Protocol of the Session on November 10, 2010

Login to download PDF

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Mithin dürfte die Ablehnung ausschließlich auf Gründe der Koalitionsräson zurückzuführen sein, wobei die Bremser in diesem Fall auf der konservativen CDU-Seite zu sitzen scheinen.

Meine Damen und Herren, manchmal geht es in der Politik um das Bohren dicker Bretter, und wenn es auch nur die Bretter vor manchen Köpfen sind.

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Vor- sichtig, mein Lieber!)

- Es brauchen sich ja nur diejenigen angesprochen zu fühlen, die sich den Schuh anziehen müssen.

CDU und FDP entlarven jedenfalls ihre integrationspolitischen Beteuerungen heute wieder einmal

als reine Lippenbekenntnisse. Wir werden weiter bohren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Ich erteile Frau Kollegin Lorberg von der CDUFraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Wochen eine ernüchternde Debatte über Integration in unserem Land verfolgen können. In dieser Debatte ist sehr deutlich geworden, dass in der Integrationspolitik häufig der dritte Schritt vor dem ersten oder zweiten Schritt gegangen wird. Gerade Sie von SPD, Grünen und Linken machen das ja mit unermüdlichem Einsatz.

Dabei registrieren Sie die Interessen der Mehrheit in unserem Land nicht. Sehr viele Menschen in unserem Land fühlen sich mit dieser Art der Integrationspolitik völlig überfordert. Sie sind besorgt und fordern zu Recht eine sensible und gut überlegte Integrationspolitik.

Die Menschen in unserem Land stehen für Zuwanderung. Sie sind weitestgehend davon überzeugt, dass Zuwanderung sinnvoll und notwendig ist. Diese Erkenntnisse kommen nicht von den Politikern. Nicht Politiker haben sich das ausgedacht und haben das verkündet, sondern es ist eine wahrnehmbare Mehrheit in unserer Gesellschaft. Ich denke, das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.

(Zustimmung bei der CDU)

Sie fordern die Streichung des Optionszwanges und wollen generell eine doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen. Dabei ist schon der Begriff „Zwang“ völlig fehl am Platz; denn es handelt sich hierbei nicht um einen Zwang, sondern um eine Pflicht, die sogar zwei Möglichkeiten offen lässt. Es hat einmal eine Zeit gegeben, in der gerade auch die SPD diese Pflicht für richtig empfunden hat.

Meine Damen und Herren, gerade Sie von der SPD, haben Sie sich einmal die Konsequenzen aus dieser Forderung genau überlegt?

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Sind Sie immer noch auf dem gedanklichen Trip, dass man die Integration quasi in die Wiege gelegt bekommt, wenn man in Deutschland geboren wird,

und dass das, was nicht von allein passiert, dann der Staat richtet - koste es, was es wolle? Wenn Sie immer noch die Augen davor verschließen, dass das nicht funktioniert, dann haben Sie wirklich etwas verpasst.

Erkennen Sie denn nicht, dass die Einbürgerung immer erst am Ende der Integration stehen muss? Sie können uns nicht davon überzeugen, dass eine doppelte Staatsangehörigkeit positive Auswirkungen auf die Integration an sich hat. Wenn es denn so wäre, dürfte es bei den Optionspflichtigen keinerlei Probleme hinsichtlich der Integration geben. Dass das nicht so ist, erleben wir tagtäglich.

Wer sich gut integriert, die Sprache beherrscht, unsere Gesetze beachtet, Bildungsangebote annimmt, auf dem Arbeitsmarkt angekommen ist und sich damit als Teil unserer Gesellschaft fühlt, sagt sehr häufig Ja zur Einbürgerung und damit auch Ja zu Deutschland. Darauf setzen wir.

Die Handlungsfelder Sprache, Bildung und Arbeit müssen wir weiterhin ausbauen und stärken; denn die Defizite werden nicht durch eine doppelte Staatsbürgerschaft aus dem Weg geräumt. Das müssen auch Sie vielleicht einmal zur Kenntnis nehmen.

Ein junger Mensch, der sich zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahr für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheidet, kehrt damit keinesfalls seiner eigenen Kultur den Rücken, so wie Sie es gerne darstellen wollen.

In Ihrem Antrag schreiben Sie von den hier geborenen Jugendlichen, die hier ihre Heimat haben und ihre Lebenswirklichkeit finden. So weit, so gut, Herr Jüttner. Aber dann schreiben Sie davon, dass diese Jugendlichen in einen Konflikt geraten, da sie sich den kulturellen Traditionen ihrer Eltern verpflichtet fühlen, und dass die alleinige Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit als Akt der Abkehr von Traditionen missverstanden werden könnte.

Das muss man sich einmal genau durch den Kopf gehen lassen. Das wirft doch die Frage auf, wie ernst die Personen die Integration nehmen, wenn sie ihre in Deutschland geborenen Kinder missverstehen, wenn diese sich nach Eintritt der Volljährigkeit für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden möchten, wenn sie ihnen damit unterstellen, sich von der Kultur und von den Traditionen abzuwenden.

An dieser Stelle wird doch sehr deutlich, dass einmal wieder der erste und der zweite Schritt über

haupt noch nicht gegangen worden sind, während Sie hier schon den dritten fordern. Meine Damen und Herren, den dritten Schritt vor dem ersten und zweiten zu tun hätte fatale Folgen.

(Dr. Silke Lesemann [SPD]: Warum geht das in anderen EU-Ländern? Warum geht das nicht bei uns?)

Die deutsche Staatsbürgerschaft ist mit Pflichten, aber auch mit weitreichenden Rechten innerhalb der Solidargemeinschaft verbunden. Daher sehen wir es als zumutbar an, dass ein junger Mensch nach Eintritt der Volljährigkeit und weiteren fünf Jahren der Selbstfindung eine Entscheidung treffen muss, ob er die deutsche Staatsangehörigkeit annimmt oder ob er die von den Eltern abgeleitete Staatsangehörigkeit für sich übernehmen möchte.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Das ist ein Prüf- auftrag! Das hört sich so an, als wäre die Prüfung schon abgeschlossen!)

Herr Poppe, Sie haben auch die EU-Bürger genannt, die binationalen Ehen werden auch immer wieder angeführt. Man muss vielleicht einmal im EU-Recht nachlesen; denn dann würde einem klar, wo der Unterschied liegt. Wenn wir die binationalen Ehen sehen: Da liegt der Unterschied ganz klar bei 50 %; denn ein Elternteil ist deutsch, das andere hat eine ausländische Herkunft. Auch da sehen Sie also einen ganz klaren Unterschied.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Wo ist der Un- terschied? Das Blutsrecht haben wir abgeschafft, Frau Lorberg - zum Glück!)

Versuchen Sie also nicht, alles über einen Kamm zu scheren; denn das wäre hier in dieser Auseinandersetzung völlig fehl am Platz.

Sie haben sicherlich die Debatte im Bundestag zur Abschaffung der Optionspflicht verfolgt und festgestellt, dass es der CDU nicht darum geht, diese zugunsten einer dauerhaften doppelten Staatsbürgerschaft abzuschaffen, sondern vielmehr um eine Überprüfung und gegebenenfalls um eine Nachbesserung.

Beispielsweise muss geklärt werden, was mit den Optionspflichtigen ist, die unser Land für immer verlassen und vor Vollendung ihres 23. Lebensjahres in dem Land, in dem sie dann leben, wiederum Kinder bekommen, die dann aber automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit haben, obwohl sie überhaupt nichts mit Deutschland zu tun haben und hier auch nicht leben.

Meine Damen und Herren, das sind Fragen, die dringend geklärt werden müssen.

Wir begrüßen generell die Einbürgerung der dauerhaft in Deutschland lebenden Ausländer. Wir begrüßen auch die Entscheidung vieler junger Menschen, die hier geboren werden und nach ihrer Volljährigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen. Sie sind uns herzlich willkommen. Am Ende des Integrationsweges werden dadurch noch einmal die gesellschaftliche Teilhabe und die politische Mitgestaltung optimiert. Das ist bereits so belegbar.

Wir sprechen uns klar für eine Weiterentwicklung der Integrationspolitik aus, und wir möchten, dass wir auf dem Integrationsweg sowohl die Einheimischen als auch die Zuwandernden mitnehmen.

Wir lehnen die Abschaffung der Optionspflicht ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile der Kollegin Polat von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Lorberg, ich gebe Ihnen recht, dass wir in der Integrationsdebatte die Bevölkerung mitnehmen müssen. Darüber sollten wir wirklich reden.

Aktuell wurden dazu Studien von der FriedrichEbert-Stiftung oder auch von dem bekannten Soziologen Heitmeyer veröffentlicht. Diese Ergebnisse zeigen, dass in der deutschen Bevölkerung sehr erschreckende rechtsextreme Einstellungen bestehen. So hat die Friedrich-Ebert-Stiftung beispielsweise ermittelt, dass sich jeder zehnte Deutsche einen Führer zurückwünscht. Oder: Bis zu 50 % sagen, dass die Ausländer den Deutschen die Arbeit wegnehmen oder dass Deutschland überfremdet wird.

(Unruhe)

Sie haben recht, dass wir die Deutschen, die Aufnahmegesellschaft, mitnehmen müssen, aber nicht so, wie es die Seehofers und Kochs in Bayern und Hessen gemacht haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Konservative Integrationspolitik - das wiederhole ich in jeder Debatte gerne - endet regelmäßig dort, wo es darum geht, Migrantinnen und Migranten Rechte an die Hand zu geben, meine Damen und Herren. Bündnis 90/Die Grünen wollen keine Deutschen mit Verfallsdatum!

(Jens Nacke [CDU]: Frau Polat!)

Bündnis 90/Die Grünen wollen keine Immigranten erster, zweiter und dritter Klasse!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)