Protocol of the Session on September 8, 2010

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Meine Damen und Herren, wie ist derzeit die Lage? - Das Land leistet eine Förderung bei den Lernmittelkosten für Empfänger von SGB-II-Leistungen, und zwar zu 100 %. Das ist eine soziale Leistung, zu der sich das Land selbst und aus freien Stücken verpflichtet hat.

Zum Thema Musikschulgebühren kann ich Ihnen einiges erzählen, u. a. aus eigener Praxis: Nicht nur in der Musikschule Emden, sondern in allen Musikschulen

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Das hat- ten wir gestern schon! - Weitere Zuru- fe von der SPD)

ist es üblich, dass Sozialermäßigung gewährt wird, sodass die Gebühren auf bis nahezu Null reduziert werden, wenn Kinder aus Familien kommen, die Sozialhilfeleistungen beziehen.

Die Volkshochschule Hannover - das ist ja gar nicht so weit von hier - bietet für Empfänger von SGB-II-Leistungen Kursgebührenreduzierungen um 100 % an. Ich finde, das ist eine fantastische kommunale Leistung, die als ein Beispiel für viele andere steht. Eine andere, nicht ganz unbedeutende Stadt des Landes Niedersachsen - Oldenburg - hat verdienstvollerweise den OldenburgPass eingerichtet. Damit ist ein ermäßigter Eintritt in Kultureinrichtungen und Museen möglich, Waren des Einzelhandels können zu ermäßigten Preisen erworben werden und Kursgebühren um 100 % reduziert werden. Es sind also viele kommunale und freie Träger unterwegs, die ihre soziale Verpflichtung bereits in der Gegenwart erkennen.

Nun hat uns die Bundesministerin ein Konzept vorgelegt, das nicht nur die eigenständige Berechnung des Basisgeldes für Kinder und Jugendliche enthält, sondern darüber hinaus - wie es das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat - ein Bildungspaket und - ein etwas sperriges Wort - das Schulbasispaket.

Das, was sich hier abzeichnet, meine Damen und Herren, ist gar nicht so weit entfernt von dem Konzept der Bildungsgutscheine, für die sich die FDP seit eh und je eingesetzt hat. Die technischen Fragen einer Chipkarte, verehrter Herr Schwarz, sind dabei völlig unbedeutend. Chipkarten gibt es in vielen Fällen schon. Sie sprechen zwar von Stigmatisierung. In Oldenburg ist dieses Thema aber ganz befriedigend gelöst. Das mag vielleicht keine triviale Frage sein. Aber es ist auf jeden Fall auch keine zentrale Frage.

Es wird darum gehen, den besonderen Bedarf von Kindern im Bildungsbereich durch gezielte Förderung zu decken. Dieser Vorschlag der Bundesministerin gefällt mir schon besser. Denn das ist besser, als erneut sozusagen Pauschalen in den Basissatz zu gießen, sodass bei jeder Familie 6 oder 7 Euro ankommen - egal ob der Mathematiknachhilfeunterricht gebraucht wird oder nicht.

Aber, meine Damen und Herren, ich meine, dass die Jobcenter weder gegenwärtig noch zukünftig in der Lage sind, den Weg durch das kommunale

Kulturangebot zu weisen. Die Kompetenz dafür ist nicht vorhanden, und sie aufzubauen, würde einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern. Die Mitarbeiter in einem Jobcenter können nicht wissen, welche Qualität die örtliche Ballettschule oder der örtliche Sportverein hat. Um diese Qualität festzustellen, bedarf es natürlich einheitlicher Grundsätze. Da stimme ich dem Antragsteller der Aktuellen Stunde ausdrücklich zu: Das darf nicht bürokratisch zugehen. Wichtig ist allerdings auch, dass private Angebote nicht ignoriert werden; denn private Angebote können in den Bereichen Kultur und Sport sehr qualifiziert sein. Ich habe das Beispiel Ballettschule schon genannt. Aber es gibt auch viele andere Beispiele.

Die Bundesförderung für ein Mittagessen in Schulen soll uns hochwillkommen sein, wenn der Bund die Finanzierung leistet. Wir werden allerdings darauf achtgeben müssen, dass eine solche Bundesförderung nicht davon abhängig ist, ob so etwas vor Ort aus örtlichen Mitteln angeboten wird. Die Bundesleistung darf nicht der örtlichen Initiative folgen, sondern wenn ein Anspruch auf ein Mittagessen besteht, dann wird dieser Anspruch überall in gleicher Weise erfüllt werden müssen.

Meine Damen und Herren, wenn die Bundesministerin ankündigt, bei der Förderung dieser besonderen kulturellen und sportlichen Bildungsangebote gesellschaftliches Engagement und bürgerschaftliche Initiative mit einbinden zu wollen, dann ist mir das an der Stelle tatsächlich etwas unheimlich; denn solche Initiativen und solches Engagement leben gerade von freiheitlichen Entscheidungen. Die Koordinierung kann durchaus vor Ort erfolgen, aber durch diejenigen, die diese Leistung selbst erbringen; denn sie alle sind sehr wohl dazu in der Lage.

Etwas Positives und Lobenswertes hat das vorgelegte Konzept der Bundesregierung: Wir wissen, dass bereits im Oktober entsprechende Gesetzesentwürfe vorgelegt werden. Damit unterscheidet sich die gegenwärtige Bundesregierung sehr wohltuend von der rot-grünen Vorgängerregierung, die die Hartz-IV-Gesetze am 24. Dezember - am Weihnachtstage, ganz kurz vor Beginn des neuen Jahres - durch den Bundestag gebracht hat.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Und Sie haben nichts damit zu tun?)

Ich erteile der Kollegin Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Zwischendurch kann ich auch die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind jetzt sieben Monate seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vergangen. Aber statt Regelsätze zu berechnen, hat die Bundesarbeitsministerin bislang vor allem mit der Idee einer Chipkarte medienwirksam in der Republik herumgewedelt. Zu diesem Plan herrscht Skepsis allerorten: der Kinderschutzbund, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die eigene Kollegin Familienministerin, die CSU - alle kritisieren. Auch die Kommunen mögen auf diesen Zug überhaupt nicht aufspringen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das stimmt ja gar nicht! Wenn das Leben so ein- fach wäre!)

Nur Niedersachsen will sich für einen Modellversuch hergeben - vielleicht, weil es ansonsten aus dem Sozialministerium nicht so viel Gutes zu berichten gibt. Es gibt zwar keinen Plan und kein Konzept, niemand weiß so recht Bescheid, aber wir machen erst mal mit. - So könnte man die Haltung der niedersächsischen Sozialministerin in dieser Frage umschreiben. Und der Kultusminister freut sich schon, weil er meint, seinen Haushalt auf diese Art und Weise sanieren zu können.

(Minister Dr. Bernd Althusmann: Nee!)

Noch einmal zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht fordert eine Neuberechnung der Regelsätze und der Kinderbedarfe zum 1. Januar 2011. Diese Berechnung ist Frau von der Leyen bislang aber schuldig geblieben. Hierzu liegt überhaupt nichts vor. Die Frage, wie das Geld dann verteilt wird, ist zunächst zweitrangig. Die Karte wäre doch nur das technische Medium. Viel wichtiger ist: Was ist denn eigentlich drauf und für wen? - Die angekündigten 240 Euro im Jahr reichen ungefähr für eine halbe Stunde Gruppenflötenunterricht pro Woche. Und wenn nur Kinder im HartzIV-Bezug diese Leistungen erhalten, dann sind sie damit erkennbar. Das diskriminiert diese Kinder. Damit sind wir nicht einverstanden.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Was soll dieses zynische Gerede! - Ulf Thiele [CDU]: Das ist nicht zu ertragen!)

Zudem unterstellt Frau von der Leyen, dass diese Eltern das Geld nicht für ihre Kinder ausgeben würden. Geld ist in ihrer Lesart nur etwas für Reiche - Arme können damit nicht richtig umgehen -

(Ulf Thiele [CDU]: Das ist eine Frech- heit!)

und auch nicht mit ihren Kindern. Deshalb soll es auch noch Erziehungsnachhilfe durch Familienlotsen in den Jobcentern geben. Sagen Sie mal: Wie viel bürgerlicher Hochmut spricht eigentlich aus diesem Vorschlag gegenüber den armen Menschen in diesem Land?

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Nebenbei: Diese Aufgabe gehört seit Jahren zum Aufgabenbereich der Jugendämter. Sie haben allerdings keine Mittel mehr, um ihre Tätigkeit bedarfsgerecht auszuweiten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die nächste wichtige Frage ist doch, wo gerade im ländlichen Raum die mit der Chipkarte verbundenen Angebote herkommen sollen. Die Kommunen haben bereits signalisiert, dass sie für zusätzliche freiwillige Angebote angesichts ihrer Kassenlage keinesfalls irgendwelche Möglichkeiten sehen. So gilt: Erst wenn das letzte Schwimmbad, die letzte öffentliche Bibliothek und die letzte Musikschule geschlossen haben, werdet ihr merken, dass die Karte sinnlos ist.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Zuruf von Norbert Böhlke [CDU])

Meine Damen und Herren, grundsätzlich haben wir gar nichts gegen Sachleistungen. Aber zunächst müssen die Zahlen auf den Tisch: erst die Neuberechnung der Bedarfe und dann die Überlegung, welcher Teil als Sachleistung. Frau von der Leyen hat eindeutig den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. Und wenn Sachleistungen, dann für alle Kinder, und zwar am besten in den Kitas und Schulen.

Wir brauchen bessere Bildungschancen, und wir brauchen den Ausbau der Infrastruktur. Wir brauchen Lernmittelfreiheit, gute und kostenfreie Kindertagesstätten, gute Ganztagsschulen für alle - inklusive eines gesunden, regional erzeugten und

kostenlosen Mittagessens und, wenn möglich, auch noch eines Frühstücks für alle Kinder.

(Roland Riese [FDP]: Millionäre?)

Wir brauchen ausreichend Angebote der Jugendhilfe, die die klammen Kommunen jetzt nämlich ausdünnen oder streichen müssen, weil ihnen das Geld fehlt.

Ein Wort noch zum Schluss: Was ich am Vorschlag der Bundesarbeitsministerin besonders schlimm finde, ist, dass die Hartz-IV-Empfänger die vermeintlichen Wohltaten auch noch selbst bezahlen müssen. 480 Millionen Euro sind im Bundeshaushalt für höhere Hartz-IV-Regelleistungen eingestellt. Gleichzeitig wird beispielsweise das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger gestrichen. Das macht allein 440 Millionen Euro aus. Es handelt sich also um ein Nullsummenspiel zulasten der Schwachen. Das ist symptomatisch für die Haushaltspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung. Was die Menschen davon halten, zeigen die Umfragen.

Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich erteile der Kollegin Mundlos von der Fraktion der CDU das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Kind darf verloren gehen.

(Beifall bei der CDU - Oh! bei der SPD)

Darin sind sich alle einig. Es geht um Kinder, es geht um die Zukunft unserer Kinder und damit auch um unser aller Zukunft.

(Johanne Modder [SPD]: Dann tun Sie mal was!)

Geld, das der Staat gibt - das wir alle damit geben -, soll bei den Kindern tatsächlich ankommen und Eltern in die Lage versetzen, gerade auch bei niedrigem Einkommen individuell Bildungsangebote ergänzend anzuwählen.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Sonn- tagsrede!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit ihrer Idee einer Bildungschipkarte hat unsere Bundes

ministerin Ursula von der Leyen die Überlegungen zu Hartz-IV-Reformen in das Interesse der breiten Öffentlichkeit gerückt. Ich finde, das ist gut so.

(Beifall bei der CDU)

Interessant ist, dass die Diskussionsbeiträge - auch wenn das von einigen Teilen hier im Plenum ausgeblendet wird - offensichtlich pro diese Idee sind. Insbesondere unsere Bürgerinnen und Bürger stimmen dem Grundgedanken „Sachleistungen statt Bargeld im Bereich der Bildung“ lebhaft zu, zumal es sich nur um einen Teil der Gesamtleistung handelt. Im Übrigen: Gegen ein Mittagessen in der Schule - ebenfalls eine Sachleistung - hat ja auch niemand etwas einzuwenden.

(Beifall bei der CDU)