Protokoll der Sitzung vom 14.05.2014

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie namens des Präsidiums. Sie haben bereits wunschgemäß die Plätze eingenommen. Das ganze Präsidium wünscht Ihnen einen guten Morgen.

(Zurufe: Guten Morgen, Herr Präsident!)

Meine Damen und Herren, ich eröffne die 34. Sitzung im 14. Tagungsabschnitt des Landtages der 17. Wahlperiode.

Tagesordnungspunkt 1: Mitteilungen des Präsidenten

Ich denke, im Einvernehmen mit den Schriftführern darf ich bereits jetzt die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen.

Ich muss zu Beginn dieser Sitzung gleich einen technischen Hinweis geben. Die Klingelanlage im Hause ist im Moment nicht intakt.

(Norbert Böhlke [CDU]: Das ist ein ganz alter Trick! - Heiterkeit)

Wir werden beim Landtagsumbau natürlich eine neue Klingelanlage bekommen und um sie herum einen neuen Plenarsaal bauen.

(Heiterkeit)

Ich bitte insbesondere die Fraktionsführungen, diesen Umstand zu beachten, nicht dass ein Kollege, der sich traditionell auf die Klingelanlage verlässt, überrascht ist, dass keine Töne erklingen. Vollzähligkeit, Beschlussfähigkeit und all diese Dinge sollen gegeben sein.

Meine Damen und Herren, die Einladung, die Tagesordnung und der Nachtrag zur Tagesordnung für diesen Tagungsabschnitt liegen Ihnen vor. Außerdem haben Sie eine Übersicht erhalten, aus der Sie ersehen können, wie die Fraktionen die ihnen zustehenden Zeitkontingente verteilt haben. - Ich stelle das Einverständnis des Hauses mit diesen Redezeiten fest. Die heutige Sitzung soll demnach gegen 20.30 Uhr enden. Wir haben es natürlich in der Hand, dies zeitlich zu verbessern.

Ergänzend weise ich auf folgende Ausstellungen hin: In der Portikushalle ist die vom Diözesanmuseum Osnabrück konzipierte Ausstellung „Kicker, Kult & Co.“ und in der unteren Wandelhalle die von

der Bundesrechtsanwaltskammer und dem Deutschen Juristentag erstellte Ausstellung „Anwalt ohne Recht - Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933“ zu sehen. Die Veranstalter freuen sich über Ihr Interesse. Beide Ausstellungen - das darf ich Ihnen sagen - sind interessant und sehr sehenswert.

Meine Damen und Herren, für die Initiative „Schulen in Niedersachsen online“ werden in den kommenden Tagen Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums der Graf-Friedrich-Schule aus Diepholz mit einer Onlineredaktion live aus dem Landtag berichten. Die Patenschaft dafür haben die Abgeordneten Karl-Heinz Klare und Grant-Hendrik Tonne übernommen.

(Beifall)

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr die Schriftführerin Frau Twesten mit.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: von der Fraktion der SPD Frau Kathrin Wahlmann und Herr Dr. Christos Pantazis, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Julia Willie Hamburg und von der Fraktion der FDP Frau Almuth von BelowNeufeldt und Frau Gabriela König.

Danke schön, Frau Twesten. - Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu dem

Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung mit dem Titel „Neuausrichtung des Verfassungsschutzes - Vertrauen zurückgewinnen“ - Unterrichtung durch den Minister für Inneres und Sport - Drs. 17/1472

Herr Innenminister Pistorius gibt jetzt die Regierungserklärung ab. Herr Innenminister, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Versagen der Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Landesebene bei den Ermittlungen gegen die rechtsextremistische Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund hat

das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden empfindlich gestört.

Die daraufhin von der Innenministerkonferenz und der Bundesregierung eingesetzte Bund-LänderKommission Rechtsterrorismus zeigt in ihrem Abschlussbericht 2013 eklatante Schwachstellen auf. Gleichzeitig legt sie aber auch Verbesserungsvorschläge für die Architektur der Sicherheitsbehörden vor.

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hat ebenfalls deutliche Mängel in der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder aufgezeigt. In seinem Abschlussbericht stellt er aufgrund des Versagens bei den Ermittlungen gegen die NSU-Terrorzelle gar die Leistungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden infrage. Für den Verfassungsschutz wurde angesichts dieser Feststellungen nicht selten von einer fundamentalen Legitimitätskrise gesprochen und vereinzelt auch seine Abschaffung gefordert. Ich sage dazu gleich zu Beginn dieser Regierungserklärung unmissverständlich: Die Abschaffung des Verfassungsschutzes ist keine Option und war es auch nie!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Die Ereignisse der vergangenen Jahre zeigen uns allen leider schmerzlich, dass es reale Bedrohungen für die Schutzgüter unserer Demokratie gibt. Sie treten in unterschiedlichen Facetten auf. Sie verändern sich. Deshalb brauchen wir auch in Zukunft einen modernen und leistungsfähigen niedersächsischen Verfassungsschutz. Denken Sie z. B. an die Islamisten, die aus Deutschland nach Syrien reisen und dort in paramilitärischen Ausbildungslagern radikalisiert werden. Es muss eine Behörde geben, die die Gefahren, die von diesen Menschen nach ihrer Rückkehr aus Syrien ausgehen kann, frühzeitig erkennt. Oder denken Sie an die Ausschreitungen von gewaltbereiten Linksextremisten! Hier sei der Anschlagsversuch gegen die Bundespolizei in Göttingen Ende letzten Jahres erwähnt. Dieses Beispiel zeigt, dass die geplante Gewalt des organisierten Linksextremismus auch in Niedersachsen weiterhin eine Gefahr darstellt. Und schließlich: Die Mordserie des NSU hat uns vor Augen geführt, zu welchen Grausamkeiten verblendete Rechtsextremisten fähig sind. Vorurteile und Hass gegen Minderheiten - Juden, Einwanderer, Asylbewerber, Moslems, Homosexu

elle - sind auf der Straße und im Internet allgegenwärtig.

Es ist eine moralische Verpflichtung den Menschen gegenüber, alles zu tun, um zu verhindern, dass Ablehnung und Hass in Gewalt und Mord umschlagen. Und es ist eben auch eine Verpflichtung unserer Verfassung gegenüber.

Auch wenn der niedersächsische Verfassungsschutz nicht unmittelbar mit den schlimmen Versäumnissen in der Ermittlungsarbeit zum NSUKomplex in Zusammenhang gebracht wurde, haben wir uns, wie alle anderen Länder auch, intensiv der Auseinandersetzung mit eigenen Fehlern in der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden gestellt und vor allem im Rahmen der IMK in führender Position beteiligt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Regierungskoalition in Niedersachsen hat es in ihrer Koalitionsvereinbarung deutlich gemacht: Ein Neustart für den niedersächsischen Verfassungsschutz ist unerlässlich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mitte September letzten Jahres habe ich daher als Innenminister eine Expertengruppe zur Reform des niedersächsischen Verfassungsschutzes eingesetzt. Der Abschlussbericht der Reform-AG ist am 24. April 2014 den Mitgliedern des Ausschusses für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes sowie dem Ausschuss für Inneres und Sport vorgestellt worden.

Ich habe eine erste Bewertung vorgenommen und kann feststellen, dass mit den Empfehlungen ein wertvolles Fundament für einen modernen, transparenten und sensiblen Verfassungsschutz in Niedersachsen gelegt worden ist. Der Reformprozess in Niedersachsen ist damit einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Die Landesregierung ist also auf einem guten Weg, den angekündigten Veränderungsprozess zu gestalten. Diese Veränderungen, meine Damen und Herren, haben ein zentrales Ziel: das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Politik in die Professionalität und Expertise des Verfassungsschutzes wiederherzustellen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Kernaufgaben des Verfassungsschutzes - also die Analyse und Bewertung extremistischer Bestrebungen und die verlässliche Information von Politik und Öffentlichkeit - müssen unvoreinge

nommen im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen. Nur wenn das gelingt - und das ist wichtig -, kann er Gefahren für die Demokratie und für die innere Sicherheit rechtzeitig erkennen und sie abwehren helfen. Der Verfassungsschutz muss dazu tief in der Mitte der Gesellschaft verankert sein und braucht gerade diese Perspektive, um zu funktionieren und Akzeptanz zu finden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden diese Reform ohne Verzögerung weiter angehen: An der Novelle des Verfassungsschutzgesetzes wird mit Hochdruck gearbeitet. Ich gehe heute davon aus, dass ein erster Vorschlag den Landtag im September erreichen wird.

Der Arbeitsauftrag ist klar umrissen: mehr Transparenz und Kontrolle einerseits und Konzentration auf die Kernaufgaben andererseits. - Hierzu will ich einige wesentliche Eckpunkte ansprechen, bei denen ich mir die Unterstützung von Ihnen allen erhoffe:

Erstens. Die Eingriffsbefugnisse und die Arbeitsweisen des Verfassungsschutzes müssen konkret sein, sie müssen nachvollziehbar sein und vor allem uneingeschränkt die Grundrechte respektieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zweitens. Die Befugnisse zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel werden wir grundrechtskonform und konkret ausgestalten. Dies gilt insbesondere für die Arbeit mit Vertrauenspersonen und für die Observation.

Drittens. Wenn der Verfassungsschutz Personen in seine Datei aufnimmt, greift er damit tief in die Grundrechte ein. Die betroffenen Menschen werden belastet. Deshalb muss es für diese Entscheidung, für diesen Grundrechtseingriff, eindeutige, begrenzende und nachvollziehbare Regeln geben, im Gesetz und in internen Anweisungen der Behörde.

Viertens. An dieser Stelle ein Wort an die muslimischen Verbände, die sich kritisch zu den Handlungsempfehlungen der Arbeitsgruppe geäußert haben: Der Auftrag der Arbeitsgruppe war nicht, sich mit den inhaltlichen Folgen aus den Versäumnissen bei der Betrachtung von Morden an Menschen mit Migrationshintergrund zu beschäftigen. Er hatte die Struktur im Auge. Die Konsequenzen aus dem, was die muslimischen Verbände zu Recht einfordern, müssen wir ziehen, müssen wir politisch ziehen. Das tun wir bereits seit anderthalb

Jahren, und das tun wir insbesondere auch im Dialog mit den muslimischen Verbänden. Von daher habe ich zwar Verständnis für die Forderung. Die Kritik an der Arbeitsgruppe ist in dem Fall aber an den falschen Adressaten gerichtet. Wir tun dort, was wir tun müssen.

Meine Damen und Herren, der so, wie ich ihn gerade beschrieben habe, aufgestellte Verfassungsschutz in einer rechtsstaatlichen Demokratie muss parlamentarische Kontrolle nicht fürchten! Ich begrüße daher den Vorschlag der Reform-AG ausdrücklich, dem Parlament mehr Kontrollrechte zu geben. Es ist außerdem, wie ich finde, ein kluger Ratschlag, gleichzeitig die Kontrolle durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz und die behördeninterne Kontrolle auszuweiten. Die Reform-AG hat außerdem empfohlen, dem Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zukünftig die Möglichkeit zu geben, auch öffentlich zu tagen. Ich freue mich, dass die Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen bereits vor einer Woche einen entsprechenden Änderungsantrag für die Geschäftsordnung des Landtags eingebracht haben.

Eine weitere Empfehlung der Reform-AG betrifft die Änderung des sogenannten In-camera-Verfahrens nach § 99 der Verwaltungsgerichtsordnung. - Das ist etwas für Feinschmecker. - Dieses Verfahren kommt dann zur Anwendung, wenn der Verfassungsschutz einem Gericht die Übersendung von Akten oder Auskünfte aus Gründen des Geheimschutzes oder des Staatswohls verweigert. In diesem Fall überprüft ein spezieller Senat des OVG in nicht öffentlicher Sitzung, ob die Verweigerung der Herausgabe dieser Daten zu Recht erfolgt ist. Ist sie zu Unrecht erfolgt, werden die Akten oder Auskünfte freigegeben, und es kann dann in öffentlicher Sitzung darüber entschieden werden, ob etwa auch die Speicherung rechtmäßig gewesen ist. Stellt dieser Senat allerdings fest, dass die Verweigerung zu Recht erfolgt, wird nach derzeitiger Rechtslage nicht mehr geprüft, ob die Speicherung oder die Beobachtung selbst rechtmäßig war. Der Betroffene hat dann grundsätzlich keine Möglichkeit mehr, dieses prüfen zu lassen, da die Beweismittel gesperrt bleiben. Das In-cameraVerfahren auch auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Speicherung der Daten auszudehnen, scheint sinnvoll zu sein. Wir werden insoweit prüfen und politisch abwägen, ob wir eine Bundesratsinitiative einbringen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Reform des Verfassungsschutzes kann nur gelingen, wenn wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Reformprozess einbinden. Egal, was in den vergangenen Monaten und Jahren passiert ist: Die Fehler bei einzelnen Mitarbeitern zu suchen, führt zu keinem sinnvollen Ergebnis. Art und Umfang der Fehler lassen vielmehr - das ist deutlich geworden - auf ein Organisationsverschulden schließen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir müssen viel Versäumtes aufholen. Ein Personalentwicklungskonzept wird beispielsweise aktuell erarbeitet. Bei der Personalauswahl wird zukünftig ein stärkeres Augenmerk auf Zusatzqualifikationen gelegt werden müssen, die den spezifischen Aufgabenstellungen des Verfassungsschutzes entgegenkommen. Eine Öffnung für mehr wissenschaftliche Kompetenz, ausgeprägtes Verständnis für gesellschaftspolitische Zusammenhänge, interkulturelle Kompetenz, fremdsprachliche Fähigkeiten sind beispielhafte Schlüsselqualifikationen, die hier vor allem zu nennen sind.

Zur Stärkung interkultureller Verständigung werden im Rahmen einer Fortbildung bereits jetzt verstärkt Besuche und Dialogveranstaltungen mit gesellschaftlichen Gruppen ermöglicht. So waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes im letzten Jahr schon Gäste der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover und in einer islamischen Moschee.