Protocol of the Session on June 5, 2008

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Ich eröffne die 9. Sitzung im 4. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode und stelle die Beschlussfähigkeit fest.

Geburtstag hat heute der Justizminister und Abgeordnete Bernhard Busemann. Herzlichen Glückwunsch im Namen des ganzen Hauses!

(Beifall)

Zur Tagesordnung. Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 12, Dringliche Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort.

Die heutige Sitzung soll gegen 18.30 Uhr enden.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst - bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr - wird erinnert.

Es folgen jetzt geschäftliche Mitteilungen durch den Schriftführer.

Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung der Minister für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung, Herr Ehlen, sowie von der Fraktion der FDP Frau Meißner von 10.30 Uhr bis 16.30 Uhr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gesundheit ist ein hohes Gut. Ich glaube, wir sollten heute Morgen die Gelegenheit nutzen, Herrn Minister HansHeinrich Ehlen fraktionsübergreifend gute Genesungswünsche zu übermitteln. Das wäre mein Wunsch. Ich bin davon überzeugt, dass das ganze Haus das so sieht.

(Beifall)

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 12:

Dringliche Anfragen

Es liegen drei Dringliche Anfragen vor.

Bevor ich die einzelnen Anfragen aufrufe, möchte ich daran erinnern, dass für die Behandlung Dringlicher Anfragen nach der im April 2008 beschlossenen Änderung der Geschäftsordnung folgende Regeln gelten:

Jede Fraktion kann bis zu vier Zusatzfragen stellen. Ein fraktionsloses Mitglied des Landtages kann bei der Behandlung der Dringlichen Anfragen in einem Tagungsabschnitt insgesamt eine Zusatzfrage stellen. Zusatzfragen dürfen nicht verlesen werden. Sie müssen zur Sache gehören und dürfen die ursprüngliche Frage nicht auf andere Gegenstände ausdehnen. Zusatzfragen müssen knapp und sachlich sagen, worüber Auskunft gewünscht wird. Anfragen, durch deren Inhalt der Tatbestand einer strafbaren Handlung begründet wird oder die Werturteile oder parlamentarisch unzulässige Wendungen enthalten, sind unzulässig. Ich weise besonders darauf hin, dass einleitende Bemerkungen zu den Zusatzfragen nach der jetzigen Regelung nicht mehr zulässig sind.

Ich rufe die erste Dringliche Anfrage auf, und zwar Tagesordnungspunkt 12 a:

Handlungsbedarf zur Sicherung sozialer Standards im EU-Recht und des Lohnniveaus im niedersächsischen Baugewerbe - Anfrage der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/207

Dazu erteile ich der Abgeordneten Flauger von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs in den Fällen VW-Gesetz, Viking, Laval/Vaxholm und Rüffert fielen auf Basis der bestehenden EUGesetzgebung jeweils zugunsten der Grundfreiheiten des Kapitals im Binnenmarkt und zuungunsten der sozialen Grundrechte aus. In Sachen VWGesetz sah der Europäische Gerichtshof in der besonderen Ausgestaltung der Unternehmensverfassung eine unzulässige Beeinträchtigung der Kapitalverkehrsfreiheit. Im Viking-Urteil wurde die Ausübung des Streikrechts zum Erhalt finnischer Arbeitsplätze und von Löhnen auf finnischem Niveau, die durch eine geplante Umflaggung nach Estland gefährdet waren, als unzulässige Einschränkung der Niederlassungsfreiheit beurteilt. Im Fall Laval/Vaxholm entschied der EuGH, dass Streiks mit dem Ziel eines Tarifvertrages, der über dem Mindestschutz der Entsenderichtlinie liegt, eine unzulässige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellen. Im Fall Rüffert wurden vom EuGH Regelungen des niedersächsischen Landesvergabegesetzes zur Tariftreue als unzulässige

Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit gewertet.

Während von den in Artikel 20 des Grundgesetzes gewährleisteten und nach Artikel 79 des Grundgesetzes unabänderlichen Verfassungsgrundsätzen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ausdrücklich in die Grundwerte der Union aufgenommen werden - Artikel 2 EUV -, wird die Sozialstaatlichkeit im Vertrag von Lissabon nicht verankert. Ohne präzisierende und konkretisierende weitere primärrechtliche Regelungen könnte der Europäische Gerichtshof in seiner Urteilsfindung also weiterhin wirtschaftliche Grundfreiheiten über soziale Grundrechte stellen.

Niedersachsen steht mit in der Verantwortung für ein soziales und damit von den Menschen akzeptiertes Europa. Ein Europa, in dem Streikrecht, Tarifautonomie, angemessene Löhne und Schutzrechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinter der Niederlassungs-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit zurückstehen müssen, wird von den Gewerkschaften nicht akzeptiert und von den Menschen als Bedrohung empfunden. Dieses Gefühl von Bedrohung wird schon jetzt von rechten Kräften für eine europafeindliche, nationalistische Propaganda missbraucht.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, durch Bundesratsinitiativen darauf zu drängen, die Wirkungen des EuGH-Urteils zum niedersächsischen Landesvergabegesetz dadurch aufzuheben, dass die für das Baugewerbe einschlägigen Tarifverträge für allgemein verbindlich erklärt werden?

2. Was wird die Landesregierung tun, damit die Bundesregierung schnellstmöglich Initiativen für eine Regelung auf EU-Ebene ergreift, die verhindert, dass Lohndumping und der Abbau sozialer Schutzrechte Wettbewerbsvorteile bei öffentlichen Aufträgen werden?

3. Wie kann vor dem Hintergrund des wahrscheinlich bald in Kraft tretenden Lissabon-Vertrages gesichert werden, dass damit soziale Grundrechte gegenüber wirtschaftlichen Grundfreiheiten auf EU-Ebene nicht als nachrangig behandelt werden, und welche Initiativen gedenkt die Landesregierung über den Bundesrat diesbezüglich zu ergreifen?

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. - Ich bitte jetzt die Landesregierung um ihre Stellungnahme. Herr Minister Hirche!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Erstaunen entnehme ich dem langen Vorspann Ihrer Anfrage die Aufregung der Linksfraktion um die Akzeptanz Europas bei den Bürgern. Sie sagen, dass ein diffuses „Gefühl von Bedrohung … schon jetzt von rechten Kräften für eine europafeindliche, nationalistische Propaganda missbraucht“ werde. Das ist leider richtig. Sie sagen aber nicht, dass Sie selbst mit dem Tenor dieser Anfrage, vor allem aber Ihr Bundesvorsitzender Lafontaine mit seinen Äußerungen vor der MarxBüste in Chemnitz zu den Brandstiftern im Herzen Europas gehören.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Hans-Henning Adler [LIN- KE]: Unverschämtheit! - Weitere Zuru- fe von der LINKEN - Gegenruf von David McAllister [CDU]: Das ist genau richtig!)

Ihr Bundesvorsitzender betrachtet es als Staatspflicht, „Familienväter und Frauen“ davor zu schützen, dass „Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen“.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Unglaub- lich!)

Diese Unsäglichkeiten, die man sonst nur von der rechten Seite kennt, sind in Ihren Reihen anscheinend akzeptabel, wenn es gilt, am rechten und linken Rand gleichzeitig Stimmen zu fangen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Antwor- ten Sie auf die Anfrage!)

Ihre heutige Anfrage ist nicht von der Sorge um die sozialen Bedingungen der Arbeitnehmer getragen, sondern von Ressentiments gegen Europa,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

von dem Wunsch nach Ausgrenzung nichtdeutscher Europäer, nach Abschottung unseres Landes.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ist eine unzutreffende Unterstellung!)

Sie wollen keine Freizügigkeit innerhalb Europas, jedenfalls nicht für die Bürger der neuen Beitritts

länder. Es ist traurig, dass ich das im Niedersächsischen Landtag vorausschicken muss,

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

bevor ich die Anfrage namens der Landesregierung beantworte.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

Zu 1 und 2: Für die Niedersächsische Landesregierung ist es nicht nachvollziehbar, inwieweit aufgrund der von den Fragestellern zitierten Entscheidungen des EuGH, insbesondere auch der RüffertEntscheidung, nunmehr in Deutschland und Niedersachsen Lohndumping und allgemein der Abbau sozialer Rechte drohen.

Konkret für das hier zitierte Baugewerbe darf ich die Fragesteller darauf hinweisen, dass ein bundesweit für allgemeinverbindlich erklärter und damit auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Entsendestaaten geltender Mindestlohntarifvertrag existiert und dass ein Mindestlohn, der für Fachkräfte in Ostdeutschland 9,80 Euro und in Westdeutschland 12,50 Euro beträgt, wohl kaum als Dumpinglohn bezeichnet werden kann.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Sie ha- ben das Urteil nicht verstanden!)

Mit ihm werden Lohnuntergrenzen gezogen, um Lohndumping als Wettbewerbsvorteil gerade zu verhindern.

Bezüglich der angesprochenen allgemeinen sozialen Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bedarf es darüber hinaus nur eines kurzen Blicks in die immer umfangreicher werdenden Sammeltexte zum europäischen Arbeitsrecht. Sie werden feststellen, dass der Umfang und die Anzahl an EU-Verordnungen und -Richtlinien zum Arbeitsvertrag, zur sozialen Sicherheit, zum Arbeitsschutz usw., die in den Mitgliedstaaten entweder direkt oder nach der Umsetzung in nationales Recht Anwendung finden, nicht geringer, sondern immer größer werden. Anzeichen für einen drohenden Abbau sozialer Rechte sind nicht erkennbar. Die Landesregierung sieht deshalb auch keine Veranlassung, in der von den Fragestellern formulierten Weise aktiv zu werden.

Zum geforderten Drängen auf die Allgemeinverbindlichkeitserklärung der für das Baugewerbe einschlägigen Tarifverträge erlaube ich mir abschließend den Hinweis, dass dies nach geltendem Recht - das sollten Sie eigentlich wissen - nicht von Amts wegen, sondern immer erst nach