Protokoll der Sitzung vom 26.02.2014

Ihr Ehrgeiz war Ihnen wichtiger. Sie wollten unbedingt vorne sein beim Turbo-Abi.

(Anja Piel [GRÜNE]: Allen voran!)

Ohne neue Lehrpläne, ohne die Überarbeitung der Wochenstundentafeln, damit das an den Schulen auch machbar war, ohne dass Mensen eingerichtet wurden, wurde das Turbo-Abi den Gymnasien aufgezwungen. Die mussten Nachmittagsunterricht einführen, ohne dass sie dafür ausgerüstet waren.

Für die Schülerinnen und Schüler hieß es bald: Mehrmals in der Woche sieben bis acht Stunden Unterricht, danach Hausaufgaben, Referate vorbereiten, üben - ein Wochenplan, der mit manchen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vergleichbar war. Es kam nicht selten vor, dass Schülerinnen und Schüler noch um 10 Uhr abends an den Hausaufgaben saßen. Für Sport, Theater oder gar für Ehrenamt blieb keine Zeit mehr.

Und es waren damals nicht die Lehrerverbände, sondern es waren vor allem die Eltern, die sich darüber beklagten und massiven Druck aufbauten, dass das so nicht weitergehen kann mit ihren Kindern; denn die Eltern erlebten zu Hause, was das G 8 mit ihren Kindern anstellte.

(Unruhe bei der CDU)

Auch von Kinderärzten kamen Warnungen. Ich will da jetzt auch kein Seufzen hören; denn ich erinnere mich an die Debatten, als gesagt wurde, wir würden das alles dramatisieren.

Aber die schwarz-gelbe Koalition hat sich zehn Jahre lang überhaupt nicht um diese ganzen Beschwerden, um die ständig wiederkehrende Kritik gekümmert. Was haben Sie sich damals hier darüber ausgelassen, als ich 2008 für unsere GrüneFraktion im Parlament einen Antrag vorgestellt habe und ihn mit Zitaten aus der HAZ von Schülerinnen und Schülern und deren Schulalltag erläutert und begründet habe? Der Antrag lautete „Schule darf nicht krank machen - Druck aus dem Turboabitur nehmen“.

Sogar noch am 28. Juni 2011 hat der Kollege Försterling zu unserem Grünen-Gesetzentwurf hier erklärt: „Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab, weil wir grundsätzlich die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren für richtig halten“.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Frau Bertholdes Sandrock bezeichnete die Hilferufe der Eltern in derselben Debatte sogar als „Sorgen von Betroffenen, die die Medien hochgespielt haben“.

(Karin Bertholdes-Sandrock [CDU]: Ja, so war es auch!)

So wenig, meine Damen und Herren, haben Sie die berechtigten Sorgen von Schülerinnen und Schülern und von Eltern ernst genommen. Und jetzt sollen wir ausgerechnet Ihnen in dieser Debatte folgen und Sie ernst nehmen?

(Starker Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich bin deshalb sehr, sehr froh, dass die rot-grüne Landesregierung nicht nur bei den Gesamtschulen das Turbo-Abitur wieder abgeschafft hat, sondern dass sie auch angekündigt hat, jetzt bei den Gymnasien die Rückkehr zum G 9 wieder zu ermöglichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir alle konnten in den vergangenen Wochen lesen, mit welcher Erleichterung diese Grundsatzentscheidung in Niedersachsen aufgenommen wurde.

Kein Verständnis - das habe ich vor einem Monat schon einmal gesagt - habe ich jedoch für diejenigen, die bis zum Wahltag am 20. Januar 2013 die glühenden Verfechter des Turbo-Abiturs waren,

eisern daran festgehalten haben und denen es jetzt nicht rasant genug gehen kann, zum G 9 zurückzukommen. Noch im Juni 2011 haben Sie, Herr Försterling, hier im Landtag erklärt:

„Daher muss man auch für das Abitur nach 13 Jahren neue Kerncurricula einführen. Dabei wird man möglicherweise auf dieselben Umstellungsprobleme stoßen wie beim Abitur nach zwölf Jahren.“

Ausnahmsweise haben Sie da mal Recht gehabt. Aber heute wollen Sie natürlich nichts mehr davon wissen. Heute behaupten Sie, die Rückkehr zum G 9, das alles sei ja problemlos möglich.

Da merkt man doch, dass Sie Ihre Argumente wechseln wie Ihre Oberhemden, wenn es nur zum politischen Zweck passt. Das ist eben FDP!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Gerade von Ihnen werden wir uns deshalb nicht treiben lassen. Ihren Fehler, schulpolitische Strukturentscheidungen von oben herab zu diktieren und ruckzuck das Umsetzen zu verlangen, werden wir nicht wiederholen. Wir werden die Rückkehr zum G 9 unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Expertenkommission, die wir im Gegensatz zu Ihnen ernst nehmen, vorbereiten und sie zum Schuljahr 2015/16 umsetzen.

Sie können uns schon zutrauen, dass wir es bei einer Schulgesetznovelle hinkriegen, dass auch die jetzt im Gymnasium befindlichen unteren Jahrgänge entlastet werden. Dazu brauchen wir Ihren blinden Aktionismus nicht. Das ist nicht unser politischer Stil.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Korter. - Es hat sich jetzt für die Landesregierung die Kultusministerin Frau Heiligenstadt gemeldet. Bitte sehr, Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die letzten Worte von Frau Korter gerne aufgreifen. Bei der Beschreibung der Diskussion um die Fragestellung „Bleiben wir bei einem G 8, oder kehren wir zurück zu einem G 9?“ geht es nicht um Aktionismus. Es geht auch nicht

um die beste Show, die beste Inszenierung oder die beste Verbalakrobatik. Nein, Herr Försterling, es geht um Nachhaltigkeit, und es geht um gute Entscheidungen für Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zumindest ist die Aktuelle Stunde ganz gut dazu geeignet, deutlich zu machen, dass CDU und FDP sich bei dem Thema ausschließlich zu Verfahrensfragen äußern und nicht über die Inhalte und über ihre eigenen Versäumnisse in der Vergangenheit reden wollen, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Karin Bertholdes- Sandrock [CDU]: Sie reden weder noch!)

Die rot-grüne Landesregierung hat direkt nach der Regierungsübernahme einen Prozess in Gang gesetzt, um den Stress, der durch die Einführung des sogenannten Turbo-Abiturs in Niedersachsen an den Gymnasien entstanden ist, zu thematisieren. Der Stress ist entstanden, meine Damen und Herren, weil G 8 vor zehn Jahren überstürzt und wenig durchdacht eingeführt worden ist. Ziel der Landesregierung ist es, Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Leistungsvoraussetzungen und ihrem Leistungsvermögen zu fördern, sie zu möglichst großen Lernfortschritten zu führen und in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu stärken. Unnötiger zusätzlicher zeitlicher Leistungsdruck sollte möglichst vermieden werden.

Im Sekundarbereich I geht es sogar so weit, dass Schülerinnen und Schüler zum Teil 34 bis 36 Wochenstunden haben und dann auch noch Heimfahrten und Busfahrten mit in Kauf nehmen müssen, gerade im ländlichen Raum in Niedersachsen. Das alles sind Themen, die sehr viele Menschen bewegt haben - nicht erst seit vier oder sechs Monaten, sondern schon seit zehn Jahren. Sie haben zehn Jahre lang nicht zugehört, meine Damen und Herren!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Grundsätzlich gilt deshalb für diese Landesregierung: Es gibt eine sehr große Bereitschaft zum Systemwechsel weg von G 8 hin zu G 9. Ich habe es auch so formuliert: Die Tür zum G 9 ist offen, meine Damen und Herren!

(Christian Grascha [FDP]: Man muss aber auch durchgehen!)

Im Übrigen sind alle anderen Bundesländer sehr daran interessiert, wie die Entwicklung in Niedersachsen, die sehr nachhaltig und fundiert vorbereitet wird, in dieser Fragestellung dann auch tatsächlich umgesetzt werden wird.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Karin Bertholdes-Sand- rock [CDU]: Wo ist der Inhalt? Wo ist das Verfahren?)

Entscheidend ist jetzt die Ausgestaltung.

Ich will noch einmal daran erinnern, meine Damen und Herren, dass es diese Landesregierung war, die diesen ergebnissoffenen Dialogprozess initiiert hat, um den Leistungsdruck und den Zeitdruck aus den Gymnasien zu nehmen. Wir haben den dringend erforderlichen Dialog gestartet, den Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, in Ihrer Regierungszeit nicht für nötig gehalten haben!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Im Juni letzten Jahres hat das erste Dialogforum stattgefunden. Wir haben im Anschluss eine Expertenkommission eingerichtet, und ich möchte ausdrücklich den Persönlichkeiten danken, die in dieser Expertenkommission arbeiten.

(Ulf Thiele [CDU]: Placebo-Veranstal- tung!)

Sie machen sehr intensive, sehr gute Arbeit, und wir werden noch im März den Bericht der Expertenkommission auf den Tisch gelegt bekommen. Ich bin sehr dankbar, dass alle so intensiv mitarbeiten.

Wir binden die entsprechenden Expertinnen und Experten mit ein. Sie waren noch nicht einmal dazu bereit, überhaupt über das Thema zu reden, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Ergebnisse dieser Kommission werden die Basis unserer weiteren Entscheidung sein. Wir werden uns die notwendige Zeit nehmen, wenn es um Fragestellungen der Ausgestaltung geht - auch im Hinblick auf die Anzahl von Prüfungsfächern oder Klausuren, um nur zwei Beispiele zu nennen.

G 8 ist damals im Hauruckverfahren eingeführt worden, meine Damen und Herren. Die Schulen

hatten kaum Zeit, sich darauf einzustellen. Diejenigen, die jetzt lautstark einen sofortigen Wechsel zu G 9 einfordern, fordern nichts anderes, als die Wiederholung genau dieses Fehlers, meine Damen und Herren. - Das werden wir nicht tun!