Protokoll der Sitzung vom 28.10.2009

(Widerspruch bei der CDU)

und außer bei Regierungserklärungen in Demut warten, bis er dran ist.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Zurufe von der CDU - Unruhe - Glocke des Prä- sidenten)

Meine Damen und Herren, es war zu erwarten: Eine schwarz-gelbe Regierung möchte umverteilen - - -

(Unruhe bei der CDU)

- Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören. Aber es ist einfach so. Ich kann Herrn Lammert nur recht geben. Dafür, dass er einer von Ihnen ist, kann ich doch nichts. Er sagt da jedenfalls gescheite Sachen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es war klar, dass eine schwarz-gelbe Regierung aufwärts umverteilen will, und das gründlich. Dass Sie es aber so gründlich und vor allen Dingen so schamlos tun, hat dann doch überrascht. Es gilt - das könnte als Überschrift über dieser Regierungserklärung stehen -: Je reicher man ist, desto besser ist es für einen. Es profitieren die, denen es sowieso schon gut geht. Bei denen sind die Kinder mehr wert, und

bei denen trägt natürlich auch die Steuerentlastung besser.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will Ihnen das am Beispiel von drei Familien erläutern, die jeweils zwei Kinder haben:

Familie A hat ein Bruttoeinkommen von 7 000 Euro. Sie wird nach Ihren Plänen 133 Euro im Monat mehr haben. - Schön.

Familie B hat zwei Kinder und ein Bruttoeinkommen von 3 000 Euro.

(Heiner Schönecke [CDU]: Ich dachte, die haben jeweils drei Kinder!)

Sie wird 52 Euro mehr haben. - Nicht mehr ganz so schön.

Familie C im Hartz-IV-Bezug kriegt überhaupt nichts, nicht einmal das Kindergeld; denn das wird ihnen vom Regelsatz wieder abgezogen.

Die Belastung aber, die Sie den Bürgerinnen und Bürgern zumuten, ist bei allen drei Familien gleich. Sie zahlen alle die Prämie für die Krankenversicherung. Sie müssen alle in die Pflegeversicherung einzahlen. Sie alle werden die erhöhten Müllgebühren zahlen müssen, die Sie nur aufgeschoben haben; das kommt mit Sicherheit noch. Belastet werden alle gleich. Ist „Mehr Netto vom Brutto“ so zu verstehen? Oder müssen wir das so verstehen „Wer so wenig hat, dass er sowieso keine Steuern bezahlt, der braucht aus Ihrer Sicht auch keine Entlastung zu haben“? - Das ist die Diktion Ihrer Koalitionsvereinbarung!

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Erklären Sie mir trotz Ihres vielen Geredes von Entlastung der Familien doch einmal, wie es zu folgendem Befund kommt: Ein Single mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 3 800 Euro wird nach Ihren Plänen um 83 Euro entlastet, während eine Familie mit zwei Kindern, die ebenfalls 3 800 Euro verdient und in der Steuerklasse III ist, nur um 70 Euro entlastet wird. Das sind 13 Euro weniger! Wozu denn das? Ist das Familienentlastung, meine Damen und Herren?

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Man kann Ihren Koalitionsvertrag getrost unter das Matthäus-Wort stellen:

„Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.“

Herr Thümler, ich habe hier eben wirklich Kreislauf gekriegt, als ich Sie gehört habe,

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Zurufe von der CDU und von der FDP)

als Sie davon geredet haben, dass Leistung sich lohnen muss, dass man die Leistungsträger entlasten muss.

(Björn Thümler [CDU]: Das können Sie nicht ab!)

Ich frage Sie ganz ernsthaft: Wie wollen Sie einem Menschen, der im Wachdienst beschäftigt ist und wenig verdient, obwohl er 40 Stunden arbeitet, der auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen ist und deswegen von all dem, was Sie tun, überhaupt nichts hat, eigentlich sagen, wie das mit der Leistung ist? Leistet der nichts aus Ihrer Sicht? - Sie grenzen diese Menschen aus! Welches Etikett kleben Sie denen eigentlich an? So geht es nicht!

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Offensichtlich haben aber einige Ihrer Kolleginnen und Kollegen in der CDU-Bundestagsfraktion doch noch so etwas wie ein soziales Gewissen. Anders kann ich mir nicht erklären, dass Mutti heute neun Stimmen aus dem eigenen Lager nicht gekriegt hat. Hut ab vor diesen neun!

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Björn Thümler [CDU]: Sie sind von Neid zerfressen! Sie sind nicht die moralische Instanz des Hau- ses!)

Meine Damen und Herren, nach diesem Vertrag wissen die Menschen, worauf sie sich einzustellen haben. Es gibt reichlich Entlastung für Unternehmen und für Reiche, und es gibt reichlich Belastungen für Arbeitnehmer.

Natürlich haben Sie ein soziales Mäntelchen entdeckt, nämlich das Schonvermögen für Hartz-IVBezieher. Dazu will ich Ihnen eines sagen: FDP und CDU haben damals im Vermittlungsausschuss dafür gesorgt, dass dieses Schonvermögen über

haupt so niedrig wurde. Es ist höchste Zeit, dass Sie das jetzt korrigieren. Diesen Teil der Geschichte dürfen Sie aber bitte auch nicht verschweigen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Ich gebe zu, das war schon ein genialer Schachzug: Wir erhöhen jetzt das Schonvermögen, und alle fühlen sich irgendwie ein bisschen besser. - In Wirklichkeit betrifft das überhaupt nur 1 % der Menschen im Hartz-IV-Bezug.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Lex Schi- ckedanz!)

- Vielleicht jetzt auch noch Schickedanz.

Sie machen etwas für 1 %, und alle fühlen sich gut. In Bezug auf Public Relations ist das wirklich à la bonne heure. Aber Sozialpolitik ist das nicht, meine Damen und Herren!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

In Ihrem Vertrag steht kein Wort zu den viel zu niedrigen Hartz-IV-Sätzen, die das Bundesverfassungsgericht gerade prüft. Es steht kein Wort darin zu Kinderarmut und zur Sicherung von Chancen gerade für diese Kinder.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Frau Helmhold, wer hat das denn be- schlossen? Wer war das?)

Kein einziges Wort dazu, kein Interesse daran!

Dieses Desinteresse gerade an benachteiligten Kindern zeigt sich auch noch an einer Sache, die ich wirklich fatal finde: Sie haben doch tatsächlich die Betreuungsprämie vereinbart, meine Damen und Herren. Diese Prämie wird in Zukunft Kinder davon abhalten, zur Kindertagesstätte, zu einer Bildungseinrichtung zu gehen - gerade diejenigen, die es am nötigsten haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Das ist eine bildungspolitische Katastrophe! Wissen Sie, wer das gesagt hat? - Frau von der Leyen hat das 2007 gesagt. Und jetzt soll sie als Familienministerin diese Prämie selbst umsetzen. Wegen so etwas sind andere schon zurückgetreten. Das hatte Stil und Art.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, in diesem Land lebt fast jedes fünfte Kind in Armut. Und dazu fällt Ihnen in Ihrem Koalitionsvertrag nichts ein? Statt in die Bildungsinfrastruktur zu gehen, statt für Chancengerechtigkeit zu sorgen, gewähren Sie wieder direkte Leistungen mit der Gießkanne, die sehr unterschiedlich ankommen und bei denen, die sie am nötigsten haben, schon gar nicht. Statt die Regelsätze zu erhöhen - das wäre wirklich dringend notwendig -, wollen Sie warten, bis das Bundesverfassungsgericht Sie dazu zwingt.

Noch eine Anmerkung zur Steuerentlastung: Sie glauben doch wohl nicht, dass die Entlastung bei den Gutverdienenden in den Konsum geht! Die Sparquote wird steigen, meine Damen und Herren. Wer mehr Geld kriegt, wenn er schon genug hat, der legt es auf die hohe Kante.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Die Hartz-IV-Empfänger würden das Geld ausgeben. Dann hätten Sie wenigstens noch den Effekt, dass der Binnenmarkt angekurbelt wird, den Sie so nicht haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)