Bis zum Jahre 2001 verdiente Herr Siala als selbstständiger Tauben- und Geflügelhändler sein Geld. Dann wurde ihm die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verweigert. Das galt auch für seine Frau. Fortan wurde die Familie nur noch geduldet. Das bedeutete für ihn das Ende seiner Selbstständigkeit.
Wofür wurde diese Familie bestraft? - Zehn Jahre nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde ihnen Identitätstäuschung vorgehalten, die, wenn überhaupt, höchstens den Eltern Siala vorgehalten werden könnte, aber doch nicht im Nachhinein Kindern, die bei der Einreise sechs Jahre alt waren.
Dass vonseiten der Behörden immer noch unterstellt wird, dass die Eltern von Herrn Siala nicht im Libanon gelebt haben, ist mehr als verwunderlich, gibt es doch inzwischen bei anderen, gleich gelagerten Fällen folgende Aussagen:
Erstens. Türkische Register wurden ohne Kenntnis der Betroffenen fortgeschrieben, gleich ob diese im Libanon, in Deutschland oder anderswo in der Welt leben. Auf diese Weise tauchen bei einer Familie in diesen Registern auch mal mehr, mal weniger Kinder auf. Geburtsdaten und -orte sind häufig falsch.
Zweitens. Türkischen Registerangaben kommt im Falle der Mhallami, die sich im Libanon aufhielten, weniger Beweiswert zu als Registerunterlagen oder auch nur Bürgermeister- bzw. Hebammenbescheinigungen aus dem Libanon.
Aber zurück zur Familie Siala-Salame. Das Unglück kam über diese Familie am 10. Februar 2005, als morgens um 8.30 Uhr zehn Polizeibeamte vor der Tür der Familie standen und Frau Salame abholen sollten. Sie war allein zu Hause, im dritten Monat schwanger und mit ihrer einjährigen Tochter Shams, die sie gerade gefüttert und gewaschen hatte. Die beiden Töchter Amina, acht Jahre, und Nura, sieben Jahre, brachte der Vater zur Schule.
Alles Flehen half nicht. Frau Salame durfte ihre Sachen packen, ihr Baby mitnehmen und wurde zum Flughafen nach Frankfurt gebracht.
In Istanbul gelandet, ging sie einige Tage später zu entfernten Bekannten ihrer Eltern nach Izmir. Dort lebt sie bis heute in einem Stadtteil am Rande der Stadt.
Am 31. August 2005 brachte sie ihren Sohn Ghazi zur Welt. Die Hoffnung einiger Herren aus dem Innenministerium oder dem Landkreis Hildesheim, Herr Siala werde seiner Frau nun folgen - jetzt, da er endlich einen Sohn hatte -, ging nicht auf, und das zu Recht. Denn dem Schutz von Ehe und Familie genügt es nicht, den Hiergebliebenen anheimzustellen, den Ausgewiesenen nachzureisen. Denn hier in Niedersachsen war nach über 20 Jahren der Lebensmittelpunkt dieser Familie.
Das erste Urteil, gefällt am 21. Juni 2006 vom Verwaltungsgericht Hannover, bestätigt durch Beschluss vom 30. November 2006, entschied zugunsten der Familie. Die Hildesheimer Landrätin kündigte eine schnelle und unkomplizierte Rückkehr von Frau Salame und den beiden Kindern an.
Doch das war zu viel für das Innenministerium. Es wollte keinen Präzedenzfall schaffen und ordnete schriftlich an, der Landkreis müsse in Berufung gehen. Wenn der damalige Innenminister, der es auch heute noch ist, vor sechs Jahren nicht nur Verstand, sondern auch Herz gehabt hätte, wären Shams und Ghazi hier zur Schule gekommen und könnten heute fließend Deutsch.
Das Leid, die Trauer, die Tränen, aber auch die Wut der vier Kinder, jeweils nur mit einem Elternteil zu leben - rührt Sie das gar nicht?
(Ministerin Aygül Özkan spricht mit Staatssekretärin Dr. Christine Hawig- horst - Johanne Modder [SPD]: Sie sollte zuhören!)
Am 7. Juni, bei der Konferenz Ihres Hauses zum Thema „Integration 2020. Die Zukunft Niedersachsens heute gestalten“ hat Herr Professor Klaus Bade zum Schluss seines eindrucksvollen Vortrages an Sie appelliert - ich zitiere -:
Salame betroffene Bereiche zuständig - setzen Sie sich bitte im Rahmen Ihrer Möglichkeiten für die Familie ein.“
Sie, Frau Özkan, versicherten, Sie hätten Bades „Botschaft genau wahrgenommen“ und wollten diese in Ihre nächsten Gespräche mit dem Innenminister - und, so hoffe ich, auch mit dem Ministerpräsidenten - mitnehmen. Haben Sie schon Gespräche geführt?
Vielen Dank, Frau Rübke. - Nächster Redner ist Kollege Oetjen von der FDP-Fraktion. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Rübke, ich möchte mich ganz ausdrücklich für die Art und Weise bedanken, in der Sie diesen Fall hier in die Debatte eingeführt haben. Ich glaube, uns allen geht es so, dass unser Rechtsempfinden gerade in Fällen des Ausländer- und Asylrechts manchmal nicht mit dem Recht zusammenfällt. Gerade in einer solchen Situation ist es wichtig, die Debatte sachlich und zwar nicht ohne Emotionen, aber an den Fakten orientiert zu führen.
Das Schicksal der Familie Siala-Salame geht jedem, der sich damit beschäftigt, nahe. Das geht auch mir so; das möchte ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich sagen.
Sie sagten am Anfang, dass Frau Salame negativ ausgelegt wird, dass sie mit 16 schwanger wurde. Das ist, glaube ich, kein Kriterium, das an dieser Stelle einen Ausschlag geben sollte, sondern es sind die Fragen des Aufenthaltsrechts und die Fragen, die im Ausländerrecht begründet liegen. Wir alle versuchen natürlich, in dieser Situation diese Fakten zu betrachten. Aber die Frage, ob
jemand mit 16 schwanger wird oder nicht, ist aus meiner Sicht kein Kriterium, das hier zur Debatte steht.
Ich finde es gut, dass die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Linken den Antrag in dieser Art und Weise in die Debatte eingebracht haben. Sie wissen, dass die FDP-Landtagsfraktion in jüngster Zeit, als Frau Salame für sich und ihre Kinder ein Visum beantragt hat, versucht hat, sich über das Auswärtige Amt für dieses Visum stark zu machen, das vom Auswärtigen Amt abgelehnt wurde, nachdem vom Landkreis Hildesheim, der zur Stellungnahme angehört wird, eine kritische Stellungnahme abgegeben worden ist. Insofern konnte über diesen Visumsweg keine Familienzusammenführung in Deutschland auf den Weg gebracht werden.
Ich meine, wir sollten uns im Innenausschuss darüber unterhalten, inwiefern § 22 des Aufenthaltsgesetzes, den Sie mit dem Antrag in die Debatte eingeführt haben, einschlägig ist und inwieweit beispielsweise der Fall der Familie Salame auch mit dem Fall der Familie Nguyen vergleichbar ist. Das sollten wir ganz sachlich im Ausschuss diskutieren. Ich will jedenfalls für meine Fraktion deutlich machen, dass wir sehr froh wären, wenn es eine rechtlich einwandfreie und saubere Lösung für die Zusammenführung der Familie geben könnte. Aber das sollten wir dann im Ausschuss ganz sachlich beraten.
Herr Kollege Oetjen, gestatten Sie noch eine Frage? - Nein. - Dann hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Polat das Wort.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 15. Juli 2010 wurde die rechtsverbindliche Rücknahmeerklärung bei der UN in New York hinterlegt. Damit gilt Artikel 3 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention unbeschränkt. Das heißt - ich zitiere -:
„Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel, ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungs
organen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu handhaben ist.“
Es ist Pflicht und Aufgabe aller deutschen Behörden und Gerichte, dem Vorrang des Kindeswohls Geltung zu verschaffen. Daran hat sich auch diese Landesregierung zu halten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir erwarten, dass dies, Frau Ministerin Özkan, auch für die vielen Kinderflüchtlinge und abgelehnten Asylbewerberkinder in Niedersachsen gilt. Es ist schlimm genug, dass uns das Bundesverfassungsgericht zum wiederholten Male ins Stammbuch schreiben musste, dass Sie seit 20 Jahren das Grundgesetz missachten. Es ist für uns unerträglich, dass Menschen in Deutschland seit 20 Jahren wissentlich unter dem verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimum Überlebensstrategien entwickeln müssen. Es ist unfassbar, dass Sie diesen Menschen, Frau Lorberg, unter den Umständen, unter denen sie leben, allzu oft fehlenden Integrationswillen vorwerfen. Dieses Gesetz ist eine Schande für Deutschland, und nicht die Menschen sind es. Das Asylbewerberleistungsgesetz, dieses Sondergesetz, gehört abgeschafft, meine Damen und Herren.
Diese verfassungswidrigen Lebensumstände müssen Sie bei Ihrer Bewertung der Verwurzelung - das ist ganz wichtig, weil auch die verschiedenen Gerichtsentscheidungen hierzu Stellung genommen haben - von Asylbewerberinnen und Geduldeten in Deutschland berücksichtigen. Sie müssen auch berücksichtigen, welche Geschichten die Familien mit sich tragen.
Ahmed Siala ist kurz vor dem Krieg im Libanon geboren. Er hat als Kind die Hölle von Beirut erfahren müssen, genauso wie seine Eltern und Gazale. Sie sind nach Deutschland geflohen und sind hier niemals als Flüchtlinge anerkannt worden, ähnlich wie Tausende Kurden aus Syrien, die über Jahrzehnte hier geduldet waren, bei denen man nun feststellt, dass eine Anerkennung als Flüchtling wohl doch angebracht wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Sie werfen einem Sechsjährigen bei seiner Einreise die Täuschung der Identität vor. Das ist zynisch.
Sie wissen, dass Ahmed Siala im Libanon geboren wurde. Sie wissen, dass er die libanesische Staatsangehörigkeit besitzt, und Sie wissen um die Willkür der Eintragung von Angehörigen in türkische Registerauszüge. Sie wissen aber auch um den türkischen Registerauszug, der der Familie zum Verhängnis wurde und der mehrere Unbereimtheiten aufweist.