Zur Tagesordnung. Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 12, Dringliche Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort.
Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass während des laufenden Tagungsabschnittes ein Filmteam von Millenium TV in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Hannover Aufnahmen für den neuen Landtagsfilm im gesamten Gebäude fertigen wird. Ich bitte noch einmal um Ihr Verständnis für eventuell auftretende Beeinträchtigungen.
An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst - bis spätestens morgen Mittag, 12.00 Uhr - wird erinnert.
Guten Morgen! Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung Herr Ministerpräsident Wulff ab 17 Uhr, der Finanzminister, Herr Möllring, ab Tagesordnungspunkt 20, der Minister für Inneres, Sport und Integration, Herr Schünemann, ab 16.30 Uhr, der Minister für Wissenschaft und Kultur, Herr Stratmann, von der Fraktion der CDU Frau Ernst, Frau Konrath, Herr Nerlich und von der Fraktion der SPD Herr Aller, Frau Hartmann und Herr Poppe.
Bevor ich die einzelnen Dringlichen Anfragen aufrufe, möchte ich daran erinnern, dass für die Behandlung der Dringlichen Anfragen nach der geltenden Geschäftsordnung folgende Regeln gelten:
Jede Fraktion kann bis zu vier Zusatzfragen stellen. Ein fraktionsloses Mitglied des Landtages kann bei der Behandlung der Dringlichen Anfragen in einem Tagungsabschnitt insgesamt eine Zusatzfrage stellen. Zusatzfragen dürfen nicht verlesen werden. Sie müssen zur Sache gehören und dürfen die ursprüngliche Frage auch nicht auf andere Gegenstände ausdehnen. Die Zusatzfragen müssen knapp und sachlich sagen, worüber Auskunft gewünscht wird. Anfragen, durch deren Inhalt der Tatbestand einer strafbaren Handlung begründet wird oder die Werturteile oder parlamentarisch unzulässige Wendungen enthalten, sind unzulässig. Ich weise noch einmal besonders darauf hin, dass einleitende Bemerkungen zu den Zusatzfragen nach der jetzt geltenden Regelung nicht mehr zulässig sind.
Umgang der Polizei mit Neonazis/Neofaschisten und antifaschistischem Widerstand in Südniedersachsen und im Südharz - Anfrage der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/119
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schön, am „Tag der Befreiung vom Faschismus“ eine solche Anfrage im Landtag stellen zu können. Wir sollten den 8. Mai nicht vergessen.
Nach den regionalen Protesten antifaschistischer Bündnisse, dem daraus folgenden Verbot der FAP und der Ausweisung ihres damaligen Vorsitzenden Karl Polaczek nach Österreich schenkte das niedersächsische Innenministerium der neofaschistischen Szene in Niedersachsen und speziell in Südniedersachsen eine abnehmende Aufmerksamkeit.
Allerdings haben sich Südniedersachsen und der Südharz in den letzten Jahren zu einer Schwerpunktregion der Neofaschisten für den Aufbau
rechtsradikaler Strukturen entwickelt. Insbesondere im Südharz greifen Neofaschisten auf ein Netz von Immobilien, Kneipen, Läden und stillen Geldgebern zurück. Von dieser Basis aus sind die Nazis in der Lage, regionale und überregionale Aktivitäten mit rechtsextremistischem Hintergrund zu planen und umzusetzen. Allein in Bad Lauterberg konnte die NPD bei den niedersächsischen Landtagswahlen am 27. Januar 2008 ihr bestes Ergebnis in Niedersachsen erzielen und zog in den Rat der Stadt ein.
Am 26. April 2007 durchsuchte die Polizei etwa 30 Wohnungen und Objekte von Neonazis, darunter auch eine Wohnung in Northeim. Hintergrund waren Ermittlungen wegen Bildung bewaffneter Gruppen und Verstößen gegen das Waffengesetz, nachdem während eines Sommerlagers der sogenannten Heimattreuen deutschen Jugend (HdJ) mit Schusswaffen posiert wurde.
Am 30. Oktober 2007 fanden auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main zeitgleich Hausdurchsuchungen bei den Naziliedermachern und NPD-Landtagskandidaten Michael und Annett Müller in Bad Lauterberg sowie beim NPD-Bundesvorstandsmitglied und sogenannten Führer der Kameradschaft Northeim, Thorsten Heise, in Fretterode statt. Bei Letzterem sind dabei Schusswaffen sichergestellt worden, und ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz ist eingeleitet worden.
Am 19. Januar 2008 demonstrierte ein überparteiliches Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen mit über 700 Antifaschistinnen und Antifaschisten friedlich gegen die erstarkenden Neonazistrukturen im Südharz. Ein massives Polizeiaufgebot behinderte die Anreise zur und den Verlauf der Demonstration erheblich. Während Antifaschisten und Antifaschistinnen fotografiert und verfolgt wurden, konnten Anhänger der sogenannten Anti-Antifa Demonstrierende ungehindert filmen und fotografieren.
1. Welche Erkenntnisse gibt es über einen gezielten Zuzug von Neonazis in den Landkreis Osterode, um aller Voraussicht nach der erklärten Neonazistrategie einer sogenannten national befreiten Zone nachzugehen?
2. Welche Erkenntnisse lassen den niedersächsischen Minister für Inneres und Sport, Uwe Schünemann, zu der u. a. am 7. November 2007 im Göttinger Tageblatt veröffentlichten Aussage kom
men: „Viele Rechtsextreme haben eine hohe Affinität zu Waffen. (…) Ob und inwieweit sie diese Waffen allerdings zum politischen Kampf einsetzen, müssen die Ermittlungen zeigen“?
3. Wie konnte die Polizei am 19. Januar 2008 in Bad Lauterberg das Verdecken von Teilen des Gesichts z. B. mit Sonnenbrillen unterbinden, durchsetzen und Verfahren gegen Antifaschisten einleiten, während Fotografen und Filmer der sogenannten Anti-Antifa hinter den Polizeikräften stehend ungehindert Demonstranten gezielt abfotografieren und filmen konnten, obwohl die Einsatzleitung der Polizei darauf aufmerksam gemacht wurde?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Niedersachsen stellt die konsequente Bekämpfung des Rechtsextremismus einen bedeutenden Schwerpunkt der Arbeit der Landesregierung dar. Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Phänomenbereich „Rechts“ werden nachdrücklich und unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten verfolgt. Mit der Rahmenkonzeption zur Intensivierung der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und sonstiger Politisch Motivierter Kriminalität (rechts) wurde ein wirkungsvolles Werkzeug zur Bekämpfung des Rechtsextremismus geschaffen, welches umfangreiche Leitlinien, Ziele und Maßnahmen für die Polizei formuliert.
Diese Konzeption ist von einer sehr niedrigen Einschreitschwelle für polizeiliche Maßnahmen und einem hohen Repressionsdruck geprägt. Sie gilt nicht nur für die spezialisierten Beamtinnen und Beamten des polizeilichen Staatsschutzes, sondern bietet auch im Rahmen des Einsatz- und Streifendienstes dezidierte Handlungsrichtlinien. Darüber hinaus enthält die Rahmenkonzeption eine Sammlung typischer Sachverhalte, u. a. im Zusammenhang mit rechten Veranstaltungen, rechter Symbolik oder Musik und der Darstellung damit verbundener möglicher Rechtsverstöße und in Betracht kommender polizeilicher Eingriffsmaßnahmen.
Die Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich der Politisch Motivierten Kriminalität (rechts) in der für den Bereich Südniedersachsen und Südharz zu
ständigen Polizeiinspektion Northeim/Osterode ist im Vergleich zum Vorjahr 2006 - 76 Fälle - im Jahr 2007 auf 61 Delikte gesunken.
Auch bei den Gewaltdelikten hat es eine Abnahme gegenüber dem Vorjahr gegeben. Diese Entwicklung, also die Abnahme der Straftaten einschließlich der Gewaltdelikte in diesem Phänomenbereich, ist auch im Bereich der gesamten Polizeidirektion Göttingen festzustellen.
Präventions- und Aufklärungskonzepte der niedersächsischen Sicherheitsbehörden, die sich landesweit und flächendeckend bewährt haben, entfalten ihre Wirkung auch im Raum Südniedersachsen und Südharz. In sinnvoller Ergänzung dazu hat die Polizeidirektion Göttingen im November 2007 in der örtlich zuständigen Polizeiinspektion Northeim/Osterode u. a. mit dem Ziel, eine mögliche Verfestigung rechter Strukturen durch noch intensivere repressive und präventive Maßnahmen vor Ort zu verhindern, einen regionalen Schwerpunkt gesetzt und eine spezielle Ermittlungsgruppe eingerichtet.
Darüber hinaus war die Wanderausstellung „Demokratie schützen - Verfassungsschutz gegen Rechtsextremismus“ des Niedersächsischen Verfassungsschutzes in der Zeit vom 16. April bis 27. April 2007 in Osterode zu sehen. Sie wurde von gut 1 000 Schülern, zum überwiegenden Teil aus dem berufsbildenden Bereich, besucht.
Im Weiteren wurden Angehörige der Ratsfraktionen, Vereinsfunktionäre und Lehrer von Vertretern des Verfassungsschutzes und der Polizei in Hinsicht auf den Umgang mit Rechtsextremisten gezielt beraten. Die Niedersächsische Landesregierung geht im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten, auch unter Einsatz von erheblichen Personalressourcen, konsequent und erfolgreich gegen rechtsextremistische Bestrebungen vor. Deutlich wird dies z. B. in der Verhinderung der Nutzung des sogenannten Heisenhofes in Dörverden durch Rechtsextremisten, dem nachhaltigen Vorgehen der Polizei gegen Mitglieder des Führungskaders der ehemaligen Kameradschaft Nationale Offensive Schaumburg sowie der Verhinderung der Fortsetzung einer verbotenen NPD-Demonstration in Lüneburg mit dem Mittel des Unterbindungsgewahrsams.
Die Betrachtung sowohl des bislang registrierten Straftatenaufkommens im Bereich der PMK (rechts) als auch der Gesamtlage in diesem Phänomenbereich lassen aus Sicht der niedersächsischen Sicherheitsbehörden nicht den Schluss zu,
dass die im südniedersächsischen Raum bzw. in der Südharzregion festgestellten rechtsextremistischen Bestrebungen einen Schwerpunkt mit landesweiter Bedeutung darstellen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass in dieser Hinsicht ein entsprechender Impuls von der Region ausgeht.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich im Namen der Landesregierung die Fragen der Fraktion DIE LINKE wie folgt:
Zu 1: Im Bereich Osterode, insbesondere in der Gemeinde Bad Lauterberg, lag ein Schwerpunkt des NPD-Wahlkampfes. Die von der NPD entfalteten Aktivitäten waren nach Einschätzung des Verfassungsschutzes nicht davon geleitet, eine „national befreite Zone“ zu schaffen. Wenn dies jedoch so gewesen wäre, hätte die Niedersächsische Landesregierung dies nicht zugelassen und alle Möglichkeiten ausgeschöpft, dies zu verhindern.
Auch von einem strategisch geplanten Zuzug von Neonazis in den Bereich Osterode kann nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes nicht die Rede sein. Auch der in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Umzug der rechtsextremistischen Liedermacher Annett und Michael Müller von Rheinland-Pfalz nach Bad Lauterberg ändert an dieser Einschätzung nichts. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes sind die anderen in der Region aktiven Rechtsextremisten hingegen dort seit vielen Jahren ansässig oder auch dort gebürtig.
Zu 2: Die Bundesregierung hat in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Kersten Naumann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE im Juli 2007 die in Sicherheitskreisen unbestrittene Feststellung öffentlich publiziert, dass in der gesamten rechten Szene eine deutliche Affinität zu Waffen feststellbar ist. Waffen werden von Angehörigen der rechtsextremistischen Szene - so die Antwort der Bundesregierung - als Tatmittel zur Bedrohung sowie als Statussymbole angesehen. Diese Einschätzung wird auch von den niedersächsischen Sicherheitsbehörden geteilt. Beispielhaft für das Jahr 2007 ist die Sicherstellung von Schusswaffen am 16. April 2007 in Hörden bei einem Angehörigen der rechtsextremen Szene Bad Lauterbergs sowie von Waffen im Zusammenhang mit Durchsuchungsmaßnahmen der Ermittlungsgruppe „Sommercamp“ am 26. April 2007 anzuführen. Erkenntnisse über eine gezielte Bewaffnung von Rechtsextremisten, um politische Ziele durchzusetzen, liegen derzeit nicht vor.
Zu 3: Gegen polizeilich relevante extremistische Aktivitäten geht die Polizei konsequent vor, unabhängig von der Frage, ob es sich um Rechtsextremismus, Linksextremismus oder extremistische Aktivitäten von Ausländern handelt.
Nach Bericht der Polizeidirektion Göttingen wurde die Demonstration vom 19. Januar 2008 durch Frau Dorothée Menzner (MdB, DIE LINKE) im Namen eines Organisationsbündnisses beim Landkreis Osterode angemeldet. Aufklärungsergebnisse der Sicherheitsbehörden ließen eine klare Gewaltbereitschaft aus dem linken Personenpotenzial und auch mögliche Angriffsziele erkennen.
An der Demonstration nahmen schließlich ca. 650 Personen teil, die zum Großteil mit Bussen aus Göttingen, Hannover und Braunschweig anreisten. Dabei wurden ca. 350 gewaltgeneigte Teilnehmer festgestellt. Sämtliche Busse wurden an stationären Kontrollstellen entsprechenden Kontrollmaßnahmen unterzogen.
(Kreszentia Flauger [LINKE]: Woran sehen Sie das? An den schwarzen Klamotten, oder was? - Zuruf von der CDU: Das sieht man, wenn man aus der Szene kommt! - Heinz Rolfes [CDU]: Unglaublich!)