Protokoll der Sitzung vom 24.02.2005

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung: Voraussetzungen für die DNA-Analyse fortentwickeln verfassungsrechtliche Vorgaben beachten - unsachliche Vergleiche unterlassen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/1673

Zur Einbringung hat sich Herr Kollege Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Bitte schön!

(Bernd Althusmann [CDU]: Oh je, dass ich das jetzt noch erleben darf!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Forderung nach einer Ausweitung der DNA-Analyse hat in der Bundesrepublik Deutschland und somit auch in Niedersachsen Dauerkonjunktur. Kaum wird ein Verbrechen durch die DNA-Technik aufgeklärt, erklingt der Chor der DNA-Jünger. Er singt kritiklos „Ausweiten“, ohne zu fragen, ob nicht schon die geltenden Gesetze ausreichen. Vor allem wird sehr gerne mit unsachlichen und unredlichen Vergleichen agiert, gerne auch verbunden mit einem ordentlichen Schuss Angstkampagne.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kabinettsmitglieder aus Niedersachsen stehen immer in der ersten Reihe, wenn es um eine Ausweitung der DNA-Analyse geht: der Innenminister auf der Innenministerkonferenz und die Justizministerin auf der Justizministerkonferenz. Dabei hat dieses Parlament - das will ich einmal betonen, meine sehr verehrten Damen und Herren - in dieser Legislaturperiode noch nicht ein einziges Mal über das Pro und Contra in dieser Sache diskutiert. Das ist wieder einmal Exekutivföderalismus in Reinkul

tur. Ich sage Ihnen: Das nervt ungemein. Ständige Bundesratsinitiativen ohne parlamentarische Beratung sind exekutive Selbstherrlichkeit und Parlamentsverachtung, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen mit unserem Antrag die Komplexität und auch die Sensibilität in Sachen DNA-Analyse noch einmal deutlich machen; denn die DNA-Analyse ist und bleibt eine diffizile Angelegenheit.

Erstens. Der Fall Mooshammer, der zum Anlass genommen wurde, wieder einmal die Forderung nach einer Ausweitung der DNA-Analyse aufzustellen, bietet eben keinen Grund, diese Forderung zu erheben, weil dieser Fall auf der Grundlage geltender Gesetze aufgeklärt wurde.

Zweitens wird auch immer wieder sehr gerne vergessen, dass die gesetzlichen Hürden für DNAAnalysen vom Bundesgesetzgeber erst kürzlich abgesenkt worden sind. Bei jedem Verbrechen, bei jedem Vergehen und bei jeder Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung - hören Sie jetzt genau zu - kann heute schon eine DNA-Speicherung stattfinden. Damit ist auch der niedersächsische Koalitionsvertrag erfüllt worden. Es gibt also keine weiteren Gründe für einen Ruf nach einer weiteren Ausdehnung der DNA-Analyse.

Drittens wird auch sehr gerne verkannt, dass schon heute bei jeder Straftat - ich wiederhole: bei jeder Straftat eine DNA-Analyse zur Verbrechensaufklärung durchgeführt werden kann. Das können Sie in der Strafprozessordnung nachlesen. Die existierenden verfahrensrechtlichen Hürden beziehen sich allein auf die Einspeicherung, und das auch zu Recht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Denn unser Grundgesetz hat kein konservatives Menschenbild. Es geht nicht von der Annahme aus: einmal kriminell - immer kriminell. Das Zeitalter des geborenen Kriminellen, des genetisch determinierten Soziopathen, ist vorbei. Das war auch kein gutes Zeitalter.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat bestimmte Voraussetzungen an eine molekulargenetische Untersuchung geknüpft, die Ihnen wahrscheinlich bekannt sein dürften. Das Gericht fordert in mehreren Urteilen zur DNA-Analyse eine unabhängige richterliche Entscheidung. Damit verbietet sich auch der

polizeiliche Selbstvollzug, der von Innenminister Schünemann bei Podiumsdiskussionen oder sonstigen Veranstaltungen immer wieder gerne gefordert wird. Das Bundesverfassungsgericht fordert eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit. Daher müssen die Anlassstraftat und die Prognose in Betracht gezogen werden. Das Gericht geht eben nicht davon aus, dass jeder Ladendieb oder von mir aus auch jeder widerspenstige Demonstrant später ein schwerer Kapitalverbrecher wird. Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist höchstrichterlich festgestellt, dass eine unverhältnismäßige Absenkung der DNA-Analyse ausscheidet.

Niemand stellt infrage, dass die DNA-Analyse und die anschließende Einspeicherung ein wirksames Instrument für die Strafverfolgung darstellen. Das stellt kein Mensch infrage. Aber definitiv und ganz eindeutig gibt es erhebliche Unterschiede zwischen einem herkömmlichen Fingerabdruck und einer molekulargenetischen Untersuchung hinsichtlich der Eingriffstiefe und der damit verbundenen Implikationen. Wer in der Öffentlichkeit etwas anderes darstellt oder etwas anderes verlautbaren lässt, der täuscht entweder ganz bewusst die Öffentlichkeit, oder er hat bei seinen eigenen Veranstaltungen nicht aufgepasst. Ein berühmter Hannoveraner Professor, ein Humangenetiker, hat bei einer CDU-Veranstaltung noch einmal deutlich gesagt, dass natürlich auch aus dem nicht codierenden Anteil der DNA sensible biologische Informationen gewonnen werden können. Auch wenn die Strafverfolgungsbehörden nicht dazu befugt sind, diese Informationen niederzulegen, aufzuschreiben oder einzuspeichern, so ist hier trotzdem ein ganz deutlicher Unterschied hinsichtlich des Informationsgehalts der DNA-Analyse erkennbar.

Auch ein Weiteres sollte man nicht vergessen: Das Verfahren ist sehr viel komplizierter und technisch aufwändiger, und darüber hinaus ist auch sehr viel schwieriger nachzuvollziehen, was mit den Daten passiert. Wer die DNA-Analyse mit einem normalen Fingerabdruck gleichsetzt, der hat im 21. Jahrhundert den Unterschied zwischen der analogen und der digitalen Welt nicht verstanden. Das ist sehr bedauerlich. Im Übrigen - auch das möchte ich noch einmal deutlich sagen, vielleicht an den Finanzminister gerichtet - ist eine DNA-Analyse auch sehr viel teurer als ein herkömmlicher Fingerabdruck. Auch das sollte dabei bedacht werden.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

- Herr Möllring, vielleicht haben Sie es noch nicht mitbekommen, aber die Grünen kümmern sich schon sehr lange und sehr intensiv um Geld. Den Begriff der monetären Nachhaltigkeit haben nicht Sie erfunden, sondern darüber haben wir schon seit langem nachgedacht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Schließlich, meine sehr verehrten Damen und Herren - auch das sollte man immer wieder einmal bedenken, wenn man die Forderung nach einer Ausweitung der DNA-Analyse aufstellt -, ist die Genomforschung sehr dynamisch. Wir wissen nicht, ob in Kürze weitere Informationen aus dem nicht codierenden Anteil der DNA gewonnen werden können. Diese werden mit Sicherheit neue Begehrlichkeiten wecken.

Ich möchte Ihnen jetzt drei Gründe dafür nennen, warum man die DNA-Analyse oder die Absenkung nicht weiter so leichtfertig fordern sollte, wenn man sich an dieser Stelle keine Kritik zuziehen will:

Erstens. Der Ministerpräsident hat heute in der Debatte über die Jugendhilfe eine aktive Bürgergesellschaft gefordert. Man möchte also, dass die Bevölkerung mehr Verantwortung übernimmt. Wer aber politisch will, dass sich Menschen engagieren, der sollte nicht bei jeglichen Vergehen immer gleich mit der DNA-Analyse drohen. Es könnte vielleicht auch abschreckend wirken, wenn bei Demonstrationen gegen Rechtsradikale, gegen US-Präsidenten oder von mir aus auch gegen andere gesellschaftliche Missstände immer gleich eine molekulargenetische erkennungsdienstliche Behandlung angedroht wird. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für andere Überwachungsmaßnahmen. Wer Telefone überwacht oder überall Videokameras aufstellt, der wird dann sehr schnell die angepasste kleinbürgerliche Gesellschaft haben, wenn der Staat ständig und überall mit Sicherheitstechnik droht.

Ein zweiter Punkt, den man sich immer wieder einmal vor Augen führen sollte: Wenn leichtfertig die Ausweitung der DNA-Speicherung gefordert wird, erhöht sich auch die Missbrauchsanfälligkeit. Das Legen falscher Tatortspuren wird einfacher, wenn statt einem halben Prozent 5 % der Bevölkerung in der Datei sind. Das sollte man sich einmal ganz klar vor Augen führen. Wenn die BKA-Datei

mit immer mehr Leuten gefüllt wird, dann wird auch das Missbrauchspotenzial immer größer.

Drittens werden Umgehungstatbestände zunehmen. Das scharfe Instrument der DNA-Analyse wird bei einer Massenausweitung stumpfer. Natürlich werden sich die Kriminellen gut überlegen, wie man dieses Instrument umgehen kann, wenn es bei jeder Tat droht. Also auch dessen sollte man sich genau bewusst sein.

Abschließend möchte ich sagen: Die DNA-Analyse ist ein gutes kriminologisches Mittel. In einzelnen Gebieten - das haben wir in unserem Antrag auch niedergeschrieben - wollen wir mit Ihnen gerne über Verfahrensvereinfachungen reden. Es gibt dazu auch interessante Vorschläge von einem berühmten niedersächsischen Kriminologen.

(Heiner Bartling [SPD]: Wie heißt der denn bloß?)

Einzelnen Rechtspolitikern ist dieses Schreiben, glaube ich, zugegangen. Die DNA-Analyse als erkennungsdienstliches Standardinstrument lehnen wir aber ganz entschieden ab, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Weiterhin möchte ich bei dieser Gelegenheit deutlich machen, dass wir auch weiterhin darauf beharren, dass eine unabhängige Instanz über die Einspeicherung von DNA-Analysen zu entscheiden hat. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Biester das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die DNA-Analyse ist für Kriminalisten eine hoch effiziente und sichere Methode zur Aufklärung von Straftaten und damit bei der Findung von gerechten Urteilen in Strafverfahren. Damit ist sie zugleich der beste Opferschutz, den wir uns denken können.

(Beifall bei der CDU)

Jeder potenzielle Täter weiß, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit am Tatort eine DNA-verwertbare Spur hinterlassen wird. Schon dies schreckt ab. Weiß er zugleich, dass seine Daten gespei

chert sind, wirkt dies enorm abschreckend - abschreckender als jede noch so hohe Strafandrohung, die der Täter früher glauben konnte mangels Überführung vermeiden zu können. Diese abschreckende Wirkung schützt Menschen vor Straftaten durch solche potenziellen Täter und ist damit ein optimaler Opferschutz. Die Überführung von Straftätern durch DNA-Analysen hat die Aufklärungsquote schon jetzt bei nur unzureichend gespeicherten Daten deutlich erhöht. Die Aufklärungsquote bei Vergewaltigungen stieg von 70 % auf 82 %, bei Morddelikten von 84 % auf 95 %. Und auch umgekehrt können verdächtige Personen durch DNA-Analysen schnell als Täter ausgeschlossen werden und kann damit unnütze Ermittlungsarbeit gespart werden.

Eines sollte uns auch zu denken geben: In den USA wurden in den letzten zehn Jahren 163 Todesurteile durch Nachweis der Unschuld des Verurteilten aufgrund von DNA-Analysen oder durch Auffinden des wahren Täters durch DNA-Analysen aufgehoben. Die DNA-Analyse dient damit der materiellen Gerechtigkeit und der Sicherheit unserer Strafjustiz. Wenn uns nun die Naturwissenschaften eine solche Methode zur Verfügung stellen, bedarf es schon sehr überzeugender Argumente, sie nicht oder nur halbherzig anzuwenden.

Die CDU-Fraktion ist überzeugt: Wir schulden es unseren Bürgerinnen und Bürgern, ihnen eine größtmögliche Sicherheit vor Straftaten zu geben. Die DNA-Analyse gibt uns das bestmögliche Instrument hierfür an die Hand. Dabei verkennen wir, Herr Briese, keineswegs das Grundrecht informationeller Selbstbestimmung eines jeden Menschen. Das Bundesverfassungsgericht, dessen Urteile wir achten und beachten, hat einen Rahmen vorgegeben, der durch die bisherige Rechtslage nach unserer Überzeugung keineswegs ausgeschöpft ist. Bei der Abwägung der Rechtsgüter, des Lebens und der Unversehrtheit potenzieller Opfer von Straftaten einerseits und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung von Menschen, die straffällig geworden sind, andererseits sind wir durchaus bereit, die bisherigen Grenzen im Interesse potenzieller Opfer zu verändern.

(Zustimmung bei der CDU)

Werden DNA-Spuren am Tatort gefunden, dann müssen diese auch ohne Richtervorbehalt gespeichert werden dürfen. Was soll denn ein Richter dort überhaupt prüfen? Warum darf die Polizei einen am Tatort hinterlassenen Fingerabdruck auf

nehmen, nicht aber ein DNA-verwertbares Haar oder eine Hautabschürfung? Ist der Katalog der so genannten Anlassstraftaten wirklich ausreichend? Können und dürfen wir uns Erkenntnissen kriminologischer Forschung entziehen? Diese geben uns doch Auskunft über typische kriminelle Karrieren, die meistens mit kleineren Straftaten beginnen und mit mittlerer bis schwerer Kriminalität enden. Dürfen wir wirklich erst am Ende der Kette eingreifen, oder müssen wir nicht präventiv die DNAAnalyse rechtzeitig einsetzen?

Das Bundesverfassungsgericht gibt uns durchaus Spielraum. Wir meinen nicht den Eierdieb oder die Tätergruppen, die Sie aus Ihrem Weltbild letzten Endes dargestellt haben. Wir meinen auch nicht den Schwarzfahrer. Herr Briese, wir meinen aber z. B. durchaus Menschen, die Diebstähle mit zunehmender Häufigkeit begehen. Ist die Prognose, dass weitere Straftaten von einem Täter zu erwarten sind, nicht wichtiger als die Anlasstat? Sollen wir uns bei dieser Prognose nicht auch kriminologischer Erkenntnisse bedienen?

Meine Damen und Herren, bei allem, was ich eben vorgetragen habe, gilt für uns natürlich, dass sich die Speicherung nur auf den nicht codierenden Bereich beziehen darf. Dies ist eine Selbstverständlichkeit, die ich zur Vermeidung von Missverständnissen dennoch ausdrücklich erwähnen möchte. Das Verfahren hat also überhaupt nichts mit der Offenlegung der persönlichen Erbinformationen zu tun. Sie sind schlicht und ergreifend verboten.

Unter eben diesem Gesichtspunkt lohnt sich aus unserer Sicht auch ein Blick auf den Richtervorbehalt. Wenn sich mit dieser Form der DNA-Analyse nur Erkenntnisse über die Identität eines Menschen erfassen und ermitteln lassen wie z. B. beim herkömmlichen Fingerabdruck, warum dann ein Richtervorbehalt?

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion ergeben sich aus diesen Überlegungen folgende Schlussfolgerungen:

Erstens. Wegfall oder zumindest deutliche Senkung der Schwelle der Anlasstaten.

Zweitens. Die bisher geltende qualifizierte Zukunftsprognose muss abgesenkt werden auf die Prognose, ob von dem Täter auch zukünftig Straftaten, gleich welcher Qualität, zu erwarten sind.

Drittens. Wegfall des Richtervorbehaltes, der dann nur noch bloßer Formalismus wäre.

Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes vorstellen, gern auch im Vorgriff auf die zu erwartende Rede der Kollegin Bockmann. Ihr Antrag mag natürlich darauf zielen - vor drei Jahren hätten wir das in der Opposition vielleicht genauso gemacht -, vermeintlich unterschiedliche Positionen zwischen den Fraktionen von CDU und FDP offen zu legen. Lassen Sie sich dazu eines gesagt sein: CDU und FDP befinden sich zu diesem Thema in sehr guten und sehr konstruktiven Gesprächen. Wir werden schnell - ich bin mir sicher: sehr viel schneller, als Sie es sich vorstellen können - eine Einigung in dieser Frage erzielen.

(Zustimmung von David McAllister [CDU])

Im Ziel sind wir uns nämlich einig. Wir wollen die DNA-Analyse in der Kriminalitätsbekämpfung mit rechtsstaatlichen Mitteln unter Beachtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes intensiv nutzen, sehr viel intensiver, als es die bisherige Rechtslage erlaubt.