Protokoll der Sitzung vom 30.10.2020

(Jörg Bode [FDP]: Ich heiße auch nicht „Bothe“!)

- Genau, du hast aber eben so geguckt, als ob du so heißen würdest.

(Heiterkeit)

Aber wenn sich der Kollege Bothe, Mitglied der früheren AfD-Fraktion, im Oktober hier hingestellt und erklärt hat, die Pandemie sei vorbei, dann hat er sich mit dieser Aussage an der Gesellschaft versündigt. Denn Sie haben dazu beigetragen, dass sich Menschen nicht mehr an die Maßnahmen halten. Das ist hier die Wahrheit.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich muss ja seit Wochen all diesen Unsinn lesen, den Sie verzapfen. Ich verstehe nicht, wie man sich hier hinstellen und sagen kann „Die Pandemie ist jetzt vorbei“, womit man ja gleichzeitig zugibt, dass es sie gegeben hat. Wenn man aber ein Kriterium entwickelt, ob es sie gibt oder ob sie vorbei ist, können das ja nur die Zahlen sein. Wenn die Zahlen jetzt wieder steigen, dann müssen Sie diese intellektuelle Meisterleistung einmal erklären.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Nun zur Sinnhaftigkeit der Maßnahmen: Wenn die Bedingungen, unter denen man sich eine solche Infektion einfängt, unklar sind - und das sind sie

offensichtlich -, dann kann man natürlich jede einzelne Maßnahme infrage stellen. Das ist klar. Aber wenn wir es nicht klären können - 80 % sind ungeklärt -, können wir auch nicht mit Sicherheit sagen, welche Maßnahmen tatsächlich ziehen, lieber Herr Kollege Birkner.

Wie es bei der Gastronomie ist, weiß ich nicht, das sage ich Ihnen ganz ehrlich. Dass wir Menschen von der Gastronomie möglicherweise in andere Bereiche verdrängen, ist ein entscheidendes Argument und, wie ich finde, ein durchaus bedenkenswertes.

Bei mir geht es aber weiter. Auch bei der Maske bin ich mir manchmal nicht ganz sicher, ob dieses Fetzchen Stoff, das ich trage, mir wirklich hilft. Ich weiß es nicht. Aber ich denke, dass es trotzdem richtig ist, diese Maßnahmen zu ergreifen.

Herr Dr. Birkner, Sie sind ja Jurist. Sie kennen die gesamte Rechtsprechung zum Anwaltsregress. Das ist spannend. Da gibt es den Grundsatz des sichersten Weges: Will man sich vor Schadensersatzforderungen schützen, sollte man immer den sichersten Weg gehen. Das heißt beim Thema Corona nichts anderes, als dass wir, auch wenn wir es nicht unbedingt wissen, diesen Weg unbedingt gehen sollten. Wir sollten auf Nummer sicher gehen, ohne die wirtschaftlichen Folgen zu übersehen.

Ich will noch einmal zur Gastronomie kommen. Die 75-%-Regelung ist jetzt mehrfach angesprochen worden. Ja, auch ich finde sie gut. Sie hat aber noch einzelne Schwächen; das muss man hier ehrlicherweise eingestehen. Andererseits habe ich auch nichts anderes erwartet. Wenn 16 Menschen drei, vier Stunden zusammensitzen und über Maßnahmen diskutieren, um Deutschland vor Corona zu retten, dann ist es sicherlich schwierig, alle Details anzusprechen. Ich will aber ein paar nennen:

Mir ist beispielsweise noch nicht klar, wie ein Betrieb, der die Gastronomie mit Waren versorgt und jetzt feststellt, dass er im November nichts mehr verkauft, gerettet werden soll, wenn sein Betrieb aber nicht schließen soll.

Mir ist noch nicht klar, wie es mit den gemischten Betrieben ist, die teilweise Gastronomie, aber auch Einzelhandel haben.

Mir ist auch nicht klar, was der Schausteller macht, der seinen Umsatz eigentlich im Dezember machen würde, aber jetzt im November tatsächlich nicht schließen muss und gar kein Geschäft hätte.

Mir ist auch noch nicht klar, ob die 75 %, wenn sie ausgezahlt werden, eigentlich steuerpflichtig sind.

Es gibt also eine ganze Reihe von Fragen. Die kann man sicherlich klären. Für mich ist es aber das Allerwichtigste - das ist mir aus einer Vielzahl von Gesprächen in den letzten 24 Stunden klar geworden; die Kollegin Hamburg hat es zu Recht erwähnt; das tut sie immer wieder, das finde ich auch gut -, dass wir an die Schwächsten in der Gesellschaft, in diesem Land denken müssen. Es darf nicht passieren, dass wir 75 % des Umsatzes aus dem November 2019 zahlen und auf diese Weise einen Unternehmer retten, der seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kurzarbeit schickt, die mit 60 % auskommen müssen. Das darf nicht passieren! Wir sind nicht nur den Unternehmen, sondern auch den Beschäftigten und Mitarbeitern gegenüber verantwortlich.

(Beifall bei der CDU sowie Zustim- mung bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Damit kein Missverständnis aufkommt: Die CDUFraktion steht zu den Maßnahmen. Aber wir wollen, dass diese Detailfragen schnell geklärt werden. Ich würde mich freuen, lieber Herr Ministerpräsident - so gerne ich Ihnen alle vier Wochen zuhöre -, wenn im November-Plenum vielleicht auch einmal der Wirtschaftsminister zu den wirtschaftlichen Folgen und Einzelfragen hier im Rahmen einer Unterrichtung oder gar einer Regierungserklärung Stellung nehmen würde.

(Beifall bei der CDU - Wiard Siebels [SPD]: Dann kann er auch in deine Fraktion gehen! - Heiterkeit bei der SPD)

Was die Zukunft angeht, müssen wir nicht nur Detailfragen zur Gastronomie und Fragen der Wirtschaftspolitik klären, sondern drei Bereiche angehen:

Der erste Bereich ist relativ allgemein gehalten: mit allgemeinen Fragen unabhängig von der weiteren Entwicklung. Da bin ich wieder bei Frau Hamburg. Wir müssen gucken, wer in dieser Gesellschaft die Corona-Verlierer sind. Wir müssen gucken, wen welche Maßnahmen erreicht haben und wen wir vergessen haben. Das gilt es aufzuarbeiten.

Wir haben auch andere ganz allgemeine Fragen zu beantworten, beispielsweise die spannende Frage, wie wir eigentlich den Impfstoff, wenn er denn kommt, verteilen. Auch darüber sollten wir uns Gedanken machen.

Aber im Großen und Ganzen müssen wir uns mit zwei Grundszenarien beschäftigen: Wirken die Maßnahmen, oder wirken sie nicht?

Wenn sie wirken, ist die Frage, wann und in welcher Reihenfolge wir sie wieder aufheben. Um diese Frage zu beantworten, wird die niedersächsische Corona-Ampel nicht ausreichen - so gut und richtig sie war, als sie entwickelt worden ist -, weil sie nämlich bei Inzidenzzahlen endet, von denen wir alle dachten, sie seien das Ende der Fahnenstange. „Unter 35“, „35 bis 50“, „über 50“ - aber jetzt liegen wir in Niedersachsen schon bei knapp 80, und die 100 wird vermutlich überschritten werden. Insofern müssen wir dieses Instrument weiterentwickeln, und dazu ist auch der Niedersächsische Landtag berufen.

Das zweite Szenario ist: Was passiert, wenn die Maßnahmen nicht greifen? Diese Frage hat auch der Kollege Birkner zu Recht gestellt. Ich denke, da müssen wir als Politik jetzt endlich einmal vor die Lage kommen und ihr nicht immer hinterherlaufen. Wir müssen gucken, welche weiteren Beschränkungsmöglichkeiten die derzeitige Lage noch bietet. Aber da gibt nicht mehr viel. Wenn wir auf den Sport gucken: Wir haben den Individualsport verboten, aber der Schulsport ist noch möglich. - Na ja.

Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir mit den Risikogruppen umgehen wollen. Wollen wir sie künftig eher schützen, oder wollen wir sie eher am gesellschaftlichen Leben teilhaben lassen?

Und: Wie viel Religion braucht der Mensch? Oder ist der Restaurantbesuch doch wichtiger?

Das sind die Fragen, lieber Kollege Birkner, die ich hier mit Ihnen diskutieren möchte.

Wissen Sie, was mich eben - ich will nicht „wütend gemacht“ sagen, aber doch - enttäuscht hat? - Sie stellen sich bei jeder Regierungserklärung hier hin und fordern eine größere Beteiligung des Niedersächsischen Landtages ein. Und wenn die Landesregierung das dann macht, werfen Sie ihr Hilflosigkeit vor! Das ist ein sachlich unfairer Stil. So schafft man einfach kein Vertrauen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Ich bin mit Ihnen einig, dass wir die Diskussion auch hier stärker führen müssen. Aber in einem Punkt unterscheiden sich unsere Auffassungen diametral: Anders als Sie bin ich nämlich der Meinung, dass die Regierung am Steuer bleiben muss. Wir ziehen allenfalls die Leitplanken. Und

deswegen brauchen wir auch in Zukunft keine Beschlüsse des Niedersächsischen Landtages über Einzelmaßnahmen der Corona-Verordnung. Das wollen wir gar nicht. Wir müssen vielmehr in allererster Linie dafür sorgen, dass Maßnahmen ergriffen werden, die von der Gesellschaft akzeptiert werden. Wir müssen die Akzeptanz herstellen. Wir müssen für den gesellschaftlichen Konsens sorgen.

(Jörg Bode [FDP]: Über das, was an- dere beschließen?)

- Nein. Wir müssen die Leitplanken ziehen und dieser Regierung sagen: „Wenn ihr euch innerhalb dieser Leitplanke befindet, dann habt ihr draußen die Akzeptanz.“ Das ist die Funktion dieses Landtages, Herr Bode. Wir haben eine Vermittlerfunktion. Wir müssen der Exekutive sagen: „Das müsst ihr machen, damit wir es draußen erklären können.“ Das ist unsere Aufgabe.

Dafür haben wir ja auch dieses Gespräch geführt. Wir haben mit allen im Niedersächsischen Landtag vertretenen Fraktionen zusammengesessen und uns Gedanken darüber gemacht, wie wir den Landtag besser in die Diskussion einbeziehen können. Und das werden wir auch schaffen.

Ich komme zum Schluss. An einer Stelle, Herr Ministerpräsident, möchte ich Ihnen allerdings doch widersprechen, allerdings nur ein ganz klein wenig. Sie sagten in Ihrer Rede, die Demokratie sei nicht in Gefahr. Was die Einhaltung der Grundrechte anbelangt, bin ich mit Ihnen einer Meinung. - Im Übrigen, Herr Kollege Birkner: Ich finde es gar nicht so schlimm, wenn die Justiz ab und an einmal sagt, das oder das haben wir nicht richtig gemacht. Das zeigt mir, dass das System funktioniert. Ich fände es zwar schöner, wenn sich alle Juristen immer einig wären, aber aus meinen Berufsjahren weiß ich, dass das nicht immer einfach ist.

Zurück zum Ministerpräsidenten. Ich glaube also nicht, dass die Demokratie in Gefahr ist, was die Einhaltung der Grundrechte anbelangt. Sie ist aber ein Stück weit in Gefahr, weil die Pandemie nicht nur eine Herausforderung für unser Gesundheitssystem und für unsere Wirtschaftslage ist, sondern eine Herausforderung für den Staat und unser Wertesystem insgesamt.

Wir kämpfen nicht nur gegen das Virus, sondern wir kämpfen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir kämpfen für den Beweis, dass auch eine demokratisch organisierte Gesellschaft in

einer solchen Pandemie bestehen kann. - Ich bin sicher, wir werden diesen Kampf gewinnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Toepffer.

Es geht weiter, meine Damen und Herren. Wir haben noch acht Wortmeldungen von fraktionslosen Kolleginnen und Kollegen. Ich rufe sie in der Reihenfolge der Abgabe auf.

Es beginnt der fraktionslose Kollege Herr Stephan Bothe. Herr Bothe, ich erteile Ihnen das Wort. Wie eingangs festgelegt, haben Sie eineinhalb Minuten. Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Kollege Toepffer, Sie beide ergeben ein wunderbares Panikorchester. Sie vergessen in Ihren Ausführungen nämlich immer das, was wesentlich ist: dass ein positiver PCR-Test eben nicht automatisch „krank“ und auch nicht automatisch „ansteckend“ bedeutet.

Wie kommen die Zahlen zustande, die wir jeden Tag in den Medien lesen, und die Sie hier auch verbreiten? - Das RKI meldete letzte Woche 1,7 Millionen PCR-Tests bundesweit. Davon sind gerade einmal 5 % positiv. Und wenn man den wissenschaftlichen Arbeiten glaubt, sind 2 % davon auch noch falsch positiv.

Wir sprechen hier also nicht von einem „gesundheitlichen Notstand“, wie Sie es gerade suggeriert haben. Nein, wir sprechen von einem Testwahnsinn, der hier durchgeführt wird.

(Zurufe)

Wie sieht die Lage in Niedersachsen denn aus? Womit kann man diesen Lockdown, den Sie hier fabrizieren, eigentlich rechtfertigen? - In den niedersächsischen Krankenhäusern liegen aktuell 621 Menschen. 134 Menschen liegen auf der Intensivstation. 72 Menschen werden künstlich beatmet. Wer das vor dem Hintergrund betrachtet, dass jeder Patient auf der Intensivstation mittlerweile automatisch auf Corona getestet wird und somit bei einem positiven Corona-Test automatisch zu den COVID-Patienten gezählt wird, obwohl er mit einer ganz anderen Symptomatik auf der Intensiv