streit über die Anerkennung der Vergütung für das Qualitätsmanagement, die auch Sie in Ihrem Antrag fordern. Die hierzu einberufene Schiedsstelle wird Anfang 2005 hoffentlich endlich eine Entscheidung treffen, sodass die Einrichtun

gen, die im Bereich des Qualitätsmanagements für eine Verbesserung der Pflegesituation bei sich sorgen, dafür auch entsprechend vergütet werden. Seitens des Landes kann aber nicht in diese Selbstverwaltung eingegriffen werden. Es handelt sich um eine partnerschaftliche Vereinbarung, die zwischen den Leistungsträgern und den Leistungserbringern getroffen werden muss.

Aus Sicht der CDU-Fraktion betone ich deshalb noch einmal, dass das Land umfangreiche Aktivitäten veranlasst hat, um Zertifizierungsmerkmale in der ambulanten und stationären Pflege zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern zu erreichen.

Nr. 2 Ihres Antrages betrifft die Veränderungen im Heimgesetz. Zu den anlassbezogenen Prüfungen, die Sie nur noch bei Vorliegen einer Zertifizierung zulassen wollen, ist zu sagen, dass es derartige Möglichkeiten auf Bundesebene bereits gibt. Wenn Zertifizierungen neueren Datums vorliegen, dann gibt es die Möglichkeit, dass sich z. B. die Heimaufsicht dazu durchringen kann, nicht zu prüfen. Ich denke, das ist schon einmal eine gute Voraussetzung.

Beim MDK ist das anders. Der Medizinische Dienst braucht eine Regelung auf Bundesebene, und dort sind Sie gefragt. Setzen Sie sich dafür ein, dass diese Regelung auf Bundesebene eintritt. Ich kann nur sagen: Machen Sie Ihrer Bundesregierung ein bisschen Dampf.

Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss und gehe davon aus, dass wir im Rahmen einer Anhörung entsprechende Alternativen aufzeigen können, wie die Leistungserbringer und die Leistungsträger in Zukunft vielleicht noch entsprechende Anregungen aufnehmen können. - Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Helmhold, bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Ulla Groskurt, wenn 75 % der Pflegekräfte nicht in einem Heim leben möchten, dann kann mich das eigentlich weder erstaunen noch erschrecken. Ich glaube, wenn ich diese Frage hier zur Abstimmung brächte, dann hätten wir

eine noch überwältigendere Mehrheit dafür, dass die Menschen, die sich in diesem Raum befinden, nicht in einem Heim leben möchten. Das ist nun einmal so. In Wirklichkeit stärkt das die sozialpolitische Position, die Bündnis 90/Die Grünen und auch viele andere, die sich hier im Raum befinden, vertreten, dass nämlich „ambulant vor stationär“ eigentlich das Gebot der Stunde ist, weil es sowohl den sozialpolitischen Erfordernissen als auch den Wünschen der Menschen entspricht.

Das ins SGB XI eingefügte Qualitätssicherungsgesetz hat mit den Zielen Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Pflegeverwaltung, Sicherung und Prüfung der Pflegequalität und Stärkung der Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher - sprich: der Menschen, die in den Einrichtungen leben - die Richtung vorgegeben. Die wiederkehrenden Berichte über zum Teil schwere Mängel in der Pflege haben die Notwendigkeit der Qualitätsverbesserung in der Pflege und den Anspruch der Pflegebedürftigen darauf immer wieder und verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit und auch in unseren Blickpunkt gerückt.

Wir wissen doch: Die Rahmenbedingungen in der Pflege verschlechtern sich seit Jahren, die Arbeit verdichtet sich, das Klientel wird immer schwieriger, die Aufenthaltsdauer wird immer kürzer. Das schlägt sich in den Leistungsvergütungen der Einrichtungen nicht nieder. Das führt zu einer Situation, in der die Mitarbeiter längst an ihren Grenzen arbeiten, wenn diese Grenzen nicht teilweise sogar schon überschritten sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wissen aber auch, dass in sehr vielen Einrichtungen trotz dieser widrigen Umstände eine gute Arbeit zum Wohle der Menschen, die dort betreut werden, geleistet wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Dieses Wissen entbindet uns allerdings nicht der Verpflichtung, im Sinne des Verbraucherschutzes auf die Einhaltung anerkannter Standards zu achten. Dabei können Zertifizierungen ohne Zweifel hilfreich sein. Sie sichern eine möglichst gleich bleibende Qualität der Strukturen und Prozesse und können bei wohlverstandenem Umgang auch einer ständigen Reflexion der eigenen Leistungen im Hinblick auf die Kundenzufriedenheit - sprich: Ergebnisqualität - und der kontinuierlichen Verbesserung der Angebote der Einrichtungen dienen.