Protocol of the Session on July 17, 2012

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege Riese, ich musste jetzt doch noch einmal hier nach vorne wandeln. Ich kann gar nicht auf alles eingehen, aber einen Punkt in Ihrer Argumentation möchte ich gerne noch einmal vertiefen. Sie haben gesagt: Weil es so viele Hilfskräfte in der Pflege gibt, darf es keine Pflegekammer geben; denn sonst würden die examinierten Kräfte die nicht examinierten herausdrängen. - Jetzt frage ich Sie einmal: Wie ist das denn bei den Architekten? Da gibt es auch Technische Zeichner. Sind die seitdem etwa ausgestorben? Bei den Ärzten gibt es Arzthelferinnen. Bei den Notariaten gibt es Notariatsgehilfinnen und sogar Büroleitungen. Mit Verlaub, Herr Kollege: Es ist wirklich hanebüchener Unsinn, was Sie hier eben erzählt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Ulf Thiele [CDU]: Ja, das stimmt! Was Sie erzählen, ist hanebü- chener Unsinn! - Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dann möchte ich Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, dass es gerade eine Grundintention der Pflegekammer ist, für Qualität zu sorgen, also z. B. sicherzustellen, dass es eine fachliche Anleitung von Laienpflege gibt. Das ist ein ganz wesentliches Instrument der Qualitätssicherung und auch die professionelle Aufgabe von Pflegefachkräften. Niemand hat die Absicht, Pflegehilfskräfte zu verbieten. Wir wollen aber die Qualität der Pflege sichern durch sehr, sehr gute - - -

(Roland Riese [FDP]: Aha! Niemand hat die Absicht!)

- Ich habe das mit großem Bedacht gesagt, weil das an dieser Stelle nämlich wirklich stimmt, Herr Riese.

(Lachen bei der FDP und bei der CDU)

Sie sollten sich substanziiert mit der Pflegekammer auseinandersetzen, wenn Sie dazu überhaupt in der Lage sind. Aber Sie sollten es dem Haus ersparen, hier solch einen Unsinn zu erzählen.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die FDP-Fraktion möchte antworten. Herr Kollege Riese!

Verehrte Frau Helmhold, wir schätzen Sie ja in Ihrem Lebenswandel als beinharte Klientelpolitikerin namentlich gewisser Kräfte in der Pflegediskussion in Niedersachsen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das ist ein Ehrentitel!)

Es geht Ihnen doch nur darum, neue Organisationen aufzubauen, in denen dann auch neue Positionen entstehen. Das ist nun wirklich so durchsichtig, wie wir das hier seit Jahren erleben. Sie scheuen ja die Auseinandersetzung über die tatsächlichen verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten, die mit der Zwangsverkammerung, also der Fremdsteuerung bzw. Fremdbestimmung durch Gesetzesregelungen entstehen. Darüber wollen Sie sich ja gar nicht auseinandersetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, zu der Qualität der Rede von Frau Helmhold, was den Inhalt angeht, braucht man nicht allzu viel zu sagen. Wir sollten uns wirklich noch einmal die Zeit nehmen - das wird auch geschehen, wenn das von der Niedersächsischen Landesregierung in Auftrag gegebene Gutachten vorliegt -, uns genau mit den grundsätzlichen rechtlichen Fragen zu beschäftigen.

Erkennbar ist die Berechtigung meines Vorwurfs zur Klientelpolitik auch daran, dass im Gesetzentwurf der Grünen - wer ihn im Detail gelesen hat, weiß das - im Gegensatz zu den anderen Kammern Detailregelungen darüber getroffen werden sollen, wer im Vorstand der Pflegekammer sitzt. Das widerspricht genau dem Grundsatz, dass eine Kammer, wenn es sie denn überhaupt gibt, ihre eigenen Angelegenheiten dann auch weitgehend selber regelt. Diesen Grundsatz müssen Sie sich wirklich einmal angewöhnen, Frau Kollegin!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Schwarz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Egal, ob es sich um Arbeitgeber von privaten, öffentlichen, kirchlichen oder Einrichtungen der Wohlfahrtspflege handelt: Wir werden in allen sozialen Berufen, allen voran den Pflegeberufen, nur dann ausreichend Fachkräfte bekommen, wenn es dafür mehr Wertschätzung, faire Arbeitsbedingungen und anständige Tariflöhne gibt. Genau das ist zusehends nicht mehr der Fall, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD unterstützt daher die Forderungen der Gewerkschaften nach vollständigen Mitbestimmungsrechten, nach Tarifrecht und auch nach Streikrecht bei allen Einrichtungsträgern ausdrücklich.

Es ist falsch, wenn die Linken mit ihrem Antrag den Eindruck erwecken, als sei das Grundübel all dieser Probleme das Arbeitsrecht der Kirchen mit ihrem sogenannten Dritten Weg. Nach Artikel 140 GG verwalten die Kirchen ihre eigenen Angelegenheiten selber. Somit ist Kirchenrecht bei uns vollständiges Verfassungsrecht. Wer unsere Verfassung an dieser Stelle ändern will, verkämpft sich nach meiner festen Überzeugung an der falschen Stelle.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

In der neuen Nordkirche gilt z. B. ein Tarifvertrag, der sich am TVöD orientiert.

In Niedersachsen haben einzelne kirchliche Einrichtungen Tarifverträge geschlossen, z. B. in Oldenburg, ohne dass es zu den angedrohten Sanktionen gekommen ist. Die Diakonie Niedersachsen strebt einen Tarifvertrag Soziales mit Allgemeinverbindlichkeitserklärung an.

Meine Damen und Herren, nur wenn sich in einer Branche mehr als 50 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Tarifverträgen wiederfinden, kann dieser bekanntlich seine Wirkung entfalten.

Die SPD unterstützt daher diese Gespräche in Niedersachsen zwischen den Tarifvertragsparteien ausdrücklich und hofft, dass dieses zarte Pflänzchen ohne ideologische Einflüsse aus Berlin zu einem Erfolg geführt werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage auch sehr deutlich, Herr Humke: Ihr Antrag ist in dieser Richtung alles andere als hilfreich. Die katastrophalen Rahmenbedingungen in den sozialen Berufen setzen nicht die Kirchen und setzen nicht die Leistungserbringer; vielmehr werden sie in der Politik gesetzt, und zwar vor allem in der Bundes- und der Landesregierung. Wir können nicht zulassen, dass Sie versuchen, sich mit solchen Anträgen aus der Verantwortung zu ziehen und sich hinter solchen Anträgen zu verstecken. Das ist ein völlig falscher Ansatz, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Kreszentia Flauger [LIN- KE]) : Aber manchmal haben die Leute auch recht!)

Wenn Sie sich den vorliegenden Antrag von CDU und FDP einmal ansehen, stellen Sie fest, dass darin die Forderung nach einem bzw. Unterstützung für einen Tarifvertrag Soziales kein einziges Mal auftaucht. Das ist kein Versehen - das ist Programm, meine Damen und Herren. Große Teile von CDU und FDP verfolgen seit Jahren die vollständige Deregulierung des Arbeitsmarktes: Ausgliederung von Betrieben und Betriebsteilen, unfreiwillige Teilzeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Minijobs und Leiharbeit.

(Ulf Thiele [CDU]: Haben Sie sich die- sen Unsinn eigentlich selbst aufge- schrieben?)

Es muss Schluss sein mit der Möglichkeit der Flucht aus Tarifverträgen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Von 2003 bis 2010 sind die Beschäftigtenzahlen in Niedersachsen um 270 000 gestiegen. Gleichzeitig ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 81 % auf 76 % gesunken. Die Zahl der Leiharbeiter hingegen ist im gleichen Zeitraum um 150 % von 27 000 auf 70 000 Beschäftigte gestiegen. Ebenfalls um 150 % oder um 50 000 Beschäftigte ist die Zahl der ausschließlichen Minijobber in Niedersachsen angestiegen.

Nun plant die Bundesregierung, die Minijobgrenze von 400 auf 450 Euro zu erhöhen, weil das angeblich zu einer Erhöhung der Einkommen der Betroffenen führen würde. Meine Damen und Herren, eine solche Begründung ist gegenüber den Betroffenen zynisch und im Übrigen diskriminierend zugleich.

(Beifall bei der SPD)

Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten ist in Niedersachsen um 100 000 gestiegen. 75 % davon sind Frauen. Allein in der Altenpflege sind 45 % aller Jobs zwischenzeitlich Teilzeitjobs; mehr als 80 % davon sind mit Frauen besetzt. Altersarmut ist hier vorprogrammiert. Die deutliche Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen gerade in sozialen Berufen führt zu einer hohen Arbeitsplatzunsicherheit, zu kurzen Beschäftigungszeiten, psychischen Belastungen und erheblichen Nachwuchsproblemen. Die Antwort von CDU/FDP in der vorliegenden Beschlussempfehlung lautet - ich zitiere -:

„Der Landtag begrüßt ausdrücklich die bisherigen Anstrengungen der Bundes- und Landesregierung für eine angemessene und leistungsgerechte Vergütung für Beschäftigte in Sozialberufen. … Der Landtag bittet die Landesregierung, ihr Engagement … fortzusetzen.“

Meine Damen und Herren, Sie müssen unter vollständigem Realitätsverlust leiden!

(Beifall bei der SPD)

Ich frage mich übrigens, wo bei diesem Thema seit Monaten die niedersächsische Frauen- und Sozialministerin ist, wenn es darum geht, dieses kontraproduktive Treiben der Koalition endlich zu beenden.

(Beifall bei der SPD - Detlef Tanke [SPD]: Wie hieß die doch gleich noch mal?)

Frau Özkan redet gern vom „Pflegepakt“. Die Frage aber ist: Wann beginnt die Umsetzung? - Noch immer gibt es keine vollständige Schulgeldfreiheit. Noch immer verweigern Sie sich einer solidarischen Umlagefinanzierung zur Nachwuchssicherung. Noch immer liegt Niedersachsen bei den Pflegesätzen 17 % unter dem Bundesdurchschnitt und hat die niedrigsten Pflegesätze aller westlichen Bundesländer. Die angebliche Anerkennung der tariflichen Entlohnung zur Beendigung der Dumpinglohnspirale in der Altenpflege findet faktisch nach wie vor nicht statt. Stattdessen haben Sie die Investitionsmittel in der stationären Pflege vollständig gestrichen, in der ambulanten Pflege um 20 % reduziert und in der Kurzzeitpflege weitgehend abgeschafft.

All diese Maßnahmen von CDU und FDP in diesem Hause haben sowohl deutlich zur Erhöhung der Eigenbeteiligung von Pflegebedürftigen als auch zur Unterdeckung der Pflegeeinrichtungen geführt. Dies ist Politik auf dem Rücken von Beschäftigten, Pflegebedürftigen und deren Angehörigen. Diese Politik muss in Niedersachsen endlich beendet werden!

(Beifall bei der SPD)

Ein weiteres unrühmliches Kapitel ist der Umgang mit dem Thema „Pflegekammer“. Hierzu ist schon eine ganze Menge gesagt worden. Richtig ist, Herr Riese, dass Sie die Position der SPD im Antrag nachlesen können, den wir hier eingebracht haben. Richtig ist auch, dass auch uns die Ausführungen von Frau Mauritz und Frau Skibicki wirklich viel gebracht haben. Wir haben daraus gelernt. Diesen Prozess haben Sie allerdings noch vor sich, meine Damen und Herren!

(Zuruf von der SPD: Das schaffen die nicht!)

Wir stehen in der Tat vor der Situation, dass Sie den Beschluss zweieinhalb Jahre lang haben liegen lassen und jetzt lediglich die Landesregierung beauftragen wollen, ein Rechtsgutachten vorzulegen, das nach Aussagen des Staatssekretärs bereits nach der Sommerpause vorliegen wird. Warum hatten Sie nicht die Zeit, mit einem Beschluss bis nach der Sommerpause zu warten? - Ich sage Ihnen das: In Wahrheit ist zu diesem Thema alles gesagt. Das Einzige, was hier getroffen werden muss, ist eine politische Entscheidung. Aber genau davor drücken Sie sich vor der Landtagswahl. Sie haben Angst vor dieser Entscheidung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wer so handelt, der verspielt den letzten Kredit bei den Pflegeberufen. Sie werden dafür, hoffe ich, die Quittung bekommen. Das ist meines Erachtens schon mehr als überfällig.

(Zustimmung bei der SPD)