Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

Unterstützung findet die Idee bei Caritas, Diakonie, Deutscher Kinderhilfe, Praktikern aus Arbeitsgemeinschaften, Jugendhilfe, Sport, Wirtschaft, Handwerk, Arbeitgeberverbänden, Deutschem Städte- und Gemeindebund und vielen anderen mehr.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit eines klar ist: Dem Gerichtsurteil zu Hartz-IVSätzen bei Kindern ist Rechnung zu tragen, und dem wird auch Rechnung getragen werden. Aber der Grundkonsens, der besteht, konstruktiv, kreativ, kindesorientiert zu handeln, sollte doch stärker sein, als sich in Detailfragen zur Umsetzung zu verlieren. Frau Helmhold, da gebe ich Ihnen ja durchaus recht. Hier muss in der Tat für das Kind gedacht werden, anstatt die Detailfragen der Umsetzung so hoch zu hängen, dass die Kinder dahinter zurückfallen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Allerdings sage ich Ihnen auch Folgendes: Weil Sie die Ganztagsschulen als Alternative für die Infrastruktur hervorgehoben haben, darf ich daran erinnern, dass 2003, als wir die Regierung übernommen haben, nur ein Zehntel der Ganztagsschulen vorhanden waren, die es heute gibt. Die Landesregierung hat also eine Menge für die Infrastruktur getan - gerade im Bildungsbereich.

(Beifall bei der CDU)

Der Grundkonsens „Hilfen und Sachleistung vor Bargeld für Bildung“ - ich betone „für Bildung“ ausdrücklich - wird von einer breiten Öffentlichkeit getragen und sollte uns auch über Parteien hinweg einen. Auch in den Reihen von SPD-Politikern gibt es da im Übrigen Zustimmung. Ich nenne nur den Berliner Bürgermeister Heinz Buschkowsky, der

sicherlich gerade in Berlin auch einen großen Erfahrungshorizont hat. Er sagt:

„Das ist ein mutiger Schritt. Deutschland gibt von allen OECD-Staaten das meiste Geld für Familienförderung. Mit dem Erfolg ist es nicht so weit her.“

Außerdem sagt er - das kann man unterschreiben -:

„Ob Gutscheine oder Chipkarte - Hauptsache, wir investieren endlich direkt in die Kinder und nicht in das Familienbudget.“

(Beifall bei der CDU)

Und er fügt an:

„Das macht man in ganz Europa so, nur nicht hier.“

Ich finde, der Mann hat recht.

(Zuruf von Uwe Schwarz [SPD])

Wir haben es doch gemeinsam geschafft, lieber Kollege Schwarz, die Kinderrechte in die Niedersächsische Verfassung aufzunehmen. Wir sollten den Grundkonsens „pro Kinder“ nicht durch Umsetzungsfragen zerreden. Ich glaube, das ist kontraproduktiv. Hier soll ein Umdenken hin zu einer neuen, zielorientierten Kinder- und Familienpolitik stattfinden. Das ist gut, und das ist richtig. Sachleistungen, die direkt bei den Kindern ankommen, bedeuten Chancengerechtigkeit.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was dann passiert und passieren soll, ist auch eine logische Konsequenz der von uns allen erreichten verfassungsmäßig garantierten Kinderrechte, damit am Ende klar sein kann: Kein Kind geht verloren.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile dem Kollegen Humke-Focks von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Anmerkung zu Ihnen, Herr Riese, der Sie die Sozialkarten wie die Oldenburg-Karte hervorgehoben haben: Diese Karten gibt es in einigen Kommunen. Gerade dort, wo es entweder rot-grüne oder rot-rot-grüne Mehrheiten gibt bzw. wo sich die

Stimmenverhältnisse entsprechend abbilden, findet man so etwas.

(Beifall bei der LINKEN - Hans- Werner Schwarz [FDP]: Nicht nur dort!)

Das ist den staatlichen Versäumnissen geschuldet. Trotz der klammen Haushaltsmittel der Kommunen versucht man krampfhaft, dies aufzufangen. Das ist der Grund. Hier müsste nämlich das Land Niedersachsen oder der Staat in Leistung treten. Man darf das nicht auf die Kommunen abwälzen. - Das wollte ich Ihnen noch einmal gesagt haben.

Bei der Aktuellen Stunde geht es aber um das vom Bundesverfassungsgericht definierte Recht aller Menschen auf ein Maß an Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Leben in dieser Gesellschaft. Dazu gehören in allervorderster Linie - ich denke, darüber diskutieren wir in diesem Zusammenhang - das Recht auf einen gleichberechtigten Zugang zur Bildung und die damit verbundene Möglichkeit, einen entsprechend hohen Bildungsabschluss erreichen zu können.

Im Zuge dieser Debatte hatte nun Ministerin von der Leyen die Idee der Einführung einer sogenannten wiederaufladbaren Bildungschipkarte. Mithilfe dieser Karte sollen Kinder und Jugendliche Bildungs-, Freizeit- und Kulturangebote wahrnehmen können. Den Eltern aber das Geld für derartige Programme in die Hand zu geben, geht ja nicht, da der gemeine Hartz-IV-Empfänger nach Ihrer Lesart das Mehr an Geld eher in Tabak und Alkohol umsetzen würde und die verarmten Kinder eben leer ausgingen. Das ist Ihre Lesart. Sonst käme man nicht auf solche Ideen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, Sie können jetzt kurz unterbrechen. - Meine Damen und Herren, Sie müssen ja die Auffassung des Redners nicht teilen; aber zuhören sollten Sie ihm.

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich denke, das muss man der rechten Seite dieses Hauses immer wieder sagen.

(Martin Bäumer [CDU]: Das kam von da drüben!)

Ich darf Sie korrigieren: Es war eine allgemeine Unruhe im Plenarsaal.

(Björn Thümler [CDU]: Vor allen Din- gen von links!)

Ohne Zynismus ausgedrückt - Sie sind ja in Ihren Redebeiträgen sehr oft sehr zynisch, wenn es um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen ohne Einkommen geht -:

(Christian Dürr [FDP]: Sie sind zy- nisch!)

Frau von der Leyen stellt erst einmal die Leistungsempfängerinnen und -empfänger unter Generalverdacht. Es geht Ihnen aber - das muss ich ganz klar sagen - offensichtlich auch um die Lufthoheit an den Stammtischen. Das lehnen wir Linke ab.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU)

Um die Kinder geht es Ihnen leider nicht. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass diese Karte mit einem Betrag ausgestattet wird, der dem - - -

(Unruhe)

- Nun hören Sie endlich einmal zu!

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Sie unterstellen, mit dem dort vorgesehenen Betrag das ausgleichen zu können, was an Defiziten in dieser Gesellschaft vorhanden ist, nämlich endlich einmal in den Zoo zu gehen - das ist das Beispiel -, Instrumente zu lernen, Nachhilfeunterricht zu finanzieren oder Beiträge zum Sportverein zu leisten. Das reicht in keinster Weise aus. Überlegen Sie einmal objektiv, was Sie mit den in der Debatte stehenden 300 Euro pro Jahr anfangen können! Reicht das wirklich aus, um die gleiche Bildung zu bekommen, die die Millionärstochter von der Leyen in ihrer Jugend genossen hat? - Wir sagen Nein.

(Zurufe von der CDU)

Wir Linke halten derartige Regierungsvernebelungsschwaden für zynisch

(Anhaltende Zurufe von der CDU)

- da können Sie dazwischenpöbeln, wie Sie wollen -

(Beifall bei der LINKEN)

und für ein Ablenkungsmanöver im Hinblick auf den eigentlichen Auftrag des Bundesverfassungsgerichts. Es geht um die Neuberechnung und Aufstockung des tatsächlichen Bedarfs an Bildung und Teilhabe. Das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen.

Die FAZ hat die Bildungschipkarte in ihrem Netzauftritt am 21. August 2010 sehr schön kommentiert. Die FAZ steht nicht im Verdacht, ein Kampfblatt der Linken zu sein, sondern sie ist eigentlich eher Ihr Ideologieorgan.

(Heinz Rolfes [CDU]: Das wird immer schlimmer! Nicht zu glauben!)

Die FAZ kommentiert, die ersten Gewinner dieser Chipkarte seien die Apparatebauer, die die Lesegeräte herstellen, weil jeder Nachhilfelehrer und jeder Sportverein für rund 250 Euro so ein Gerät kaufen müsse, damit darüber überhaupt Leistungen abgerechnet werden könnten. Des Weiteren wird festgestellt, dass die Betonung des Projekts „Bildungschipkarte“ auf dem Begriff „Chip“ liege und nicht auf dem Begriff „Bildung“. Der Artikel in der FAZ schließt mit der Bemerkung - ich zitiere -:

„Wie viel braucht ein Kind an finanzieller Unterstützung, um in der Schule und in der Freizeit mithalten zu können? Das war der Untersuchungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts. Dazu trägt der Bildungschip so viel bei wie die Menükarte zum Sattwerden.“