Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie namens des Präsidiums. Gemeinsam mit den Schriftführern wünsche ich Ihnen einen guten Morgen!
Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 15, der Aktuellen Stunde. Anschließend nehmen wir mit dem Bericht des Vorsitzenden des Ausschusses für Haushalt und Finanzen und der allgemeinpolitischen Debatte die Haushaltsberatungen auf. Nach der Mittagspause folgt dann die Aussprache über die Einzelpläne „Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration“, sodann „Inneres und Sport“, danach „Umwelt, Energie und Klimaschutz“ und schließlich „Bundes- und Europaangelegenheiten, Medien und Regionalentwicklung“.
Guten Morgen! Für heute haben sich entschuldigt: von der CDU-Fraktion Herr Kollege Oesterhelweg, von der SPD-Fraktion Herr Kollege Schwarz und von der FDP-Fraktion Herr Kollege Försterling für die Zeit nach der Mittagspause.
Für diesen Tagesordnungspunkt sind mit vier Themen benannt worden, deren Einzelheiten Sie der Tagesordnung entnehmen können.
Die in unserer Geschäftsordnung für den Ablauf der Aktuellen Stunde geregelten Bestimmungen setze ich wie immer bei allen Beteiligten, auch bei der Landesregierung, als bekannt voraus.
a) Aufarbeitung der NS-Verbrechen: Der Bergen-Belsen-Prozess und der Fall Oskar Gröning - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/7083
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 15. Juli 2015 wurde Oskar Gröning vom Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt.
Gröning hatte mehrere Jahre als SS-Unteroffizier in Auschwitz Dienst getan und war dort während der Ermordung der ungarischen Jüdinnen und Juden anwesend. Er tat Dienst sowohl an der Rampe als auch in der Häftlingsgeldverwaltung. Er war also sowohl für die Bewachung als auch für die Ausplünderung der Gefangenen zuständig.
Am 28. November dieses Jahres hat der Bundesgerichtshof bekannt gegeben, dass die Revisionsanträge in diesem Verfahren zurückgewiesen worden sind. Das Urteil aus 2015 ist damit rechtkräftig. - Das, meine Damen und Herren, ist ein Stück Rechtsgeschichte.
Es hat durchaus schon früher eine ähnliche Auffassung des Bundesgerichtshofs gegeben. Aus verschiedenen Gründen hat sich aber bei deutschen Staatsanwaltschaften nach und nach die Meinung durchgesetzt, dass für eine Verurteilung individuelle Beiträge zu Morden nachgewiesen werden müssten. Das hatte zur Folge, dass viele Tausend Verfahren eingestellt worden sind.
Damit, meine Damen und Herren, haben die Staatsanwaltschaft Hannover, die Nebenklägerinnen und Nebenkläger, das Landgericht Lüneburg und schließlich der Bundesgerichtshof jetzt gemeinsam Schluss gemacht. Sie haben klargestellt: Wer sich zum Teil einer Mordmaschinerie macht - und was anderes war Ausschwitz? -, der wird zum
Unser Dank und Respekt gilt den Nebenklägerinnen und Nebenklägern und ihren Anwälten. Es ist nicht leicht, sich einer solchen Situation zu stellen und von dem widerfahrenen Leid zu berichten. Viele von ihnen haben dafür auch weite Reisen aus dem Ausland nach Lüneburg auf sich genommen. Sie alle haben ganz erheblich dazu beigetragen, dass dieser Prozess und dieses Urteil möglich wurden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, viele NS-Täterinnen und -Täter sind davongekommen. Die deutsche Justiz hat sich bei der Strafverfolgung von NS-Verbrechen nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Viel zu zögerlich wurde ermittelt - wenn überhaupt. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass in den 50er-Jahren der Anteil früherer Nazis in der deutschen Justiz bemerkenswert hoch war.
Bemerkenswert ist außerdem, dass - abgesehen vom Nürnberger Juristenprozess - kein einziger Richter oder Staatsanwalt für die zahlreichen verübten Justizmorde unter dem NS-Regime zur Verantwortung gezogen wurde - niemand! Und dass es Justizmorde waren, die nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun hatten, hat u. a. die Veranstaltung der Justizministerin im vergangenen Jahr in der Villa Seligmann verdeutlicht. Aus dem Nürnberger Juristenprozess stammt das treffende Zitat:
Aber es gab immer auch die andere Seite. Bereits 1945 wurde, ebenfalls in Lüneburg, initiiert durch die Alliierten bzw. die britische Armee, der erste Bergen-Belsen-Prozess gegen SS-Leute des Konzentrationslagers Bergen-Belsen durchgeführt. Ihm folgte 1946 ein weiterer Prozess, ebenfalls in Lüneburg.
Dann kamen die Nürnberger Prozesse. Ein leuchtendes Beispiel war sicherlich Fritz Bauer, der frühere Braunschweiger und spätere hessische Generalstaatsanwalt, der mit nicht nachlassender Energie für eine Strafverfolgung der NS-Mörder gekämpft hat.
Die Staatsanwaltschaft Hannover hat sich mit dem Lüneburger Prozess in diese die Menschlichkeit und die Menschenrechte verteidigende und achtende Justiztradition gestellt - weil sie ihre Aufgabe in diesem Rechtsstaat gewissenhaft erledigt hat.
Manche fragen, ob und warum es wirklich nötig ist, Prozesse gegen alte Männer und Frauen zu führen. Kein Opfer kommt dadurch zurück, keine Tat wird ungeschehen. Darauf gibt es mehrere Antworten. Die juristische ist kurz und eindeutig: Mord, § 211 des Strafgesetzbuches, verjährt gemäß § 78 Abs. 2 des Strafgesetzbuches nicht. Deshalb muss er verfolgt werden, solange Täterinnen und Täter noch leben.
Und, meine Damen und Herren, es gibt die Antworten, die Nebenklägerinnen und Nebenkläger in Lüneburg gegeben haben. Eva Pusztai-Fahidi:
„Ich muss wirklich sagen, das ist eine Art von Genugtuung, dass ich vor einem deutschen Gericht aussagen kann. Das, was damals ein Verbrechen war, ist es auch heute noch und in alle Ewigkeit.“
„Ich habe die Verpflichtung, den Menschen meine Geschichte zu erzählen, damit Unmenschliches dieser Art nicht wieder passieren kann.“
Meine Damen und Herren, der Lüneburger Prozess ist eine Erinnerung und Mahnung an uns alle. Und er unterstreicht: Die Justiz muss der Menschlichkeit, den Menschenrechten und der Gerechtigkeit dienen. In Lüneburg hat sie das getan.
Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Es folgt jetzt für die Fraktion der SPD Kollegin Andrea Schröder-Ehlers. Ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Oskar Gröning ist rechtskräftig verurteilt. Er ist 95 Jahre alt, und ob er seine Strafe noch antreten muss, ist wegen seines hohen Alters und seiner sehr angeschlagenen Gesundheit mehr als fraglich.
Es hat 70 Jahre gedauert, bis der ehemalige SSMann in Lüneburg vor Gericht gestellt und verurteilt worden ist. Jahrzehntelang hat sich die deutsche Justiz im Umgang mit NS-Verbrechen nicht mit Ruhm bekleckert. Dabei fand nur fünf Monate nach Kriegsende der erste große Prozess in Lüneburg statt. Nicht die deutsche Justiz, sondern ein britisches Militärgericht zog die Verantwortlichen des Konzentrationslagers Bergen-Belsen - des Lagers, in dem zwei Monate vor der Befreiung auch Anne Frank umgekommen ist - zur Verantwortung.
Unter einem sehr großen internationalen Medieninteresse begann dieser erste Prozess in einer Turnhalle in Lüneburg. Doch nach den Nürnberger Prozessen, die sich unmittelbar anschlossen, erlahmte das Medieninteresse merklich. Bis in die späten 50-Jahre hinein galt im Adenauer Staat das Prinzip des Verdrängens. Nur wenige wurden zur Verantwortung gezogen. Es gab eine Mauer des Schweigens, die die Täter schützte.
Dass die deutsche Justiz dann, wenn auch widerwillig, ihrer Verantwortung nachkam, ist vor allem dem Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zu verdanken. Er hat mit seinem Leuten unter größtem Widerstand eine gute Arbeit gemacht. Ein Beispiel für den schwierigen Kampf, den sie führten, ist das Verfahren gegen den NS-Richter Manfred Roeder, der im Landkreis Lüneburg lebte. Er hatte während des Krieges 56 Todesurteile gegen Widerstandskämpfer ausgesprochen und auch die Verfahren gegen Bonhoeffer und von Dohnanyi geführt. Das Verfahren zog sich in die Länge, bis es 1951 ein nach Lüneburg strafversetzter Oberstaatsanwalt einstellte. Erst 2009 hob der Deutsche Bundestag die wegen Kriegsverrat gefällten Urteile der NS-Justiz auf und rehabilitierte auch die Mitglieder der Roten Kapelle, um die es hier ging.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zurück zu den Verfahren gegen die Täter in den Konzentrationslagern.
Nachdem in den ersten Nachkriegsjahren einige Gerichte Wachleute und Helfer noch wegen Beihilfe zum Mord verurteilt hatten, änderte sich die
Rechtsprechung. Nun konnte nur noch verurteilt werden, wem die Beteiligung an konkreten Mordtaten nachgewiesen werden konnte. Damit scheiterten viele Prozesse schon im Vorfeld an unüberwindlichen Beweisproblemen - trotz der großen Bemühungen der Gruppe um Fritz Bauer.