Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

und insoweit hat sie auch richtig berichtet. Sie hat dabei nur leider vergessen, dass die Justizministerkonferenz darüber hinaus einen weiteren Beschluss gefasst hat, und zwar auf Anregung Niedersachsens, meine Damen und Herren.

(Heike Bockmann [SPD]: Kenne ich auch!)

Auch da sind mir meine Kolleginnen und Kollegen gefolgt. Insofern ist das sicherlich recht weise. Auf der letzten Justizministerkonferenz wurde nämlich der Beschluss gefasst, dass der Koordinierungsausschuss schon jetzt ein umfassendes und realisierbares Konzept einer Spartenausbildung ebenfalls bis 2008 entwickeln soll.

(Zustimmung von Dr. Harald Noack [CDU] - Joachim Albrecht [CDU]: Man darf eben nicht immer nur die Hälfte erzählen! - Hans-Dieter Haase [SPD]: Wer war das?)

Dieses Modell ermöglicht durch Aufspaltung des Vorbereitungsdienstes in die verschiedenen berufsbezogenen Ausbildungsgänge eine sehr gezielte und vor allem bedarfsorientierte Ausbildung.

Meine Damen und Herren, man wird allerdings - darauf hat Professor Zielke auch schon hingewiesen - sehr sorgfältig die Vor- und Nachteile eines solchen Spartenmodells zu prüfen und abzuwägen haben. Einige Punkte sind angesprochen worden. Gibt man die Ausbildung der zukünftigen Rechtsanwälte in die Hände der Anwaltschaft, ist diese voraussichtlich besser in der Lage, den Nachwuchs auf hohem Niveau bedarfsorientiert und bedarfsgerecht auszubilden.

Zugleich bietet sie aber auch die Möglichkeit, die Betätigung des Staates im Hinblick auf seine Kernaufgaben kritisch zu hinterfragen. Ist es für unseren Rechtsstaat wirklich notwendig, dass eine staatliche Monopolausbildung erfolgt? Sollte sich der Staat nicht vorrangig auf die Ausbildung derjenigen konzentrieren, die er in Justiz und Verwaltung benötigt? - Nach der jetzigen Ausbildungsordnung kann eine Referendarin oder ein Referendar bis zu 13 Monate von insgesamt 24 Monaten seiner Ausbildung in einer Rechtsanwaltskanzlei ableisten. Darauf haben Sie hingewiesen. Aber wir müssen überlegen, ob diese Art von Ausbildung in Zukunft tatsächlich den Bedarf an hoch qualifi

zierten Richterinnen und Richtern, Verwaltungsjuristinnen und Verwaltungsjuristen abdeckt.

(Heike Bockmann [SPD]: Aber dem haben Sie doch gerade zugestimmt!)

Hierüber sollten wir gemeinsam konstruktiv und offen nachdenken. Ich meine, das ist im Rahmen einer Aufgabenkritik nötig und sinnvoll.

Wichtig ist für mich bei all diesen Überlegungen aber vor allem eines: Ein solches Modell darf meines Erachtens nicht dazu dienen, die jeweiligen Berufsfelder mit ihren Ausbildungsgängen für die Zukunft nach der einen oder anderen Seite abzuschotten. Im Gegenteil: Ich halte es für zwingend notwendig, dass auch nach dem Abschluss in der einen Berufssparte ein Wechsel in eine andere möglich ist. Zum einen bietet dies den jeweiligen Interessenten die Möglichkeit, sich auch später noch entsprechend ihrer persönlichen Entwicklung zu orientieren. Zum anderen bietet es insbesondere in den jeweiligen Berufsfeldern die Chance, die Erfahrungen aus dem anderen Berufsfeld zu nutzen. Auch jetzt wechseln durchaus schon Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Anwaltschaft in die Justiz, und auch im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit leisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Dienst, die aus den Finanzämtern oder der Finanzverwaltung kommen.

Meine Damen und Herren, alle diese Mitarbeiter sind gerade in der Justiz hoch willkommen. Auf diese Erfahrungen sollten wir nicht verzichten. Deshalb sollte ein Wechsel auch künftig weiterhin möglich sein. Mir ist das jedenfalls sehr wichtig.

Unser juristischer Nachwuchs hat jedenfalls nach wie vor eine hohe Akzeptanz. Das kann ich für die Justiz, insbesondere auch was die jüngsten Absolventen anbelangt, wirklich noch einmal unterstreichen. Ich meine, das muss auch so bleiben. Deshalb haben wir darauf hinzuwirken, dass dieser Nachwuchs weiterhin bestens auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes in der Justiz, in der Verwaltung, aber auch in der Wirtschaft vorbereitet ist.

In diesem Sinne verstehe ich diesen Entschließungsantrag, und in diesem Sinne ist es auch an der Zeit, sich mit diesem Thema intensiv und sorgfältig zu beschäftigen, sodass wir in Niedersachsen auf die im Jahr 2008 erfolgenden Änderungen wieder einmal sehr gut vorbereitet sind, Herr Briese. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Wer den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Wissenschaft und Kultur sowie den Ausschuss für Inneres und Sport überweisen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Nun rufe ich auf den

Tagesordnungspunkt 25: Einzige (abschließende) Beratung: Aufklärungsoffensive vor und während der Fußball-WM 2006 - Rote Karte für Zwangsprostitution und Menschenhandel - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/2529 - Änderungsantrag der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/2566

Die Fraktionen sind übereingekommen, die zweite Beratung unmittelbar im Anschluss an die erste Beratung durchzuführen, und haben dazu in der Drucksache 2566 einen gemeinsamen Änderungsantrag vorgelegt.

Eingebracht wird dieser Antrag von der Abgeordneten Frau Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Frau Helmhold, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Gefangen mitten in Berlin“ lautet die Überschrift eines Artikels aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 11. Januar dieses Jahres, aus dem ich mit Genehmigung des Präsidenten einige Passagen zitieren möchte:

„Elena hatte sich alles gut überlegt: Wenn sie erst einmal mit einem Touristenvisum nach Deutschland einge

reist wäre, würde sie dort den Freund ihres Bekannten treffen, der ihr schon eine Stelle als Putzfrau oder Küchenhilfe organisiert haben sollte. Das sollte erst das Sprungbrett sein: ‚Ich habe gehofft, dass ich mir einen Studien- oder Ausbildungsplatz organisieren könnte, wenn ich erst einmal in Deutschland bin.‘ Ein Studium war schon immer ihr Traum. Aber ihre Mutter konnte sich die Studiengebühren nicht leisten. Davon, dass junge Frauen aus Osteuropa in den Westen gelockt werden, um sich dort zu prostituieren, hatte sie noch nie etwas gehört. Bis sie vor drei Jahren nach Berlin kam....

Elena wurde zu einer Gefangenen mitten in Berlin. Die Mädchen schliefen in einer bewachten Wohnung. Mittags wurden sie von ihrem rumänischen Zuhälter abgeholt, der sie mit dem Auto zu dem illegalen Bordell fuhr. Rund um die Uhr waren sie entweder eingesperrt oder bewacht. Selbst wenn Elena sich Zigaretten am Kiosk holte, wurde sie begleitet. In dem Bordell mussten sie sich umziehen, schminken und auf ihre Freier warten. ‚Ich lebte eigentlich nicht mehr richtig. Ich habe nichts mehr gegessen, sondern nur noch geraucht und geheult‘, erzählt Elena. Wollte eine Frau nicht gehorchen, wurde ihr mit körperlicher Gewalt gedroht. Oder sie wurde mit der Drohung gefügig gemacht, ihrer Familie in Rumänien etwas anzutun.“

Meine Damen und Herren, Frauen wie Elena gilt dieser Antrag und diese Debatte. Im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ist nämlich mit einer steigenden Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen an den Austragungsorten zu rechnen. Zahlreiche Prostituierte werden aus diesem Grunde aus dem Ausland nach Deutschland einreisen, und viele von ihnen werden mit Gewalt zu dieser Arbeit gezwungen werden und kommen nicht freiwillig; denn Zwangsprostitution und Menschenhandel sind ein äußerst lukratives Geschäft. Die „Ware Frau“ bringt dem international organisierten Verbrechen Milliardengewinne, die inzwischen höher sind als die aus illegalem Drogen- und Waffenhandel.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Zahlreiche Frauenverbände nehmen deshalb die Fußball-Weltmeisterschaft zum Anlass, um auf das Schicksal dieser Frauen hinzuweisen.

(Zustimmung von Gabriele Jakob [CDU])

Der Deutsche Frauenrat hatte bereits im September 2005 an den Deutschen Fußball-Bund appelliert, sich gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution auszusprechen. Bislang hat der DFB es jedoch abgelehnt, sich mit dem Problem zu befassen. Herr Mayer-Vorfelder erklärte für den DFB, man wolle sich mit diesem „leidigen Thema“ nicht beschäftigen.

(Zuruf von der SPD: Das passt zu ihm!)

Die Spieler der Nationalelf jedoch sind für viele Männer und Jugendliche Idole und Vorbilder. Deshalb könnten sie mit einem eindeutigen Bekenntnis gegen Zwangsprostitution sehr glaubwürdig vermitteln, dass sie persönlich Menschenhandel und Zwangsprostitution die Rote Karte zeigen,

(Beifall bei allen Fraktionen)

weil es in der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung steht, betroffenen Frauen aus dieser menschenrechtswidrigen Zwangslage herauszuhelfen. Fraueninitiativen und Bundes- und Länderfrauenräte, so auch der Landesfrauenrat Niedersachsen, deren Vorsitzende, Frau Thümler, ich sehr herzlich begrüße und bei der ich mich auch für die gute Zusammenarbeit in diesem Fall sowie in jedem anderen Fall bedanke,

(Beifall bei allen Fraktionen)

fordern deshalb in einer am 5. November 2005 einstimmig verabschiedeten Resolution eine Aufklärungsoffensive. In dieser Resolution wird gefordert, den Menschenhandel vor und während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zum Anlass zu nehmen, dem organisierten Verbrechen entgegenzutreten, die Freier zu sensibilisieren und den Opfern dabei zu helfen, sich zwecks Unterstützung an einschlägige Fraueneinrichtungen oder auch an die Polizei zu wenden.

Der Landesfrauenrat Niedersachsen führt in diesem Zusammenhang die Kampagne „Gegen Zwangsprostitution - Freier haben Verantwortung“

durch, deren Auftaktveranstaltung am 2. Februar in Wolfsburg stattfinden wird und zu der ich Sie alle herzlich einlade. Es geht hierbei ausdrücklich nicht um eine Kampagne gegen Prostitution. Es geht auch nicht um eine Kampagne gegen den Fußball oder seine Fans. Vielmehr soll anlässlich des großen Ereignisses auf die begleitenden eklatanten Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen aufmerksam gemacht werden.

Den Freiern ist oft nicht bewusst, welche Ausmaße die Zwangsprostitution inzwischen erreicht hat. Aber wir meinen, dass Freier aufmerksam sein sollen. Sie sollen Verantwortung für die geschundenen Frauen übernehmen und auf Anzeichen von Zwangsprostitution achten. Sie können zum Beispiel darauf achten, ob die Frauen verletzt oder eingeschüchtert sind, ob sie sich überhaupt verständigen können oder ob sie das Geld für ihre Dienstleistungen nicht selbst erhalten. In solchen Fällen sollte ein Freier, durchaus auch anonym, eine Fachberatungsstelle, z. B. Kobra, oder auch die Polizei informieren.

Zurzeit wird unter der Federführung von Kobra, gemeinsam mit der Landeshauptstadt und dem Landeskriminalamt und finanziert vom Landespräventionsrat, ein Aufklärungsspot erstellt, der auf den Großleinwänden in Niedersachsen gezeigt werden soll. Es wäre schön, wenn sich der Ministerpräsident dafür einsetzen würde, dass dieser Spot auch in den Stadien gezeigt werden kann.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielleicht kann ja Herr Wulff den Präsidenten des DFB von der Bedeutung des „leidigen Themas“ überzeugen, sozusagen von Präsident zu Präsident.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Schließlich hat das Land dem Fußballbund auch einiges an Mitteln für die Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung gestellt.

Meine Damen und Herren, der Handel mit Frauen zum Zweck der Ausbeutung insbesondere in der Prostitution ist ein wirklich besonders verabscheuungswürdiges und menschenverachtendes Verbrechen. Es gilt, jede Möglichkeit zur Aufklärung und Verhinderung sowie zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit zu nutzen und zu unterstützen, um den Machenschaften der organisierten Kriminalität

in diesem Bereich den Nährboden zu entziehen. Auch wenn Sie sich unserem Antrag nicht anschließen konnten, begrüße ich Ihre Bereitschaft zu einer gemeinsamen Initiative sehr.

Die Begründung unseres Antrags habe ich jetzt im Wesentlichen vorgetragen. Damit die Landesregierung möglichst schnell handeln kann, wollen wir heute sofort abstimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der CDU)

Jede Frau, meine Damen und Herren, jede einzelne Frau, Frauen wie Elena, die wir aus den Fängen des organisierten Verbrechens befreien können, ist alle Anstrengungen wert. - Ich danke Ihnen.

(Beifall im ganzen Hause)

Danke schön. - Für die SPD-Fraktion hat sich Frau Kollegin Hemme zu Wort gemeldet. Bitte schön!