Dabei ist natürlich insbesondere die bedrückende Kinderarmut zu nennen. Sie verstellt Kindern Zukunftschancen, Chancen auf eine gesunde Entwicklung und auf gesundes Aufwachsen, Chancen auf einen gelingenden Bildungsabschluss und damit auf einen gelingenden Start ins Leben. 25 % aller Kinder in Nordrhein-Westfalen sind von Armut bedroht oder leben in Armut. Zu dieser finanziellen Armut kommt die sogenannte Lebenslagenarmut, das heißt, die Wohn-, Gesundheits- und Bildungssituation sind davon betroffen.
Arme Kinder sind häufiger krank, haben in höherem Maße Verhaltensauffälligkeiten, Depressionen. Sie müssen in der Schule öfter eine Klasse wiederholen und haben insgesamt niedrigere Bildungsabschlüsse.
Armut führt dazu – das ist in einer Vielzahl von Studien nachgewiesen worden –, dass es zu Entwicklungsverzögerungen und oftmals auch zu Entwicklungsstörungen kommt.
Das Bedrückende an diesem Missstand: Das Bildungssystem in Nordrhein-Westfalen verfestigt diese Armut, statt durch hinreichende Durchlässigkeit und individuelle Förderung einen Ausstieg aus der Armutsspirale zu ermöglichen.
Gerade für Kinder, die aus einkommensschwachen Familien kommen, und auch für die wachsende Zahl der Kinder mit Zuwanderungsgeschichte werden durch unser Bildungssystem Zukunftschancen verstellt. Das ist eine Erkenntnis, die zwar einige in dieser Dimension nicht bereit waren zu akzeptieren, die uns aber von allen Wissenschaftlern sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben wurde.
Wir als Grüne haben Lösungswege aus dieser Problematik, kurz und langfristige Maßnahmen, als Handlungsempfehlungen formuliert. Wir haben insgesamt über 120 Handlungsempfehlungen formuliert. Das ist heute in dieser Debatte nicht alles im Einzelnen zu bewerten.
Ich möchte aber einen für uns als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wesentlichen Punkt herausgreifen, und das ist, dass wir, um der Kinderarmut zu begegnen, bundesweit eine Kindergrundsicherung benötigen, eine Grundsicherung, die alle bisherigen Transfers für Kinder zusammenfasst, eine Grundsicherung, die es ermöglicht, dass Kindern Zukunftschancen gegeben werden, dass ihnen wie anderen Kindern aus weniger sozialschwachen Familien ermöglicht wird, am Leben teilzunehmen und einen guten Einstieg in unsere Gesellschaft zu finden.
Mit einer solchen Kindergrundsicherung würde auch der skandalöse Zustand beendet, dass jeder Millionär in diesem Land vom Kindergeld profitiert, während ausgerechnet die armen Familien keinen Cent
Meine Damen und Herren, es war eine spannende, es war nicht immer eine konfliktlose Zeit, in der, wie ich denke, wir alle viel gelernt haben, unter anderem auch, dass es Diskussionen um die Aufnahme von Forschungsergebnissen in einen Enquetebericht geben kann, weil sie der einen Fraktion nicht ins Weltbild passen – das gehörte zu den weniger erfreulichen Erkenntnissen –, aber es gab auch eine Vielzahl von Erkenntnissen aus Forschungsarbeiten, die im direkten Austausch mit den Wissenschaftlerinnen intensiv debattiert und diskutiert werden konnten und die für mich persönlich – das kann ich sagen – einen Gewinn darstellten.
Ich hoffe und ich wünsche – damit komme ich zum Schluss –, dass die Ergebnisse dieses Prozesses Eingang in unsere politische Beschlussfassung finden und dass wir diese Ergebnisse gemeinsam nutzen, um die Chancen für Kinder in NordrheinWestfalen nachhaltig zu verbessern. – Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen der Landesregierung möchte ich den Mitgliedern der Enquetekommission ganz herzlichen für ihren ausgezeichneten Bericht danken. Er enthält wichtige Analysen zur Lebenslage der Kinder in Nordrhein-Westfalen, die selbstverständlich auch in die Arbeit des Ministeriums einfließen werden.
Kollege Kern, Sie haben gesagt, der Bericht wird nicht in den Schubladen landen. Ich glaube wirklich, dass wir sehr viel daraus abarbeiten können. Ich möchte auch all denen, die daran so lange Zeit sehr intensiv gearbeitet haben, meinen Respekt zollen. Ich bin – ich habe es schon einmal erwähnt – früher von der Ministerkonferenz aus Karlsruhe zurückgekommen, weil ich gerade bei dem Punkt hier sein wollte und Ihnen dafür ganz herzlich Dank sagen möchte.
Der Bericht bleibt nicht bei der Analyse stehen. Er zeigt auch zukunftsweisende Perspektiven für die Bewältigung der Herausforderungen auf, vor denen die Kinder-, Jugend-, Familien- und Bildungspolitik heute stehen. Ich freue mich auch darüber, dass es in der Kommission völlig unstrittig war, welche große Bedeutung der frühkindlichen Bildung zukommt.
war das ein wichtiges Thema. Und dass die 16 Länder sich bei allem Streit, bei allen parteipolitischen Differenzen, bei allem Drum und Dran um Finanzen und Ähnlichem darauf verständigt haben, dass Bildung ein Schwerpunkt ist, um Aufstieg auch in unserer Gesellschaft möglich zu machen, das ist ein ganz wichtiges Signal. Das ist das gleiche Signal, das auch dieser Bericht bietet.
Er zeigt, wie Chancen von Kindern von null bis zehn Jahren in der frühkindlichen Bildung, aber auch in der Schule wachsen können.
Ich denke, das, was der Vorsitzende der Enquetekommission, Prof. Bovermann, in seiner Einleitung zum Bericht besonders herausgestellt hat, dieser Gedanke sollte auch unsere Debatten noch stärker prägen, nämlich vom Kind her zu denken, wie er das genannt hat. Das klingt zunächst wie eine Banalität, ist aber in Wahrheit eine ganz komplexe Aufgabe.
In vielen Bereichen ist es leider immer noch so, dass wir noch zu wenig von der Unterschiedlichkeit, der Vielfalt und vor allem von der Individualität der Kinder her denken.
Noch zu oft stehen die Interessen von Einrichtungen, stehen nicht hinterfragte Gewohnheiten, stehen viele andere Dinge eher im Mittelpunkt, als vom Kind her zu denken. Deshalb wird es auch in den kommenden Jahren eine entscheidende Aufgabe bleiben, unser politisches Handeln und die Institutionen, die sich mit Kindern beschäftigen, stärker auf die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Kinder auszurichten.
Es ist ein besonderes Verdienst der Enquetekommission, diesen Auftrag klar und unmissverständlich formuliert zu haben.
Zum Glück fangen wir bei vielem nicht bei null an. Gemeinsam mit dem Parlament haben wir in den vergangenen Jahren wichtige Schritte in diese Richtung unternommen. Dazu gehört zum einen die individuelle verbindliche Sprachförderung für alle Kinder, zum Zweiten ein Finanzierungsmodell, von dem wir sagen, dass es genau das Kind in den Mittelpunkt stellt.
Da, wo mehr Bedarf ist, muss auch mehr Geld landen. In sozialen Brennpunkten muss mehr Geld sein als in einer Kindertagesstätte, die nicht in einem sozialen Brennpunkt liegt. Wo Sprachförderbedarf ist, muss pro Kind mehr landen als da, wo kein Sprachförderbedarf ist. Beim behinderten Kind muss mehr landen als bei dem Kind, das nicht behindert ist. Genau diese Umstellung in der Systematik, nicht in Pauschalen und Gruppen zu denken, sondern in der Individualität des Kindes zu denken, war der Grundgedanke des Kinderbildungsgesetzes, nämlich das Kind pro Kind auch zu bezahlen.
Jede Kita muss sich anstrengen, das so gut zu machen, damit die Kinder auch in diese Kindertagesstätte gehen. Es wird gerade in den nächsten Jahren, wenn die Kinderzahl abnimmt, ein wichtiger Impuls sein, individuelle Förderung von Kindern zu machen.
Welches Potenzial in der individuellen frühen Förderung der Kinder liegt, macht eine Langzeitstudie aus den Vereinigten Staaten deutlich. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat in ihrer Ausgabe von Montag über das „Perry Preschool Project“ berichtet. Demnach hatten Kinder aus benachteiligten Familien im Erwachsenenalter signifikant bessere Lebensbedingungen, wenn sie früh intensiv gefördert wurden. Als Erwachsene erzielten sie deutlich höhere Einkommen. Sie sind deutlich seltener im Gefängnis als Gleichaltrige mit gleicher sozialer Herkunft, die keine besondere Förderung erhalten hatten.
Der Wirtschaftsnobelpreisträger James Hackman hat das Ergebnis dieser Studie auf die Formel gebracht – ich zitiere –:
Wenn man benachteiligte Kinder sehr früh fördert, sind die ökonomischen Effekte enorm; wenn man sie erst im Jugendalter unterstützt, sind die Effekte minimal.
Das zeigt, dieses Politikfeld ist nicht nur ein spezielles Kästchen „Bildungsindividuelle Förderung“, sondern es ist für die gesamte Gesellschaft, für die Volkswirtschaft, für den Staat von großer Bedeutung, dass man Kinder sehr früh fördert.
Unterschiedliche soziale Ausgangspositionen sind nicht nur ein amerikanisches Problem. Wir alle wissen, dass es dem deutschen Bildungssystem bislang nicht hinreichend gelingt, die Auswirkungen sozialer Ungleichheit auf die Bildungschancen annähernd zu beseitigen oder wenigstens signifikant zu mildern. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Kurs der individuellen Förderung, den wir begonnen haben, Früchte trägt; denn Bildung ist weiterhin der beste Schutz gegen Armut.
Seit der Regierungsübernahme haben wir vieles von dem aufgegriffen, was im Interesse der Kinder und Familien liegt. Gleichwohl sage ich klar: Die Enquetekommission hat recht mit ihrer Feststellung, dass noch eine lange Wegstrecke zurückzulegen ist, bis wir unser Ziel erreicht haben. Dieses Ziel heißt: Nordrhein-Westfalen soll das Land der Kinder mit den besten Chancen werden. Dafür müssen wir entsprechende Rahmenbedingungen setzen. Einige will ich in Übereinstimmung mit dem Enquetebericht beispielhaft nennen:
Erstens. Wir wollen den Kindern im Land eine ungefährdete Kindheit ermöglichen. Deshalb sorgen wir für mehr und wirksameren Kinderschutz, zum Beispiel durch die Förderung sozialer Frühwarnsysteme vor Ort und das Elternbegleitbuch, das wir den Kommunen gerade in den letzten Wochen zur Ver
Zweitens. Wir wollen gesunde Kinder. Dazu gehört, den Kindern durch eine intensivere Gesundheitsprävention eine gesunde Kindheit zu ermöglichen. Wichtige Bausteine sind unter anderem mehr Bewegung, wie es in den 195 Bewegungskindergärten bereits praktiziert wird. Das Thema Ernährung hat auch in dem Enquetebericht eine wichtige Rolle gespielt.
Drittens. Wir wollen bildungsfreudige Kinder und deshalb mehr individuelle Bildungsförderung bereits in frühen Jahren; zum Kinderbildungsgesetz habe ich bereits einiges gesagt.
Viertens. Wir wollen medienkompetente Kinder, denn der Umgang mit Medien wird immer wichtiger und gehört als selbstverständlicher Teil auch zur Bildung. Da, wo es nötig ist, werden wir zudem den Kinder- und Jugendmedienschutz kontinuierlich verbessern.
Fünftens. Wir wollen gestaltende Kinder und damit mehr Teilhabe vor allem an kommunalpolitischen Entscheidungen, wie wir es mit den mittlerweile 62 Kinder- und Jugendräten in den nordrheinwestfälischen Städten und Gemeinden ermöglichen, wie es auch für den Kinder- und Jugendförderplan vorgesehen ist, nämlich die Partizipation zu stärken.
Sechstens. Wir wollen allen Kindern interkulturelle Kompetenz vermitteln, um ihnen gute Chancen für ein gemeinsames Aufwachsen in unserem Land der kulturellen Vielfalt zu geben.
Siebtens. Wir wollen Kindern auch Werte vermitteln, die für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft und für die Zukunft unserer Demokratie grundlegend sind. Denn auch mit einem noch so perfekten Gesetzessystem, das alles regelt, werden Sie eine werteorientierte Haltung von Menschen nicht ersetzen können.
Das können Sie auf jeden Gesellschaftsbereich anwenden. Wir werden gar nicht so viele Gesetze produzieren können, um eine Gesellschaft zusammenzuhalten. Einen Grundbestand an Werten braucht jede Gesellschaft. Und das beginnt ganz früh bei den Kindern.
Das sind alles schwierige Aufgaben, ehrgeizige Ziele, wenn man zum Beispiel an den großen Komplex der Gesundheitsförderung bei Kindern denkt. Wir haben eine gute Infrastruktur, bei der wir ansetzen können. Ich bin der Enquetekommission dankbar, dass sie auf die hohe Qualität des Angebots für Bildung, Erziehung und Betreuung auch jenseits von Schule hinweist und zudem deutlich macht, dass gerade in den außer- und vorschulischen Bezügen wichtige Kompetenzen vermittelt werden.
Die Kommission bestätigt damit die Auffassung, dass Lernen immer und überall stattfindet. Bildung ist mehr als gute Noten. Bildungsprozesse müssen ganzheitlich gedacht werden, und wir müssen noch stärker als bisher wahrnehmen, dass sich die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, des Sports, der Kultur bildungsrelevant auswirken und Orte des informellen oder non-formalen Lernens sind.
Für die Optimierung der Chancen für Kinder muss nun das Verhältnis dieser unterschiedlichen Lernarten zueinander und ihre Bedeutung für die Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungspolitik herausgearbeitet werden.
Schulpolitik ist ein wichtiges Thema, aber Bildung ist ein bisschen mehr, als darüber zu streiten, ob die Einheitsschule so herum oder so herum kommt. Bildung ist ein ganzheitlicher Prozess.