Protocol of the Session on March 17, 2011

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Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 102. Sitzung im 33. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.

Tagesordnungspunkt 30: Mitteilungen des Präsidenten

Die Beschlussfähigkeit stelle ich zu einem späteren Zeitpunkt fest.

Geburtstag hat heute die Abgeordnete Frau Flauger. Herzlichen Glückwunsch vom ganzen Haus: Gesundheit und Wohlergehen für das vor Ihnen liegende Lebensjahr!

(Beifall)

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 31, den Dringlichen Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die heutige Sitzung soll gegen 19.15 Uhr enden.

Bitte geben Sie Ihre Reden rechtzeitig an den Stenografischen Dienst zurück.

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr die Schriftführerin mit.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es haben sich entschuldigt: von der Landesregierung der Ministerpräsident, Herr McAllister, ab 14 Uhr, der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Herr Bode, ab der Mittagspause, und der Justizminister, Herr Busemann, ab 10 Uhr, sowie von der Fraktion der CDU Frau Prüssner und von der Fraktion der SPD Frau Weddige-Degenhard.

Vielen Dank. - Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 31:

Dringliche Anfragen

Es liegen drei Dringliche Anfragen vor. Die Fraktionen sind übereingekommen, abweichend von der im Nachtrag zur Tagesordnung ausgewiesenen Reihenfolge zunächst die unter Buchstabe b aufgeführte Dringliche Anfrage der Fraktion DIE LIN

KE und erst danach die unter Buchstabe a verzeichnete Dringliche Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu behandeln. Anschließend wird dann die unter Buchstabe c erwähnte Dringliche Anfrage der Fraktion der SPD beantwortet.

Die für die Beantwortung Dringlicher Anfragen geltenden Geschäftsordnungsbestimmungen setze ich als allgemein bekannt voraus. Das gilt insbesondere für die einleitenden Bemerkungen.

Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich nach wie vor, dass Sie sich schriftlich zu Wort melden.

Ich rufe jetzt also Tagesordnungspunkt 31 b auf:

Klagewelle gegen die Firma Energieversorgung Weser-Ems AG (EWE) und ihre Auswirkungen - Anfrage der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/3407

Dazu erteile ich dem Kollegen Adler von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Energieversorgung Weser-Ems AG (EWE) ist das siebentgrößte Unternehmen Niedersachsens. Der EWE-Konzern mit Sitz in Oldenburg hat eine Bilanzsumme von 10,5 Milliarden Euro und verzeichnete bei 6 500 Beschäftigten weltweit im letzten Jahr einen Umsatz von rund 5,8 Milliarden Euro.

Das Unternehmen gehört über den kommunalen Zweckverband „Ems-Weser-Elbe Versorgungs- und Entsorgungsverband“ zu 74 % insgesamt 21 Städten und Landkreisen im Nordwesten Niedersachsens. 26 % gehören dem Energiekonzern EnBW.

Das Unternehmen organisiert die Energieversorgung nicht nur in Niedersachsen.

(Unruhe)

Herr Kollege, ich darf einmal kurz unterbrechen. - Vielleicht gelingt es auch zu früher Stunde, etwas mehr Aufmerksamkeit für den Redner herbeizuführen. Ich bitte darum und auch darum, die Gespräche einzustellen. - Bitte schön, Herr Kollege!

Über Tochterunternehmen kontrolliert das Unternehmen die Stadtwerke Bremen, Energieversorger in Ostdeutschland, Polen und der Türkei und betätigt sich auch in den Bereichen Telekommunikation und IT.

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 14. Juli 2010 festgestellt, dass die EWE bei der Belieferung der Kunden mit Erdgas ab dem 1. April 2007 Allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet hat, die gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen und die Kunden der EWE unangemessen benachteiligen - so auf Seite 20 des Urteils. Sie muss deshalb zurückzahlen, was sie aufgrund dieser rechtsunwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch einseitige Preiserhöhungen von den Kunden erlangt hatte, weil es für die einseitig vorgenommenen Preiserhöhungen keine wirksame Rechtsgrundlage gibt.

Im Zeitraum 1. April 2008 bis 30. Juni 2009 hatte die EWE den Erdgaspreis in mehreren Schritten von 4,11 Cent auf bis zu 5,41 Cent pro kWh erhöht - jeweils ohne Mehrwertsteuer - und dann erst ab 1. Juli 2009 unter den Ursprungsbetrag von 4,11 Cent abgesenkt.

Die EWE verliert nun einen Rückzahlungsprozess nach dem anderen. Mehrere Urteile liegen schon von den Amtsgerichten Aurich, Leer und Oldenburg vor, und ständig werden es mehr. Ich muss ergänzen: inzwischen auch vom Landgericht Oldenburg.

Nach vorliegenden Schätzungen sind bei den Gerichten derzeit 4 000 Klagen anhängig, Tendenz täglich steigend. Ich glaube, die Zahl 4 000 ist schon nicht mehr richtig.

Der Versuch, mit dem Prominenten Henning Scherf um die Rückzahlungsverpflichtung herumzukommen und nur 40 % zurückzuzahlen, ist gescheitert.

Die EWE kommt auch in den Gemeinde- und Stadträten immer mehr unter Druck. Die Gemeinden im Nordwesten Niedersachsens sind selbst EWE-Kunden und fordern vor dem Hintergrund ihrer überschuldeten Haushalte das zu viel gezahlte Geld zurück. Anträge der Fraktion DIE LINKE hierzu fanden z. B. im Rat der Stadt Oldenburg eine Mehrheit. Hinzu kommen noch die Überzahlungen der Kommunen im Rahmen der Kosten der Unterkunft bei Hartz IV und Sozialhilfe. Auch dies wird zunehmend thematisiert.

In der Zwischenzeit hat die EWE ihre Gaspreise erneut zum 1. Dezember 2010 erhöht.

Es ist nach § 29 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen einem Unternehmen verboten, als Anbieter von Elektrizität oder leitungsgebundenem Gas auf einem Markt, auf dem es allein oder zusammen mit anderen Versorgungsunternehmen eine marktbeherrschende Stellung hat, diese Stellung missbräuchlich auszunutzen.

Außerdem darf ein Unternehmen nach § 19 GWB seine marktbeherrschende Stellung nicht missbrauchen. Nach § 19 Abs. 3 GWB wird vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat, was bei der EWE eindeutig der Fall sein dürfte.

Die Kartellbehörde kann nach § 32 UWG Unternehmen verpflichten, eine Zuwiderhandlung gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes abzustellen. Sie kann nach Absatz 2 dieser Bestimmung dem Unternehmen Maßnahmen aufgeben, die für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich und gegenüber dem festgestellten Verstoß verhältnismäßig sind.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Sieht die Landesregierung Möglichkeiten, im Gespräch mit dem Vorstand der EWE AG das Unternehmen zu überzeugen, dass Gerichtsurteile nicht nur im Einzelfall akzeptiert werden müssen, sondern bei offensichtlich gleichen Sachverhalten diese Gerichtsurteile für alle Kundinnen und Kunden des Unternehmens anzuwenden sind?

2. Falls Gespräche keinen Erfolg haben, ist die Landesregierung bereit und in der Lage, über das Landeskartellamt zu intervenieren und die Rückzahlung der unberechtigt zurückgehaltenen Beträge durchzusetzen?

3. Falls die angesprochenen Wege unter den Nrn. 1 und 2 keinen Erfolg haben, ist die Landesregierung darauf vorbereitet, die Gerichte durch Ausweitung der personellen und sachlichen Kapazitäten instand zu setzen, ihre Aufgaben zu erfüllen?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich stelle zunächst die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann. Ich erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die in der Dringlichen Anfrage angesprochene Problematik betrifft mehrere Hunderttausend Bürgerinnen und Bürger im Nordwesten unseres Landes. Es geht um all diejenigen Verbraucher, die in den letzten Jahren von dem Energieversorgungsunternehmen EWE AG Erdgas bezogen haben.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Seit September 2004 hat die EWE AG - wie andere Energieversorger auch - in mehreren Schritten einseitig die Arbeitspreise für das von ihr gelieferte Erdgas erhöht.

Herr Minister, ich darf Sie kurz unterbrechen. - Der Geräuschpegel ist einfach zu hoch. Ich bitte, die Gespräche in den Fraktionen einzustellen. Das ist für eine bestimmte Region ein wichtiges Thema. Ich bitte, das hier zu würdigen und die erforderliche Aufmerksamkeit für den Minister herzustellen. - Bitte, Herr Minister!

Ich wiederhole den letzten Satz: Seit September 2004 hat die EWE AG - wie andere Energieversorger auch - in mehreren Schritten einseitig die Arbeitspreise für das von ihr gelieferte Erdgas erhöht. Dabei hat sich die EWE AG stets auf ihre Vertragsbedingungen berufen, die ihr unter bestimmten Voraussetzungen das Recht zu Preisänderungen zubilligten. Inzwischen steht aufgrund einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14. Juli 2010 fest, dass jedenfalls die nach dem 1. April 2007 vorgenommenen Gaspreiserhöhungen unwirksam sind. Daraus folgt, dass die Kunden, die im Vertrauen auf die Berechtigung der Gaspreiserhöhungen die erhöhten Entgelte gezahlt haben, gegen die EWE AG einen Anspruch auf Rückzahlung der in den Jahren ab 2007 überzahlten Beträge haben dürften.

Da die EWE AG bisher nicht zu einer vollständigen Erstattung der Überzahlungen bereit ist, machen immer mehr Bürgerinnen und Bürger ihre Rückzahlungsansprüche vor den Gerichten geltend.

Ausgangspunkt der rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen der EWE AG und ihren Kunden ist ein im Jahre 2006 eingeleiteter Rechtsstreit beim Landgericht Oldenburg. In diesem Verfahren haben mehr als 60 Kläger die Feststellung begehrt, dass die von der EWE AG vorgenommenen Gaspreiserhöhungen unwirksam seien.

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 14. Juli 2010 festgestellt, dass die nach dem 1. April 2007 vorgenommenen Gaspreiserhöhungen unwirksam sind. Die seit diesem Zeitpunkt in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der EWE AG verwendete Preisänderungsklausel sei nicht hinreichend klar und verständlich und benachteilige die Bezieher von Erdgas entgegen den Geboten von Treu und Glauben in unangemessener Weise. Grundsätzlich wirksam ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofs dagegen die vor dem 1. April 2007 verwendete Preisanpassungsklausel der EWE AG. Insoweit hat der Bundesgerichtshof das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückverwiesen, damit dieses prüfen kann, ob die früher verwendete Klausel wirksam in die Verträge mit den Gaskunden einbezogen worden ist.

Dieses Verfahren ist derzeit noch beim 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Oldenburg anhängig. Der Senat hat die Sache dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zur Entscheidung der Frage vorgelegt, ob die bis zum 1. April 2007 von der EWE AG verwendete Klausel den europarechtlichen Vorgaben der EU-Gasrichtlinie an die Transparenz von Versorgungsbedingungen entspreche. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs steht noch aus.