Sehr geehrte Damen und Herren, es geht ein Aufschrei durch unser Land - ausgelöst durch das Bekanntwerden eines Treffens in Potsdam. Ausgerechnet dort traf sich ein antidemokratisches, rassistisches Netzwerk, um in beschönigender Sprache und mit technischen Begriffen über nichts anderes als die Massendeportation und die Vertreibung von Millionen von Menschen zu fantasieren - von Menschen, die nicht in ein faschistoides Weltbild passen. Ausgerechnet dort - in der Nähe zum Ort der Wannsee-Konferenz von 1942.
Wenn heute erneut das Undenkbare gedacht wird, wenn heute erneut konkrete Pläne zur massenhaften Verletzung von Grundrechten geschmiedet werden, dann geht zu Recht ein Aufschrei des Entsetzens und der Ablehnung durch Niedersachsen und durch das ganze Land.
Doch machen wir uns nichts vor! Nicht erst seit dem unsäglichen Treffen von Potsdam erleben wir ein Erstarken extremistischer Positionen. Warnzeichen gab und gibt es mehr als genug:
Bereits 2011 wird bekannt, dass eine Bande von rassistischen Mördern durch unser Land zog, um Menschen zu töten, die nicht ihrer Vorstellung von Deutschen entsprachen. Dann der rechtsextremistisch motivierte Anschlag von München, die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der Anschlag auf die Synagoge von Halle, die Morde von Hanau und die Putschpläne rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß.
Ob die Aktionen von Pegida, sogenannten Querdenkern, Reichsbürgern und Antisemiten, ob die Bezeichnung der NS-Zeit als „Vogelschiss“ der Geschichte oder die Forderung nach einer 180-GradWende in der Erinnerungskultur: Sprache und Form der politischen Auseinandersetzung haben sich in den letzten Jahren stark verändert - im Netz, auf der
Straße und in unseren Parlamenten. Wenn jetzt also einmal mehr offenkundig wird, dass Demokratiefeinde Hand an das Wertefundament und die Grundstrukturen unseres Staates legen wollen, kann und darf das niemanden von uns überraschen.
Die bizarren Fantasien von Potsdam erinnern fatal an die dunkelsten Stunden unserer Geschichte. Als eine Lehre daraus haben die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes die unantastbare Würde des - also aller - Menschen und das Prinzip der wehrhaften Demokratie an vorderster Stelle in unsere Verfassung geschrieben. Es ist gut, dass wir unsere Demokratie mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen ihre Abschaffung schützen. Doch das reicht nicht. Wir alle - Demokratinnen und Demokraten - müssen mehr tun!
„Ja, es macht mich sehr, sehr traurig, die ganze Geschichte. Ich hätte nie gedacht, dass es wieder so kommen würde. Denn so hat es ja damals auch angefangen“.
„Ich finde, dass mehr laut sein sollten. Dass zu wenig ihre Meinung sagen. Warum sind sie so zurückhaltend? Es ist doch für euch!“
Viele Bürgerinnen und Bürger teilen das Bedürfnis, sich schützend vor unsere Demokratie, vor ihre Errungenschaften und ihre Institutionen zu stellen - so geschehen auch am letzten Samstag um unser Hohes Haus herum. Die schweigende Mehrheit will nicht mehr schweigen, sondern laut sein - für unsere Demokratie.
Angesichts des nicht zu verleugnenden Vertrauensverlustes von Teilen der Gesellschaft in die Politik, angesichts der zunehmenden Polarisierung der politischen Auseinandersetzung macht das Hoffnung. Ich bin dankbar für jeden Einzelnen und jede Einzelne, der und die dieser Tage auf die Straße geht.
Doch reicht das? - Margot Friedländer hat recht: Echte Wehrhaftigkeit erfordert mehr. Wir werden unserer Verantwortung nur dann gerecht, wenn wir jeden Tag, in jeder Situation unerschütterlich und mit aller Vehemenz für unsere Demokratie und den liberalen Rechtsstaat kämpfen. Dann muss uns auch nicht bange sein vor der Frage unserer Kinder und Enkelkinder: Was habt Ihr damals getan?
Wir alle in diesem Haus als gewählte, den demokratischen Grundsätzen unserer Verfassung und dem Gemeinwohl verpflichtete Abgeordnete sind in besonderer und in vielfältiger Weise gefordert, für unsere Demokratie einzutreten. Wir müssen reden. Wir müssen zuhören. Unsere Politik muss überzeugend sein. Das bedeutet, Antworten auf die Probleme der Bürgerinnen und Bürger zu finden und kluge Kompromisse zu schließen. Wir müssen unser Handeln nachvollziehbar erklären und offen kommunizieren. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln können, dass wir ihre Sorgen ernst nehmen, um populistischem Geschrei die Wirkung zu entziehen.
Aber auch das wird allein nicht ausreichen, unsere Demokratie dauerhaft zu schützen. Wir Abgeordnete und auch alle anderen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sind gefordert, menschenverachtenden und rechtsextremen Äußerungen klar und deutlich zu widersprechen.
Und in Situationen, in denen ihre Gefährdung offen formuliert zu Tage tritt - egal, ob im Treppenhaus, in der U-Bahn, in den sozialen Medien oder auf der Familienfeier -, sind wir gefordert, laut zu sein - laut zu sein für die Demokratie.
Wir müssen unsere Stimme gegen ihre Feinde erheben - genau so, wie es viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes seit mehreren Wochen tun.
Ich lade Sie herzlich ein: Kommen Sie unmittelbar nach Eintritt in die Mittagspause in die Portikushalle! Lassen Sie uns gemeinsam mit einigen Überraschungsgästen laut sein! Lassen Sie uns gemeinsam ein deutliches Zeichen setzen für unsere Verfassung, das Grundgesetz, welches in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag feiert, für die Demokratie in unserem Land, für die Zukunft!
Meine Damen und Herren, wie erst jetzt bekannt wurde, ist am 20. November 2023 der ehemalige Abgeordnete Werner Gifhorn im Alter von 85 Jahren
verstorben. Werner Gifhorn gehörte dem Niedersächsischen Landtag als Mitglied der SPD-Fraktion von 1970 bis 1974 an. Während dieser Zeit war er Mitglied im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen, im Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr und im Ausschuss für Jugend und Sport. Wir werden den Kollegen in guter Erinnerung behalten und widmen ihm ein stilles Gedenken. - Ich danke Ihnen.
Geburtstag hat heute der Abgeordnete Heiko Sachtleben, der sich leider hat entschuldigen müssen. Umso herzlicher übermittle ich ihm im Namen des ganzen Hauses herzliche Glückwünsche: besonders Gesundheit und Wohlergehen für das vor ihm liegende neue Lebensjahr. Ich bitte, das entsprechend auszurichten.
Zur Tagesordnung: Die Einladung für diesen Tagungsabschnitt sowie die Tagesordnung einschließlich des Nachtrages liegen Ihnen vor. Mit der Tagesordnung mit aktualisierten Redezeiten haben Sie Informationen über die von den Fraktionen umverteilten und die von dem fraktionslosen Mitglied des Hauses angemeldeten Redezeiten erhalten. Darf ich das Einverständnis des Hauses mit diesen Redezeiten feststellen? - Das ist der Fall. Die heutige Sitzung soll demnach gegen 17.45 Uhr enden.
In der Portikushalle ist die von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten konzipierte Ausstellung „… auf deutschem Boden für die ganze Welt - Niedersachsen im Nationalsozialismus“ zu sehen, die wesentliche Etappen der Geschichte von 1933 bis 1945 auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen zeigt. Ich empfehle diese Ausstellung sehr Ihrer Aufmerksamkeit.
Für die Initiative „Schulen in Niedersachsen online“ werden in den kommenden Tagen Schülerinnen und Schüler der Oberschule aus Garbsen mit einer Online-Redaktion live aus dem Landtag berichten. Die Patenschaft dafür hat die Abgeordnete Djenabou Diallo-Hartmann übernommen. - Herzlichen Dank.
Auch von meiner Seite einen schönen guten Morgen! Entschuldigt haben sich: von der Landesregierung Herr Minister Heere, von der SPD-Fraktion Herr Arends ab der Mittagspause, Herr Bloem, Frau Emken, Herr Politze, Frau Schröder-Köpf und Herr True, von der CDU-Fraktion Frau Hopmann und Herr Scharrelmann und von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wie eben bereits bekannt gegeben, Herr Sachtleben.
Tagesordnungspunkt 2: Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Hochwasserereignisse in Niedersachsen rund um den Jahreswechsel 2023/2024 (Weihnachts- hochwasser 2023) - Unterrichtung durch die Landesregierung - Drs. 19/3322
Ich erteile dem Herrn Ministerpräsidenten das Wort für die angekündigte Regierungserklärung. Herr Ministerpräsident, bitte!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In Niedersachsen hatten wir einen unruhigen und auch beunruhigenden Jahreswechsel. Beginnend mit dem 23. Dezember bis zum Ende der ersten Januarwoche hat uns zwei Wochen lang ein Hochwasser in Atem gehalten, das große Teile unseres Landes mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen hat.
Das alles liegt jetzt gerade einmal einen Monat zurück, und in der alltäglichen Nachrichtenflut ist das sogenannte Weihnachtshochwasser schon wieder ein wenig in den Hintergrund gerückt. Aber dieses Hochwasser und seine Bekämpfung sowie insbesondere auch der Umgang mit seinen Folgen sind, wie ich finde, zu wichtig, um zu Beginn dieser Sitzungsperiode gleich zur Tagesordnung überzugehen.
Was war der Anlass? Der letzte Dezember war der niederschlagsreichste Dezember seit Beginn der Messungen. Viele Tage lang flossen riesige Wassermengen vornehmlich aus dem Süden Richtung
Norden. Die Deiche standen unter einem enormen Druck - und das beinahe im gesamten niedersächsischen Binnenland. Es war natürlich nicht das erste Hochwasser in unserem Land, und es war übrigens auch nicht das Hochwasser mit den höchsten Pegelständen, aber es war ein ganz und gar außergewöhnliches Hochwasser.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Deiche haben am Ende gehalten - das ist die wichtigste Nachricht. Und dafür gibt es vor allen Dingen einen Grund: Das Engagement Tausender Menschen und ihr Einsatz über viele Tage hinweg im Kampf gegen die Wassermassen. Um einmal das ganze Ausmaß dieser Gemeinschaftsleistung deutlich zu machen, einige Zahlen:
Dabei waren etwa 100 000 Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren und Angehörige der Berufsfeuerwehren, etwa 35 000 Mitglieder und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hilfsorganisationen, das Technische Hilfswerk mit etwa 5 000 Kräften, die Polizei mit 2 500 Beamtinnen und Beamten und weitere etwa 1 000 Menschen in den Krisenstäben des Landes und der Kommunen.
Das heißt, über 143 000 Einsatzkräfte waren über viele Tage im Einsatz - eine kaum zu glaubende Zahl. Dieses Hochwasser - das kann man, glaube ich, sagen - war zugleich eine Sternstunde für die Blaulichtfamilie in Niedersachsen.