Ein weiteres Berufungsverfahren, in dem gleichfalls um die Rückzahlung überhöhter Gasentgelte gestritten wird, ist beim 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Oldenburg anhängig. Der Senat wird voraussichtlich im Juni 2011 eine Entscheidung treffen.
Meine Damen und Herren, das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Juli 2010 wirkt nur zwischen den Parteien des Rechtsstreites. Es bindet die EWE AG also nur bezüglich der Klägerinnen und Kläger jenes Verfahrens. Es kann aber nicht zweifelhaft sein, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofes auch für alle nicht an dem Prozess beteiligten Kunden von ausschlaggebender Bedeutung ist.
Die EWE AG hat sich bislang allerdings nicht entschließen können, die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 14. Juli 2010 auf die Vertragsverhältnisse ihrer zahlreichen weiteren Kunden anzuwenden, die aufgrund der unwirksamen Preisanpassungsklausel überhöhte Entgelte für Erdgas entrichtet haben. Statt diesen Kunden die ohne Rechtsgrundlage gezahlten Beträge in voller Höhe zu erstatten, hat es die EWE AG vorgezogen, von
dem früheren Bremer Bürgermeister Henning Scherf ein Schlichtungsangebot erarbeiten zu lassen. Auf Vorschlag dieses von der Gesellschaft berufenen Schlichters haben die Anteilseigner der EWE AG im Oktober 2010 beschlossen, den rund 620 000 Kunden des Unternehmens, die überhöhte Gasentgelte gezahlt haben, eine Sonderzahlung im Gesamtbetrag von 100 Millionen Euro zukommen zu lassen, und zwar in Form einer Rechnungsgutschrift.
Nach einer Pressemitteilung der EWE AG vom 1. Oktober 2010 sollte die Höhe der Gutschrift für Haushaltskunden zwischen 50 und 200 Euro liegen. Inzwischen hat die EWE AG nach eigenen Angaben damit begonnen, ihren Kunden, die zu hohe Gasentgelte gezahlt haben, die ihnen nach dem Vermittlungsvorschlag des Herrn Scherf zustehenden Beträge zu überweisen. Ich denke, im Einzelfall waren es auch Beträge oberhalb von 300 Euro.
Da die Kunden der EWE AG nach Berechnungen von Verbraucherinitiativen bei einer vollen Erstattung der zu Unrecht gezahlten Entgelte mit einer Erstattung in doppelter Höhe rechnen können, also mit einem Erstattungsbetrag von insgesamt rund 200 Millionen Euro, nehmen viele von Ihnen die EWE AG auf Rückzahlung der gesamten in den Jahren ab 2007 überzahlten Gasentgelte in Anspruch.
Das hat dazu geführt, dass bei den Gerichten im Bezirk des Oberlandesgerichtes Oldenburg zahlreiche Zivilprozesse anhängig sind, in denen die EWE AG auf Rückzahlung überzahlter Gasentgelte in Anspruch genommen wird. Ein Teil dieser Verfahren ist bereits abgeschlossen, und zwar - soweit der Landesregierung bekannt - ganz überwiegend zugunsten der klagenden Kundinnen und Kunden.
- Es mag ja auch den einen oder anderen Rechtsstreit mit völlig anderem Hintergrund zwischen der EWE AG und Partei XY geben.
Zu Frage 1: Die Landesregierung und insbesondere die Justiz haben keinen Einfluss darauf, welche Konsequenzen die EWE AG aus dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 14. Juli 2010 und gegebenenfalls aus der noch ausstehenden Entscheidung des Oberlandesgerichtes Oldenburg für die
Vertragsverhältnisse zu ihren weiteren Kundinnen und Kunden mit ähnlicher oder gleicher Vertragslage zieht. Es handelt sich um unternehmerische Entscheidungen, die allein von der EWE AG getroffen werden müssen. Die Landesregierung geht davon aus, dass sich die EWE AG bei der Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen sachkundig beraten lässt und dabei alle maßgeblichen juristischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte berücksichtigt und gegeneinander abwägt.
Die Landesregierung würde es begrüßen, wenn es zu einer schnellen, interessengerechten und zukunftsweisenden Lösung kommen würde. Sollte eine Lösung weiterhin nicht einvernehmlich gefunden werden, steht den betroffenen Kunden der EWE AG der Rechtsweg offen, um ihre Zahlungsansprüche gerichtlich geltend zu machen. Über diese Justizgewähr hinaus hat die Landesregierung keine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen.
Zu Frage 2: Grundsätzlich unterliegen die Gaspreise der niedersächsischen Gasversorger der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht nach §§ 19, 20 und 29 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch die Landeskartellbehörde in Niedersachsen beim niedersächsischen Wirtschaftsministerium. Im Falle eines kartellrechtlichen Preishöhenmissbrauchs können die Preise behördlich abgesenkt werden. Da die EWE AG jedoch außerhalb Niedersachsens Gasversorgung vornimmt, ist eine über Niedersachsen hinausreichende Betroffenheit gegeben, die die Zuständigkeit des Bundeskartellamtes begründet und die der Landeskartellbehörde ausschließt.
Nach Erkenntnissen der Landeskartellbehörde und des Bundeskartellamtes zählte die EWE AG allerdings in der Vergangenheit nicht zu den Spitzenreitern eines Preisrankings der Regionalversorger, sondern hat sich in der Vergangenheit um eine moderate Preisgestaltung bemüht. Um jedoch die aktuellen Wettbewerbsverhältnisse auf dem niedersächsischen Gasmarkt näher zu untersuchen und die Wechselquoten der Verbraucher in Erfahrung zu bringen, hat die Landeskartellbehörde erneut eine Wirtschaftszweiguntersuchung eingeleitet.
Auf die Verfahrensgestaltung der EWE AG in Bezug auf die angesprochenen einzelnen Vertragsverhältnisse haben auch die Kartellbehörden keinen Einfluss.
Zu Frage 3: Bei den Gerichten im Bezirk des Oberlandesgerichtes Oldenburg - Stand: 11. März - sind derzeit 4 682 Verfahren mit einer Beteiligung der EWE AG anhängig.
Der konkrete Gegenstand der Klagen wird statistisch nicht erfasst. Es ist aber davon auszugehen, dass die weitaus größte Anzahl der Verfahren Gaspreiserhöhungen betrifft, die die EWE AG auf Basis der zum 1. April 2007 geänderten Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgenommen hat. Ein geringer Teil dürfte andere Streitgegenstände betreffen.
Nach Mitteilung des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 15. März 2011 waren zum Stichtag 11. März 2011 im Bezirk des Landgerichts Aurich 2 302 Verfahren mit Beteiligung der EWE AG anhängig, davon 542 beim Landgericht Aurich und 1 760 bei den bei den Amtsgerichten des Landgerichtsbezirks Aurich.
Im Bezirk des Landgerichts Oldenburg waren 2 194 Verfahren anhängig, davon 554 beim Landgericht Oldenburg und 1 125 beim Amtsgericht Oldenburg. Der Rest - 515 Verfahren - verteilt sich auf die übrigen Amtsgerichte des Landgerichtsbezirks Oldenburg.
Im Bezirk des Landgerichts Osnabrück sind unter Einschluss der beim Amtsgericht Osnabrück laufenden Verfahren 186 Rechtsstreitigkeiten anhängig, davon 4 beim Landgericht.
Soweit die Verfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen werden konnten, haben die von den Gaspreiserhöhungen betroffenen Kunden ganz überwiegend gewonnen.
Sollte sich die EWE AG nicht entschließen, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf alle betroffenen Kunden uneingeschränkt anzuwenden, die aufgrund der unwirksamen Erhöhungsklausel überhöhte Entgelte für Erdgas entrichten haben, so wird dies zu einer nicht unerheblichen Mehrbelastung der Gerichte führen. Betroffen ist dabei insbesondere auch die mittlere Beschäftigungsebene der Gerichte, die sogenannten Serviceeinheiten.
Können Richterinnen und Richter noch davon profitieren, dass die Streitgegenstände im Wesentlichen gleich gelagert sind, ergibt sich hieraus für die Folgedienste keinerlei Zeitersparnis.
Sollte die Mehrbelastung nicht durch eine Änderung der internen Geschäftsverteilung der Gerichte aufzufangen sein, sind Personalverstärkungen
durch vorübergehende Abordnungen aus anderen Gerichtsbezirken und Gerichtsbarkeiten denkbar und kurzfristig möglich. Sollte die Belastung der Gerichte nicht nur vorübergehend bestehen, wird auch der Haushaltsgesetzgeber gefordert sein.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Herr Minister, für die Auskünfte. Ich habe eine rechtliche Frage: Sieht die Landesregierung hier unter Umständen einen Rechtsverstoß des Aufsichtsrates gegen das geltende Aktienrecht? Denn nach dem Aktienrecht ist es die Aufgabe des Aufsichtsrates, Schaden vom Unternehmen fernzuhalten. Wenn nun aber absehbar ist, dass alle diese Klagen gegen die EWE AG vor Gericht verloren gehen und damit erhebliche Kosten für das Unternehmen verbunden sind - es sind ja nicht nur die entsprechenden Gebühren wieder zurückzuerstatten, sondern auch die gesamten Prozesskosten zu zahlen -, verhält sich der Aufsichtsrat hier eigentlich - ich will einmal sagen - aktienrechtlich rechtskonform?
Meine zweite Frage ist: Bei der EWE handelt es sich um ein kommunales Unternehmen. Ist gegebenenfalls die niedersächsische Kommunalaufsicht gefragt, hier tätig zu werden? Denn es besteht ja die Möglichkeit, dass ein erhebliches kommunales Vermögen zumindest zum Teil infrage gestellt oder auch reduziert wird. Bestehen also irgendwelche Möglichkeiten kommunalrechtlicher Art?
Herr Präsident! Herr Kollege Briese, Sie werden mir nachsehen, dass es mir geradezu verboten ist, Rechtsberatung zu erteilen.
Zweite Bemerkung: Grundsätzlich können wir von hier aus die Geschäftspolitik der EWE nicht abschließend bewerten. Dass sich in diesem Zusammenhang - um das zu wissen, braucht man nur in die Zeitung zu gucken - auch die Kontroll-
und Aufsichtsgremien der EWE ständig mit der Gesamtproblematik und auch, wenn Sie so wollen, mit der Geschäftspolitik befasst haben, ist offenkundig. Da kommunale Eigentümerschaften und letztlich kommunales Geld betroffen sind, könnte ich mir denken, dass die Kommunalaufsicht ganz am Ende der Entwicklung sicherlich ein Auge darauf haben wird.
Ich möchte das einmal grundsätzlich unter dem Blickwinkel der Prozessökonomie betrachten. Wenn man weiß, dass bei einem bestimmten Sachverhalt - gestützt auf ein BGH-Urteil - immer dasselbe Ergebnis aus Rechtsstreitigkeiten herauskommt, dann muss man sich überlegen, was der kostengünstigste Weg ist, um das Problem zu bewältigen.
EWE sagt möglicherweise, wenn von 620 000 Vertragsverhältnissen nur 5 000 im Streit sind - egal, mit welchem Ergebnis -, dann ist das sozusagen eine Petitesse. Umgekehrt kosten 5 000 Prozesse, die man verliert, mehr als ein Prozess, den man verliert. Da hierbei auch Kundengeld im Spiel ist, meine ich, dass die Gremien verantwortlich mit dieser Fragestellung umgehen.
Sehr geehrte Damen und Herren, nachdem der Justizminister gerade in der Antwort auf die Frage 2 richtigerweise ausgeführt hat, dass das Bundeskartellamt in diesem Fall zuständig ist, weil sich die EWE in mehreren Bundesländern betätigt, frage ich die Landesregierung, welche Art der Kommunikation, der Zusammenarbeit und des koordinierten Vorgehens es in solchen Konstellationen zwischen dem Landeskartellamt und dem Bundeskartellamt gibt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Landeskartellamt hat - dies haben Sie richtig ausgeführt - keine Zuständigkeit. Selbstverständlich gibt es einen regelmäßigen Austausch - ich glaube, dieser findet halbjährlich statt -, in dem man Fälle bespricht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Beantwortung der Frage 1 hat Minister Busemann gesagt, außer der Justizgewährung gebe es keine Möglichkeiten, auf die unternehmerische Entscheidung einzuwirken. Rechtlich mag das so sein, Herr Minister. Aber Regieren bedeutet ja nicht nur, mit einem Verwaltungsakt zu agieren, sondern Regieren kann auch bedeuten, mit entscheidenden Leuten Gespräche zu führen. Meine Frage ist ganz konkret: Wollen Sie nicht einmal Herrn Brinker anrufen und ihm sagen: „Komme zum Rechtsstaat zurück“?