Protokoll der Sitzung vom 18.09.2008

(Beifall von der SPD)

Nach sorgfältiger Prüfung aller Argumente lehnt deshalb die SPD den Gesetzentwurf der Volksinitiative ab. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bovermann. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Kollege Engel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

(Monika Düker [GRÜNE]: Er liest das Partei- programm vor; da steht alles drin!)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute, ein Jahr nach Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes, haben wir aufgrund der Volksinitiative „Mehr Demokratie beim Wählen“ die Möglichkeit, erneut über die stärkere kommunalpolitische Beteiligung der Bürger zu debattieren. 72.380 gültige Unterschriften verdeutlichen, dass sich die Bürger für ihre Beteiligungsmöglichkeiten vor Ort interessieren. Das verdient Lob.

Doch gestatten Sie mir einen kurzen Rückblick auf die Veränderungen im Kommunalwahlgesetz. Wir haben die aktiven und passiven Wahlrechte der Bürgerinnen und Bürger erheblich gestärkt.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie haben die Demokratie abgeschafft!)

Die Stärkung des aktiven Wahlrechts erfolgte für neu zugezogene Wahlberechtigte für die Ausübung ihres Wahlrechtes am neuen Wohnort durch die Verkürzung der Sperrfrist von bisher drei Monaten auf 15 Tage vor der Wahl. Das passive Wahlrecht haben wir dadurch gestärkt, indem die Inkompatibilität, also die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat, auf nur wenige Bereiche im öffentlichen Dienst wie zum Beispiel den Polizeidienst beschränkt wird.

Vor einem Jahr haben wir uns mit dem Für und Wider von Kumulieren und Panaschieren auseinandergesetzt. Damals habe ich darauf hingewiesen, dass der Aufwand für die Stimmenauszählung gerade in Großstädten wie Köln oder Düsseldorf erheblich sei. Hieran möchte ich heute anknüpfen.

Im bevölkerungsreichsten Bundesland NordrheinWestfalen gibt es eine völlig andere kommunale Landschaft mit „nur“ 427 Städten und Kreisen. Anders ist die Lage zum Beispiel in Bayern mit 2.056 Gemeinden und Kreisen oder in BadenWürttemberg mit 1.108 Kommunen. Das bedeutet, dass man sich im süddeutschen Raum in den deutlich kleineren Kommunen besser kennen kann, als es bei uns in Nordrhein-Westfalen mit deutlich größeren Kommunen je der Fall sein wird.

(Widerspruch von den GRÜNEN)

Das ist ein nicht zu unterschätzender Unterschied.

Herr Kollege Engel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich lasse keine Zwischenfrage zu – nachher, Frau Löhrmann!

(Zuruf von den GRÜNEN: Weil Sie nicht mit Ihrem Parteiprogramm konfrontiert werden wollen oder mit der „kleinen“ Kommune Stuttgart! Das ist lächerlich!)

Denn beim Kumulieren und Panaschieren soll verstärkt die Persönlichkeitswahl der Kandidaten im Vordergrund stehen. Das lässt Kumulieren und Panaschieren attraktiv erscheinen.

Aber dies erweist sich in Großstädten als Problem, wo zwangsläufig nicht jeder Bürger jeden kennen kann, sodass man von einer gesellschaftlichen Anonymisierung sprechen kann. Das hat uns auch Herr Slonka, die Vertrauensperson für die Anhörung im Ausschuss für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform, bestätigt, indem er vortrug, dass in den Städten nur ca. 40 % der Wähler von der Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens tatsächlich Gebrauch machen. In kleineren Gemeinden liege die Quote höher, nämlich bei ca. 60 %.

Herr Gremmels, der 2003 seine Diplomarbeit über Kumulieren und Panaschieren am Beispiel Hessens geschrieben hat, kommt sogar zu dem Schluss, dass die Wahlrechtsinstrumente Kumulieren und Panaschieren nur für kleine Einheiten wie Gemeinden oder Stadtteile sinnvoll seien, da dort die Kandidaten und die Wähler leichter miteinander in Verbindung treten könnten.

Darüber hinaus konnte eine wichtige verfassungsrechtliche Vorgabe aus Sicht der FDP-Fraktion bisher nicht zufriedenstellend geklärt werden. Es handelt sich um die Beachtung und Einhaltung der Wahlrechtsgrundsätze „frei“ und „geheim“. Den Wählern werden im Vorfeld des Wahltages Musterwahlzettel nach Hause geschickt. Nicht auszuschließen sind „gemeinsame Runden“ im Familien- oder Initiativenkreisen, um Wahlentscheidungen abzustimmen.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE] – Monika Düker [GRÜNE]: Das haben Sie heute auch!)

Das wäre problematisch und würde das Wahlgeheimnis durchbrechen.

Es ist für die FDP-Fraktion bisher nicht geklärt, wie wirksam vermieden werden kann, dass sogar ein möglicher Druck auf Personen für ein bestimmtes Wahlverhalten ausgehen wird. Das ist übrigens nicht unmittelbar in Zusammenhang mit der allgemein zunehmenden Zahl der Briefwähler zu setzen.

Auch die Zusatzanmerkungen, die „Mehr Demokratie beim Wählen e. V.“ im Nachgang zur Anhörung dem Landtag zur Verfügung gestellt hat, haben wir

für uns keinen gangbaren Lösungsweg aufgezeigt. „Mehr Demokratie beim Wählen e. V.“ hat dargelegt, dass die Briefwahl in allen Bundesländern gleichermaßen zugenommen hat. Darüber hinaus schlägt „Mehr Demokratie beim Wählen e. V.“ vor, dass für die Beachtung des geheimen Wahlrechtsgrundsatzes die Briefwahl gegebenenfalls abgeschafft werden sollte. In Italien ist dies erfolgt. Wähler, die zum Beispiel ihr Handy mit in die Wahlkabine nehmen, können sogar mit einer Geldstrafe belegt werden. Aber das ist eine völlig andere Welt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Diskussion über die Einführung von Kumulieren und Panaschieren in Nordrhein-Westfalen ist im Fluss. Für die FDP-Fraktion sehe ich derzeit keine Möglichkeit, dass wir der Volksinitiative heute beitreten können. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Engel. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Becker das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Biesenbach, Sie haben sicherlich ein bisschen Verständnis dafür, dass ich Sie jetzt doch wecken will, sozusagen ein Erweckungserlebnis an der Stelle für Sie bereiten will.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Oh!)

Es ist schon bezeichnend, mit welchen Argumenten Sie hier versuchen, sich darum herumzudrücken, dass Sie ein Wahlversprechen brechen, ein Wahlversprechen, das Sie noch zur letzten Wahl gegeben haben. Auch wenn Sie es wahrscheinlich kennen, denke ich, macht es Sinn, es noch einmal zu zitieren, übrigens auch verschiedene Anträge zu zitieren. Aber ich will zunächst mit dem Wahlprogramm der CDU anfangen, Seite 43:

Unsere Schritte zur Stärkung der Kommunen

Wir setzen uns für eine bürgernahe Ausgestaltung des kommunalen Wahlrechts ein. Durch die Einführung des Kumulierens und Panaschierens erhalten die Bürger und Bürgerinnen mehr Einflussmöglichkeiten. Eine stärkere eigenständige demokratische Legitimierung werden ebenfalls der Rat und das Bürgermeisteramt erhalten.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Genau das ha- ben wir gut gefunden!)

Es stellt sich natürlich hier die Frage: Welcher Erkenntniszugewinn hat seitdem bei Ihnen stattgefunden, nachdem Sie im Jahr 1996 unter dem damaligen Fraktionsvorsitzenden Linssen und im Jahr 2000 unter dem damaligen Fraktionsvorsitzenden

Rüttgers jeweils Gleiches im Programm zur Landtagswahl 2005 in Anträgen niedergeschrieben haben?

Wenn ich Ihre Argumente ernst nähme, was ich aus Gründen, die ich gleich noch darlegen will, nicht tue, dann müsste ich ja zu dem Ergebnis kommen: Ihnen ist seit 2005 aufgefallen, Nordrhein-Westfalen ist das größte Flächenland, hat die größten Kommunen

(Monika Düker [GRÜNE]: Wow!)

und stellt insofern bei Kumulieren und Panaschieren – so Ihre Argumentation – ein besonderes Problem dar. Da kann ich Ihnen zunächst nicht ersparen: Herzlichen Glückwunsch dafür, dass Sie festgestellt haben, dass wir das größte Bundesland sind.

(Beifall von Sylvia Löhrmann und Monika Dü- ker [GRÜNE])

Dann hat Regierung doch offensichtlich etwas bewirkt. Herzlichen Glückwunsch dazu, dass Sie festgestellt haben, Köln, Dortmund und das Ruhrgebiet sind größer als der Rest der Republik an Städteansammlungen. Nur: In der Sache hat es nichts verändert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will Ihnen an der Stelle gerne etwas weiterhelfen. Zunächst einmal zu der Behauptung bezüglich der Wahlbeteiligung. Wer sich München, Stuttgart, Nürnberg und andere Städte ansieht, findet bei all diesen Kommunen interessanterweise zuletzt eine höhere Wahlbeteiligung und – auch das – deutlich weniger Briefwahl als beispielsweise in der großen Stadt Köln, die Sie umgedreht eben noch als Argument dafür genommen haben, dass man Kumulieren und Panaschieren bei uns nicht einführen könne. Das macht deutlich: Es handelt sich – mit Verlaub – um argumentative Heuchelei.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es geht Ihnen überhaupt nicht um die Sache. Es geht Ihnen auch nicht darum, dass Sie jetzt plötzlich festgestellt haben, dass Nordrhein-Westfalen groß ist, sondern es geht Ihnen darum, dass Sie Angst vor der eigenen Courage haben.

(Ralf Witzel [FDP]: Blödsinn!)

Plötzlich haben Sie Angst davor bekommen, dass Wählerinnen und Wähler das machen, was sie vor Jahren noch für richtig gehalten haben, nämlich auswählen, wer über Ihre Listen und die Listen aller anderen Fraktionen in die Räte kommt.

Ich kann nach wie vor nicht erkennen, Herr Engel, warum es bei der Briefwahl plötzlich ein Problem sein soll, dass möglicherweise jemand zu Hause am Küchen- oder Wohnzimmertisch wählt. Es wäre bestenfalls dann ein Argument, wenn Sie unterstellen könnten: Bei Kumulieren und Panaschieren findet Wahl prinzipiell als gemeinschaftlicher Akt in

Familien statt, während es ansonsten regelmäßig heimlich auf der Kellertreppe und möglichst im Halbdunkel stattfindet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dafür gibt es keinerlei empirischen Belege.