Protokoll der Sitzung vom 12.07.2006

Diese Entwicklung wird sich auch im Bereich der nichtakademischen Berufe fortsetzen, wenn wir die Berufsausbildung von jungen Menschen immer noch als Kostenfaktor begreifen und nicht als Investition in die Zukunft unseres Landes.

(Beifall bei der SPD)

Der einzige Rohstoff, den wir haben, ist nun einmal das Know-how in den Köpfen unserer Menschen. Es gibt daher nichts Wichtigeres, als gerade den jungen Menschen die Gelegenheit zu verschaffen, zu lernen und zu arbeiten. Wir können es uns einfach nicht länger leisten, das geistige Potenzial junger Frauen und Männer brach liegen zu lassen, weil sich immer größere Teile der Wirtschaft nicht mehr zu ihrer Ausbildungspflicht bekennen.

(Hans-Heinrich Sander [FDP] be- spricht sich mit Angehörigen der FDP- Fraktion)

Frau Heiligenstadt, einen Moment bitte! - Herr Sander! - Bitte sehr, Frau Heiligenstadt!

Angesichts dieser Situation ist es schon Hohn, wenn gerade die Niedersächsische Landesregierung Haushaltsmittel zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet. Aber es kommt noch viel schlimmer: Die Fraktionen von CDU und FDP waren noch nicht einmal bereit, im April über unseren Antrag aus dem März dieses Jahres zur Ausbildungsplatzmisere im Wirtschaftsausschuss zu reden. Wissen Sie, wie Sie mit dem Problem der Jugendarbeitslosigkeit umgehen? - Von der Tagesordnung absetzen, basta!

(Beifall bei der SPD - Unruhe bei der CDU)

Sie haben das beschlossen! Sie haben die Verantwortung für diese jungen arbeitslosen Menschen. In meinen Augen ist es Drückebergerei, wenn Sie sich diesem Problem noch nicht einmal in der Diskussion stellen wollen.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Astrid Vockert [CDU]: Sie machen es sich sehr einfach!)

- Ich kann ja verstehen, dass Ihnen das nicht gefällt.

Wir begrüßen den Antrag der Grünen und die dort genannten Punkte zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Niedersachsen,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

z. B. die Umlage der Prüfungsgebühren oder die Anerkennung von Abschlüssen in den Warteschleifen im Rahmen der Ausbildung. Wir haben viele von diesen Punkten in den vergangenen Monaten in einzelnen Anträgen auch schon im Plenum eingebracht. Leider sind sie immer von dieser Seite des Hauses abgelehnt worden. Das ist leider die Wahrheit.

(Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

Herr Minister Hirche, hören Sie endlich auf mit altbekannten Sonntagsreden! Die Jugendlichen wollen die Gewissheit, dass sich ihnen nach der Schulzeit eine Perspektive eröffnet. Diese jungen Menschen wollen arbeiten und wollen Leistung zeigen. Geben Sie Ihnen eine Chance dazu!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat nun der Wirtschaftsminister das Wort. Herr Hirche!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand bestreitet, dass die Situation auf dem Ausbildungsmarkt angespannt ist. Aber sie ist auch keinesfalls so düster, wie sie hier von der Opposition gezeichnet wird.

(Hans-Jürgen Klein [GRÜNE]: Sie ist katastrophal! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Genau, katastrophal!)

Manches ist schwierig, weil es mit Basta-Politik eben nicht zu lösen ist, Frau Heiligenstadt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Tatsache ist: Mehr Jugendliche verlassen die Schule und suchen einen Ausbildungsplatz. Wir brauchen sie natürlich als Fachkräfte der Zukunft umso mehr, als wir den demografischen Wandel kennen. Wir haben aber auch - und darauf sind Sie mit keinem einzigen Wort eingegangen - eine schwierige wirtschaftliche Situation, die sich nur ganz langsam bessert, und schwierige Rahmenbedingungen, die in nächster Zeit neue Belastungen mit sich bringen, meine Damen und Herren. Ich erinnere nur an die Mehrwertsteuererhöhung und an das, was im Krankenversicherungsbereich auf die Betriebe zukommt. In dieser Situation ist es für die Betriebe schwierig, was Ausbildungsplätze angeht. Deswegen, meine Damen und Herren, kann ich mir Ihren Rat, dass wir mit den Gewerkschaften über neue Projekte reden sollten, zwar gerne für eine Diskussion zu Eigen machen. Aber in dem Sinne, in dem Sie geredet haben, würde ich Sie bitten, auf die Gewerkschaften einzureden, dass dort ausgebildet wird.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es hat keinen Sinn, dass wir Forderungen von einer Seite hören, die selbst nichts macht.

Ich freue mich übrigens, dass die Gewerkschaften auf Bundesebene gesagt haben, beim Ausbildungspakt wieder mitmachen zu wollen. Das würde ich auf Landesebene auch begrüßen, aber das ist im Moment nicht der Fall. Wir kämpfen im Ausbildungspakt um jeden einzelnen Ausbildungsplatz. Ich meine, dass die Öffentlichkeit darüber urteilen sollte, dass wir jeweils am Jahresende eine erfolgreiche Bilanz ziehen konnten, weil wir - rechnerisch, muss ich einräumen - am Jahresende immer ein größeres Angebot an Ausbildungsplätzen und Einstiegsqualifizierungen als nachfragende Jugendliche haben. Wenn wir die Mittel zum Teil für Programme im Bereich der Jugendlichen nicht ausgeben, dann liegt das daran, dass die Nachfrage, mit der wir rechnen, nicht eintritt. Wenn Jugendliche in der Nachvermittlung zwei oder drei Mal angesprochen werden und von diesen angesprochenen Jugendlichen nur ein Viertel kommt, dann kann man das nicht der Landesregierung oder der Opposition vorwerfen, sondern dann müssen wir an die Strukturen denken, die sich im letzten Jahrzehnt offenbar herausgebildet haben und die wir nicht so ohne weiteres von einem Tag auf den anderen verändern können.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die Grünen fordern die Landesregierung zu Maßnahmen auf, die entweder längst umgesetzt sind oder aber, meine Damen und Herren, doch einer Diskussion bedürfen. Ich sage es mal so zurückhaltend. Sie fordern die Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit und Berufsorientierung. Dazu hat der Kollege Busemann doch längst eine Fülle von Maßnahmen getroffen. Es ist eine Banalität, dass wir in den Schulen die Zusammenarbeit mit Betrieben, Berufsschulen, Berufsberatung und anderen Partnern brauchen. Die Maßnahmen wirken aber leider nicht von heute auf morgen, sondern wir brauchen dazu Zeit. Das ist auch mehrfach in Übereinstimmung geäußert worden.

Sie fordern vollzeitschulische Berufsausbildungsangebote mit Kammerprüfung. Ich weise darauf hin, dass das Kultusministerium Gespräche mit den Kammerverbänden führt mit dem Ziel, dort, wo Bedarf besteht, Vereinbarungen für regionale Lösungen auf den Weg zu bringen. Aber das, was, wie ich den Zeitungen entnehme, in einer gemeinsamen Pressekonferenz von DGB und Grünen gefordert worden ist, wo der DGB von tausenden von vollzeitschulischen überbetrieblichen Ausbildungsverhältnissen spricht, kann nicht der Königsweg sein. Ich habe eben auch die SPD gehört, und auch die Grünen haben das gelegentlich so gesagt: Wir alle setzen auf die duale Berufsausbildung.

(Astrid Vockert [CDU]: Genau!)

Deswegen geht der Appell in Richtung Betriebe und nicht in Richtung überbetriebliche Ausbildungsplätze, weil wir letzten Endes wissen, dass die Jugendlichen, die dort durchlaufen, selbst wenn sie ein Zertifikat über den Abschluss erhalten, anschließend große Schwierigkeiten haben, in Betrieben überhaupt eingestellt zu werden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die Grünen präsentieren Vorschläge für Vorschriften und Regelungen. Da habe ich doch meine Zweifel. Sie fordern, das Land solle Einfluss auf die Tarifpartner nehmen. Ich erinnere mich an Situationen, in der Sie der Landesregierung vorgeworfen haben, dass wir zu Tarifauseinandersetzungen und Tarifverhandlungen Stellung nehmen. Jetzt sollen wir darauf Einfluss nehmen. Ich denke eher, da gilt die Tarifautonomie und auch die Verantwortung der Tarifpartner.

Zu den Prüfungsgebühren sage ich nur: Das gehört zu der Selbstverwaltung der Wirtschaft. Wir haben nach dem Grundgesetz - das muss ich auch manchmal Kollegen aus meiner Partei sagen - die Tarifautonomie bewusst als ein zusätzliches Freiheitssicherungsinstrument, wo sich der Staat nicht einmischen soll. Aber dann müssen die Tarifpartner - Gewerkschaften und Arbeitgeberauch - ihrer Verantwortung gerecht werden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Sie fordern, das Land solle Daten über die aktuelle Ausbildungssituation in den Regionen zusammentragen. Ich sage Ihnen: Daten haben wir genug. Eine Datensammelwut führt zu gar nichts. Ausbildungsplätze werden nicht zentral verwaltet, sondern die Ausbildungsplätze werden in den Regionen vor Ort vergeben. Statistiken haben wir genug. Wir brauchen engagierte Menschen in den Kammern, Arbeitsagenturen, Schulen und Betrieben, die einstellen. Bei dem Kampf um Ausbildungsplätze zählt nicht das Tamtam, sondern das Ergebnis.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich sage Ihnen noch einmal, meine Damen und Herren, am Ende jedes der letzten Jahre konnte sich die Bilanz sehen lassen. Auch die Zwischenbilanz im Augenblick kann sich sehen lassen. Ich werde jetzt einige Zahlen dafür nennen.

Wir haben nicht nur Zusagen, in diesem Jahr 2 500 neue Ausbildungsplätze und 2 000 EQJ-Praktika zu schaffen, sondern wir gehen davon aus, dass das wieder eingehalten wird. Wir haben beim Land Akquisiteure eingestellt. Wir fördern Akquisiteure bei den Kammern, die beraten, werben und überzeugen. Wir haben die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung, die Verbundausbildung intensiviert. Von Seiten der Agenturen wird das Entsprechende getan. Auf die Angebote der vom Land geförderten Pro-Aktiv-Centren hat Frau Konrath vorhin schon hingewiesen.

Das wirkt alles. Die von Ihnen immer wieder bemühten Zahlen der Agentur für Arbeit über Angebot und Nachfrage zeigen nicht das ganze Bild. Das ist bedauerlich.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hagenah?

Selbstverständlich.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Hirche, Sie sind gerade wieder beim Thema. Sie sagten gerade in dem Moment die Zahlen der Agentur für Arbeit würden nicht das ganze Bild zeigen. 20 Sekunden vorher haben Sie gesagt, Zahlen hätten wir genug.

Unser Problem in der Politik ist Folgendes, wenn wir bei Ihnen nachfragen. Wir haben hier schon verschiedene Fragestunden durchgeführt, wir haben im Ausschuss mit den Mitarbeitern Ihres Ministeriums darüber gesprochen, den dortigen Fachleuten. Niemand, auch die Fachleute nicht, konnten uns sagen, wie die reale Versorgungslage ist, weil sie immer darauf verwiesen haben, es gebe die eine Statistik, die führe die Agentur für Arbeit, und die andere Statistik, welche die Kammern führten. Dazwischen wüssten sie nicht, wo der Abgleich sei, von daher müssten wir warten. Ein Jahr später könnten sie uns dann sagen, wie die Lage war.

So kann man nicht Politik machen, so kann man nicht steuern.

(Zuruf von der CDU: Wie denn?)

Wie können Sie sagen, Sie hätten genug Zahlen, wenn Sie jetzt gerade in Ihrem Beitrag erneut gesagt haben, dass die Zahlen der Arbeitsagentur nicht das ganze Bild abbilden würden. Was ist denn das ganze Bild?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Hagenah, wir haben in der Tat alle Zahlen. Sie sind nur nicht aus einer Statistik ableitbar. Wir haben die Zahlen der Agentur für Arbeit,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

und wir haben die Zahlen über die abgeschlossenen - das will ich noch einmal sagen - Ausbildungsplätze. Wir haben Ergebnisse über eine Blitzumfrage bei Handwerkskammern, wonach nur noch 40 % der Betriebe ihre Ausbildungsplätze überhaupt bei der Agentur für Arbeit melden. Die

ses Phänomen des Auseinanderklaffens zwischen den Zahlen der Angemeldeten und den Zahlen der Ausbildungsplätze, die tatsächlich bereitgestellt werden, bekommen Sie auch nicht durch eine zusätzliche Statistik in einer Linie, in einer Liste zusammen. Das ist unser Problem. Wir diskutieren mit der Agentur für Arbeit, wie wir die Akzeptanz der Agentur für Arbeit durch die Betriebe verbessern können, denn es macht wenig Sinn, Gelder in diesem Umfang für eine Institution auszugeben, die von der Wirtschaft so nicht angenommen wird.