Protokoll der Sitzung vom 21.06.2023

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der AfD)

Der aktuelle Strukturbruch in der Tierhaltung und die damit verbundenen dramatischen Folgen für den ländlichen Raum werden eindeutig und auf wissenschaftlicher Grundlage in der TRAIN-Studie der Uni Vechta dargestellt. In den vergangenen Jahren musste sich die Schweinebranche etlichen Krisen stellen: der Corona-Pandemie, dem daraus folgenden Schlachtstau, der ASP auch hier in Niedersachsen und damit einhergehenden Exportbeschränkungen, dem medialen und politischen Druck auf die Bauernfamilien und dem nach wie vor ungelösten Thema, wie es mit den Fragen des Tierwohls wohl weitergeht. Und über allem stehen die große Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels und zuletzt noch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die gesamte Agrarwirtschaft, durch die die Branche mit plötzlich steigenden Futtermittel- und Energiekosten konfrontiert wurde.

Nicht alle Betriebe können oder wollen diesem Druck auf Dauer standhalten. Zwar geht die Nachfrage nach Schweinefleisch in Deutschland, wie erwähnt, zurück. Aber der Hunger nach tierischem Eiweiß steigt, weltweit gesehen. Das wird auch weiterhin so sein. Das ändert auch hier niemand, indem man den Schweinehaltern das Leben schwermacht.

Krieg und Pandemie in Europa haben gleichzeitig ein neues Bewusstsein für die Fragen der Selbstversorgung und Ernährungsautarkie ausgelöst. Der Selbstversorgungsgrad bei Schweinefilet liegt in Deutschland nur noch bei 73,4 %. Wir importieren also mehr als ein Viertel der in Deutschland nachgefragten Mengen an Schweinefleisch aus Ländern wie Belgien, den Niederlanden, Dänemark und auch Südamerika; denn der deutsche Schweinemarkt ist ein Teilstückmarkt. Das Mercosur-Abkommen droht in der derzeitigen Ausgestaltung die Wettbewerbssituation noch weiter zu verschärfen.

Diese Entwicklung hat ohnehin schon zu einer deutlichen Reduzierung der Schweinebestände in Niedersachsen mit allen damit verbundenen Nachteilen geführt. Viele Höfe geben aber nicht nur die Haltung der Tiere auf, sondern stellen den Betrieb komplett

ein. Jedes Mal werden die Dörfer ärmer. Trotz steigender Ausbildungszahlen in den grünen Berufen ist die Resignation unter den Landwirtsfamilien groß.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir nehmen zur Kenntnis, dass die regierungstragenden Fraktionen mit dem Antrag „‚Zukunftsprogramm Diversifizierung‘ - Wege aus der Krise in der Schweinehaltung …“ einen Anlauf genommen haben, Schweinehaltern bei der Erschließung neuer Betriebszweige helfen zu wollen. Gleichwohl will ich auch klarmachen, dass ich mich nicht ganz des Eindrucks erwehren kann, dass Rot-Grün weiterhin dem Niedergang der Schweinehaltung zumindest billigend zuschaut.

Der Antrag suggeriert im Übrigen auch, dass wir auf einem Höchststand sind. Aber weit gefehlt! Seit 1980 nehmen die Tierzahlen kontinuierlich ab. 2022 hat die Landwirtschaftskammer eine Tierzahl verzeichnet, die wieder auf dem Stand der 1960erJahre angekommen ist.

Wir als CDU-Fraktion werden diesem Programm dennoch zustimmen, auch wenn wir es insgesamt nicht für einen großen Wurf halten. Unsere Kritik ist den Mitgliedern des Agrarausschusses bekannt. Dennoch möchte ich sie kurz zusammenfassen:

Vorrangig kritisieren wir, dass das Programm so, wie es angelegt ist, nur Betrieben helfen wird, die ohnehin schon beschlossen haben, aus der Schweinehaltung auszusteigen.

Auch die Frage nach dem maximalen förderfähigen Investitionsvolumen ist nach wie vor unbeantwortet.

Wichtig ist für uns, dass das Geld bei den bäuerlichen Familienbetrieben ankommt. Daher sehen wir es kritisch, dass das Programm voraussichtlich abermals zu Betriebsteilungen führen wird.

Auch abschließende Klarstellungen zur langfristigen Finanzierung wurden leider bis jetzt noch nicht geliefert.

Die CDU-Landtagsfraktion begrüßt jedoch ausdrücklich, dass die ideologisch motivierte Grenze von 2 GV/ha, die so im Antrag der Regierungsfraktion zunächst formuliert war, gestrichen wurde; denn das hätte nun gerade die flächenarmen Betriebe, von denen ich vorhin sprach, diskriminiert.

Liebe Abgeordnete, besser als ein Diversifizierungs- oder Ausstiegsprogramm wäre es für die Schweinehalter gewesen, wenn Rot-Grün ein klares Bekenntnis zur niedersächsischen Tierhaltung abgegeben hätte, indem man sich um Planungssicherheit, Reduktion des Dokumentationsaufwands und

eine Anpassung des Bau- und Immissionsschutzrechts gekümmert hätte.

(Zuruf von den GRÜNEN: Sie reden komplett an der Wirklichkeit vorbei!)

- Ich glaube, ich nicht.

Die Vorstellung von Ministerin Staudte, künftig Edelpilze, Cannabis und Chicorée in Schweinställen anzubauen, hat in der Branche, vorsichtig ausgedrückt, nicht dazu geführt, Vertrauen aufzubauen. Herr Willeke, ich kenne leider andere Beispiele, auch aus meiner Heimat. Dort hat man in einem Schweinestall angefangen, Edelpilze anzubauen. Den Betrieb gibt es nicht mehr, weil der Markt dafür nicht vorhanden ist. Wäre ein ernstzunehmender Markt für diese Produkte da und wäre der Anbau so einfach, dann, da bin ich mir sicher, wären niedersächsische Landwirte und Landwirtinnen schon flächendeckend auf diese Ideen gekommen.

(Beifall bei der CDU)

Aber bei aller Kritik: Wir stimmen, wie gesagt, dem Antrag zu. So kann jeder Schweinehalter unternehmerisch selbst entscheiden - das trauen wir ihnen nämlich zu -, ob ein Angebot aus dem Programm für seinen Betrieb das Richtige ist oder nicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Alfred Dannenberg [AfD])

Der Kollege Christoph Willeke aus der SPD-Fraktion hat sich noch einmal zu Wort gemeldet. Die SPD-Fraktion hat noch eine Restredezeit von 2:51 Minuten. Bitte schön, Herr Willeke!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Jensen, Sie werfen uns vor, dass wir die Schweinehaltung irgendwie abschaffen wollen? Habe ich das richtig interpretiert? Dann empfehle ich Ihnen, den Antrag doch einmal genau zu lesen. Da heißt es, Wort für Wort:

„Bei der Begleitung dieses Wandels sollte sich am Selbstversorgungsgrad in Bezug auf die Verzehrgewohnheiten der Bevölkerung sowie an den Selbstversorgungsgrenzen auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette der Schweinehaltung orientiert werden.“

Da machen wir es ganz deutlich - - -

(Dr. Marco Mohrmann [CDU]: Reden und Handeln!)

- Wenn Sie eine Kurzintervention machen wollen, Herr Mohrmann, dann bitte melden!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Des Weiteren erwähnen Sie eine „ideologisch motivierte Grenze von 2 GV/ha“. Sie ist in der aktuellen Beschlussempfehlung überhaupt nicht mehr aufgeführt. Von daher weiß ich nicht, worauf Sie sich beziehen.

(Katharina Jensen [CDU]: Das habe ich auch lobend zur Kenntnis genom- men!)

- Sehr schön, das freut mich.

(Katharina Jensen [CDU]: Dann haben Sie mir nicht richtig zugehört!)

Dann, Frau Jensen, möchte ich mich auf den einen von Ihnen genannten Betrieb, der es in der Pilzzucht nicht geschafft hat - was ich sehr bedauere -, beziehen. Wenn wir ein solches Förderprogramm mit einem Fördervolumen von bis zu 80 % auflegen, dann wäre es diesem Betrieb wahrscheinlich eher gelungen. Genau das ist doch unser Anliegen. Dafür gewährt man ja Anschubfinanzierungen und Förderungen!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Ich freue mich nach wie vor, dass uns die CDU hier zustimmt. Frau Jensen, wir können dann gerne noch vorne ein Mettbrötchen essen, wenn Sie das beruhigt. Das würde ich Ihnen auch ausgeben.

(Heiterkeit bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN - Wiard Siebels [SPD]: Aber ohne Zwiebeln!)

Ich danke für die Unterstützung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Als zunächst letzte Wortmeldung liegt die Wortmeldung seitens der Landesregierung vor, hier von der Landwirtschaftsministerin, Frau Staudte. Bitte schön, Frau Staudte!

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich an dieser Stelle erst einmal ganz herzlich dafür bedanken, dass dieser Beschluss zum Thema der Diversifizierung in der Landwirtschaft, insbesondere im Bereich Schweinehaltung, so breit getragen wird. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Trotz der kleinen Differenzen, die heute hier angesprochen worden sind, Frau Jensen, begrüße ich diesen breiten Konsens, dass das jetzt die richtige Richtung ist, wirklich sehr. Denn die Debatte über das Thema Diversifizierung läuft tatsächlich schon seit einigen Jahren. Am Anfang gab es doch große Bedenken und Widerstände. Eigentlich sind sie jetzt abgeräumt worden.

Ich möchte mich auch bei den Mitgliedern des Agrarausschusses bedanken, die sich die Zeit genommen haben, eine Anhörung durchzuführen. Diese Anhörung war sehr fachlich und sehr intensiv. Es sind ungefähr 30 Seiten Anhörungsprotokoll zusammengekommen. Das ist für uns als Ministerium eine gute Hilfestellung, um das, was dort angesprochen worden ist, in unsere weiteren Beratungen einfließen zu lassen.

In den letzten Jahren gab es immer wieder das Credo der Spezialisierung in der Landwirtschaft, ausgerichtet auf das Ziel, mehr und billiger zu produzieren. Durch die Krisen, die hier schon angesprochen worden sind, haben wir wohl alle gemerkt, dass eine solche Spezialisierung auf betrieblicher Ebene einfach risikobehaftet ist.

Im nachgelagerten Bereich, also in der Ernährungswirtschaft, ist die Diversifizierung auch schon längst angekommen, wie wir sehen. Selbst Schlachtbetriebe haben noch andere Betriebszweige aufgebaut. Molkereien befassen sich auch nicht mehr nur mit dem Thema Milch, sondern überlegen aktuell, wie sie sich neu ausrichten können. Das alles erfolgt mit dem Ziel der Risikominimierung.

Dabei wird auch die Region im Blick behalten. Es gibt die TRAIN-Studie, aber auch die Studie des Thünen-Instituts, die sich natürlich mit der Frage befassen, was das gerade für die Intensivtierregionen bedeutet. Da werden durchaus auch Perspektiven aufgezeigt.

Die Krisen, um die es geht, sind hier schon angesprochen worden. Wir haben die Klimakrise, verschiedenste Tierseuchen, Corona und den Krieg. Alles das hat Auswirkungen auf die Preise, die die

Betriebe erzielen können. In den aktuellen Krisensituationen haben Betriebe dann eigentlich keine Möglichkeit mehr, zu reagieren. Sie sind dem Weltmarkt und den Preisen, die gerade dort herrschen, ausgeliefert.

Das, was wir machen können, was wir jetzt aktiv mitgestalten können, ist die Unterstützung bei der breiteren Aufstellung der Betriebe, damit weitere Standbeine dazukommen, sodass durchaus auch Tierhaltung, wie die Schweinehaltung, reduziert werden kann. Da geht es nicht darum, dass irgendetwas billigend in Kauf genommen wird. Denn wir wissen ja aus anderen Bereichen - Stichworte „Überdüngung“, „Grundwasserschutz“ usw. -, dass es auch in diesen Regionen sinnvoll ist, Tierbestände abzubauen. Aber wir wollen eben nicht, dass Betriebe komplett aufgeben. Vielmehr geht es uns darum, dass wir das Höfesterben stoppen oder mindestens verlangsamen können.

Ich denke, dass das, was wir bislang tun, dazu beitragen wird. Wir haben die AFP-Förderung gerade für schweinehaltende Betriebe attraktiver gemacht. Wir haben die Richtlinie zur Verarbeitung und Vermarktung überarbeitet und wollen auch für 2024 ein neues Förderprogramm auflegen. Das kann vielfältig sein. Es wird nicht die eine flächendeckende Lösung für alle Betriebe geben. Wenn ein konkretes Beispiel genannt wird, wird es ja ganz oft so dargestellt, als könne das dann für alle Betriebe die Antwort sein. Gerade das ist eben nicht möglich, sondern es geht um Beratung und um Vielfalt in der Neuausrichtung.

Ich glaube, dass wir über dieses Thema noch weiter diskutieren werden. Es wird sich sicherlich auch noch in vielen weiteren Branchen der Landwirtschaft die Frage stellen, ob nicht auch dort eine Diversifizierung die richtige Antwort ist.