Protocol of the Session on June 16, 2009

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Ich begrüße zu dieser Gedenkstunde die Mitglieder der Familie: sehr verehrte Frau Schmidt-Kubel und sehr geehrter Herr Schmidt, sehr geehrte Frau Coxon.

Ein besonderer Gruß gilt auch meinen beiden Amtsvorgängern, den früheren Landtagspräsidenten Herrn Milde und Herrn Professor Wernstedt, der ja heute auch unser Festredner ist.

Ich begrüße auch sehr herzlich die ehemaligen Ministerpräsidenten Herrn Dr. Albrecht und Herrn Glogowski.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, am 25. Mai wäre der ehemalige Ministerpräsident des Landes Niedersachsen Alfred Kubel 100 Jahre alt geworden. Die heutige Plenarsitzung ist deshalb eine sehr geeignete Gelegenheit, an das Leben und Werk dieses herausragenden und bodenständigen Politikers, dem Niedersachsen viel zu verdanken hat, zu erinnern. Einer meiner Amtsvorgänger, Herr Landtagspräsident a. D. Rolf Wernstedt, wird das heute Morgen mit seinen besonderen Kenntnissen tun. Wir freuen uns auf seinen Vortrag.

Alfred Kubel wurde am 25. Mai 1909 in Braunschweig als Sohn eines Klempners und einer Arbeiterin geboren. Nach dem Besuch der Mittelschule absolvierte er eine kaufmännische Lehre und eine Drogistenlehre. Von 1934 bis Kriegsende war Alfred Kubel in der Gummi verarbeitenden Industrie tätig, in der er sich vom Hilfsarbeiter bis zum Prokuristen hochgearbeitet hat. Bereits in jungen Jahren - seit 1924 - war Kubel in der Gewerkschaftsbewegung aktiv. 1926 schloss es sich dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund an, für den er nach 1933 im Widerstand auch aktiv war. Er wurde deshalb bis zum Ende des Krieges von der Gestapo verfolgt. 1937 wurde er von der Gestapo sogar verhaftet und vom Volksgerichtshof

wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Das Kriegsende erlebte er in der Nähe von Braunschweig. Am 7. Mai 1946 wurde Alfred Kubel von der britischen Militärregierung zum Ministerpräsidenten des damals selbstständigen Landes Braunschweig ernannt. Auch wenn sich heute das Wirken Alfred Kubels vor allem auf seine Ämter als Ministerpräsident und als Minister unterschiedlicher Ressorts fokussiert, sollte gerade heute nicht in Vergessenheit geraten, dass er dem Parlament viele Jahre auch als Abgeordneter angehörte. Er war Mitglied des ernannten Braunschweiger Landtages und dort Vorsitzender des Finanzausschusses sowie vom 7. Mai bis zum 26. Juni 1946 dessen Präsident. Er gehörte dem ernannten Niedersächsischen Landtag an und war anschließend gewähltes Mitglied des Landesparlaments bis Mai 1955. Vom 14. September 1955, als er für den Abgeordneten August Wedekind nachrückte, bis zu seiner Mandatsniederlegung am 2. April 1975 gehörte er dem Niedersächsischen Landtag erneut als Abgeordneter an. - Wer von uns kann auf einen solchen parlamentarischen und politischen Werdegang zurückblicken?

Am 23. November 1946 wurde Hinrich Wilhelm Kopf zum ersten Niedersächsischen Ministerpräsidenten ernannt. Seinem ersten Kabinett gehörte Kubel als Wirtschaftsminister an. Sein klares ordnungspolitisches Denken trat beispielhaft zu Tage in einer Rede, die er damals vor der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft in Hamburg hielt - er war immer ein Freund klarer Worte -:

„Ich möchte in einem Staat leben, in dem ich, wenn es mir passt, mir einen Kessel vor den Bauch hängen und Würstchen verkaufen kann. Ich möchte das Recht haben, an jeder Straßenecke, wo es mir passt, eine Fahrradreparaturwerkstatt aufzumachen mit dem gleichzeitigen Recht, dabei pleitezugehen.“

Meine Damen und Herren, Alfred Kubel hat sich weder den Würstchenkessel umgeschnallt noch eine Werkstatt an der Straßenecke eröffnet, sondern er war Wirtschaftsminister des Landes bis zum 9. Juni 1948. Dann wechselte er in das Ressort für Arbeit, Aufbau und Gesundheit. Von August 1950 bis Juni 1951 leitete er in Personalunion beide Häuser als Minister für Wirtschaft und Arbeit. Er war, wie sein Biograf Wolfgang Renzsch schrieb, einer der Väter und der entscheidendste

Gestalter der Hannover-Messe, um die er sich große Verdienste erwarb und die dem wirtschaftlichen Aufbau Niedersachsens nach dem Kriege wichtige Impulse verlieh.

Als Finanzminister des Landes Niedersachsen stand er in den Jahren von 1951 bis 1955 vor der undankbaren Aufgabe, dem finanzschwachen Land finanziellen Spielraum für landespolitisches Gestalten zu eröffnen. Dass man sich gerade in diesem Amt des Finanzministers schnell in vermintem Gelände befindet, wusste auch Kubel. Als er es übernahm, sagte er zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums:

„Ich habe mich nicht zu diesem Ministerium gedrängt. Aber seht mal zu, dass ihr aus mir einen Finanzminister macht. Ihr könnt alle sagen, der neue Minister ist ein Esel. Aber wenn ihr es nicht beweisen könnt, ist es eine Beleidigung.“

Dass die ärmeren Länder ohne Hilfe nur schwer auf eigenen Beinen stehen konnten, erkannte Kubel. Deshalb stritt er auch engagiert für den „Nordstaat“, die Verbindung Niedersachsens mit Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein - eine Vision, die bis heute nicht realisiert ist; ob leider oder glücklicherweise, soll hier und heute nicht weiter diskutiert werden.

Nach der Bildung einer bürgerlichen Koalition nach der Wahl 1955 schied Alfred Kubel aus der Landesregierung aus. Erst am 19. November 1957 nach einer Regierungsumbildung kehrte er als Minister für Wirtschaft und Verkehr in die Landesregierung zurück. 30 Monate Niedersächsische Landesregierung ohne Kubel gegenüber fast 28 Jahren als Minister und Ministerpräsident!

Auch den von Hinrich Wilhelm Kopf und Georg Diederichs geleiteten Folgeregierungen gehörte er ununterbrochen als Landesminister an. Nach der Landtagswahl 1970, bei der die SPD mit knappem Vorsprung die absolute Mehrheit erzielt hatte, wurde Alfred Kubel am 8. Juli 1970 zum Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen gewählt. Daraufhin bildete er eine Alleinregierung aus Sozialdemokraten, die bis zur Landtagswahl 1974 bestand. Anschließend regierte er mithilfe einer sozialliberalen Koalition weiter.

Kubel plante, wie bereits 1974 angekündigt, einen Generationswechsel im Ministerpräsidentenamt und favorisierte für diesen Posten den damaligen Finanzminister Helmut Kasimier. Wir alle wissen,

dass dieses Vorhaben in turbulenten Tagen scheiterte und sich am Ende der CDU-Kandidat Dr. Ernst Albrecht durchsetzte.

Kubels politische Stärke war - ich zitiere noch einmal seinen Biografen Wolfgang Renzsch - „ohne Frage seine Rationalität und sein politischer Gestaltungswille. Mit seiner Sachlichkeit und seiner Konsequenz im Handeln verlangte er allerdings gelegentlich vom Publikum, vom Landtag und seinen politischen Freunden mehr, als diese zu leisten bereit waren.“

Ganz zweifellos zählt Alfred Kubel zu den Politikern in der Bundesrepublik, die mit ihren festen Überzeugungen Staat und Gesellschaft geprägt und gestaltet haben - auch wenn er dabei weniger als vielleicht andere im Rampenlicht stand. Vordergründige Publizität war seine Sache nicht. Als man ihm den Plan vortrug, zu seinem 75. Geburtstag eine Festschrift zu publizieren, entgegnete er: „Lasst das sein, sie verstaubt nur in den Regalen.“

Dass vieles im Denken von Alfred Kubel aktuell und keineswegs verstaubt ist, werden wir gleich erfahren. Freuen wir uns auf den Vortrag von Professor Wernstedt, der uns viel über Alfred Kubel zu berichten weiß und der nach der Rede des Herrn Ministerpräsidenten zu uns sprechen wird!

Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Sehr geehrte Familien Kubel! Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Liebe Gäste! Wir gedenken Alfred Kubels, der die Geschicke Niedersachsens über Jahrzehnte entscheidend und erfolgreich gelenkt und das Gesicht unseres Landes geprägt hat. Ich möchte namens der Landesregierung ausdrücklich dem Landtagspräsidium dafür Dank sagen; denn so viel Zeit muss sein, und ein klein wenig Stolz auf große Lebensleistungen demokratischer Politikerinnen und Politiker ist eben nicht nur zulässig, sondern meines Erachtens auch notwendig.

Wir haben gehört: 1946 vertraute die britische Besatzungsmacht Alfred Kubel das Amt des Ministerpräsidenten des Landes Braunschweig an, auch weil er aus dem deutschen Widerstand kam, weil er eben absolut untadelig und demokratisch war. Er gestaltete die Fusion der Länder Braunschweig, Oldenburg, Schaumburg-Lippe und der preußi

schen Provinz Hannover zum neuen Bundesland Niedersachsen, und er hat an der Seite von Hinrich Wilhelm Kopf als Wirtschaftsminister daran gearbeitet, dass dieses neu gegründete Bundesland erfolgreich zusammengewachsen ist.

Abgesehen von den schon erwähnten 30 Monaten in der Zeit von 1955 bis 1957 gehörte er den Regierungen bis 1976 immer an; dies sind 28 Jahre. Das bedeutet, auf heutige Zeiten umgerechnet, dass ich Ihnen bis 2031 als Regierungsmitglied erhalten bliebe. Eigentlich bedeutet es, dass ich Ihnen bis 2034 erhalten bliebe und dazwischen einmal 30 Monate Unterbrechung wären - durch welche Regierung in welcher Konstellation auch immer.

Jüngere fragten sich gelegentlich, ob das mit dem Wechsel in der Mitte der Legislaturperiode bei einer Einstimmenmehrheit nicht außerordentlich riskant gewesen sei. Wer aber diese Lebensleistung während der Zeit des Nationalsozialismus, beim Wiederaufbau und bei der erfolgreichen Entwicklung unseres Landes sieht, wird diese Frage sicherlich nicht mehr stellen.

Er wirkte in unterschiedlichsten Ressorts als Minister für Wirtschaft und Verkehr, Arbeit und Gesundheit, Finanzen und Landwirtschaft und von 1970 bis 1976 als Ministerpräsident. Diese lange Zeit in Regierungsverantwortung schaffte nicht einmal Bismarck.

Der Wechsel zwischen Ressorts wurde damals offenkundig als Gewinn für alle Beteiligten verstanden. Anders formuliert: Häufiger Ressortwechsel führt offenkundig unmittelbar in das Amt des Ministerpräsidenten; man muss nur häufig genug die Ressorts wechseln.

(Heiterkeit)

- Herr Busemann wird sich seinen Teil denken, andere werden sich ihren Teil denken.

(Heiterkeit)

Wir in Niedersachsen begreifen uns heute im positivsten Sinne als Land der Gegensätze, geprägt von einer großen Vielfalt der Natur, der Kultur und der Menschen. Diese Kontraste unseres Landes Niedersachsen hat Alfred Kubel von Anfang an als etwas Positives vertreten und erkannt, und er hat erkannt, dass diese Gegensätze kein Nachteil sind, sondern Basis für eine kraftvolle Entwicklung der unterschiedlichen Teile und des Landes als Ganzen. Er steht exemplarisch für das Zusammenwachsen Niedersachsens und war deswegen

auch überzeugten Anhänger der Meinung, dass auch ein Nordstaat glücken könnte. Er war der Meinung, dass man gemeinsam zusammenrücken muss und gemeinsam an der Zukunft bauen muss.

Sein Wirken - das kann man schnell erkennen, wenn man Reden von ihm nachliest - war immer werteorientiert. Eines der meiner Meinung nach schönsten Zitate, die ich von ihm gefunden habe, lautet:

„Politik ist pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken.“

Er war nämlich Pragmatiker. Er war für Kompromisse zu haben. Er war flexibel. Aber er war immer an Sitte, an Anstand, an Moral, an Grundsätzen und an Grundsätzlichem interessiert und hatte deswegen offenkundig diese hohe Wertschätzung auch hier im Parlament.

Er hat auch nach seiner aktiven Zeit als Politiker durch sein Engagement im Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung aktiv zur Versöhnung beigetragen und dann auch weiter uneigennützig, freiwillig, ehrenamtlich. Es hätte Alfred Kubel unglaublich gefreut, wenn er uns jetzt zuschauen könnte - oder zuschaut -, dass gerade vier polnische Studentinnen und Studenten - aus dem Land Frédéric Chopins - der Musikhochschule hier heute so wunderbar Haydn spielen; denn Alfred Kubel war natürlich ein überzeugter Europäer. Ihm lag viel am Ausgleich mit Polen und anderen deutschen Nachbarn, denen wir viel Unheil zugefügt haben.

Er als Persönlichkeit stand gerne abseits der Öffentlichkeit. Er suchte den Rückzug und die Abgrenzung. Er hatte offenkundig die Überzeugung, dass man Bilder, Gemälde aus der Ferne am besten betrachten kann. Heute belächelt man Primärtugenden wie Pünktlichkeit, Ordnung, Fleiß und Verlässlichkeit häufig. Ihm waren diese ebenso wichtig wie hohe Sachkompetenz und breites Wissen. So ist es vielen seiner Zeitzeugen in Erinnerung geblieben.

Ich vermute, die Besonderheit seines politischen Stils und seiner Wertschätzung liegt auch in seiner ureigenen Biographie begründet. 1910 musste er mit seiner Familie Braunschweig verlassen, weil der Vater nach politischer Aktivität als Gewerkschaftler und Sozialdemokrat keine Arbeit mehr fand. In der Weimarer Republik schloss er sich dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund an, wurde 1937 während der NS-Diktatur für ein Jahr inhaftiert und verlegte sein politisches Enga

gement von da an in den Untergrund. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat er daraus für sich eine klare Konsequenz gezogen, sich nämlich noch aktiver und engagierter verantwortlich für die Demokratie einzusetzen, wozu dann die Freiheit bestand. Er hat immer gesagt: Die Freiheit, die uns jetzt geschenkt worden ist, ist eben gerade auch Verantwortung. - Freiheit und Pflicht, Freiheit und Verantwortung - das hat er gelebt, das gehörte für ihn untrennbar zusammen.

So unmittelbar es naturgemäß immer seltener diese Biografien gibt, umso wichtiger ist es, dass uns auch heute Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich erscheinen. Diese Mahnung an junge Leute, dass man dafür etwas aktiv tun muss, sollten wir bei verschiedenen Gelegenheiten nutzen. Er war für verantwortungsvollen und solidarischen Umgang in allen Lebensbereichen: in Verbänden, im Bereich der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Er hat hierbei Zeit seines Lebens eine ganzheitliche soziale Verantwortung vertreten.

Alfred Kubel gehört zu den Großen wie Hinrich Wilhelm Kopf, Karl Arnold, Konrad Adenauer, die das Land wieder aufgebaut haben und die Vertrauen in den Staat und Vorbildhaftigkeit von Vorbildern hergestellt haben. Er war kein einfacher Weggefährte, gerade auch für seine eigenen Parteigenossinnen und -genossen. Das kann man leicht nachlesen, weil er klare und unmissverständliche Grundsätze auch dann vertrat, wenn sie einmal abwichen. Er war insofern auch kein ganz einfacher Begleiter. In seiner Partei, der SPD, galt er mitunter als Fremdkörper mit einem Verhalten, mit dem er sich dem verordneten Gemeinschaftsgefühl entzog und Wahrheiten auch jenseits des Parteiprogramms vertrat.

Für seine Gegner und Mitbewerber war es dann aber auch der einzige Hauptangriffspunkt gegen Alfred Kubel. Wenn man nachliest, was man ihm vorgeworfen hat, dann erkennt man, dass die Opposition darauf angespielt hat, es fehle ihm an ausreichendem Rückhalt. Da würde ich als Wunsch der Opposition „Mehr Alfred Kubel!“ lesen. Man hat ihm beispielsweise vorgeworfen, bei Ministerbesetzungen dem Druck seiner Partei und Fraktion nachgegeben und sich nicht durchgesetzt zu haben; das ist ja durchaus ehrenvoll, wenn jemandem das im Nachhinein vorgeworfen wird. Auf jeden Fall hat er selbst in seinen Redebeiträgen hier im Parlament Wertschätzung gegenüber seinen demokratischen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern statt Geringschätzung zum Ausdruck gebracht. Er hat die Begriffe „Vertrauen“, „Vorbild“

und „Verantwortung“ mit seinem Namen verbinden können.

Seine Ansichten sind auch 100 Jahre nach seiner Geburt von bestechender Aktualität. Er hat seinen positiven Anteil an der guten Entwicklung unseres Landes. Demnach teile ich die Einschätzung unseres Herrn Landtagspräsidenten, dass Niedersachsen Alfred Kubel viel zu verdanken hat.

(Beifall)

Professor Rolf Wernstedt:

Meine Herren Landtagspräsidenten! Meine Herren Ministerpräsidenten! - Ich sage das einmal kollektiv. - Sehr verehrte Frau Coxon! Sehr verehrte Frau Schmidt-Kubel! Sehr verehrter Herr Schmidt! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Verehrte Gäste! Liebe Schülerinnen, liebe Schüler!