Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 140. Sitzung im 45. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.
Weil es bedingt durch die Jubiläumsfeierlichkeiten am gestrigen Abend noch einige Ausfälle gibt, werde ich die Beschlussfähigkeit zu einem späteren Zeitpunkt feststellen.
Geburtstag hat heute der Abgeordnete Grant Hendrik Tonne. Ich übermittle Ihnen im Namen des Hauses herzliche Glückwünsche! Gesundheit und Wohlergehen für das vor Ihnen liegende Lebensjahr!
Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit dem Tagesordnungspunkt 34, Mündliche Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort mit der Ausnahme, dass heute nach dem Tagesordnungspunkt 43 die gestern zurückgestellten Tagesordnungspunkte 28 und 12 - die zusammen beraten werden sollen - behandelt werden. Danach behandeln wir, wie vereinbart, die Tagesordnungspunkte 44 und 46.
Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen! Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung die Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Frau Professor Dr. Wanka, der Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz, Herr Dr. Birkner, von der Fraktion der CDU Frau Bertholdes-Sandrock ab 12 Uhr, von der Fraktion der SPD Frau Seeler, von der Fraktion der FDP Herr Dr. Hocker, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Limburg und von der Fraktion DIE LINKE Herr Herzog ab 11.00 Uhr und Herr Perli ab 13.00 Uhr.
Die für die Fragestunde geltenden Regelungen unserer Geschäftsordnung setze ich als bekannt voraus. Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich Sie, dass Sie sich auch schriftlich zu Wort melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen wollen.
Wir kommen jetzt zu den einzelnen Fragen. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Will und anderer auf:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht um Will und viele andere. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Firmeninsolvenzen führen häufig zu Marktbereinigungen ohne Rücksicht auf Arbeitsplätze und Versorgungsstrukturen. Ohne aktive und präventive Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik ist das endgültige Aus für alle Schlecker-Beschäftigten und die Standorte jetzt eingetreten.
Gerade die positiven Erfahrungen mit Transfergesellschaften insbesondere in den neuen Ländern zeigen, dass der Erhalt überlebensfähiger Strukturen und eines Teils der Arbeitsplätze Beispiele für eine aktive Beschäftigungspolitik sind. Transfergesellschaften bieten auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Perspektive für Qualifizierung, Verhinderung von Arbeitslosigkeit und Zeit für Neuorientierung.
Ein Negativbeispiel für eine solche verpasste und verhinderte aktive Beschäftigungs- und Strukturpolitik ist die Behandlung der Schlecker-Insolvenz durch diese Landesregierung. Nachdem der Insolvenzverwalter für die Schlecker-Insolvenz am 1. Juni 2012 die Abwicklung und Stilllegung aller Schlecker-Standorte mitgeteilt hat, werden auch in Niedersachsen/Bremen weitere 1 100 Arbeitneh
Angesichts der neuen Sachlage hat die Bundeskanzlerin erklärt, mithilfe der Bundesagentur für Arbeit den unmittelbar von Arbeitslosigkeit betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Vermittlung in neue Beschäftigung behilflich zu sein.
Herr Kollege, ich darf Sie kurz unterbrechen. - Ich glaube, es wäre angemessen, wenn die Abgeordneten im Raum - ich darf auch einmal sagen: im Speziellen Ihrer eigenen Fraktion - Ihnen Aufmerksamkeit schenken würden. - Das scheint jetzt der Fall zu sein. Bitte!
Dabei spielt Geld anscheinend keine Rolle; denn die Mittel der Bundesagentur für Arbeit, die jetzt für Versicherungsleistungen an die Betroffenen und für Umschulungsmaßnahmen eingesetzt werden, stehen in keinem Verhältnis zur benötigten und verwehrten Bürgschaft für die Transfergesellschaft.
1. Wie beurteilt die Landesregierung die Auffassung des Insolvenzverwalters, dass die von der Politik mehrheitlich verhinderte Bildung einer Transfergesellschaft zu einer großen Anzahl von Kündigungsschutzklagen geführt hat und deshalb kein akzeptables Übernahmeangebot von Investoren zustande gekommen ist?
2. Wie will die Landesregierung sicherstellen, dass die von der Bundeskanzlerin gemachte Zusage der Hilfe für die von Arbeitslosigkeit betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch in Niedersachsen umgesetzt wird, und hat die Landesregierung dafür einen konkreten Plan, der auch die Bildung eines Sonderfonds für die SchleckerBeschäftigten beinhaltet?
3. Wie viele Standorte in Niedersachsen sind von der zweiten Schließungswelle betroffen, und wie will die Landesregierung vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung mit den betroffenen Regionen/Gemeinden Vorsorge dafür treffen, dass auch in Zukunft die Grundversorgung vor Ort sichergestellt wird?
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das von der Gläubigerversammlung am 5. Juni 2012 beschlossene endgültige Aus für die insolvente Drogeriemarktkette Schlecker ist für die zahlreichen Beschäftigten des Unternehmens und ihre Angehörigen ein harter Schlag. Für die Landesregierung bleibt es daher das oberste Ziel, die von der Insolvenz betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so schnell wie möglich in neue Jobs zu vermitteln.
Nach der ersten Kündigungswelle Anfang April 2012 hatten sich insgesamt 1 156 Beschäftigte im Zuständigkeitsbereich der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen als arbeitslos gemeldet. Von der endgültigen Betriebseinstellung sind nach Angaben der Regionaldirektion NiedersachsenBremen der Bundesagentur für Arbeit in Niedersachsen weitere ca. 1 300 Beschäftigte betroffen. Insgesamt gehen in Niedersachsen damit fast 2 500 Arbeitsplätze bei Schlecker verloren.
Von den ursprünglich 1 156 arbeitslos und arbeit suchend gemeldeten ehemaligen Beschäftigten befinden sich noch 790 in der Betreuung der Arbeitsagentur. 290 haben bereits neue Jobs gefunden, zwei haben sich selbstständig gemacht, und weitere 76 sind als „sonstige Abgänge“ in der Statistik zu verzeichnen. Fast 400 der verbleibenden Arbeitsuchenden befinden sich derzeit in Maßnahmen - das können PC-Kurse, Bewerbungstrainings, betriebliche Praktika der Arbeitsagentur sein - oder befinden sich bereits in Gesprächen mit potenziellen neuen Arbeitgebern.
Im Vergleich zu anderen Bundesländern rangiert Niedersachsen damit bei der Vermittlung im vorderen Bereich. Es gibt insgesamt ca. 260 000 Stellen im Einzelhandel bei ca. 2 600 offenen Stellen in Niedersachsen im April 2012 und eine hohe Arbeitsmarktdynamik, sodass die Vermittlung der ehemaligen Schlecker-Beschäftigten in absehbarer Zeit als sehr wahrscheinlich angesehen wird.
Zu Frage 1: Die Landesregierung hat frühzeitig signalisiert, keine Transfergesellschaft zu finanzieren. Angesichts der prekären Lage des Unternehmens und der mangelnden Fortführungsperspekti
Lassen Sie mich dazu sagen: Herr Will hat hier gerade ausgeführt, dass nach seiner Einschätzung Transfergesellschaften eine gute Möglichkeit für überlebensfähige Betriebe oder Betriebsteile seien. Dies war nach unserer Einschätzung hier eben - auch nach Ihren Kriterien - nicht der Fall.
Nach Auffassung der Landesregierung haben die absehbar anhaltenden Verluste des Unternehmens aus dem operativen Geschäft, der akute Investitions- und Modernisierungsbedarf und die massive Abwanderung von Kunden zu konkurrierenden Unternehmen dazu geführt, dass sich kein Investor gefunden hat, der sich in der Lage sah, ein überzeugendes Fortführungskonzept vorzulegen und das damit verbundene Risiko einzugehen. Die Kündungsschutzklagen haben nach Auffassung der Landesregierung eher nachrangig gewirkt.
Zu Frage 2: Die Landesregierung kann die Einhaltung der Zusagen der Bundeskanzlerin nicht sicherstellen. Das ist auch ganz logisch. Die Bundeskanzlerin hat Zusagen gemacht, die die Arbeit und Aktivitäten der Bundesregierung bzw. nachgelagerter Behörden des Bundes betreffen. Auf diese hat die Landesregierung schon aus verfassungsrechtlichen Gründen natürlich keinen weisenden Einfluss. Die Landesregierung bedient sich wie auch alle Landesregierungen eines eigenen Instrumentariums. Dessen vorrangiges Ziel ist die möglichst schnelle Vermittlung der Betroffenen in neue Jobs.
Das Wirtschaftsministerium hat sich dazu frühzeitig mit den Arbeitsagenturen als den für die Vermittlung originär zuständigen Stellen zusammengeschlossen.
Am 30. Mai 2012 kam auf Initiative des Wirtschaftsministeriums erstmals ein runder Tisch zusammen, an dem neben Beteiligten meines Hauses auch Vertreter der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen, des Einzelhandelsverbandes und des Fleischerei- und Bäckereihandwerks teilgenommen haben. Im Rahmen dieses Gespräches wurde u. a. ein von der Arbeitsagentur gefördertes Projekt im Raum Holzminden vorgestellt, das durch komprimierte theoretische und betriebliche Unterweisung die schnelle Vermittlung ehemaliger Schlecker-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter im Bäcker- und Fleischerhandwerk ermöglicht. Geprüft wird nunmehr die Ausweitung dieses Modells auf andere Regionen in Niedersachsen, insbesondere im ländlichen Raum. Um den hierüber vermit
telten ehemaligen Beschäftigten eine weitere berufliche Perspektive zu bieten, erarbeitet das Bäckerhandwerk Niedersachsen derzeit ein Qualifizierungsprojekt, das durch spezielle Lehrgänge den Abschluss zur Fachkraft ermöglicht. Das Wirtschaftsministerium hat signalisiert, eine derartige berufliche Qualifizierung auch aus Mitteln der europäischen Förderprogramme unterstützen zu wollen. Das nächste Gespräch, zu dem auch eine Vertreterin von ver.di eingeladen wurde, findet am 29. Juni 2012 im Wirtschaftsministerium statt.
Darüber hinaus verfügt die Bundesagentur für Arbeit über ein umfangreiches Instrumentarium zur Beratung, Förderung und Vermittlung der ehemaligen Schlecker-Beschäftigten. Dabei werden selbstverständlich auch alle leistungsrechtlichen Ansprüche abgedeckt. Da die Landesregierung nicht beabsichtigt, die Schlecker-Beschäftigten gegenüber allen anderen Arbeitslosen und Arbeitsuchenden besserzustellen oder andere Arbeitsuchende oder Arbeitslose schlechter zu stellen, wird die Gründung eines Sonderfonds als nicht erforderlich angesehen. Wir wollen keine Arbeitsuchenden erster oder zweiter Klasse.
Zu Frage 3: Von der zweiten Schließungswelle sind in Niedersachsen laut Zeitungsberichten 259 Standorte betroffen. Die flächendeckende Grundversorgung ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Das Land schafft mit dem bewährten Konzept der Zentralen Orte durch standörtliche Bündelung der Infrastruktureinrichtungen zur überörtlichen Leistungserbringung der Daseinsvorsorge Voraussetzungen für die Sicherung und Entwicklung der Daseinsvorsorge.
Die Festlegung der Zentralen Orte im LandesRaumordnungsprogramm und in den Regionalen Raumordnungsprogrammen soll gewährleisten, dass in allen Teilen des Landes ein ausgeglichenes und gestuftes Netz an Ober-, Mittel- und Grundzentren erhalten bleibt bzw. entwickelt wird, das durch leistungsfähige Verkehrs- und Kommunikationsstrukturen verflochten ist. Dieses raumstrukturelle Netz soll der Bevölkerung, der Wirtschaft und den öffentlichen und privaten Trägern der Daseinsvorsorge verlässliche Rahmenbedingungen für ihre Standort- und Investitionsentscheidungen gewähren.