Es wurde allerdings für uns alle relativ schnell klar: Die Beitragsordnung diente in Wirklichkeit nur als Initialzündung für eine erneute, gut vorbereitete Kampagne gegen die Pflegekammer. Das ist übrigens kein Wunder; denn diese Beitragsordnung war bereits seit Juni 2018 bekannt. Man wusste,
dass irgendwann der Beitragsbescheid kommen würde. Man kannte den Zeitplan. Insofern brauchte man nur auf den Knopf zu drücken. Dann ist das abgelaufen, was wir alle kennen.
Wenn man etwas tiefer im Netz recherchiert, dann findet man auch hinreichend Handlungsanweisungen, wie diese Kampagne ablaufen sollte. Vor allem die Accounts der SPD-Abgeordneten sollten dabei geflutet werden. Ich persönlich hatte, was meinen Account betraf, das Privileg, namentlich erwähnt zu werden. Die Betitelung „Drecksau“ war dabei noch einer der kleineren Kraftausdrücke.
Meine Damen und Herren, ich weiß, dass es einigen Kolleginnen und Kollegen auch so gegangen ist, ganz zu schweigen von den Beschäftigten bei der Pflegekammer und der Präsidentin selbst. Ich sage Ihnen: In einer demokratischen Gesellschaft dürfen wir glücklicherweise unterschiedliche Positionen öffentlich austragen. Aber Unterstellungen, Beleidigungen, persönliche Diffamierungen, insbesondere anonym aus dem Dickicht des Internets, und das auch noch mit Fake-Accounts, sind für mich keine Mittel der demokratischen Auseinandersetzung.
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU und von Stephan Bothe [AfD])
Ich will noch einmal darauf hinweisen: Der Wunsch nach Einrichtung der Pflegekammer ist keine Erfindung der Politik. Seit mehr als 30 Jahren fordern Pflegekräfte die Einrichtung einer derartigen berufsständischen Vertretung. Sie haben es satt, fremdbestimmt zu werden. Sie haben es satt, sich entmündigen lassen zu müssen. Das war der Grund. Das ist die Ursache. Das war richtig, das ist richtig. Und ich sage Ihnen: Die Heftigkeit der aktuellen Debatte macht für mich erneut deutlich, dass die Pflege endlich eine eigene Stimme braucht.
Es ist hier schon angesprochen worden: Kein Mensch in diesem Parlament käme vermutlich auf die Idee, die Ärztekammer, die Apothekerkammer
Herr Dr. Birkner hat auf meine Zwischenfrage darauf hingewiesen, dass das etwas ganz anderes sei, weil das Freiberufler und Selbstständige seien. Meine Damen und Herren, fast alle Ärzte in unseren Krankenhäusern und medizinischen Versorgungszentren sind Angestellte, Unselbständige, lohnabhängig Beschäftigte. Sie sind trotzdem Pflichtmitglied der Ärztekammer.
(Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]: So viel zu „freien Berufen“! - Dr. Stefan Birkner [FDP]: Sie können doch nicht leugnen, dass das ein anderer Hinter- grund ist! Das ist eine andere Ent- wicklung! Die haben echte Selbstver- waltungsaufgaben, die sonst der Staat übernehmen müsste!)
Mehr als 50 % der Mitglieder der Ärztekammer sind keine Selbstständigen, sondern Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es gibt an dieser Stelle überhaupt keinen Unterschied zu den angestellten Krankenschwestern oder den angestellten Altenpflegerinnen. Und, meine Damen und Herren, auch Ärzte ärgern sich hin und wieder über ihre Kammer.
Aber im Kern wissen sie, dass sie auf eine starke Kammer zählen können, wenn es um berufsständische Fragen oder auch um die Auseinandersetzung mit der Politik geht.
Nur für die Pflegekräfte, die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen, wird seit Jahren die Tür verschlossen gehalten. Sie haben keine standespolitische Vertretung, weder gegenüber anderen Berufsgruppen noch gegenüber der Politik. Genau diesem Grundproblem begegnet die Einführung von Pflegekammern. Das war längst überfällig, meine Damen und Herren.
Wir haben hier in Niedersachsen in den vergangenen 15 Jahren - das ist hier angedeutet worden - heftig über die Kammer diskutiert. Ich frage mich zwischenzeitlich eigentlich, warum. Warum in dieser Heftigkeit gerade in Niedersachsen, wenn man sich die bundespolitische Landschaft ansieht?
In Rheinland-Pfalz ist die Bildung der Pflegekammer als erste solche Kammer in Deutschland einstimmig vom Landtag beschlossen worden. Dort gibt es gegenwärtig eine Koalition aus SPD, FDP und Grünen. Julia Klöckner hat übrigens das Geburtsrecht an dieser Kammer immer für die CDU reklamiert.
In Niedersachsen kennen Sie das Ergebnis einer Befragung, durchgeführt in der 16. Wahlperiode von der Regierung von CDU und FDP - Umsetzung der Ergebnisse durch SPD und Grüne.
Aktuell hat es eine Umfrage in Nordrhein-Westfalen gegeben. Dort gibt es eine Landesregierung aus CDU und FDP. Aktuell haben sich dort die Befragten mit 86 % - so viele, wie noch nie - für die Einrichtung einer Interessenvertretung ausgesprochen. 59 % der Befragten haben sich explizit für eine Pflegekammer ausgesprochen. Der dortige Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann erklärte am 9. Januar dieses Jahres:
„Ich möchte die Kammer zu einer starken Stimme für die Pflege machen. … Nur eine starke Pflegekammer kann auf Augenhöhe mit den anderen Akteuren im Gesundheitswesen agieren.“
Angesichts dieser Entscheidung in NordrheinWestfalen hat sich Gesundheitsminister Spahn zeitgleich für die Einrichtung einer Bundespflegekammer ausgesprochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts dieser parteipolitisch wahrlich bunten Landschaft bei der Errichtung von Pflegekammern fände ich es gut, wenn wir auch in Niedersachsen bei dieser Debatte mal ein bisschen abrüsten und das Thema endlich versachlichen.
Ich finde, Kampfbegriffe wie „Zwangsmitgliedschaft“ und „Zwangsbeitrag“ verbessern weder die Situation der Pflegekräfte, noch sind sie rechtlich zutreffend. Das Wesen einer berufsständischen
Die Alternative ist eine freiwillige Mitgliedschaft, analog zum bayerischen Pflegering, wie sie die AfD fordert. Wer sich mit dem Pflegering beschäftigt, stellt relativ schnell fest: Der bayerische Pflegering ist der verlängerte Arm der dortigen Staatsregierung. Er wird von ihr finanziert. Sie hat die Rechts- und Fachaufsicht über ihn. Und wenn ihr das nicht mehr gefällt, dann wird die Haushaltskasse dort eben etwas knapper werden.
Von knapp 180 000 Pflegekräften in Bayern ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einmal 1 % freiwilliges Mitglied in diesem Gremium geworden. Eine derartige Einrichtung hat in Wirklichkeit keinerlei Legitimation. Sie ist ein Feigenblatt für die Initiatoren und keine Alternative zu einer Kammer.
Für mich stellt sich seit Tagen die Frage: Wer hat eigentlich etwas davon, wenn die Pflegekammer in Niedersachsen oder in anderen Bereichen zerstört wird? Das ist für mich wirklich die zentrale Frage!
Die in Niedersachsen erneut reaktivierte Ablehnungsfront gegen die Kammer umfasst die gleichen Gruppen und Personen wie 2016. Und es mal deutlich zu sagen: Im Vordergrund stehen ureigene Interessen derjenigen, die eine Kammer ablehnen. Sie wollen sie nicht auf Augenhöhe haben. Dass die Pflegekammer mehr als 20 000 unvollständige und fehlerhafte Personalmeldungen von den Arbeitgebern bekommen hat, ist kein Zufall.
Viele von uns gehen in Pflegeeinrichtungen. Ich habe dort wiederholt gehört: Es gibt Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die ihre Kräfte aufgefordert haben, alles, was von der Kammer kommt, zu ignorieren und in den Papierkorb zu schmeißen, damit die Kammer nicht registrieren kann und damit die Kammer ihre Arbeit nicht aufnehmen kann.
Wir erleben also seit Jahren eine absolut unredliche und unehrliche Debatte, meine Damen und Herren. Alle Akteure beklagen den massiven Fachkräftemangel, die schlechten Rahmenbedingungen und die teilweise schlechte Bezahlung. Wenn es jedoch um die Verbesserung dieser Instrumente geht - das will ich nur beispielhaft sagen -, sieht es anders aus: In Niedersachsen wurde vor zwei Jahren in letzter Minute der greifbar nahe Tarifvertrag Soziales gekippt. Der verbesserte Personalschlüssel wurde lange boykottiert. Ja,
sogar die Reduzierung von Dokumentationspflichten wurde blockiert. Und das war eben nicht die viel gescholtene Politik, sondern das waren Teile der Anbieterseite. Deshalb will dieser Teil der Anbieterseite mit allen Mitteln eine Kammer verhindern bzw. kippen. Meine Damen und Herren, wir sollten das endlich durchschauen und nicht zulassen!
Es gibt auch andere Arbeitgeber; auch das lesen Sie. Es gibt zwischenzeitlich nämlich Arbeitgeber, die den Kammerbeitrag für ihre Beschäftigten einfach übernehmen und damit für Betriebsfrieden sorgen. Gleichzeitig machen diese Arbeitgeber deutlich, dass sie es akzeptieren, dass die Pflege eine eigene Stimme bekommt, damit sie gute Fachkräfte im Haus haben. Auch das ist ein Weg, über den man beispielsweise beim bpa mal nachdenken könnte, meine Damen und Herren.
Wir von der SPD haben übrigens nie behauptet, dass die Kammer das Allheilmittel ist. Aber sie ist ein Baustein. Wer der Pflege in Deutschland also wirklich helfen will, der muss erstens die Finanzierung der Pflegeversicherung schnellstens ändern. Das Prinzip der Teilkaskoversicherung verhindert bessere Bezahlung. Jede Lohnerhöhung zahlen entweder die Pflegebedürftigen, deren Angehörige oder die Sozialhilfestellen; und das ist nicht förderlich. Zweitens. Wir haben dadurch keinen Wettbewerb um die beste Pflegequalität, sondern um das billigste Angebot. Drittens. Die Pflege braucht sowohl eine starke berufsständische Vertretung als auch starke Gewerkschaften in den Betrieben. Pflegekammern und Gewerkschaften sind kein Gegensatz,
sondern sie wären ein kluges und notwendiges Bündnis, wenn es um die Verbesserung in der Pflege geht. Deshalb finde ich es gut, dass ver.di mehr als 50 % der Mitglieder in der niedersächsischen Kammerversammlung stellt.
Meine Damen und Herren, Volker Meyer hat etwas zur Koalitionsvereinbarung gesagt. Das steht. So werden wir das machen. Gehen Sie mal davon aus: Auch an dieser Stelle werden Sie die Koalition nicht auseinanderdividieren.
Aber bis zum Abschluss der Evaluierung bitte ich dringend darum, dass die Kammer endlich mit ihrer Arbeit beginnen darf.
Vielen Dank, Herr Kollege Schwarz. - Meine Damen und Herren, mir liegen bis hierhin keine weiteren Wortmeldungen vor. Da und dort ist noch unverbrauchte Redezeit vorhanden.