Protocol of the Session on July 19, 2012

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(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen und Fragen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Beratungen zu Punkt 28.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Erste Beratung: Hospiz- und Palliativversorgung: Sterbekultur zukunftsorientiert weiterentwickeln - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/4790

Zur Einbringung hat sich der Kollege Böhlke gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die von uns im vorliegenden Antrag getroffenen, positiv wertenden Aussagen treffen zu. Sie sind jederzeit überprüfbar. Deshalb können sie auch von niemandem ernsthaft bestritten werden. Im Jahre 2006 hat Niedersachsen als erstes Bundesland Zuwendungen für den von unserer Landesregierung selbst initiierten landesweiten flächendeckenden Aufbau von Palliativstützpunkten gewährt. Die Entwicklung seit 2006 hat zu einer positiven Fortschreibung im Bereich der Vernetzung von Hospiz- und Palliativstrukturen in Niedersachsen geführt.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Wir können mit großer Zufriedenheit feststellen, dass eine flächendeckende Grundvernetzung der Akteure umgesetzt wurde. Damit wurde dem spezialisierten ambulanten Palliativversorgungsbereich ein sehr guter Boden bereitet.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Zahl der ehren

amtlichen Hospizgruppen und stationären Hospize hat deutlich zugenommen. Derzeit haben wir im Land 113 ambulante Dienste und 20 stationäre Dienste als Aktivposten. Im stationären Bereich stehen derzeit in 42 Krankenhäusern mindestens 233 Betten für eine palliativmedizinische Behandlung sowie in 20 stationären Hospizen insgesamt eine Anzahl von 157 Plätzen zur Verfügung. Als Ursache dieser äußerst positiven Entwicklung ist natürlich noch einmal deutlich darauf hinzuweisen, dass die Unterstützung des Landes bei der Vernetzung der Strukturen und der Kooperationen eine wesentliche Bedeutung hatte.

Mit der im Januar 2009 erfolgten Einrichtung der niedersächsischen Koordinierungs- und Beratungsstelle für Hospizarbeit und Palliativversorgung haben wir eine zentrale Institution zur Weiterentwicklung dieses Versorgungsbereiches geschaffen. Wir haben viele ehrenamtliche und hauptberuflich tätige Menschen, die in diesem Bereich Enormes leisten. Die aktuellsten Zahlen liegen mir nunmehr hinsichtlich der ehrenamtlich engagierten Niedersachsen vor. In Niedersachsen sind in diesem Bereich 13 500 Personen ehrenamtlich tätig. Diese beeindruckende Zahl können wir gar nicht hoch genug einschätzen.

(Beifall)

Deshalb möchte ich an dieser Stelle gegenüber all den aktiven Menschen, die sich in dieser aufopferungsvollen Aufgabe wiederfinden und sich entsprechend einbringen, unseren ausdrücklichen Dank und unsere respektvolle Anerkennung für deren gesellschaftliches Engagement zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und bei der LINKEN - Heidemarie Mundlos [CDU]: Genau so ist das!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist also ein ausgesprochen gutes Ergebnis in der niedersächsischen Hospiz- und Palliativversorgung festzustellen. Andererseits darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in diesem Bereich noch einiges Wichtiges zu tun gibt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ist sehr darauf zu achten, dass es immer mehr Menschen geben wird, die am Ende ihres Lebens eine würdevolle Begleitung erfahren möchten und wo die Umstände dies nicht selbstverständlich hergeben.

Vor diesem Hintergrund bitten wir die Landesregierung mit unserem heutigen Antrag, zur weiteren positiven Entwicklung der Sterbekultur, wie ich sie gerade dargestellt habe, entsprechende Initiativen umzusetzen.

Nach den uns vorliegenden Informationen starben im letzten Jahr in Niedersachsen 54 % der Verstorbenen in Alten- und Pflegeheimen. Hier sehen wir eine sehr große Aufgabe, wenn mehr als jeder zweite Niedersachse dort verstirbt, auch wenn wir wissen, dass das würdevolle Sterben in Heimen ein besonderes Thema ist, das natürlich auch vor Ort Beachtung findet. Hier bedarf es - auch deutlich erkennbar - einer dringenden Unterstützung, insbesondere dann, wenn keine Familienangehörigen oder Freunde eingebunden werden können.

Es wird deutlich: Noch kann sich nicht jeder Niedersachse auf eine bedarfsgerechte Versorgung am Ende seines Lebens verlassen. Deshalb gilt es, erneut ein Konzept zur Weiterentwicklung der Palliativ- und Hospizversorgung zu erstellen und dabei die vorhandenen guten, ja herausragenden regionalen Strukturen gebührend zu berücksichtigen.

In unserem Antrag haben wir die einzelnen detaillierten Aspekte und Kriterien bei der Konzeption dargestellt und die nicht validen Zahlen zur Versorgungssituation - ambulant und stationär - ebenso angesprochen wie die Erhebung und Ermittlung des Bedarfes und der Bedürfnisse der erkrankten Menschen, die Erstellung einer zukunftsorientierten Konzeption, die Optimierung von Schnittstellen zur Vermeidung von Doppelstrukturen und - für uns ganz wichtig - die Einrichtung einer zentralen Geschäftsstelle, die die Palliativ- und Hospizarbeit unter Einbeziehung der bisher ehrenamtlich tätigen niedersächsischen Koordinierungs- und Beratungsstelle landesweit organisiert.

Wichtig ist uns, die Hospiz- und Palliativkompetenz in allen Bereichen des Gesundheitswesens voranzubringen. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass sich beispielsweise auch die Krankenkassen als Kostenträger dieser Aufgabe in besonderer Weise stellen und dazu beitragen, dass weiterhin entsprechende Verbesserungen umgesetzt und finanziert werden können.

In geeigneter Weise wollen wir dafür Sorge tragen, dass sich die Menschen über den Bereich der Palliativ- und Hospizversorgung, über Beratung und Hilfsangebote rechtzeitig umfassend informieren können; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, Aufklärung und Information tun not.

Als vor einigen Monaten ein ehemaliger prominenter Bundesligafußballspieler der ersten Generation, also der Altersklasse von Uwe Seeler, das Angebot der sogenannten Sterbehilfe in der Schweiz annahm, also den assistierten Suizid, wurde er mit großem Medienaufwand dabei begleitet. Wieder gab es eine intensive öffentliche Diskussion über den Begriff „Sterbehilfe“. Wieder wurden Stimmen laut, die der Meinung waren, dass menschliches Leben nur dann lebenswert erscheint, wenn sich eine Person allein und unabhängig und sich selbst versorgend darstellen kann. Nur dann handelt es sich um wertvolles und sinnvolles Leben. Ab dem Moment, an dem der Einzelne gebrechlich wird und auf andere angewiesen ist, wird dieses Lebenslicht als Unleben betrachtet. Ich persönlich empfinde dies als eine Tendenz zur Geringschätzung allen behinderten Lebens.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP und bei der LINKEN)

Wenn ich daran erinnere, dass wir erst gestern zum Thema Aktionsplan, UN-Konvention und zu all diesen Dingen gesprochen haben, wird deutlich, dass auch dieser Bereich dazu in einem direkten Zusammenhang steht und ebenso bedeutsam ist wie das, was wir gestern besprochen haben. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Hospiz- und Palliativkompetenzen in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens vorangebracht werden. Das gehört nach unserer Auffassung unbestreitbar zu einer gesellschaftlich getragenen Sterbekultur dazu.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, fast jeder von uns wird einmal die Fiktion eines selbstbestimmten Lebens loslassen und sich in die Hand anderer Menschen begeben müssen. Es ist schön, wenn der Familienkreis oder auch der Freundeskreis diese Aufgabe für uns wahrnehmen wird. Wenn diese Menschen aber nicht zur Verfügung stehen, ist es für Betroffene ebenso wichtig, diese Sterbekultur zu erfahren. Damit verbunden bestehen auch Zuversicht und Trost, dass Hospiz- und Palliativmedizin für ein Leben bis zuletzt stehen. Dafür wollen wir Zukunft und Unterstützung bieten.

Wir würden uns sehr freuen und es begrüßen, wenn unser Antrag in diesem Haus eine breite Mehrheit fände, und werben um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von Patrick-Marc Humke [LINKE])

Herzlichen Dank, Herr Kollege Böhlke. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Schwarz das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses ohne Frage sehr ernste und schwierige Thema hat uns hier schon öfter beschäftigt. Ich will daran erinnern, dass 2002 die damalige SPD-Landesregierung beschlossen hat, in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung ein Konzept zur palliativmedizinischen Versorgung in Niedersachsen zu erarbeiten. 2005 hat das Land durch einen fraktionsübergreifenden Beschluss des Landtages 250 000 Euro als Anschubfinanzierung bereitgestellt. Seit 2007 haben gesetzlich Krankenversicherte einen Rechtsanspruch auf Palliativversorgung.

Der Landtag hat dieses Thema bisher immer sehr einmütig, sachorientiert und nicht populistisch behandelt. Auch wenn ich viele Teile Ihrer Rede, Herr Kollege Böhlke, nachvollziehe und durchaus teile, finde ich, dass der Antrag, den Sie vorgelegt haben, nicht völlig mit dem übereinstimmt, was Sie hier gesagt haben.

Das fängt schon bei der Überschrift an: „Sterbekultur zukunftsorientiert weiterentwickeln“. Ich bitte Sie, einmal wirklich zu überlegen, was da aufgeschrieben worden ist. In Deutschland gibt es eine Bestattungskultur und eine Hospizkultur. Eine Sterbekultur gibt es nicht. Unter dem Begriff „Sterbekultur“ werden u. a. die Thema Patientenverfügung, Testament und Sterbehilfe subsumiert. Ich kann mir nicht ernsthaft vorstellen, dass Sie diese Themen zukunftsorientiert weiterentwickeln wollen.

Sie vermischen darüber hinaus in Ihrem Antrag häufig die Begriffe „Hospizversorgung“ und „Palliativversorgung“ und fordern ein Konzept zur Weiterentwicklung. Die Frage „wohin?“ bleibt dabei völlig offen.

Palliativversorgung ist zuerst einmal Schmerzbehandlung, und zwar sowohl stationär als auch ambulant. Auf beides besteht ein gesetzlicher Rechtsanspruch. In Niedersachsen sind weitgehend flächendeckende Einrichtungen vorhanden. Sie sind übrigens auf der Homepage des Sozialministeriums sehr gut dargestellt, wie ich finde.

Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung - SAPV - hingegen ist die Schmerzbehandlung bei einer nicht heilbaren fortschreitenden Erkrankung

mit sehr begrenzter Lebenserwartung. Wenn es um diesen Bereich geht, sollte das im Antrag deutlich herausgestellt werden. Nur dieser Bereich kann im direkten Zusammenhang mit der ambulanten Hospizversorgung stehen, vorausgesetzt allerdings, dass die Betroffenen das wollen.

Die Hospizbewegung und die Hospizbetreuung haben ihren Ursprung in der ehrenamtlichen christlichen Laienarbeit. Deshalb hat der Bundesgesetzgeber bewusst keine Vollfinanzierung, sondern nur eine Bezuschussung vorgesehen. In stationären Einrichtungen sind das 90 % der Kosten bzw. 95 % der Kosten in Kinderhospizen. Dadurch soll der Hospizgedanke das tragende Element der Einrichtungen bleiben; wirtschaftliche Interessen sollen nicht im Vordergrund stehen. Der überwiegende Teil der dort aktiven Menschen sieht das übrigens nach wie vor genauso.

In Niedersachsen sind die Hospiz- und Palliativeinrichtungen gut vernetzt, und zwar sowohl u. a. in der Hospiz LAG Niedersachsen, in der Hospiz Stiftung, in der Akademie für Palliativmedizin und Hospizarbeit, in der Palliativ-AG und im Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verband. Seit mehreren Jahren wird regelmäßig durch die Fachgesellschaft eine deutschlandweite Abfrage nach Bedürfnissen und Symptomen in der ambulanten und stationären Palliativversorgung durchgeführt, ausgewertet und veröffentlicht. Was, bitte schön, soll die Landesregierung hier noch zusätzlich machen? Und vor allem: Wie stellt eine Regierung die individuellen Bedürfnisse einzelner erkrankter Menschen fest? - Sowohl die ambulanten Hospizdienste als auch die Palliativstützpunkte erteilen jederzeit Auskunft über ihre regionalen Hilfsangebote.

Trotz dieser Fülle an Informationen über die Bedarfe fordern CDU und FDP nun eine erneute Bedarfs- und Bedürfnisanalyse, ein weiteres Versorgungskonzept sowie die Einrichtung einer zusätzlichen Landesgeschäftsstelle mit bisher nicht definierten Aufgaben. Warum soll dauerhaft vom Land eine Informationshotline vorgehalten werden, wenn solche Hotlines regional bereits vielfach vorhanden und darüber hinaus näher an den Betroffenen sind und überdies auch intensiv in Anspruch genommen werden?

In Niedersachsen gibt es, wie gesagt, ein fast flächendeckendes Netz von Palliativstützpunkten. Mit Ihrem Antrag erwecken Sie zunächst den Anschein von Aktivität. Darin wird allerdings nichts gefordert, was es nicht schon gibt bzw. was wirklich eine

Verbesserung und Weiterentwicklung bedeuten würde.

Das Hospiz- und Palliativkonzept in den Einrichtungen des Gesundheitswesens weiterzuentwickeln, ist, meine Damen und Herren, eine dauernde Aufgabe. Darüber hinausgehende Leistungsverbesserungen liegen in der Zuständigkeit des Deutschen Bundestages, weil es sich um das SGB V handelt.

Ich vermisse in Ihrem Antrag die wirklich weiterführenden Forderungen, die sich an uns richten, an das Land und an die Landesregierung. Warum fordern Sie die Landesregierung nicht auf, die noch vorhandenen weißen Flecken in Helmstedt, Diepholz, Verden und der Wesermarsch zu schließen? Das würde zwar sicherlich Herrn Carstens, der mit allen von uns Kontakt aufgenommen hat, im Nachhinein nicht helfen. Aber es würde den nachfolgenden Betroffenen in der Wesermarsch helfen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wo ist die seit 2003 von dieser Landesregierung angekündigte und vom Landesrechnungshof geforderte Krankenhausstrukturkonzeption u. a. für die stationäre geriatrische Versorgung und für die stationäre palliativmedizinische Versorgung, um dies flächendeckend abzubilden?

(Glocke der Präsidentin)

Vor vier Wochen hat die Ministerin hier im Parlament erklärt, dass sie die Frist bis zum 30. Juni, die vorgesehen war, nicht einhalten wird und dass erst nach der Landtagswahl eine Vorlage kommen wird. Darin hätte Frau Özkan die angesprochenen sektorenübergreifenden Versorgungselemente auch für den Palliativbereich deutlich aufzeigen können. Dieses Thema ist nicht neu.

Warum setzen Sie nicht wenigstens in den drei Modellgesundheitsregionen interdisziplinäre Zusammenarbeit auch mit Palliativdienstleistern um? Wo sind Ihre Aktivitäten und Bemühungen, Palliativmedizin mit in die ärztliche Grundausbildung aufzunehmen und nicht nur als Zusatzschein abzuwickeln?

(Ulf Thiele [CDU]: Es kann doch nicht sein, Herr Schwarz, dass Sie selbst in diesem Bereich nicht in der Lage sind, das Gemeinsame zu suchen!)

Darüber haben wir bereits 2005 gesprochen.