Protokoll der Sitzung vom 14.10.2015

Mitglieder des Landtages widersprechen.“ Ich darf die Wortmeldungen aus der SPD-Fraktion, aber auch aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so deuten, dass dem widersprochen wird.

Wird meine Feststellung angezweifelt? - Dann ist das so. Damit ist der Antrag nicht erfolgreich, Herr Kollege Bode.

Wir setzen die Dringlichen Anfragen fort. Ich rufe auf die Dringliche Anfrage

c) Notruf einer Polizistin - Wie viele Frauen in Niedersachsen teilen das Schicksal der Diskriminierung mit Tania Kambouri? - Anfrage der Fraktion der CDU - Drs. 17/4396

Die Anfrage der CDU-Fraktion wird von der Kollegin Angelika Jahns eingebracht. Bitte sehr!

(Vizepräsident Karl-Heinz Klare über- nimmt den Vorsitz)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Dringliche Anfrage der CDU-Fraktion einbringen: Notruf einer Polizistin - Wie viele Tania Kambouris gibt es in Niedersachsen?

Die Bochumer Polizistin Tania Kambouri erregte vor zwei Jahren mit einem Leserbrief in der Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft der Polizei große Aufmerksamkeit. In diesem Leserbrief machte sie ihre Wut über die fehlende Akzeptanz ihr gegenüber als Polizistin seitens vieler Männer mit muslimischer Prägung öffentlich. So schreibt sie dort:

„Wie sieht die Zukunft in Deutschland aus, wenn straffällige Migranten sich (weiterhin) weigern, die Regeln in ihrem Gast- bzw. Heimatland zu akzeptieren? … Meine Kollegen und ich werden täglich mit straffälligen Migranten, darunter größtenteils Muslimen (Türken, Araber, Libanesen usw.) konfrontiert, welche nicht den geringsten Respekt vor der Polizei haben. Dabei fängt die Respektlosigkeit bereits im Kindesalter an. Man wird täglich auf der Straße beleidigt, wenn man zum Beispiel Präsenz zeigt.“

Inzwischen hat Frau Kambouri ein Buch mit dem Titel „Deutschland im Blaulicht - Notruf einer Polizistin“ veröffentlicht.

Dort heißt es auf Seite 115:

„Muslimische Männer gehen spürbar anders mit mir um als mit meinen männlichen Kollegen. Es interessiert sie nicht, dass ich in Uniform vor ihnen stehe. Wenn bei einem Einsatz ein männlicher Kollege das Gespräch führt, werde ich wie Luft behandelt. Wenn ich nicht gerade im Weg stehe. Führe ich das Gespräch, werde ich oft nicht als gleichwertige Gesprächspartnerin akzeptiert. Man fällt mir ins Wort, nimmt mich nur selten auf Anhieb ernst, fordert mich auf zu verschwinden oder geht mich offensiv verbal an. Die Missachtung äußert sich in dummen Sprüchen, übler Anmache, Provokationen und Beleidigungen, teilweise auf niedrigstem Niveau. Gerne in gebrochenem Deutsch oder in der jeweiligen Muttersprache.

Die Ablehnung als Polizistin bzw. als Uniformträgerin kann ich gerade noch hinnehmen. Das sehe ich professionell. Bei den Respektlosigkeiten, Beleidigungen und Erniedrigungen, die ich mir als Frau und auch als Ausländerin gefallen lassen muss, fällt mir das schon deutlich schwerer. Daran kann und werde ich mich nicht gewöhnen, und ich toleriere es auch nicht.“

Vor diesem Hintergrund fragen wir:

1. Gibt es das von Frau Kambouri geschilderte Problem fehlenden Respekts und fehlender Akzeptanz gegenüber weiblichen Staatsbediensteten, und zwar insbesondere gegenüber Polizistinnen, Lehrerinnen und Ärztinnen, bei Männern und Jugendlichen muslimischer Prägung in Niedersachsen?

2. Wie unterstützt die Landesregierung weibliche Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, wie Polizistinnen wie Frau Kambouri oder Ärztinnen/Lehrerinnen, die wegen ihres Geschlechts diskriminiert werden?

3. Wird die gegenwärtige Landesregierung die Beschwerdestelle im Innenministerium, die von den Polizeigewerkschaften weiterhin abgelehnt wird, weil sich darin ein Misstrauen gegenüber der Polizei zeigt, wieder auflösen?

Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Jahns. - Die Antwort kommt vom Innenminister. Herr Pistorius, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keinesfalls akzeptiert oder toleriert die Landesregierung ein wie von Frau Tania Kambouri geschildertes Verhalten und Agieren gegenüber weiblichen Staatsbediensteten. Fehlender Respekt und fehlende Akzeptanz gegenüber Staatsbediensteten sind nicht hinnehmbar.

(Beifall im ganzen Hause)

Die Landesregierung würde selbstverständlich bei Bekanntwerden entsprechender Vorfälle die Frauen nach Kräften unterstützen und Hilfe anbieten sowie Maßnahmen ergreifen, die die Frauen vor derartigen Diskriminierungen schützen sollen. Bisher sind der Landesregierung - namentlich den obersten Landesbehörden - glücklicherweise keine vergleichbaren Fälle wie der Fall von Frau Tania Kambouri bekannt.

(Ulf Thiele [CDU]: Vielleicht mal eine Abfrage machen!)

Die von der CDU-Fraktion gewählte parlamentarische Anfrage macht aufgrund der zur Verfügung stehenden Zeit eine umfangreiche ressortübergreifende Abfrage des jeweiligen nachgeordneten Bereichs in der Kürze der Zeit schlicht nicht möglich.

(Björn Thümler [CDU]: Kann nicht sein!)

Zu Frage 1: Konkrete Einzelfälle oder Fallzahlen können nicht benannt werden. Eine verlässliche Beantwortung der Anfrage ist aufgrund der angegebenen Gründe zu dieser Sitzung nicht möglich.

Für den Bereich der Polizei gilt ganz grundsätzlich, dass in vielen polizeilichen Einsätzen die einschreitenden Beamtinnen und Beamten auf Personen in für sie schwierigen bzw. Ausnahmesituationen treffen. Häufig erschweren Sprachbarrieren, übermäßiger Alkoholgenuss und der Konsum berauschender Mittel das polizeiliche Handeln erheblich. Darüber hinaus können gruppendynamische Prozesse einen Teil - manchmal einen erheblichen - zu respektlosem Verhalten beitragen und im Extremfall zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft auch verbaler Art führen.

Zu den weiteren Parametern, die die Einsatzverläufe beeinflussen, gehören u. a. die Sozialisation

bzw. die Herkunft, ein unterschiedliches Verständnis von Polizei und ihrer Arbeit, vorhandene Einstellungen, Werte und Normen sowie das Geschlechterrollenverständnis von Bürgerinnen und Bürgern, ganz gleich woher sie kommen, aber eben auch natürlich aus dem Ausland.

Vor diesem Hintergrund lässt sich feststellen, dass die von Frau Kambouri beschriebenen Missachtungen, Provokationen und Beleidigungen bedauerlicherweise mitunter zum Alltag der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in Niedersachsen gehören. Die oben aufgezeigten Formen von Ablehnung sind aber natürlich nicht nur bei muslimischen Männern vorzufinden. Von daher ist das Zitat, das Frau Jahns gerade vorgetragen hat, natürlich auch zu relativieren, wenn es dort heißt, muslimische Männer gehen anders um. Es gibt ebenso wenig die Gruppe von muslimischen Männern wie die Gruppe von christlichen Frauen oder anderen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch da sollten wir bei aller Notwendigkeit, Probleme klar zu benennen und dagegen vorzugehen, nicht zu pauschalen Urteilen kommen.

Auch wenn das vorzufinden ist - Fehlverhalten gegenüber Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ist vielmehr - auch das ist bekannt - in jedem Kulturkreis und in allen gesellschaftlichen Milieus mit unterschiedlichen Ausprägungen anzutreffen. So, wie die Landesregierung respektloses Fehlverhalten gegenüber Polizistinnen und Polizisten ablehnt, so missbilligt die Landesregierung auch jede Form der Stigmatisierung von Menschen einer bestimmten Religionszugehörigkeit. Im Geschäftsbereich des Niedersächsischen Kultusministeriums gibt es die Anlaufstelle für Opfer und Fragen sexuellen Missbrauchs und Diskriminierung in Schulen und Tageseinrichtungen für Kinder. Sie richtet sich mit ihrem Angebot an alle Hilfesuchenden in den definierten Bereichen. In der täglichen Arbeit werden unter Anwendung hoher fachlicher Standards je nach vorgetragenem Einzelfall Maßnahmen ergriffen, um der Leidenssituation abzuhelfen, fachliche Beratung durchzuführen und/oder angemessene Begleitung und schnelle Abhilfe vor Ort für die Betroffenen zu schaffen.

In der dreijährigen Arbeit der Anlaufstelle für Opfer und Fragen sexuellen Missbrauchs und Diskriminierung in Schulen und Tageseinrichtungen für Kinder wurden bislang keine Fälle oder Hilfegesuche vorgetragen, bei denen eine Diskriminierung

durch muslimische Männer gegenüber weiblichen Beschäftigten des öffentlichen Lebens, also Lehrerinnen, Erzieherinnen, pädagogische Mitarbeiterinnen und andere, Gegenstand des Hilfegesuchs waren.

Zu Frage 2: Das Land Niedersachsen ist als Arbeitgeber an die Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gebunden. Die Vorschriften des AGG gelten unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung entsprechend natürlich auch für Beamtinnen und Beamte bzw. Richterinnen und Richter. Damit trifft das Land die Verpflichtung, bei Fällen von Belästigungen im Sinne von § 3 Abs. 3 AGG oder von sexuellen Belästigungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen. Entsprechende Schutzmaßnahmen sind nicht nur bei Belästigungen zwischen Beschäftigten, sondern auch bei Belästigungen durch Kunden bzw. Menschen außerhalb der Landesverwaltung zu ergreifen. Die Landesregierung nimmt diese Verpflichtung sehr ernst.

Für konkrete Beratung im Einzelfall stehen Betroffenen die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie Antidiskriminierungsberatungsstellen vor Ort zur Verfügung. Rund um die Uhr kann das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ erreicht werden. Schließlich bieten bei sexualisierter Gewalt die niedersächsischen Fachberatungsstellen bei Gewalt Unterstützung und Hilfe an.

Die Polizei Niedersachsen hat die Bedeutung der Thematik bereits vor Jahren erkannt. Neben einer angestrebten Erhöhung des Anteils von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten mit Migrationshintergrund hat sie die kulturelle Öffnung sowie die Steigerung der interkulturellen Kompetenzen zu einem zentralen Anliegen gemacht. Sie hat erkannt, dass das wirksamste Mittel zur Vermeidung von Diskriminierungen die Steigerung der interkulturellen Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist, und schult diese daher entsprechend.

Die beschriebene Grundhaltung der niedersächsischen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten und der damit einhergehende wertschätzende Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern ist eine wesentliche Voraussetzung, um Ablehnung und Respektlosigkeiten selbst nicht ausgesetzt zu sein; dies ist aber natürlich kein umfassender Schutz.

Interkulturelle Kompetenz wird nicht in jedem Fall Konflikte verhindern. Aber sie befähigt dazu, Konflikte überschaubarer und regelbarer zu machen.

Dazu dienen sowohl die Fähigkeit, interkulturelle Spielräume selbst situativ zu erkennen und zu nutzen, als auch Kenntnisse kultureller Hintergründe. Eine interkulturelle Handlungskompetenz besteht also aus einem ganzen Bündel von Fähigkeiten, die einen professionellen Umgang mit interkulturellen Situationen, auch Spannungssituationen, ermöglicht.

Gleichwohl gibt es bei der Polizei Niedersachsen zahlreiche Hilfs- und Unterstützungsangebote für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte zum Umgang mit Situationen, die als besonders belastend wahrgenommen werden, und das oft zu Recht. Hierzu zählen u. a. die umfangreichen Maßnahmen des Sozialwissenschaftlichen Dienstes der regionalen Beratungsstellen und des Kirchlichen Dienstes von Polizei und Zoll.

Unabhängig von den zuvor beschriebenen institutionalisierten Möglichkeiten sind sich auch die polizeilichen Führungskräfte ihrer besonderen Verantwortung für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewusst und stehen als Vertrauensperson zur Verfügung.

Zu Frage 3: Die Landesregierung unternimmt im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles, um Frauen und Männer vor Diskriminierung durch patriarchale Einschätzungen zu schützen. Dies gilt ausdrücklich auch für die Zukunft.

Mit der Fragestellung, wie es gelingen kann, Werte wie Selbstbestimmungsrecht, Respekt und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Mann und Frau zukünftig aufrechtzuerhalten und zu stärken, wird sich auf Einladung Niedersachsens demnächst u. a. eine länderübergreifende Arbeitsgruppe befassen.

Für den Kultusbereich gilt die Antwort zu Frage 2.

Für die niedersächsische Polizei gilt dabei, dass der Reduzierung von Konflikten bei der Polizei eine besondere Bedeutung beigemessen wird. Sie hat eine gut aufgestellte Aus- und Fortbildung, die auf eine Vermeidung von Diskriminierung ausgerichtet ist. Interkulturelle Kompetenz befähigt die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten dazu, unterschiedlichste Situationen zu beobachten und zu analysieren, um Handlungsspielräume zu erkennen und diese auch für sich zu nutzen.

Sowohl im Studium als auch in der sich daran anknüpfenden polizeispezifischen Fortbildung gehören interkulturelle Module zum Standard. Aus- und Fortbildungsveranstaltungen zu Themenkomplexen, wie beispielsweise Kommunikation, Konflikt-

und Krisenintervention, Sozialisation, Stresswahrnehmung, Aggression, Vorurteile und Jugendkriminalität, werden regelmäßig durchgeführt.

Darüber hinaus wird in diversen Qualifizierungsmaßnahmen Hintergrundwissen zum türkischen und arabischen Kulturkreis vermittelt.