Protokoll der Sitzung vom 04.05.2023

Eine umfassende Organisationsuntersuchung kann daher zu neuen Erkenntnissen führen, welche den Justizvollzug in Niedersachsen attraktiver und auch besser machen. Daher begrüßen wir als CDULandtagsfraktion das und würden uns wünschen, dass die von uns genannten Punkte Berücksichtigung in einer umfassenden Organisationsuntersuchung finden.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Hüttemeyer. - Die nächste Wortmeldung, aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, kommt vom Kollegen Bajus. Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Justizvollzug ist häufig nicht im Fokus der Öffentlichkeit. Wichtige Aufgabe des Landes - zweifelsohne, und doch im Schatten der politischen Debatte. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns hier darum kümmern; denn die Kolleginnen und Kollegen im Justizvollzug nehmen eine zentrale Aufgabe wahr, die dem Land zugeschrieben ist. Sie kümmern sich um die rund 4 350 Gefangenen, damit die Gesellschaft vor Straftäter*innen geschützt ist, aber auch, damit sie eine Resozialisierungschance bekommen. Sie werden hierbei von den Mitarbeitenden im Justizvollzug nach Möglichkeit unterstützt.

Wenn wir uns anschauen, wie die Gruppe der Gefangenen soziologisch zusammengesetzt ist, dann sehen wir, dass die Aufgabe zweifelsohne immer komplizierter wird. Das steht im Antrag, und auch Herr Prange hat gut dargestellt, dass sich die Herausforderungen unter anderem wegen Suchtkrankheiten und anderer psychologischer Fragestellungen immer komplizierter darstellen.

Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, dass wir den Mitarbeitenden nicht nur Dank und Respekt zollen. Das gehört selbstverständlich dazu. Das sage ich auch im Namen meiner Fraktion. Ich glaube, es gibt

niemanden hier im Haus, der nicht großen Respekt vor dieser Aufgabe hat und sieht, was die 3 750 Kolleg*innen - so viele sind es ungefähr - dort jeden Tag leisten. Vielmehr schlägt es sich auch in der Gitterzulage nieder, die wir gestern verabschiedet haben. Das ist eine wichtige Anerkennung dieses harten Jobs, den die Kolleginnen und Kollegen dort jeden Tag ausüben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Aber der Fachkräftemangel und die Boomer-Verrentung machen auch vor den Justizvollzugsanstalten nicht halt. Wir haben bereits jetzt bestehende Defizite. Das ist seit vielen Jahren bekannt und auch immer wieder Gegenstand der politischen Debatte gewesen.

Bisher wird das Personal weitgehend pauschal, entlang der Haftplätze, bemessen. Dabei haben wir in Niedersachsen 13 Justizvollzugsanstalten mit

23 Abteilungen, und jede ist anders - baulich, sozialräumlich, verkehrstechnisch. Bei Fragen wie: „Wie bringe ich jemanden aus Lingen oder Meppen zum Gericht nach Osnabrück? Oder mache ich das in der Stadt Hannover?“ kann sich jeder vorstellen, dass das alleine vom Fahrtaufwand her verschieden ist.

Deswegen ist dringend ein neues System notwendig, um hier zu einer fairen und aufgabengerechten Verteilung des Personals zu kommen, und zwar entlang der konkreten Anforderungen, wie sie sich stellen, und um auch bei der Personalrekrutierung genau zu schauen: Wen brauchen wir mit welcher Qualifikation, mit welchen Fähigkeiten, in welcher Haftanstalt?

Wir haben in Schleswig-Holstein ein sehr gutes Beispiel dafür gefunden, wie man das machen kann: mit einer Organisationsuntersuchung, die sich jede einzelne Anstalt anschaut. Ich glaube, es ist gut, dass wir im Gespräch mit dem VNSB und auch mit den Justizvollzugsanstaltsleitern in den letzten Jahren gesagt haben: „Das ist ein Weg, den wir gerne mitgehen“ und dass wir jetzt unter Rot-Grün die Kraft entwickeln, so etwas anzugehen. Denn das heißt ja, zunächst in ein Gutachten zu investieren und dann gegebenenfalls die personaltechnischen Herausforderungen anzunehmen.

Erlauben Sie mir noch ein letztes Wort zu Herrn Hüttemeyer. Herr Hüttemeyer, natürlich geht es um Effizienz, um den IT-Einsatz und um das, was wir technisch machen können. Aber unter uns: Be

suchszeiten dienen in erster Linie der Resozialisierung. Wir dürfen nicht etwas machen, das das ad absurdum führt, was wir eigentlich verfolgen.

Da könnten wir auch sagen: Am effizientesten wäre es, wir hätten gar keine Gefangenen. Dann lassen Sie uns über Straftaten reden, die eigentlich keine sind. Heute sind Leute in den Gefängnissen, die Geldstrafen absitzen. Solche Menschen gehören eigentlich nicht in die Justizvollzugsanstalten. Auch das Thema Beförderungserschleichung und andere Themen sind da zu nennen. Lassen Sie uns bitte auch über Ersatzfreiheitsstrafen reden. Auch so könnte erheblich zur Entlastung von Justizvollzugsanstalten beigetragen werden.

Vielen Dank, meine Damen und Herren, für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Kollege Bajus.

(Unruhe)

Uns ist aufgefallen, dass insbesondere auf der von uns aus gesehen rechten Seite ein ständiges Grundrauschen durch Diskussionen besteht. Wenn Sie das Thema nicht interessiert, dann trinken Sie draußen einen Kaffee, und unterhalten Sie sich dort. Aber bitte versuchen Sie, den Redner zu Wort kommen zu lassen.

Die nächste Wortmeldung liegt aus der AfD-Fraktion vor: Frau Klages. Bitte schön!

(Beifall bei der AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Berichterstattung über Straftaten reißt nicht ab. Die Kriminalität nimmt beängstigende Ausmaße an, und das ist nicht nur ein subjektiver Eindruck.

Regierungsseitig ist man zwar sehr bemüht, den Deckel auf der Wahrheit zu halten. Die aktuelle Kriminalitätsstatistik macht es Ihnen aber unmöglich, sich länger blind zu stellen. Die Gewaltkriminalität ist um 19,8 % im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Gefährliche und schwere Körperverletzungen sind um 18,2 % angestiegen. Der Anstieg der Wirtschaftskriminalität beträgt 42,6 %. Die Cyberkriminalität geht durch die Decke.

Diese Entwicklung wirft die Frage auf, ob der niedersächsische Strafvollzug auf höhere Zahlen bei Strafgefangenen überhaupt vorbereitet ist. Deshalb stellte ich der Landesregierung die Frage nach den dortigen Kapazitäten. Die Landesregierung antwortete: „Zum Stichtag 27.03.2023 waren insgesamt 4 681 Personen im niedersächsischen Justizvollzug inhaftiert“. Die festgesetzte Belegungsfähigkeit gab die Landesregierung mit 5 879 Haftplätzen an, also ein Plus von 1 198.

Unter „Belegungsfähigkeit“ verstehe ich aber nicht nur Hafträume. Für mich - und ich hoffe, für Sie alle - gehört auch das notwendige Personal dazu. Die letzte Personalanalyse ist aus dem Jahr 2013. Anscheinend war da noch alles in Ordnung. Sieben Jahre später, 2020, machte sich das Justizministerium Gedanken, wie man Nachwuchs gewinnen könnte. Die Werbung in sozialen Medien wurde geplant, Slogans und Imagefilme sollten erstellt werden. So sollten die Versäumnisse von mittlerweile zehn Jahren ausgebügelt werden. Ich rate Ihnen dringen, das vorhandene Personal erst einmal besser auszustatten und besser zu bezahlen. Dann klappt es nämlich auch mit dem Nachwuchs.

(Beifall bei der AfD)

Neben zunehmenden Gefangenenzahlen ist in den letzten Jahren der kontinuierliche Anstieg der psychischen Auffälligkeiten festzustellen. Sie selber stellen die kulturelle Kompetenz der Gefangenen infrage.

Jetzt wollen Sie eine externe und unabhängige Ermittlung des Personalbedarfs im Justizvollzug. In Schleswig-Holstein wurde mit einer solche Vorgehensweise ein Minimalbedarf von 200 Stellen ermittelt. Nichts anderes erwarte ich auch hier für Niedersachsen, gerade für die unteren Besoldungsgruppen. Gerade auch diesen Personenkreis sollten Sie bei der Ermittlung des Personalbedarfs mit einbeziehen.

Wir von der AfD setzen uns mit ganzer Kraft für eine deutliche Verbesserung im Justizvollzug ein. Wir freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Damit ist die Beratung abgeschlossen.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Federführend soll der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen sein, mitberatend der Ausschuss für Haushalt für Finanzen. Ich bitte um Ihr Handzeichen. - Vielen Dank.

Wir kommen nun zum letzten Tagesordnungspunkt für heute.

Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung: Erweiterung der Polizeilichen Kriminalstatistik und weiterer polizeilicher Lagebilder - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 19/1242

Zur Einbringung hat sich die Fraktion der Grünen gemeldet, hier der Kollege Michael Lühmann. Bitte schön, Herr Lühmann!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleg*innen! Reporter ohne Grenzen meldete gestern: „Krisen, Kriege und die anhaltende Ausbreitung des Autoritarismus destabilisieren die Lage der Pressefreiheit so wie seit Langem nicht mehr“. So weit, so schlimm, so fern. Aber es ist eben auch so, dass Deutschland auf Platz 21 auf der Liste der Pressefreiheit abgesackt ist. Das muss uns aufhorchen lassen.

Reporter ohne Grenzen schreibt weiter: „Wie die aktuelle Nahaufnahme zeigt, fand mit 87 von 103 Fällen die Mehrheit der Attacken“ auf Journalist*innen „in verschwörungsideologischen, antisemitischen und extrem rechten Kontexten statt.“ Das zeigt leider sehr deutlich, dass unser Antrag keine Sekunde zu spät kommt.

Aber wir sehen nicht nur massiv steigende Angriffe auf Journalist*innen. Ähnlich massiv steigt auch die Zahl der Angriffe auf queere Menschen - häufig aus dem gleichen Milieu. Wir sehen überdies einen immer deutlicheren und sensibilisierteren Blick auf geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten, deren Bekämpfung wir heute schon thematisiert und auch priorisiert haben.

Wir sehen überdies eine Debatte um Gewalt gegen Rettungs- und Einsatzkräfte, die auf bisweilen wenig gesichertem Wissen zugleich eine ganze Menge an „gesicherten“ Empfehlungen, was man alles tun müsste, hervorbringt. Ich glaube, auch da helfen uns Lagebilder weiter.

Und wir haben das wahrlich nicht neue Problem, dass die Differenz zwischen dem messbaren Hellfeld und dem sehr großen Dunkelfeld in vielen Konflikt- und Deliktbereichen groß ist und nicht zuletzt die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) in ihrer öffentlichen „Vermarktung und Bewertung“ durchaus anfällig ist für politisch interessierte Deutungen. Das haben wir gerade eben - Stichwort „Verdachtsfall“ - erlebt. Dabei ist die PKS, bei allen Einschränkungen, richtig verstanden und gut ausdifferenziert, eigentlich ein sensibles Instrument, um sich dem Kriminalitätsgeschehen zumindest ganz ordentlich anzunähern.

Gleiches gilt auf der Ebene der Motivation auch für die Politisch Motivierte Kriminalität (PMK), also für die Angaben des kriminalpolizeilichen Meldedienstes zur politisch motivierten Kriminalität. Dies gilt überdies für Lagebilder, die sich aus den beiden Statistiken zusammensetzen können und bis zur Debatte - diese werden wir irgendwann führen müssen - von Verlaufsstatistiken. Diese betrachten, wo das erste Mal eine Straftat aufgenommen wird, und wie es bis zur Bewährungshilfe weitergeht. Und dies gilt nicht zuletzt - das habe ich schon gesagt - für Dunkelfeldstudien, die das schmale Hellfeld unbedingt ergänzen müssen.

Um bestehende Lücken zu schließen, wollen wir auf verschiedenen Ebenen Ergänzungen erreichen. Dafür ist dieser Antrag gedacht. So ist die genaue Erfassung von Angriffen auf Journalist*innen z. B. in der PMK nicht direkt möglich.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Für die Bekämpfung von geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten wiederum stellten mittlerweile mehrere Sachstandsberichte der BundLänder-Arbeitsgruppe hingegen Anpassungsbedarfe sowohl in der PKS als auch in der PMK dar. Auch diesbezüglich wollen wir quasi unterstützen, damit das auf der Bundesebene gut funktioniert.

Gleiches gilt auch für die laut PKS und PMK stark steigende queerfeindliche Hasskriminalität. Ab dem 1. Januar 2022 wurde immerhin in der PMK der Bereich „Geschlechtsbezogene Diversität“ ergänzt, „was zukünftig“ - so heißt es im Gesetzentwurf - „eine noch genauere Erfassung dieser Hassdelikte … ermöglichen wird.“

(Anhaltende Unruhe)