Protokoll der Sitzung vom 19.05.2005

Zweitens. Die Bundesregierung schädigt deutlich das Ansehen Deutschlands im Ausland. Der größte Mitgliedsstaat der EU, der 1997 mit größten Anstrengungen einen wehrhaften Stabilitätspakt durchgesetzt hat, muss heute eingestehen, dass er selbst den Herausforderungen dieses Paktes nicht gewachsen ist. Frau Geuter meinte, dass

man das schon damals hätte vorhersehen müssen. Nein, diese Regierung will das nicht, weil wir einen Bundeskanzler haben, der damals den Euro als schwächelnde Frühgeburt verspottet hat. Wer solche Ausdrücke wählt, dem ist es auch egal, was mit so einer Währung passiert. Das ist das Schlimme.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich zitiere an dieser Stelle nur einmal das italienische Mitglied der Europäischen Zentralbank, Herrn Padoa-Schioppa. Er hat vor 14 Tagen treffend formuliert:

„Es ist erstaunlich, zu erleben, dass der Stabilitätspakt schneller von denjenigen abgewertet wird, die ihn erfunden haben, als von denen, für die er erfunden wurde.“

Ich muss sagen, da hat er Recht. Was haben wir denn gedacht? Dass die Länder im Mittelmeerraum ihre Währungen nicht so stabil halten können, wie wir das mit unserer tollen D-Mark können. Stattdessen hat diese Bundesregierung unser Ansehen in den letzten sieben Jahren so heruntergewirtschaftet, dass wir sozusagen der Durchfaller in der Klasse der Euro-Länder sind.

(Heinz Rolfes [CDU]: Ungeheuerlich! Und da stellt der sich hier hin und zeigt mit dem Finger auf andere!)

Drittens. Ein Ansehensverlust ist schon schlimm. Aber wenn es teuer wird, ist es noch problematischer. Und die Aufweichung dieses Paktes wird für Deutschland richtig teuer. Zwar haben viele EUPartner der Änderung zugestimmt - wenn auch zähneknirschend -, aber dafür werden sie bei der zukünftigen Finanzierung der EU ab 2007 von Deutschland eine Gegenleistung erwarten. Das heißt nichts anderes als eine Steigerung unseres Finanzbeitrages.

Die von der Bundesregierung betriebene Aufweichung des Stabilitätspaktes entzieht ihr zugleich die Argumente für mehr EU-Haushaltsdisziplin. Sie wäre ja auch die Letzte, die noch zur Haushaltsdisziplin aufrufen könnte. Der Finanzbeitrag Deutschlands wird in Zukunft also deutlich über dem von der Bundesregierung versprochenen 1 % des Bruttonationaleinkommens für die nächste Finanzplanung liegen. Was das für den Bundeshaushalt und damit für den Gesamtstaat bedeutet, das kann sich jeder ausrechnen. Hier wird mit der

Zukunft Deutschlands Schindluder getrieben. Das muss man einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Wenzel, wir Länder können an dieser Politik der Bundesregierung in diesem Fall leider nichts ändern. Natürlich werden wir im Bundesrat bei der Beratung der EU-Verordnungsentwürfe eine ablehnende Position beziehen. Einer muss es ja noch tun; demnächst werden es zehn Bundesländer sein. Aber die Währungspolitik liegt in der Kompetenz des Bundes. Daher werden wir die Bundesregierung in Brüssel letztlich nicht binden können.

Wir können letztlich auch nicht mit unserer Landeshaushaltspolitik dagegenhalten. Zwar haben wir in Niedersachsen in den letzten Jahren riesige Anstrengungen unternommen, die Defizite der Länderhaushalte zu begrenzen; das haben alle Länder getan. Die Länder haben daher auch die im nationalen Stabilitätspakt verabredete Obergrenze für das Ausgabenwachstum erheblich unterschritten. Wir sind ja bei weitem nicht an die 55 % herangekommen. Die Länder haben außerdem den ihnen zustehenden Defizitspielraum nicht ausgeschöpft und dazu sogar eine Defizitreserve - das ist ein komisches Wort, aber so nennt man das nun einmal - geschaffen. Der Bund hat - ich erwähnte es bereits - anstatt der verabredeten 45 % pro Jahr immer mehr, zuletzt 79 % des Gesamtdefizits, in Anspruch genommen. So viel Reserve, wie die Bundesregierung braucht, kann aber keine Konsolidierung der Länderhaushalte schaffen, selbst wenn eine solche allen 16 Ländern gelingen würde.

Der wirksamste und einzige Schutz des Stabilitätspaktes besteht in einem grundlegenden Umsteuern in der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Gesellschaftspolitik in der Bundesrepublik. Wir brauchen eine Steuer- und Arbeitsmarktreform aus einem Guss, die wachstums- und beschäftigungsfreundlich ist. Nur dann wird es uns gelingen, eine nachhaltige Haushaltspolitik und damit auch eine nachhaltige Finanzpolitik innerhalb der Grenzen des existierenden Stabilitätspaktes zu betreiben.

Aber ich will Ihnen auch sagen: Wir geben die Hoffnung nicht auf; denn einen Erfolg versprechenden Weg zur Festigung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes haben wir noch, nämlich die Ablösung dieser Bundesregierung und die Wahl einer neuen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung erhält der Herr Kollege Gabriel von der SPD-Fraktion noch eine Redezeit von drei Minuten. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Deutsche Bundesbank hat in ihrem Monatsbericht April 2005 erläutert, worum es bei den Öffnungsklauseln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes geht. Damit es nicht ganz so einseitig abläuft, wie Herr Möllring es versucht hat, will ich ihre Aussagen einmal vorlesen:

„Zudem ist weiteren Einwendungen des betreffenden Defizitlandes Rechnung zu tragen, beispielsweise bei Belastungen aus Finanzbeiträgen zu Gunsten der internationalen Solidarität“

- und jetzt kommt es

„sowie zur Verwirklichung der Ziele der europäischen Politik, insbesondere den Prozess zur Einigung Europas.“

Die Bundesbank verweist mithin darauf, dass die EU-Kommission gesagt hat: Wenn Länder im Prozess der europäischen Einigung besondere Lasten haben, dann ist dem Rechnung zu tragen, und dann kann man sie nicht starr an die bisherigen Regelungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes binden. Diesen besonderen Belastungen sollte Rechnung getragen werden.

Warum sagt die EU-Kommission das? Herr Möllring weiß das natürlich. Die EU-Kommission führt die Probleme der Bundesrepublik Deutschland bei der Einhaltung der Defizitgrenzen seit Jahren in jedem Weißbuch darauf zurück, dass Deutschland ein Sonderproblem hat. In jedem Weißbuch wird festgestellt, dass es nur ein Land in Europa gibt, das eine Wiedervereinigung zu verkraften hat, die in jedem Jahr einen Transfer von 80 Milliarden Euro von West- nach Ostdeutschland verursacht.

Das zeigt auf der einen Seite die Stärke der deutschen Volkswirtschaft. Jemand anders kann das nämlich nicht. Manchmal wünsche ich den ameri

kanischen Analysten eine Wiedervereinigung mit Mexiko. Dann wüssten sie, was das kostet und welche Beiträge man dafür aufbringen muss.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auf der anderen Seite heißt das natürlich, dass Leistungen erbracht werden müssen - und zwar im Wesentlichen vom Bund, Herr Minister Möllring -, die anderen Ländern nicht auferlegt werden. Der Grund, warum der Bund die 79 % des Defizits verantwortet, die Sie hier mehrfach zitiert haben, ist, dass die großen Lasten in der Sozialversicherung entstehen, z. B. bei der Finanzierung der Rentenauszahlung. Jedes Jahr müssen allein 80 Milliarden Euro aus Steuermitteln in die Rente gezahlt werden. Auch das Defizit in der Arbeitslosenversicherung zahlt der Bund. Übrigens bedeutet auch die Entlastung der niedersächsischen Kommunen von der Sozialhilfe zusätzliche Lasten für den Bund.

Der eigentliche Grund ist also, dass wir etwas haben, was andere nicht haben, nämlich die Kosten der deutschen Einheit - die wir aber, das sage ich ausdrücklich, auch tragen wollen. Diese Kosten sind der Grund, warum die EU-Kommission korrekterweise sagt, dass Deutschland anders behandelt werden muss als andere Länder.

Deshalb, Herr Finanzminister, finde ich, sollten Sie aufhören, Schuldzuweisungen zu betreiben. Wenn Sie sagen, hier gehe es um die Ablösung dieser Bundesregierung, dann sage ich: Hier predigen die Täter von gestern,

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU - Zurufe von der CDU: Uner- hört!)

die dafür gesorgt haben, dass die Kosten der deutschen Einheit verheimlicht wurden. Sie hatten die Staatsverschuldung des Bundes aus der Zeit von Helmut Schmidt - von Konrad Adenauer bis Helmut Schmidt wurden dafür fast 40 Jahre gebraucht - mit 150 Milliarden Euro schon vor der deutschen Einheit fast verdoppelt. Und dann haben Sie sie auf 750 Milliarden Euro steigen lassen, weil Ihre Partei - Sie waren schon dabei - den Leuten erklärt hat: Das kostet nichts, das machen wir aus der Portokasse, dafür muss niemand mehr bezahlen. Deswegen sind wesentliche Teile der deutschen Einheit auf Pump finanziert.

Damals hätten wir die Mehrwertsteuer erhöhen müssen. Jetzt wäre das konjunkturschädlich. Damals hätten wir das gekonnt. Sie haben den Leuten falsche Versprechungen gemacht. Sie haben den Arbeitern und Angestellten die soziale Einheit Deutschlands in die Kassen geschoben. Dafür müssen heute die Defizite finanziert werden. Das ist der Grund für die schwierige Lage Deutschlands. Das ist der Grund, warum die EU dem Rechnung trägt. Das ist der Grund, warum Sie hier eine Märchenstunde abgeliefert, aber nichts zur Finanzpolitik erklärt haben.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung zu Tagesordnungspunkt 29. Es wird empfohlen, den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr und den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung zu Tagesordnungspunkt 30. Hier wird empfohlen, den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr und den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Jetzt erteile ich Herrn Kollegen Gabriel zu einer Erklärung außerhalb der Tagesordnung - § 77 unserer Geschäftsordnung - das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Gabriel!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor wir in den Tagesordnungspunkt zum Thema Jugendarbeitslosigkeit eintreten, hätte die SPDFraktion gerne etwas geklärt, was für sie von grundsätzlicher Bedeutung ist, nämlich ob sie den

Antworten, die sie von der Landesregierung gleich bekommen wird, eigentlich trauen kann.

Wir haben in der gestrigen Aktuellen Stunde erlebt, dass die Landesregierung durch Frau Ministerin von der Leyen eine Antwort gegeben hat, die - jedenfalls nach unserem Eindruck - nicht der Wahrheit entsprochen hat. Frau Ministerin von der Leyen, ich hatte Sie gefragt, ob es stimmt, dass aus dem Jahr 2004 Haushaltsreste in Höhe von 1,2 Millionen Euro im Bereich der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zur Verfügung stehen, die Sie nicht zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit verbrauchen.

Sie haben sich dann dankenswerterweise zu Wort gemeldet und ausweislich des Protokolls gesagt:

„Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da ich direkt gefragt worden bin, gebe ich auch eine direkte Antwort. Die Mittel sind durch Bescheid belegt und werden ausgezahlt, soweit sie abgerufen werden. Mit anderen Worten: Sie sind in das Thema Jugendarbeitslosigkeit investiert.“

Meinen Zwischenruf mit der Frage „Keine Haushaltsreste?“ haben Sie mit dem Wort „Nein“ beantwortet.

Frau Ministerin, Ihr Staatssekretär hat mit Schreiben vom 8. Dezember 2004 den Staatssekretär im Finanzministerium darauf hingewiesen, dass im Haushaltsjahr 2004 Mittel aus dem Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Höhe von 1,2 Millionen Euro nicht benötigt worden seien. Er wollte sie einer Stiftung zum Erhalt einer Jugendbildungsstätte zuführen. Darauf hat ihm der Staatssekretär im Finanzministerium mit Schreiben vom 17. Dezember mitgeteilt, dass er dieser Bitte leider nicht nachkommen könne, weil nicht verbrauchte Mittel - auch aus dem Bereich Jugendarbeitslosigkeit - zur Deckung des Haushaltsfehlbetrages eingesetzt werden müssen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Interessant!)

Frau Ministerin, ich hatte gestern nicht ohne Absicht gefragt. Meine Bitte ist, dass Sie vor Eintritt in den Tagesordnungspunkt Jugendarbeitslosigkeit die Gelegenheit ergreifen, sich zu korrigieren. Ihre Aussage war, jedenfalls nach den uns vorliegenden Dokumenten, eindeutig falsch, das war eine Falschaussage gegenüber dem Parlament.

Wir glauben, dass wir darauf zurückkommen mussten, bevor wir in die Debatte über die Jugendarbeitslosigkeit eintreten. Wir wollen wissen, ob man sich darauf verlassen kann, dass die Aussagen der Landesregierung uns gegenüber korrekt sind.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. - Frau Ministerin Dr. von der Leyen hat sich ebenfalls zu einer Erklärung außerhalb der Tagesordnung - § 77 unserer Geschäftsordnung gemeldet.

Herr Gabriel, dazu will ich gerne Stellung nehmen. Sie sprachen - und zitierten dabei aus dem bisher nicht öffentlichen Protokoll - über die Frage, ob die Reste, die übrig geblieben sind, ausgegeben worden sind oder nicht. Ich habe sinngemäß geantwortet: Die Mittel sind durch Bescheid belegt und werden damit auch in diese Sache investiert.

Ich habe mir das noch einmal seitens des Hauses aufarbeiten lassen. Wir haben beim Thema Jugendarbeitslosigkeit zwei Posten gehabt. Der eine, von dem ich gesprochen habe, waren die Ausgabereste: Mittel, die durch Bescheid belegt sind und die auch ausgegeben werden, sobald sie abgerufen werden. Für 2005 sind Mittel in Höhe von 1 124 622,51 Euro angemeldet worden.