Protocol of the Session on June 20, 2012

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Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Vollzuges der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Niedersachsen - Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/4873

Der Gesetzentwurf wird von dem Kollegen Biester von der CDU-Fraktion eingebracht. Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Biester.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen von CDU und FDP legen Ihnen heute den Entwurf eines Gesetzes zum Vollzug der Sicherungsverwahrung vor. Wir tun das aus zwei Gründen: Zum einen - um es offen zu sagen - tun wir es, weil wir es müssen,

(Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE])

wir tun es zum anderen aber auch, weil wir es wollen. Wir wollen es deshalb, weil wir davon überzeugt sind, dass eine Neuregelung des Vollzugs in der Sicherungsverwahrung in der Tat aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlich und geboten ist.

Ich komme aber zunächst einmal darauf zurück, dass wir es tun müssen. Ihnen allen ist die Ausgangslage bekannt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 4. Mai 2011 mit der Frage der Sicherungsverwahrung befasst und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die derzeitige Art und Weise, wie in Deutschland Sicherungsverwahrung vollzogen wird, mit dem Rechtsstaat nicht im Einklang steht. Das zwingt uns zu einer entsprechenden gesetzlichen Regelung. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu eindeutige Vorgaben gemacht und hat gesagt, dass der Bundesgesetzgeber und die Landesgesetzgeber dies bis zum 31. Mai 2013 neu zu regeln haben.

Damit wir dieses Gebot - Frist 31. Mai 2013 - einhalten können, müssen wir natürlich jetzt schon den Gesetzentwurf vorlegen; denn es steht die Landtagswahl im Januar 2013 bevor. Alles das, was wir danach neu einbringen, wird niemals dazu führen können, dass wir diese Frist Mai 2013 einhalten könnten.

Der Auftrag an den Gesetzgeber ist eindeutig und lässt sich in drei Punkten zusammenfassen:

Erstens. Die Sicherungsverwahrung muss sich deutlich vom normalen Strafvollzug unterscheiden. Stichwort ist hier das Abstandsgebot.

Zweitens. Sie muss freiheitsorientiert sein. Das heißt, die Maßnahmen müssen darauf angelegt werden, nach Möglichkeit dazu zu kommen, dass die angeordnete Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Drittens. Für uns ist es auch ganz wichtig, dass sie therapiegezielt sein muss. Das heißt, es müssen schon im Strafvollzug, aber auch in der anschließenden Sicherungsverwahrung Maßnahmen ergrif

fen werden, um immer wieder Therapieangebote zu unterbreiten und auf diese Art und Weise dazu beizutragen, dass die Sicherungsverwahrung nach Möglichkeit irgendwann beendet werden kann.

Das Abstandsgebot - Punkt eins der Anforderungen - ist reich an Einzelheiten im Gesetz geregelt und hat Auswirkungen auf die Frage der Unterbringung. Das bedeutet, dass die Betreffenden erstens in einer eigenen Anstalt und nicht im normalen Strafvollzug zum Vollzug der Sicherungsverwahrung untergebracht werden müssen und zweitens die Anstalt entsprechend großzügiger ausgestattete Räumlichkeiten haben muss. Des Weiteren bedeutet dies Regelungen zu Fragen des Besuches und der Telekommunikation. Es dürfen Pakete empfangen werden. Auch Lebensmittel dürfen empfangen werden. Das sind Regelungen, die sich schon sehr deutlich vom Strafvollzug unterscheiden. Die Kollegin Konrath wird darauf noch im Einzelnen eingehen.

Darüber, Herr Kollege Limburg, ob dazu auch gehören sollte, dass Alkohol in der Sicherungsverwahrung in abgeschwächter Form sinnvoll und geboten ist, sollten wir sicherlich noch einmal diskutieren.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Alster und Bier - in abgeschwächter Form!)

Ich gebe zu bedenken, dass viele Straftaten unter dem Einfluss von Alkohol geschehen. Ob es vor diesem Hintergrund sinnvoll ist und unterstützend wirkt, im Verfahren einer Sicherungsverwahrung, in dem es darum geht, auf den Straftäter einzuwirken, Alkohol anzubieten, muss man wohl im Detail diskutieren.

In der Sicherungsverwahrung besteht keine Verpflichtung zur Arbeit - im Gegensatz zum Strafvollzug. Aber es besteht nach dem Gesetzesvorschlag das Angebot zu arbeiten. Dabei weise ich darauf hin, dass die Vergütung, die dann gezahlt wird, wenn der Sicherungsverwahrte davon Gebrauch macht, deutlich angehoben worden ist. Wir reden hier von Stundensätzen von bis zu 20 Euro, die der in der Sicherungsverwahrung Untergebrachte auf die Art und Weise verdienen kann.

Das alles hört sich luxuriös an. Deshalb will ich für alle Regelungen, die ich hier soeben genannt habe, zusammenfassend auf Folgendes hinweisen: Es gilt natürlich eine Grenze. Eine Grenze ist immer die Sicherheit und die Ordnung in der Vollzugsanstalt. Das, was ich soeben geschildert habe, ist nicht grenzenlos, sondern steht immer unter

dem Vorbehalt des Kriteriums, dass die Sicherungsverwahrung sicher und ordentlich vollzogen werden kann. Die Sicherungsverwahrung ist ein geschlossener Vollzug.

Der zweite Punkt betrifft das Therapieangebot. Das hat riesige Auswirkungen auf das, was wir den Strafgefangenen anbieten müssen. Tun wir das nicht, könnte es dazu kommen, dass eine angeordnete Sicherungsverwahrung im Nachgang nicht mehr vollzogen werden kann, weil es unterlassen worden ist, schon im Strafvollzug durch Therapie auf den Täter einzuwirken. Also ein Rechtsanspruch auf Therapie schon im Strafvollzug, ein Rechtsanspruch auf Therapie auch in der Zeit der Sicherungsverwahrung. Das wird in dem Vollzugsplan sehr reich an Einzelheiten niedergelegt.

Die Folgen dieses Gesetzes sind erheblich, meine Damen und Herren. Wir bauen bereits die entsprechende Abteilung in Rosdorf zum Vollzug der Sicherungsverwahrung. Kostenpunkt: 25 Millionen Euro. Der Betrag ist im Haushalt abgebildet. Wir brauchen zusätzliches Personal. Das ist mit 30 zusätzlichen Planstellen im Doppelhaushalt 2012/2013 dargestellt. Ich wage aber die Prognose und meine, dass sie nicht allzu pessimistisch ist, dass das Therapiegebot dazu führen könnte, dass wir auch im Bereich der Einstellung von Sozialtherapeuten möglicherweise noch nachlegen müssen. Dort kann Handlungsbedarf bestehen. Entweder befriedigen wir den Bedarf mit eigenen Sozialtherapeuten oder wir kaufen uns die Fachkompetenz von außen ein. Ich meine aber, dass sich der Landtag irgendwann darüber unterhalten muss, dass hierfür zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Zusammenfassend erlauben Sie mir bitte zwei Bewertungen, um Diskussionen, die möglicherweise im Bereich des Stammtischniveaus entstehen können, von vornherein zu begegnen. Das, was wir machen, ist kein Luxusvollzug. Sicherungsverwahrung ist etwas anderes als Strafvollzug. Wir reden hier über Menschen, die eine schwere Straftat begangen haben, die für diese Straftat eine Strafe bekommen haben, die sie verbüßt haben, sodass damit die strafrechtliche Sanktion im Grunde genommen erledigt ist. Bei diesen Menschen ist eine Sicherungsverwahrung im Sinne einer Gefahrenabwehr angeordnet worden, weil wir aufgrund einer Prognoseentscheidung, gestützt auf Gutachter, und nicht aufgrund einer bereits begangenen Tat die Befürchtung haben, dass erneut schwere Straftaten begangen werden könnten. Insofern rechtfertigt sich aus meiner Sicht die Sicherungs

verwahrung rechtsethisch nur dann, wenn wir sie von dem normalen Strafvollzug deutlich unterscheiden und die geschilderten einzelnen Gebote tatsächlich gelten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Bei dem Gesetz, das wir vorlegen, denken wir nicht nur an den Täter, sondern wir denken, um dies vorweg zu sagen, in ganz besonderem Maße auch an die Opfer. Wir tun dies aus zwei Gründen: Erstens. Wenn wir ein Gesetz in dieser Form nicht beschließen würden, dann dürften wir ab Mai 2013 Sicherungsverwahrung nicht mehr vollziehen. Das heißt, wir müssten die Betroffenen auch dann, wenn Sicherungsverwahrung angeordnet worden wäre, freilassen; mit allen daraus resultierenden Konsequenzen im Hinblick auf die Gefahr, dass von ihnen wieder Straftaten ausgehen. Das wollen wir nicht. Wir wollen die Sicherungsverwahrung vollziehen können. Deshalb brauchen wir das Gesetz. Deshalb ist das auch ein Akt von Opferschutz.

Zweitens meine ich, dass es ebenfalls ein Akt von Opferschutz ist, wenn wir das Therapieangebot in diesem Bereich deutlich ausweiten; denn jedem Täter, den wir mit der Therapie erreichen, nehmen wir hoffentlich auch ein Stück seiner Gefährlichkeit. Auch das ist praktizierter Opferschutz.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und denke, dass wir mit einer ziemlich großen Mehrheit - so empfinde ich viele Äußerungen, die ich in der Presse gelesen habe - zu einem möglicherweise gemeinsamen Gesetzentwurf kommen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Als Nächster hat sich der Kollege Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Limburg.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dr. Biester hat gerade gesagt, dass der Bund und das Land jeweils zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung gezwungen worden sind. Sie mussten dazu durch Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gedrängt werden, das meiner Ansicht nach zu Recht viele gesetzgeberische Fehlleistungen bei der Sicherungsver

wahrung angeprangert hat. Obwohl die zugrunde liegenden Regelungen zur Sicherungsverwahrung vom Bundesgesetzgeber noch gar nicht voll ausgestaltet sind und auch Regelungen vor allem zur Therapieunterbringung noch unklar sind, haben CDU und FDP diesen Entwurf eines Landesgesetzes zum Vollzug vorgelegt. Herr Dr. Biester hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es im Sinne einer ausführlichen Gesetzesberatung auch jetzt allerhöchste Zeit ist, zumal ansonsten die Gefahr besteht, dass der Entwurf der Diskontinuität anheimfallen könnte.

Zum Inhalt des Entwurfs im Einzelnen. Ich muss sagen, dass der Entwurf, wie ich gegenüber der Presse schon gesagt habe, sehr, sehr viele positive Regelungen enthält und sich auch von seiner Grundstruktur her erfreulicherweise sehr positiv von einigen teils populistischen Äußerungen des Justizministers Busemann zum ganzen Komplex Sicherungsverwahrung abhebt.

(Minister Bernhard Busemann: Was?)

Herr Dr. Biester hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Sie die Maßgabe der Therapieorientiertheit und der Wiedereingliederung der Sicherungsverwahrung umsetzen. Dass Sie bei den Vollzugszielen die Sicherheit der Bevölkerung gleichrangig neben das Ziel der Minderung der Gefährlichkeit setzen, setzt Ihre sicherheitsorientierte Linie aus dem Justizvollzugsgesetz fort, die wir in dieser Form damals abgelehnt haben. Allerdings muss man Ihnen zugestehen, dass dieser Zweck bei der Sicherungsverwahrung natürlich eine ganz andere Legitimation hat, weil die Sicherungsverwahrung ohne den Aspekt der Gefährlichkeit gar nicht vollzogen werden dürfte; darauf sind Sie schon eingegangen.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann übernimmt den Vorsitz)

Zu Recht führen Sie auch Opferschutzregelungen bei der Kontrolle der Briefe ein. Briefe können also zurückgehalten werden, wenn durch sie die Opfer in irgendeiner Form beeinträchtigt werden können. Auch das begrüßen wir ausdrücklich, meine Damen und Herren.

Nun zu den Kritikpunkten. Sie belassen es bei der Möglichkeit, Briefe zurückzuhalten, wenn sie grob falsche Darstellungen der Anstalt oder gröbliche Beleidigungen enthalten. Diese Regelungen übernehmen Sie aus dem Justizvollzugsgesetz. Meine Damen und Herren, es muss doch auch den Sicherungsverwahrten möglich sein, sich in einem

Brief auch einmal richtig auszulassen und in einem Brief an einen Freund oder einen Bekannten oder Verwandten Worte zu finden, die möglicherweise nicht so ganz den realen Zuständen in der Anstalt entsprechen. So etwas als Vorwand zu nehmen, um Briefe zurückzuhalten, wird den Anforderungen der Sicherungsverwahrung und auch dem Abstandsgebot überhaupt nicht gerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Sie haben es bereits angesprochen; es stand auch bereits in der Presse. Natürlich muss man die Frage der Abgabe von leicht alkoholischen Getränken - darum ging es; ein oder zwei Bier - in kontrollierten Mengen in der Sicherungsverwahrung prüfen; denn es geht doch darum, dass die Sicherungsverwahrung - rufen wir uns das Gebot in Erinnerung - so weit wie möglich an das Leben draußen angepasst werden muss und dass nur solche Einschränkungen zulässig sind, die in der Sicherungsverwahrung unerlässlich sind. Ich finde, dass wir diese Frage nach Praktikabilität im Ausschuss diskutieren müssen.

Eine weitere wichtige Frage ist die des Internetzuganges. Erinnern wir uns: Das war eine der zentralen Forderungen der Sicherungsverwahrten aus Celle. Wir haben mittlerweile in vielen Justizvollzugsanstalten einen kontrollierten Internetzugang, insbesondere in dem hier schon mehrfach thematisierten Projekt in Wolfenbüttel. Ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie in dem Gesetz so vorsichtig sind und zu diesem Aspekt keine direkte Aussage treffen.

Abschließend kann ich sagen, dass ich durchaus optimistisch bin: Wenn wir den Gesetzentwurf nachbessern und in einigen wichtigen Details zu einer Einigung kommen, ist aus meiner Sicht eine breite Mehrheit im Ausschuss möglich.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt der Kollege Adler von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und FDP kommt nicht aus tiefster Überzeugung, sondern erst nach zweifacher Belehrung.

Die erste Belehrung erfolgte durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Aber damals hatte der Justizminister noch gesagt „ich lasse keinen raus“ - wörtliches Zitat - und versucht, damit an den Stammtischen zu punkten. Die zweite Belehrung kam durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011. Darin hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung therapiegerecht und freiheitsorientiert ausfallen muss. Diese Formulierung haben Sie jetzt in das Gesetz übernommen.

Herr Biester hat eben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die Sicherungsverwahrung eigentlich ein sehr problematisches Instrument ist; denn sie betrifft Straftäter, die ihre Strafe schon längst abgesessen haben. Sie bleiben nur aufgrund der Prognose weiter im Gefängnis eingesperrt, sie könnten wieder Straftaten verüben. Auch wenn das Gefängnis jetzt ein anderes ist, läuft es darauf hinaus, dass sie eingesperrt bleiben.

Um die ganze Problematik zu verdeutlichen, ist es notwendig, immer wieder daran zu erinnern, woher dieses Gesetz über die Sicherungsverwahrung kommt. Es wurde 1933 von den Nazis eingeführt, damals im sogenannten Gewohnheitsverbrechergesetz. Das ist der historische Ursprung der Sicherungsverwahrung.