Protokoll der Sitzung vom 30.11.2016

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist schon ein interessanter Anblick, wenn ich dies vorweg sagen darf.

Herr Landtagspräsident a. D. Milde! Herr Landtagspräsident a. D. Dinkla! Herr Polizeipräsident - und Hausherr - Kühme! Herr Professor Dr. Eckhardt! Herr Landschaftspräsident Kossendey! Herr Ministerpräsident Weil! Meine Damen und Herren Mitglieder der Landesregierung! Liebe fast vollzählig erschienen Kolleginnen und Kollegen aus dem Niedersächsischen Landtag! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gäbe noch viele weitere zu begrüßen, z. B. die Oldenburger Landrätinnen und Landräte, Herrn Oberbürgermeister Krogmann und die Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Sie alle Nichtgenannte mögen sich in ein allgemeines Willkommen hier im Alten Oldenburger Landtag inbegriffen fühlen!

Nun haben wir eine Landtagssitzung, meine Damen und Herren, in Oldenburg. Und die Geschäftsordnung des Landtages gilt auch hier.

Mir ist heute Morgen ein Antrag zur Geschäftsordnung seitens der Grünen-Landtagsfraktion übermittelt worden, eine öffentlich-politische Frauenversammlung abzuhalten. Das würde ein Programm für den gesamten Tag nach sich ziehen. Ich weiß, dass viele von Ihnen Lust darauf hätten. Aber wie das so ist: Die Fraktionen sind intern übereingekommen - vor wenigen Minuten erst -, das zu einem späteren Zeitpunkt, also nachträglich, zu tun. Ansonsten gilt die Zusage, dass alle Wünsche, die Gegenstand dieses Geschäftsordnungsantrages sind, erfüllt werden - jedenfalls über kurz oder lang. Wir werden die Exekutive, Herr Ministerpräsident, die Regierung, bei der Umsetzung dieses umfassenden Antrages wohlwollend begleiten.

(Beifall)

1 Ventapane Quartett des Oldenburgischen Staatstheaters

„Frischluft für die Chefetagen“ - da kriegen wir doch was hin.

Meine Damen und Herren, ganz besonders freue ich mich aber, heute Herrn Fritz Kurt Fiebich und seine Frau unter uns zu wissen.

Herr Fiebich wurde 1921 in Leipzig geboren, war als Kolonialwarenhändler in Vechta tätig und wurde 1946 in den Ernannten Landtag von Oldenburg berufen.

Herr Fiebich, es ist uns eine hohe Ehre und Freude, Sie 70 Jahre später als einen Zeitzeugen der letzten Sitzungen eines Oldenburger Landesparlaments begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Wenn Sie, lieber Herr Fiebich, sich unter den heutigen Mitgliedern des Landtages umschauen, wird Ihnen eine Veränderung wahrscheinlich unmittelbar ins Auge fallen: 1946 waren unter den 54 Abgeordneten des Oldenburger Landtages genau 2 Frauen: Elisabeth Frerichs von der SPD und Margarethe Gramberg von der FDP - und das, nachdem 1945 doch die Stunde der Frauen war!

Heute gehören dem Niedersächsischen Landtag 42 Frauen an, womit sie gut 30 % der Abgeordneten stellen. Das entspricht zwar immer noch nicht ihrem Anteil an der Bevölkerung, ist aber doch - verglichen mit 1945/46 - ein gewaltiger Fortschritt.

Als, meine Damen und Herren, vor 100 Jahren der 33. Landtag des Großherzogtums Oldenburg seine erste Sitzung im neuen Parlamentsgebäude abhielt, hatten Frauen im Deutschen Reich weder ein passives noch ein aktives Wahlrecht. Europaweit galt damals überhaupt nur in Finnland, Norwegen und Dänemark das Frauenwahlrecht.

Das Ende des Ersten Weltkrieges kurze Zeit später brachte hier den Durchbruch: Die Weimarer Reichsverfassung brachte den Deutschen das Wahlrecht für Frauen. Es folgten die USA 1920, Großbritannien 1928 und Frankreich erst 1945.

Sie mögen sich fragen: Was hat das mit unserem Alten Landtag in Oldenburg zu tun? - Ich finde, durchaus einiges.

Der Parlamentsbau von Paul Bonatz ist an der Schwelle zu einer neuen Zeit eingeweiht worden: zwischen Monarchie und Republik, architektonischem Auftrumpfen und verheerender Niederlage und eben auch an der Schwelle zur Durchsetzung des Frauenwahlrechts.

Diese Reform war vielleicht der entscheidende zivilisatorische Fortschritt, den die im Ergebnis eher zwiespältigen Umwälzungen am Ende des Ersten Weltkrieges mit sich brachten. Das Frauenwahlrecht bedeutete eben den Durchbruch auf dem Weg zu einer wirklich freien und offenen Gesellschaft.

Einen hoch entwickelten Parlamentarismus gab es in Deutschland aber schon deutlich länger. Das ist eine Tatsache, die angesichts unseres Landesjubiläums in der letzten Woche vielleicht etwas aus dem Blick geraten konnte: Denn den demokratischen Wiederaufbau Deutschlands mussten die Westalliierten nicht am Reißbrett planen, sondern konnten auf eine reiche parlamentarische Tradition zurückgreifen, die ihre Wurzeln nicht zuletzt in den Ländern hatte.

Meine Damen und Herren, gerne zitiere ich in diesem Zusammenhang Bundespräsident Lübke, der 1962 den Plenarsaal des Niedersächsischen Landtages in Hannover am Leineschloss einweihte. In seiner Festrede forderte er - ich zitiere ihn -,

„den Traditionslinien der Demokratie, des Parlamentarismus und des freiheitlichen Denkens in der deutschen Geschichte nachzugehen. Wir sollten der … Vorstellung entgegentreten, dass demokratische Traditionen in Deutschland erstmalig in neuester Zeit begründet und uns lediglich von den Siegermächten nach zwei Weltkriegen oktroyiert worden seien.“

Es gab also schon etwas davor.

Die Worte des Bundespräsidenten haben auch nach 50 Jahren ihre Gültigkeit nicht verloren. Die kleindeutsche Reichsgründung 1871 und der dramatische Verlauf ihrer Geschichte zwischen 1914 und 1945 haben die Erinnerung an die ältere deutsche Verfassungsgeschichte weitgehend überlagert. Dazu gehört auch die Geschichte der vorparlamentarischen Ständevertretungen und der frühen Parlamente in Deutschland. Auf sie geht in moderner Form auch unser heutiger demokratischer Föderalismus zurück.

Das gilt auch für den Oldenburger Landtag. Man muss aber wissen: Oldenburg hat sich dem Parlamentarismus als letztes der Vorgängerländer Niedersachsens geöffnet. Es gibt auch keine altständische Tradition wie in den welfischen Teilfürstentümern, wo bis heute die mittelalterlichen Landschaften als Körperschaften öffentlichen Rechts weiterbestehen.

Meine Damen und Herren, eine ständische Vertretung lässt sich in Oldenburg allenthalben nur in ersten Ansätzen im Spätmittelalter und im Reformationsjahrhundert nachweisen. Von 1600 bis zur Annexion durch Frankreich 1811 existierten hier überhaupt keine Landstände.

Der Wiener Kongress stellte das Land innerhalb des Deutschen Bundes wieder her. Obwohl sich dessen Mitglieder in der Bundesakte von 1815 verpflichtet hatten, landständische Verfassungen einzuführen, unterblieb ein solcher Schritt in Oldenburg über Jahrzehnte.

Erst die Revolutionsereignisse von 1848 bewegten Großherzog August dazu, seinem Land eine Verfassung und eine Volksvertretung zu geben. Zum Vergleich: Im benachbarten Ostfriesland galt seit 884 die berühmte „Friesische Freiheit“. Das war immerhin fast 1 000 Jahre früher. Die Freiheit der friesischen Bauern führte dann zu einer jahrhundertelangen Dominanz starker Landstände über die schwache Landesherrschaft.

(Zurufe und Unruhe)

- Ich merke schon, wer hier ostfriesisch gepolt ist.

(Heiterkeit und Beifall)

Man darf dem Großherzog aber zugutehalten, dass keine gewalttätigen Auseinandersetzungen nötig wurden, um den Übergang zu Verfassungsstaat und Gewaltenteilung einzuleiten. Er ließ eine Versammlung von 34 Männern wählen, der von der Regierung ein Entwurf für die künftige Verfassung vorgelegt wurde.

Diesen - aus damaliger Sicht - eher konservativen Entwurf lehnte die Versammlung ab, woraufhin er deutlich liberalisiert und daraufhin angenommen wurde. Trotz rigider Wahlrechtsbeschränkungen kam es bei der Wahl zum „Vereinbarenden Landtag“ - so hieß es damals - im Juli 1848 zu einer liberalen Mehrheit, mit deren Hilfe am 18. Februar 1849 ein im Ganzen fortschrittliches Staatsgrundgesetz für das Großherzogtum zustande kam. Die fehlende Tradition einer eigenen Volksvertretung hatte den Freiheitssinn der Oldenburger demnach nicht beschädigt.

Dem Landtag oblag im Großherzogtum nun das Steuerbewilligungsrecht, seine Zustimmung zu Gesetzen und Staatsverträgen war notwendig, und er kontrollierte die gesamte Exekutive. Den Schritt zum parlamentarischen System wagte man indessen nicht: Der Großherzog behielt das Recht, die

Regierung nach eigenem Willen zu berufen - oder auch nicht.

Bis zur Jahrhundertwende glich der von Wahlmännern indirekt gewählte Landtag in seiner Debattenkultur eher - wenn Sie erlauben - einem modernen Kreistag als einem Landesparlament. Entsprechend verfügte der Landtag von 1849 bis 1916 über kein eigens errichtetes Parlamentsgebäude, sondern tagte in der ehemaligen Militärakademie am Pferdemarkt. Dort ist, glaube ich, Herr Oberbürgermeister, heute das Standesamt.

(Oberbürgermeister Krogmann [Ol- denburg]: Unter anderem!)

So kann es gehen. - Unter anderem!

Es ging dort in den Debatten nicht um große ideologische Linien, sondern um alltägliche Sachfragen. Erst um 1900 bildeten sich bei SPD und Zentrum erste Fraktionen, die jedoch keinen offiziellen Status hatten.

Ab 1911 gab es eine Mehrheit aus SPD und Fortschrittspartei, die bis zum Ende der Monarchie erhalten blieb.

Das war die Lage, als der neue Landtag am 9. November 1916 - gestern vor 100 Jahren! - eingeweiht wurde. Es ist schon eigenartig, mit welcher Regelmäßigkeit der 9. November in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts immer wieder geradezu zur Chiffre sowohl für frohe als auch für entsetzliche Ereignisse geworden ist. In dieser Reihe ist der 9. November 1916 in Oldenburg sicherlich kein absoluter Höhepunkt, aber weiß Gott auch kein unbedeutendes Datum.

Die Geschichte des Baus nahm 1908 ihren Anfang, als ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben wurde. Über 170 Entwürfe wurden eingereicht, von denen 14 in die engere Auswahl genommen wurden. Daraufhin gab es - Sie können sich das denken - einiges Hin und Her zwischen Landtag und Bauverwaltung. - Einiges ändert sich eben nie!

(Heiterkeit)

Schließlich beschloss der Landtag am 13. März 1913 einstimmig, den Auftrag an Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer zu vergeben. Sie müssen sie - woher Sie auch immer kommen - nicht unbedingt kennen. Aber wenn ich Ihnen sage, das sind die Architekten der Stadthalle in Hannover und des Hauptbahnhofs in Stuttgart, dann merken Sie, dass es schon deutsche Architekturelite war,

(Zuruf: Angemessen, Herr Präsident!)

die hier den Auftrag erhalten hat.

Trotz des Ersten Weltkrieges gelang es, den gleichzeitigen Bau von Landtag und Staatsministerium innerhalb von etwas über zwei Jahren fertigzustellen. Damals gab es eben noch kein feinziseliertes europäisches Vergaberecht.

Während der Eröffnungssitzung gab es interessanterweise eine Art Generaldebatte über den Zustand des Landes. Man war sich offenbar einig darüber, dass es sich trotz der Kriegslasten in gutem Zustand und auf bestem Wege befand: Die Wirtschaft ist stabil, die Staatsfinanzen solide, bis 1914 gab es einen deutlichen Aufschwung. - Ende 1916 also zog man noch Bilanz darüber, was vor Kriegsausbruch erreicht worden war.

Mit der Niederlage Deutschlands 1918 begann für die ganze Nation, aber auch für Oldenburg eine schwierige Zeit. Obwohl jetzt der Übergang zum parlamentarischen Regierungssystem erfolgte, erklärte Landtagspräsident Schröder in der letzten Sitzung des 1916 gewählten Landtages am 18. Februar 1919, die Glanzzeit des Oldenburger Landtages sei nun vermutlich vorüber.

Wie recht er damit hatte, meine Damen und Herren, konnte er sich vermutlich nicht ansatzweise vorstellen: Nicht nur Oldenburg glitt binnen weniger Jahre in Barbarei und Diktatur ab. Die NSDAP erzielte schon früh überdurchschnittliche Erfolge. 1931 z. B. verfügte sie fast über die absolute Landtagsmehrheit. Eine Regierungsübernahme blieb ihr aber verwehrt.

Gemeinsam mit der KPD setzte sie daher 1932 per Volksbegehren Neuwahlen durch, die zur ersten braunen Alleinregierung in einem deutschen Bundesstaat führten. - Die Geschehnisse - wie genau es sich verhalten hat - wird Professor Eckhardt in seiner Festrede sicherlich im Einzelnen darstellen.

Dass es auch ein anderes Oldenburg in dieser dunklen Zeit gab, möchte ich hier nicht unerwähnt lassen: Der mutige Kreuzkampf, den die Oldenburger Münsterländer 1936 gegen die NSDAP führten, gehört zu den wenigen Beispielen für einen organisierten Massenwiderstand gegen die nationalsozialistische „Gleichschaltung“ aller Lebensbereiche.