Protokoll der Sitzung vom 15.09.2005

Das widerspricht dem Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes und der Niedersächsischen Verfassung. Sie wollen wissen, warum? - Ich sage es Ihnen. Aus dem Vollstreckungsplan hat sich als gängige Verwaltungspraxis für Männer ergeben, dass diese, soweit sie lediglich eine Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen haben, grundsätzlich für den offenen Vollzug geeignet sind. Es ist kein einziger Grund zu erkennen, warum diese Eignungsvermutung für weibliche Inhaftierte nicht gelten soll.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Somit liegt bei einer grundsätzlichen Unterbringung von Frauen, die reine Ersatzfreiheitsstrafen zu verbüßen haben, im geschlossenen Vollzug eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung gegenüber männlichen Verurteilten vor.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Bis vor zwei Monaten lag die Zuständigkeit für Frauen bei der offenen Frauenanstalt in Vechta. Aber seit dem 1. Juli dieses Jahres gehen diese Frauen - und eben nur Frauen - in den geschlossenen Vollzug.

(Heidrun Merk [SPD]: Unerhört!)

Meine Damen und Herren, nach Artikel 3 des Grundgesetzes und Artikel 3 der Niedersächsischen Verfassung sind Männer und Frauen gleichberechtigt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

„Die Verwirklichung der Gleichberechtigung... ist eine ständige Aufgabe des Landes.“

Punktum! Es gibt keinen Halbsatz und keinen Nachsatz, der diese Artikel für den Strafvollzug außer Kraft setzt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch hier wird wieder von der CDU-geführten Landesregierung die Verwirklichung der Gleichberechtigung sträflich vernachlässigt.

(Jens Nacke [CDU]: Frau Müller, die- ses Thema eignet sich nicht für den Wahlkampf!)

- Sie können hinterher etwas sagen. Jetzt bin ich dran!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Im Übrigen ist Gleichberechtigung kein Wahlkampfthema, sondern hat die Landesregierung laut Verfassung die Aufgabe, sie durchzusetzen. Das, was da gemacht wird, ist eindeutig nicht verfassungskonform - wieder einmal nicht.

(Beifall bei der SPD)

Warum haben Sie so entschieden? Sind Sie eigentlich so unsensibel? Sachliche Gründe für eine solche Ungleichbehandlung sind überhaupt nicht erkennbar. Sind in Ihren Augen Frauen um so vieles gefährlicher als Männer?

Vor dem Hintergrund der Kostensituation, die uns hier ständig beschäftigt, erinnere ich daran, dass offener Vollzug bekanntlich deutlich preiswerter und kostengünstiger ist als geschlossener Vollzug.

In diesem Zusammenhang stellen sich weitere Fragen. Nehmen wir doch einmal ein Beispiel. In Osnabrück wird eine Frau zur Verbüßung ihrer Ersatzfreiheitsstrafe von der Polizei festgenommen. Wie kommt die eigentlich nach Langenhagen?

Wenn sie schon ihre Geldstrafe nicht bezahlen kann, wird sie wohl kaum eine Bus- oder Eisenbahnfahrkarte bezahlen können. Also wird sie festgenommen. Wer transportiert sie nach Langenhagen? - Vermutlich die Polizei.

(Zuruf von der CDU: Das ist jetzt Frau Müllers Märchenstunde!)

Damit verbunden ist ein riesiger Zeitaufwand. Teuer ist es im Übrigen auch noch.

Wie sieht es dann mit der Arbeit aus? In Vechta gibt es im offenen Vollzug Arbeit für die Frauen. Sie können sich mit ihrem Tagesverdienst viel schneller auslösen. In Langenhagen aber ist Arbeit für Frauen nur sehr dünn gesät. Damit dauert die Haft länger, und die Kosten für das Land steigen.

(Beifall bei der SPD)

Warum, Frau Ministerin, haben Sie der Frauenanstalt in Vechta plötzlich die Zuständigkeit für die Entscheidung über Ersatzfreiheitsstrafen im offenen Vollzug entzogen? Das Personal dort hat doch die meisten Erfahrungen mit Frauen.

(Beifall bei der SPD)

Stellen Sie die Kompetenzen Ihrer Mitarbeiterinnen in Vechta plötzlich in Abrede? Das werden Sie uns erklären müssen, so wie Sie uns im Ausschuss auch noch eine Menge anderer Dinge werden erklären müssen.

Meine Damen und Herren, die Justizministerin spricht doch immer von effizienterem und preiswerterem Vollzug. In diesem Fall aber scheint dies nicht zu gelten. Außerdem war ich davon ausgegangen - ich glaube, nicht ich allein -, dass insbesondere die Justizministerin eine besondere Hüterin der Verfassung ist. Aber weit gefehlt. Frau Heister-Neumann, aus Ihrem Hause kommt diese Vollstreckungsplanung, die nicht verfassungskonform ist.

(Beifall bei der SPD - Jens Nacke [CDU]: Das ist unverschämt!)

Dass Sie als Frau eine solche Diskriminierung der Frauen betreiben, empfinden wir als besonders zynisch. Dem Ministerpräsidenten - es ist schön, dass Sie jetzt hier sind, Herr Wulff - scheint das bisher nicht aufgefallen zu sein, oder es scheint ihn nicht zu interessieren. Eigentlich wollte ich Sie etwas fragen. Andererseits habe ich mir gesagt:

Ich muss die Frage gar nicht stellen; denn die Antwort kenne ich schon.

(Jens Nacke [CDU]: Vorsicht! Der weiß gut Bescheid! Da wäre ich jetzt vorsichtig!)

Die Frage wäre gewesen: Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht? Die Antwort kann doch nur lauten: Verfassungswidrig hin oder her, die CDU will das so. - Oder aber: Sie haben überhaupt nicht darüber nachgedacht, was da passiert. Beides wäre gleichermaßen schlimm.

(Beifall bei der SPD)

Herr Wulff, noch etwas möchte ich Ihnen gerne sagen. Sie sind nicht nur Ministerpräsident, sondern Sie sind auch der Vorsitzende der CDU. Als einem solchen - damit schlage ich auch einen Bogen zu der ersten Debatte von gestern Morgen sage ich Ihnen: Man muss Sorge haben um die Verfassungstreue der CDU.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ja nicht das erste Mal, dass unter Ihrer Verantwortung die Verfassung verletzt wird.

(Bernd Althusmann [CDU]: Wie war das mit Frau Bulmahn vor dem Bun- desverfassungsgericht? - Weitere Zu- rufe)

Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen: Wir freuen uns mächtig auf die Diskussion im Fachausschuss.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. - Zur Geschäftsordnung gemeldet hat sich von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Helmhold. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle fest, dass hier über ein Thema gesprochen wird, das Frauen in Niedersachsen betrifft, das Frauen massiv diskriminiert. Ich stelle fest, dass die zuständige Ministerin nicht anwesend ist. Ich stelle den Antrag, dass sie zu diesem Tagesordnungspunkt an der Sitzung teilnimmt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zurufe von der CDU: Die Jus- tizministerin ist doch da!)

- Nein, die Frauenministerin. Für die Belange der Frauen in diesem Land ist die Frauenministerin zuständig. Die hat an dieser Debatte teilzunehmen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Wolfgang Jüttner [SPD]: Macht sie Schularbeiten, oder macht sie Wahlkampf? Das ist doch die Frage, die uns interessiert!)

Danke schön. - Ebenfalls zur Geschäftsordnung Herr Kollege Althusmann!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Helmhold hat hier wieder einmal den Wunsch vorgetragen, dass die zuständige Ministerin an der Debatte teilnimmt. Dazu sage ich Ihnen, verehrte Kollegin Helmhold: Genau die ist da. Die für den Strafvollzug zuständige Ministerin sitzt auf der Regierungsbank und nimmt ihre Verpflichtung als Ministerin wahr.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sehr verehrte Frau Helmhold, ich möchte Ihnen noch etwas sagen. Dass wir diese Debatte ausgesprochen ernst nehmen und dass dieses Thema nicht nur ein ernsthaftes Anliegen der CDU in Niedersachsen, sondern mit Sicherheit auch der FDP in Niedersachsen ist, zeigt sich allein an der Tatsache, dass auch der nach dem Landtagspräsidenten höchste Repräsentant des Landes, nämlich der Ministerpräsident selbst als Regierungschef, an dieser Debatte teilnimmt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)