Protokoll der Sitzung vom 13.05.2015

a) Was tut die Landesregierung zur Aufklärung der Kinderpornografie-Affäre des SPD-Mitglieds Sebastian Edathy? - Anfrage der Fraktion der CDU - Drs. 17/3460

Die Anfrage wird von der Kollegin Angelika Jahns eingebracht. Frau Jahns, ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Dringliche Anfrage der CDU-Fraktion vortragen.

Was tut die Landesregierung zur Aufklärung der Kinderpornografie-Affäre des SPD-Mitglieds Sebastian Edathy!

Die Rheinische Post berichtete in ihrer Onlineausgabe vom 24. April 2015:

„Der Fall Edathy zieht immer größere Kreise. ‚Nach unserer Erkenntnis hat sich die Zahl der Eingeweihten noch einmal erhöht‘, sagte der CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss, Armin Schuster, unserer Redaktion. Demnach sind in Unterlagen, die dem Bundestagsgremium aus Niedersachsen vorge

legt wurden, fast 80 Namen von Personen genannt, die noch vor Durchsuchungen von dem Kinderporno-Verdacht gegen den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten wussten. Auf Grundlage drei bisheriger Listen der Staatskanzlei Niedersachsen sei er zuletzt von 57 Personen ausgegangen, sagte Schuster. ‚Eine neue Liste führt nun aber insgesamt schon 79 Politiker, Ermittler und Amtsträger aus Niedersachsen. Und wir wissen, dass selbst diese Liste noch unvollständig ist‘, sagte Schuster verärgert. Er müsse mittlerweile ‚an Methode der Landesverwaltung in Niedersachsen glauben, dass das wahre Ausmaß der damaligen Informationsweitergabe offenbar verschleiert‘ werden solle. ‚Die Liste zum vierten Mal in dieser mangelhaften Form vorzulegen, ist jedenfalls ein einmaliger Vorgang‘, schimpfte der CDU-Obmann.“

Spiegel Online berichtete am 6. Mai 2015 unter der Überschrift „Edathy soll vor der Durchsuchung seiner Wohnung getürmt sein“ u. a.:

„Die Aussage eines niedersächsischen Polizisten nährt den Verdacht, dass der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy vor der bevorstehenden Durchsuchung seiner Wohnung und Büroräume gewarnt worden war. Der Kriminalkommissar Uwe Baum gab am Mittwoch an, er habe bei der Durchsuchung am 10. Februar 2014 den Eindruck gewonnen, ‚dass dort eine überhastete Flucht stattgefunden hat‘. Vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages sagte Baum, vor der Tür von Edathys Wohnung hätten zerstörte Mikroprozessoren gelegen. Innen hätten sich als vertraulich eingestufte Akten gestapelt.“

Im Februar-Plenum hatten die Abgeordneten Dirk Toepffer und Jens Nacke in der Mündlichen Anfrage Nr. 19, Drucksache 17/2980, u. a. folgende Frage gestellt:

„Welche Spuren bei der Beweissicherung deuten darauf hin, dass der ehemalige Abgeordnete Sebastian Edathy bzw. andere Personen Edathys Wohn- bzw. Büroräume in Rehburg in großer Eile verlassen und möglicherweise belastendes Material für die Auswertung durch die Ermittlungsbehörden unschädlich gemacht bzw. aus den Räumlichkeiten entfernt haben könnten?“

Die Landesregierung beantwortete diese Frage seinerzeit wie folgt:

„Die Bewertung der Spurenlage in den Wohn- und Büroräumen des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy obliegt dem Landgericht Verden im Rahmen der dort am 23. Februar 2015 gegen ihn beginnenden strafgerichtlichen Hauptverhandlung.“

Tatsächlich wurde das Strafverfahren gegen Sebastian Edathy nach zwei Verhandlungstagen ohne gerichtliche Beweisaufnahme gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt.

Die NOZ berichtete in ihrer Onlineausgabe vom 6. Mai 2015 u. a.:

„Lange warten musste Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD), bevor er gestern im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Kinderporno-Affäre um den früheren SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy als Zeuge aussagen konnte. … Von Innenminister Pistorius wollten die Ermittler gestern zwei Dinge wissen: Wann genau hat er von dem Kinderporno-Verdacht gegen den Edathy erfahren? Dazu hat Pistorius gestern erneut erklärt, dass er sich nicht konkret an den Zeitpunkt erinnern könne. Es müsse aber in der zweiten Hälfte des Oktober 2013 gewesen sein, dass der damals zuständige Göttinger Polizeipräsident Robert Kruse ihn allgemein über ein bundesweites Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Kinderpornografie informiert habe, in das möglicherweise auch Edathy involviert sei. Dieses ,Nicht-Erinnern‘ wunderte gestern den CDU-Obmann Armin Schuster im Berliner Edathy-Ausschuss sehr. Es gebe in Niedersachsen eine Liste von 80 Kenntnisträgern, und alle wüssten, wann und wie sie informiert worden seien - außer Pistorius und Kruse. … Die zweite zentrale Frage an Pistorius war: Mit wem sprach er darüber? ,Mit niemandem. Ich wurde auch nicht gefragt‘, erklärte Pistorius. … ,Ihr Niedersachsen seid abgebrüht‘, erstaunte sich Schuster.“

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie rechtfertigt die Landesregierung mit Blick auf die grundgesetzlich verbürgten Untersuchungsrechte des Edathy-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages das mehrfache Übersenden unvollständiger Kenntnisträger

listen an den Ausschuss, die nach Einschätzung von Mitgliedern dieses Ausschusses trotz des mehrfachen Nachbesserns immer noch nicht vollständig sind?

2. Wie erklärt die Landesregierung, dass der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius im Rahmen seiner Vernehmung vor dem EdathyUntersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages angegeben hat, sich einerseits nicht an den konkreten Zeitpunkt erinnern zu können, an dem er erstmalig von dem Kinderporno-Verdacht erfahren hat, sich aber andererseits sicher daran zu erinnern können, dass er mit niemandem über den Kinderporno-Verdacht gegen Edathy gesprochen habe?

3. Hat die Landesregierung dem Landtag bei der Beantwortung der Mündlichen Anfrage Nr. 19 der Abgeordneten Dirk Toepffer und Jens Nacke im Februar-Plenum Erkenntnisse und Informationen darüber verschwiegen, ob der ehemalige SPDBundestagsabgeordnete Sebastian Edathy seine Wohnung vor den Durchsuchungsmaßnahmen überhastet verlassen, mögliche Beweismittel vernichtet, beschädigt oder beiseitegeschafft hat oder vor den Durchsuchungsmaßnahmen gewarnt gewesen sein könnte, gegebenenfalls aus welchem Grund, aufgrund wessen Entscheidung und auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage?

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Jahns. - Für die Landesregierung meldet sich die Justizministerin, Frau Niewisch-Lennartz. Ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte gleich auf die angesprochenen Personenlisten, die dem EdathyUntersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages vorgelegt worden sind, eingehen. Die Listen sind vollständig und dem Ausschuss zuletzt auf seinen ausdrücklich formulierten Wunsch hin auch noch chronologisch geordnet vorgelegt worden.

Dafür, dass zunächst unterschiedliche Einzellisten erstellt worden waren, die später in eine überarbeitete Gesamtliste zusammengefasst worden sind, gibt und gab es sachliche Gründe, die mit ein wenig gutem Willen leicht nachzuvollziehen sind.

Diese Gründe sind sowohl gegenüber dem Niedersächsischen Landtag als auch gegenüber dem 2. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages bereits dargelegt worden. Grundlage für das dem 2. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestags am 25. September 2014 übersandte Personenverzeichnis war der Beweisbeschluss 18(27)9.

Eine zweite Auflistung wurde für die Beantwortung der Mündlichen Anfrage Nr. 21 der Abgeordneten Editha Lorberg - Landtagsdrucksache 17/2980, Ergänzungsdrucksache 17/3044 - im Februar-Plenum des Niedersächsischen Landtags erstellt.

Diese beiden Listen waren nicht identisch, was auch nicht verwunderlich ist, weil es sich um unterschiedliche Fragestellungen und um unterschiedliche Zeiträume handelte.

Mit Schreiben vom 17. März kam die Landesregierung einer weiteren Bitte des Untersuchungsausschusses um Vorlage einer zusammengefassten Gesamtliste nach. Eine entsprechende Unterrichtung des Niedersächsischen Landtags erfolgte mit Schreiben vom 19. März 2015, verbunden mit der Bitte, die Liste wegen der darin aufgeführten Klarnahmen von Landesbediensteten als vertraulich zu behandeln.

Nachdem die Mitglieder des 2. Untersuchungsausschusses in der Folgezeit zusätzlich den Wunsch nach einer chronologisch geordneten Gesamtliste geäußert hatten, kam die Landesregierung auch diesem Ersuchen nach und übersandte mit Schreiben vom 17. April eine in chronologisch geordneter Form zusammengestellte Gesamtliste.

In der Sitzung des 2. Untersuchungsausschusses am 23. April wurde die Landesregierung darum gebeten, den Zeitraum für die Abfrage noch einmal zu erweitern und einen von der bisherigen Fragestellung nicht umfassten Personenkreis mit in die Liste aufzunehmen. Ging es anfänglich darum, die Personen mitzuteilen, die davon positiv Kenntnis erlangt hatten, dass sich der Name „Sebastian Edathy“ auf einer Liste im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen des Erwerbs kinder- und jugendpornografischer Schriften befindet bzw. dass gegen Sebastian Edathy ermittelt wird, so galt es nunmehr mitzuteilen, welche Personen theoretisch Kenntnis erlangt haben können. Es ist nicht verwunderlich, dass diese Liste umfangreicher ausfällt.

Die daraufhin erstellte neu sortierte Gesamtliste umfasst - wie bereits zuvor in chronologischer Abfolge - die Personen einschließlich der Dienstbezeichnung und der Dienststelle und die jeweiligen Geschehnisse sowie Gesprächspartner, die Gegenstand sowohl des Beweisbeschlusses 18(27)9 als auch der Mündlichen Anfrage von Abgeordneten des Niedersächsischen Landtags waren. Lediglich die Art der Darstellung ist geändert worden. Diese neue chronologische Gesamtliste ist inhaltlich mit den früheren Listen identisch.

Darüber hinaus wurde auf ausdrücklichen Wunsch des 2. Untersuchungsausschusses in seiner Sitzung am 23. April 2015 die Auflistung der Bediensteten aus dem Geschäftsbereich des Niedersächsischen Innenministeriums und des Niedersächsischen Justizministeriums erstellt, die theoretisch die Möglichkeit einer Kenntnisnahme hätten haben können, z. B. IT-Mitarbeiter, die Zugriff auf elektronische Daten hätten nehmen können.

Diese, den geäußerten Wünschen entsprechend neu sortierte Gesamtliste sowie weitere Auflistungen hat die Landesregierung der Vorsitzenden des 2. Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestags mit Schreiben vom 11. Mai 2015 übersandt.

Ich möchte nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu einem weiteren Vorgang kommen, der in der Vorbemerkung angesprochen wird.

In der Vorbemerkung konfrontieren die Fragesteller die Landesregierung mit der Aussage eines Zeugen, die dieser am 6. Mai 2015 vor dem 2. Untersuchungsausschuss gemacht haben soll. In diesem Zusammenhang bleibt festzustellen, dass das Strafverfahren gegen Sebastian Edathy abgeschlossen ist. Für die Landesregierung verbietet es sich, die verfahrensabschließende Entscheidung des Gerichts zu kommentieren.

Das, was aus der Sicht des Gerichts einer Erörterung in öffentlicher Verhandlung bedurfte, ist dort erfolgt. Die Landesregierung hat die gerichtliche Entscheidung zu respektieren. Ihr steht es nicht zu, vertrauliche Akteninhalte öffentlich bekannt zu geben und sich daraus ergebende Ermittlungsergebnisse zu erörtern oder zu bewerten.

Zu einer Bewertung der in der Vorbemerkung zitierten Zeugenaussage unter Heranziehung der Ermittlungsakten ist die Landesregierung auch unter einem weiteren Gesichtspunkt nicht befugt: Es handelt sich um eine Zeugenaussage in einem nicht abgeschlossenen Untersuchungsverfahren.

Die Bewertung der dort erhobenen Beweise obliegt dem 2. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestags.

Ich möchte Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, in Erinnerung rufen, dass eine Herausgabe der Ermittlungsakten im Übrigen nicht nur an den 2. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestags erfolgt ist. Die Landesregierung war auch mehrfach mit Aktenvorlagen nach Artikel 24 Abs. 2 der Niedersächsischen Verfassung befasst, die das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy und die damit im Zusammenhang stehenden Verfahren zum Gegenstand hatten.

Diesen umfangreichen Aktenvorlagen liegen Beschlüsse der Landesregierung vom 25. März 2014, 20. Mai 2014, 15. Juli 2014, 30. September 2014 und 15. Dezember 2014 zugrunde. Die aufgrund der vorgenannten Beschlüsse herausgegebenen Aktenbestandteile liegen den Abgeordneten zur Einsichtnahme vor. Sie wurden der Landtagsverwaltung in vier Tranchen mit diversen Übersendungsschreiben übergeben.

Dies vorangestellt, beantworte ich die Fragen im Namen der Landesregierung wie folgt:

Zur Beantwortung der Frage Nr. 1 darf ich zunächst auf meine Ausführungen verweisen. Wie bereits dargestellt, liegen den Listen unterschiedliche Fragestellungen und differierende Stichtage zugrunde. Die Landesregierung hat den 2. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestags selbstverständlich vollständig und gewissenhaft unterrichtet.

Zur Beantwortung der Frage Nr. 2: Bereits bei der Beantwortung vorheriger parlamentarischer Anfragen war Herr Minister Pistorius gemeinsam mit Herrn Kruse bemüht, den konkreten Tag des Gesprächs, in dem Herr Kruse den Minister informiert hat, zu verifizieren. Beide konnten und können den genauen Tag aus der Erinnerung heraus leider nicht mehr genau bestimmen. Nach einem solch langen Zeitraum liegt das auch in der Natur der Sache.

(Jens Nacke [CDU]: Warum nur bei ihnen? Bei niemandem sonst ist das so!)

Herr Polizeipräsident Kruse hat Minister Pistorius in der zweiten Oktoberhälfte über ein bundesweites Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Kinderpornografie informiert, von dem möglicher

weise auch das niedersächsische Bundestagsmitglied Sebastian Edathy betroffen sein könnte.

Weitere Einzelheiten sind dem Minister von Herrn Kruse nicht mitgeteilt worden, und der Minister hat auch nicht nach weiteren Einzelheiten gefragt. Die Information hat er zum damaligen Zeitpunkt zur Kenntnis genommen. Für ihn bestand aus der an ihn übermittelten Information auch kein Handlungsbedarf.

Auch hierzu möchte die Landesregierung - wie bereits unzählige Male zuvor - klarstellen, dass der Minister bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung über die Durchsuchungsmaßnahmen im Büro und in der Wohnung des ehemaligen Bundestagsabgeordneten mit niemandem darüber gesprochen hat und auch nicht nach dem Sachverhalt gefragt wurde.

(Ulf Thiele [CDU]: Warum kann uns der Minister das nicht selbst sagen?)