Protokoll der Sitzung vom 22.04.2005

- Herr Wenzel, wenn die Uhr auf Ihrem Flur hinge, der ständig unaufgeräumt ist, würde man denken, jemand habe sie vom Flohmarkt geholt. Bei uns ist sie wenigstens der Öffentlichkeit zugänglich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Heinrich Aller [SPD]: Die gehört ei- gentlich ins Leibnizzimmer!)

- Sie können ja im Präsidium und im Ältestenrat anregen, die Uhr irgendwo öffentlich im Landtag aufzuhängen. Dann rücken wir sie gern heraus.

Eines möchte ich noch klarstellen: Wir haben offen dargelegt, wer was beantragt hat. Sie können davon ausgehen, dass Beamte, die jünger als 55 Jahre sind, nur in ganz wenigen Ausnahmefällen von § 109 NBG Gebrauch machen können. Natürlich kann jemand, der 1963 geboren ist, den Antrag stellen. In Deutschland ist es nicht verboten, Anträge zu stellen; Sie können zu jedem Punkt einen Antrag stellen. Ob ein Antrag positiv beschieden wird, hängt allerdings immer von der Rechtslage ab. Ein solcher Antrag wird sicherlich nicht positiv beschieden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Heinrich Aller [SPD]: Es kann aber auch bedeuten: Bloß weg hier!)

Danke schön. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Damit ist die Besprechung der Großen Anfrage abgeschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 und 38 vereinbarungsgemäß zusammen auf:

Tagesordnungspunkt 37: Erste Beratung: Der demografische Wandel erfordert eine andere Politik: Zukunft der Pflege in Niedersachsen - Perspektiven für 2030 - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/1815

und

Tagesordnungspunkt 38: Erste Beratung: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Demographischer Wandel - Herausforderung an ein zukunftsfähiges Niedersachsen“ - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 15/1833

Zur Einbringung des ersten Antrages, des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, erteile

ich Frau Kollegin Helmhold das Wort. Bitte schön, Frau Helmhold!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bislang haben wir vonseiten der Regierung und der sie tragenden Koalition ja noch nicht allzu viel zum Thema „demografischer Wandel“ vernommen. In der Regierungserklärung und in der Koalitionsvereinbarung kam der Begriff, obwohl er seit Jahren - um nicht zu sagen: seit Jahrzehnten ein drängendes Problem beschreibt, überhaupt nicht vor.

Jetzt, zur Mitte der Legislatur, fordern Sie die Einsetzung einer Enquetekommission zum Thema „Demografischer Wandel in Niedersachsen“. So sehr ich mich freue, dass das Thema endlich bei Ihnen angekommen zu sein scheint, so falsch finde ich den Weg, den Sie mit der Einsetzung einer Enquete-Kommission vorschlagen. Das ist nämlich zum heutigen Zeitpunkt überhaupt nicht mehr nötig.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Bevölkerungsentwicklung ist doch wahrlich kein neues Thema. Die Daten liegen seit langem vor. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages hat ihren Bericht bereits im März 2002 vorgelegt. Im Juni 2003 lag die 10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung vor. Das Land Nordrhein-Westfalen legte sogar schon einen Enquete-Bericht zur Zukunft der Pflege vor. Hier haben Sie bislang geschwiegen.

Die meisten der von Ihnen gestellten Fragen sind bereits beantwortet, zum Beispiel: Wie wird sich die Bevölkerung hinsichtlich Zahl und Altersstruktur - ich zitiere aus Ihrem Antrag - in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entwickeln, wenn sich die bisherigen Tendenzen fortsetzen? Sie müssen doch nur das Landesamt für Statistik befragen bzw. sich einmal ins Netz bemühen und die Daten heraussuchen. Die sind alle längst vorhanden. Antworten auf diese Fragen finden Sie im Übrigen auch in der Drucksache 14/4012, der Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zum Thema „Älter werden in Niedersachsen“.

Sie wollen von der Enquete-Kommission eine Antwort auf viele Fragen, die bereits beantwortet sind. Es ist aber nicht einzusehen, dass eine Kommission Zeit damit vertun soll, längst vorhandenes Wissen neu zusammenzustellen. Die Bertelsmann

Stiftung, meine Damen und Herren, legt zu diesem Thema seit Jahren Veröffentlichungen vor, die auch Handlungsempfehlungen beinhalten. Die politische Bewertung der Daten und Vorschläge kann auch an anderer Stelle vorgenommen werden. Dazu braucht es keine Enquete-Kommission.

Weiter soll sich die Enquete-Kommission auch noch mit den Ergebnissen der Hirn- und Lernforschung befassen, um das Erreichen von Bildungszielen im Kleinkindalter zu optimieren, sie soll Aussagen zu Lehrplänen machen, damit die ökonomischen Kompetenzen der Schüler gestärkt werden, und klären, wie Fähigkeiten des Familien- und Haushaltsmanagements für Mädchen und Jungen im schulischen Kontext besser vermittelt werden können - um nur eine kleine Auswahl zu zitieren.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das ist doch sehr gut!)

Man gewinnt den Eindruck, dass in Ihren Fraktionen jede und jeder, die oder der schon immer einmal etwas über ein bestimmtes Thema wissen wollte, dies jetzt aufschreiben durfte. Die Kommission wird beauftragt, alle Fragen, die auch nur im Entferntesten mit dem demografischen Wandel zu tun haben, mal eben umfassend zu beantworten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von Dr. Philipp Rösler [FDP])

Wie praktisch ist doch so eine EnqueteKommission: Man kann Fragen stellen, muss selbst aber lange Zeit keine Antworten geben. Das, meine Damen und Herren, ist reine Zeitschinderei. Sie wollen sich nämlich vor den unangenehmen Konsequenzen der längst vorhandenen Daten drücken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dazu sitzen wir aber nicht in diesem Parlament. Wir sind nicht gewählt, damit wir Fragen stellen und unser Handeln auf die lange Bank schieben. Politik heißt gestalten, meine Damen und Herren. Sie drücken sich davor, die dringendsten Zukunftsfragen dieses Landes zu beantworten.

Mit der Einsetzung einer Enquete-Kommission schieben Sie die Beantwortung der dringendsten Zukunftsfragen auf die lange Bank. Es ist überhaupt kein ehrgeiziges Ziel - wie Sie es gleich behaupten werden -, bis zum Ende des nächsten Jahres einen Bericht vorzulegen und den Men

schen vorzugaukeln, dass dann noch entscheidende Weichen gestellt werden könnten. Was soll denn wohl vom Jahr 2007 bis zum Ende dieser Wahlperiode noch passieren? - Meine Damen und Herren, die Zeit drängt. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Es muss gehandelt werden. Sofern in einigen Bereichen doch noch Fragen zu klären sind, schlagen wir Ihnen vor, zwei bis drei öffentliche Hearings durchzuführen. Das geht schnell und ermöglicht eine zügige Arbeit an den Sachthemen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber wahrscheinlich sind Sie sich selbst noch gar nicht darüber einig, was Sie eigentlich wollen. Der Landesvorstand der CDU hat gerade die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre gefordert, die Landesregierung schickt die Beamten bereits mit 50 Jahren in den Ruhestand, und Sie wollen die Enquete-Kommission damit befassen, herauszufinden, wie das tatsächliche Renteneintrittsalter in Niedersachsen dem gesetzlichen Renteneintrittsalter wieder stärker angenähert werden kann. - Bestimmt nicht so, wie Sie das machen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von Dr. Philipp Rösler [FDP])

Wir sind in Niedersachsen ja inzwischen so weit, dass sich bereits 42-Jährige für den Vorruhestand bewerben. Die Enquete-Kommission - wenn Sie sie wirklich einsetzen - wird bestimmt auch interessieren, wie man das verändern kann. Bestimmt nicht in dem Klima, das Sie hier erzeugen. So geht das nicht.

(Zustimmung von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir ein Zitat:

„Alle, die sich ein wenig für Politik interessieren, wissen, dass unser Problem kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit ist.“

(Bernd Althusmann [CDU]: Genau!)

- Ja, genau!

„Der Worte sind genug gewechselt. Deswegen ist es eigentlich nicht der Ort der Politik, zu reden, sondern der Ort der Politik ist, zu handeln.“

(Bernd Althusmann [CDU]: Genau, und deswegen sollten Sie jetzt Schluss machen!)

Diese Worte müssen Ihnen sehr bekannt vorkommen: Sie stammen aus der Regierungserklärung von Herrn Wulff vom 4. März 2003. In diesem Punkt gebe ich in Bezug auf dieses Thema ausdrücklich Recht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Das heißt, Sie wollen bei der Kommission mitmachen!)

Wir haben Ihnen bereits im vergangen Plenum einen ersten Entschließungsantrag zum demografischen Wandel vorgelegt. Heute schlagen wir Ihnen vor, wie dem demografischen Wandel im Bereich der Pflege zu begegnen ist. Weitere Initiativen werden folgen.

Für die Pflege gilt das Gleiche: Alle Daten liegen vor. Gemäß der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung wissen wir ganz genau, wie sich die Altersstruktur in Niedersachsen in den kommenden Jahrzehnten verändern wird.

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

Aus der Pflegestatistik wissen wir auch um die Zusammenhänge zwischen der Alterstruktur und dem Pflegebedarf in der Bevölkerung. Wir wissen, dass die Entwicklungen, die in diesem Bereich auf uns zukommen, eine lang angelegte sozialpolitische Steuerung brauchen, um auch künftig eine menschenwürdige, bedarfsgerechte und an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtete Pflege zu sichern.

Noch ist Niedersachsen auf eine wachsende Zahl älterer und pflegebedürftiger Menschen nicht vorbereitet. Aber alle relevanten Akteure und Betroffenengruppen müssen sich bereits jetzt auf diese Entwicklung einstellen. Wichtigstes Ziel ist dabei aus unserer Sicht der Vorrang der häuslichen Versorgung. Die meisten Menschen wünschen sich, bei Pflegebedürftigkeit im Alter in der häuslichen Umgebung zu verbleiben. Deswegen brauchen wir den Ausbau ambulanter Versorgungsstrukturen. Wir brauchen ein ambulantes Verbundangebot. Wir brauchen eine Stärkung der pflegenden Angehörigen und eine ausreichende Bereitstellung vorpflegerischer und pflegebegleitender Dienste. Wir brauchen Wohnberatung und Wohnraumanpas

sung. Dass Sie die Fachstelle für Wohnberatung nicht weiter finanzieren, ist in diesem Zusammenhang fatal, denn sie leistet eine sehr wichtige Multiplikatorenfunktion.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Eine besondere Bedeutung wird auch integrierten Versorgungsangeboten zukommen. Es wird darauf ankommen, die Bedarfslagen der Menschen genauer zu identifizieren und möglichst passgenaue Angebote vorzuhalten. Schnittstellen müssen optimiert werden. Alle an der pflegerischen Versorgung beteiligten Gruppen müssen in Zukunft besser zusammenarbeiten. Dabei setzen wir besonders auf eine Stärkung der Rolle der örtlichen Pflegekonferenzen.

Des Weiteren brauchen wir Alltagsassistenz. In Zukunft - eigentlich auch schon heute, aber in Zukunft wird die Bedeutung zunehmen - werden viele Handreichungen und Hilfen im Alltag von Menschen nötig sein, die nicht unbedingt professionell erledigt werden müssen. Hier sehen wir in Zukunft eine besondere Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements, insbesondere auch der Ruhestandsgeneration selbst.

Noch längst nicht ausgeschöpft sind die Möglichkeiten von Rehabilitation. Menschen, die rehabilitiert sind, sind nicht pflegebedürftig. Pflegebedürftigkeit wird hinausgezögert; das ist für den Menschen und natürlich auch für die Kommunen und Leistungsträger gut.