Protokoll der Sitzung vom 13.11.2008

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 106. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich zehn Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Meine Damen und Herren, die Fraktionen von CDU und FDP haben gestern bereits eine Ergänzung der heutigen Tagesordnung beantragt, und zwar die am Mittwoch von der SPD-Fraktion beantragte dritte Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung Drucksache 14/6831: Gesetz zur Änderung aufsichtsrechtlicher, insbesondere sparkassenrechtlicher Vorschriften.

Dazu möchte Herr Peter Biesenbach etwas zur Geschäftsordnung vortragen. Dafür gebe ich ihm jetzt das Wort.

Frau Präsidentin, Sie haben mir die Arbeit bereits abgenommen. Wir beantragen die Ergänzung der Tagesordnung heute um einen neuen Tagesordnungspunkt 5: die dritte Lesung des Sparkassengesetzes. Alle weiteren Punkte sollen jeweils um einen Punkt nach hinten rutschen.

Das war der Antrag zur Geschäftsordnung. Gibt es dazu weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall.

Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. Wer für die Ergänzung der Tagesordnung um einen neuen Punkt 5 – mit Redezeiten gemäß Block I – ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Änderung der Tagesordnung einstimmig so beschlossen.

Meine Damen und Herren wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Aktuelle Stunde

OECD Umweltausblick 2030 – Perspektiven für das Industrieland Nordrhein-Westfalen diskutieren

Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/7869 – Neudruck

Die Fraktionen der CDU und der FDP haben mit Schreiben vom 10. November 2008 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner dem Kollegen Weisbrich von der CDUFraktion das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat am Montag die für Deutschland wichtigsten Ergebnisse ihres Umweltausblicks 2030 vorgestellt.

Die OECD verfügt über ein relativ kleines Budget und hat den Charakter einer permanent tagenden Konferenz. Eines ihrer zentralen Ziele ist es, die Entwicklungshilfegelder der Mitgliedstaaten so festzulegen, dass jeder Staat 0,7 % des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe zur Verfügung stellt. Bei diesem Ziel ist sie bisher gescheitert. Das sollte uns Veranlassung geben, über die internationalen Steuerungsmechanismen nachzudenken.

Der Umweltausblick 2030 wurde unter Aufsicht des Ausschusses für Umwelt von einem Team der OECDDirektion Umwelt erstellt. Insbesondere Kommentare von Umweltbewegungen sind in diesen Bericht eingeflossen. Die Analysen dieses Ausblicks sind stark modellgläubig. Sie beruhen auf einem ökonomischen und ökologischen Modellierungsrahmen, dessen Prämissen und Ergebnisse nur schwer nachprüfbar sind.

Dennoch: Kernpunkte des Berichtes sind Klimawandel, Biodiversität, saubere Wasserversorgung, ausreichende Abwasserentsorgung sowie die Gesundheitsfolgen von schädlichen Umweltveränderungen.

Der Bericht fordert eine weltweite Umstellung der Wirtschaftsstrukturen, um die Voraussetzungen für eine weniger kohlenstoffintensive, umweltfreundlichere und nachhaltigere Zukunft zu schaffen. Ein notwendiger erster Schritt sei die Beseitigung umweltschädlicher Subventionen für fossile Brennstoffe und für landwirtschaftliche Aktivitäten. Der Akzent sollte auf der Besteuerung der schlechten statt auf der Subventionierung der guten Praktiken liegen.

Angesichts der voraussichtlichen Verdoppelung des Umfangs der Weltwirtschaft bis 2030 und des Anstiegs der Weltbevölkerung um ein Drittel können dem Bericht zufolge die ökologischen Herausforderungen aber nur dann gelöst und finanziert werden, wenn – das betone ich – alle Staaten einschließlich der aufstrebenden Volkswirtschaften wie Brasilien, Russland, Indien, Indonesien, China und Südafrika koordiniert zusammenarbeiten.

Der für das Industrieland Nordrhein-Westfalen mit Abstand wichtigste Teil des OECD-Ausblicks ist das Kapitel zum Klimawandel. Um hier erfolgreich zu

sein, bedarf es dem Bericht zufolge einer Lastenteilung zwischen den Ländern zur Deckung der Emissionsminderungskosten. Das heißt im Klartext: Erlöse aus dem Zertifikatehandel in den Industriestaaten müssten im Rahmen eines internationalen Abkommens zu einem großen Teil an Entwicklungs- und Schwellenländer abgeführt werden, damit dort besonders wirksame Strategien zur CO2-Minderung verfolgt werden können.

Meine Damen und Herren, der Bericht macht deutlich: Ohne weltweit einschneidende Minderungsmaßnahmen ist mit einem Anstieg der globalen Emissionen um 37 % bis zum Jahr 2030 und um 52 % bis zum Jahr 2050 zu rechnen. Verbunden damit wäre eine globale Erderwärmung um 4 bis 6 Grad Celsius. Eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf etwa 2 Grad Celsius durch Stabilisierung der CO2-Konzentration in dem bekannten Umfang wäre notwendig und erscheint auch möglich. Aus den Politiksimulationen der Studie geht allerdings hervor, dass bei jeder zukünftigen Form internationaler Zusammenarbeit zur Senkung des globalen Emissionsvolumens ein Lastenverteilungsmechanismus erforderlich ist; denn für die Volkswirtschaften in Brasilien, Russland, Indien und China sind die Kosten der Anpassung etwa fünfmal so hoch und in der übrigen Welt ungefähr viermal so hoch wie den klassischen Industriestaaten im OECD-Raum.

Der Lastenverteilungsmechanismus, der auf der Kyoto-Folgekonferenz in Kopenhagen bis Ende 2009 beschlossen werden muss, wird deshalb entscheidend sein für den Erfolg oder den Misserfolg jeder wirksamen Klimaschutzstrategie. Das müssen wir bei der Ausgestaltung unseres eigenen Klimaschutzbeitrages, ob auf nationaler Ebene oder in Nordrhein-Westfalen, immer vor Augen haben.

Wenn der CO2-Ausstoß im Jahr 2011 in China bei 9 Milliarden Tonnen liegen wird, in den USA bei 7 Milliarden Tonnen und in Deutschland unter 900 Millionen Tonnen, dann wird deutlich, dass am Weltmaßstab gemessen der Grenznutzen der CO2Vermeidung in Deutschland – vorsichtig formuliert – sehr begrenzt ist. Anders ausgedrückt: Es macht keinen Sinn, bei uns einen zwei- bis dreistelligen Milliardenbetrag auszugeben, um bis zum Jahr 2013 den CO2-Ausstoß um 40 % auf jährlich 500 Millionen Tonnen zu senken, wenn alleine in China im gleichen Zeitraum jährlich eine Milliarde Tonnen CO2 zusätzlich emittiert werden.

Diese Zahlen machen im Übrigen nicht nur deutlich, dass in Indien und in China nicht ein bis zwei Tonnen CO2 pro Person erzeugt werden, wie Kollege Priggen das noch im Februar an dieser Stelle vorgetragen hat, sondern dass im bevölkerungsreichsten Staat der Erde die jährlichen CO2-Emissionen mittlerweile schon bei mehr als 4 Tonnen je Einwohner liegen und bis zum Ende der Kyoto-Periode wohl 7 Tonnen je Einwohner erreicht haben werden.

Wenn wir also eine weltweite Reduzierung des CO2Ausstoßes auf 2 Tonnen je Einwohner anstreben, wie dies nach den einschlägigen Klimamodellen nötig wäre, dann müssen die Industriestaaten und insbesondere auch wir für den Klimaschutz in den anderen Ländern in Zukunft in ganz erheblichem Umfang zahlen.

Meine Damen und Herren, diese Tatsache hat gravierende Konsequenzen für unsere eigene Klimaschutzstrategie. Klimaschutz ist eine globale Aufgabe. Angesichts des in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen erzielbaren geringen Beitrags zur weltweiten CO2-Reduzierung ist es sinnlos, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft außerhalb des Kyoto-Folgeabkommens – ich betone: außerhalb – durch deutsche oder europäische Vorleistungen zum Klimaschutz zu gefährden. Im Rahmen des in Kopenhagen zu vereinbarenden Klimaschutzabkommens wird es darauf ankommen, ein weltweites CO2-Handelsystem beziehungsweise eine weltweite CO2-Steuer einzuführen und die Erlöse daraus weitgehend in Entwicklungs- und Schwellenländern gezielt für Klimaschutzprojekte, die dort besonders wirksam sind, zur Verfügung zu stellen.

Wenn wir beim Klimaschutz weltweit erfolgreich sein wollen – und eigentlich macht das nur Sinn im weltweiten Maßstab –, dann stehen auf Sicht für unsere eigenen Programme keine Mittel aus den Handelserlösen für Verschmutzungsrechte zur Verfügung. Wir sollten uns deshalb auf Maßnahmen konzentrieren, die ohne öffentliche Mittel aus sich heraus wirtschaftlich sind. Die Klimastrategie der Landesregierung ist von Anfang an so ausgerichtet. Ihr Herzstück, das Kraftwerkserneuerungsprogramm, wird durch den OECD-Bericht eindrucksvoll bestätigt.

Deshalb lassen Sie uns gemeinsam alles dafür tun, damit die Energiewirtschaft in Nordrhein-Westfalen endlich Investitionssicherheit für ihren breiten Energiemix erhält. Lassen Sie uns gemeinsam für brennstoffspezifische Benchmarks eintreten und dafür sorgen, dass unserer Industrie durch die ökonomische Unvernunft oder auch die Großmannssucht von Herrn Gabriel

(Svenja Schulze [SPD]: Was für eine Unver- schämtheit!)

keine Lasten auferlegt werden, die sie aus dem Land treibt – die Anzeichen sind schon deutlich zu erkennen –, weil diese Lasten an anderen Standorten nicht bestehen. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP – André Stinka [SPD]: Das ist die Bundesregierung!)

Danke schön, Herr Weisbrich. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Brockes.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben als Koalitionsfraktionen den OECD-Umweltausblick zum Anlass genommen, um heute im Rahmen der Aktuellen Stunde darüber zu diskutieren, wie sich die Vorschläge der OECD mit den industrie- und energiepolitischen Interessen des Industrie-, Energie- und Innovationslandes Nummer eins, Nordrhein-Westfalen, in Einklang bringen lassen.

Nordrhein-Westfalen ist die wichtigste und größte Industrieregion Europas. Gerade in Zeiten der Krise, wie wir sie im Augenblick erleben, ist es deshalb wichtig, Politik mit Augenmaß zu betreiben. Wir stehen vor großen Herausforderungen wie der Bewältigung der Finanzmarktkrise und des Klimawandels. Die Industrie, insbesondere die mittelständische Autozulieferbranche, kämpft im Augenblick ganz besonders mit den Auswirkungen der Finanzmarktkrise. Der Opposition fallen dazu nur neue Schulden ein.

Meine Damen und Herren, diese Landesregierung mit den beiden sie tragenden Fraktionen hat hingegen eine solide Politik für sichere Arbeitsplätze in der Industrie und für mehr Klimaschutz gemacht und wird dies auch weiter tun.

(Lachen von Svenja Schulze [SPD])

Frau Schulze, ich nenne Ihnen gerne konkret einige Beispiele wie etwa das Kraftwerkserneuerungsprogramm. Allein dieses Programm wird in Zukunft 31 Millionen t CO2 einsparen. Das ist mehr als 10 % des momentanen Gesamtausstoßes. Das ist zukunftsweisend, trägt zur Senkung des CO2Ausstoßes bei und sichert dabei Arbeitsplätze, vor allem in der mittelständischen Industrie. In Zukunft kann man noch mit mehr Einsparungen beim CO2 rechnen, wenn gerade auch Kraftwerke mit der neuen CCS-Technologie nachgerüstet werden können.

Meine Damen und Herren, unsere Energie- und Klimastrategie verbindet also Klimaschutz- und Industriepolitik sehr erfolgreich. Eine weitere Verteuerung des Stroms ist dadurch nicht zu erwarten, was ebenfalls Unternehmen der energieintensiven Branchen zusätzlich belasten würde, wie es bei jedem einzelnen Vorschlag zum Energiebereich gerade auch von Rot-Grün immer wieder der Fall ist. Die Antworten der Opposition tragen nichts zum Klimaschutz bei, da Fotovoltaik und Windkraft immer mit doppelter Struktur abgedeckt werden müssen. Dazu machen sie den Strom noch teurer und vernichten so Arbeitsplätze.

Meine Damen und Herren, die OECD hat ziemlich deutlich gemacht, dass wir unsere Mittel intelligent einsetzen müssen, um den negativen Effekt auf das Wachstum in Grenzen zu halten. Da frage ich mich dann, warum wir unsere sicheren und sauberen Kernkraftwerke abschalten, wenn diese doch CO2frei Strom erzeugen und dabei noch einen Beitrag

zur Stabilität der Preise leisten. Wenn wir effektiv Klimaschutz und Industriepolitik verknüpfen wollen, dann brauchen wir die Kernkraft. Wir haben uns ja letzte Woche mit dem Wirtschaftsausschuss das Kernkraftwerk in Lingen angesehen. Das ist deutsche Ingenieurskunst pur.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

Ich bin ehrlich gesagt – ich glaube, den meisten Kollegen geht es genauso – geradezu erschlagen davon, welche Sicherheitsaspekte berücksichtigt werden und wie Sicherheit dort gewährleistet wird.

(Svenja Schulze [SPD]: Erschlagen! – André Stinka [SPD]: Erschlagen! – Zuruf von Bodo Wißen [SPD])

Meine Damen und Herren, wollen Sie das wirklich aufgeben – mit allem, was an Industrie und Wirtschaft gerade auch für Nordrhein-Westfalen da dranhängt?

(Zurufe von der SPD)

Wollen Sie dies wirklich aufgeben zulasten der Bürger, zulasten der Wirtschaft und zulasten der Umwelt?

(André Stinka [SPD]: Die Bürger waren am Wochenende schon begeistert von den Transporten!)

Dann wäre da noch das Thema Emissionshandel. Wir wollen einen Emissionshandel, der wirksam ist und trotzdem Industrie in Nordrhein-Westfalen möglich bleiben lässt. Deshalb treten wir nach wie vor für die Verteilung nach einem Benchmark ein. Wir wollen, dass neue hochmoderne Kraftwerksbauten nicht verhindert, sondern gefördert werden. Die Grünen wollen mit der Vollauktionierung lediglich das Ende der Kohle, insbesondere der Braunkohle, herbeiführen.

Meine Damen und Herren von der SPD, ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wie Sie das mitmachen können. Um die Ziele des Klimaschutzes zu erreichen, brauchen wir die Vollauktionierung nicht. Auch bei Zuteilung nach Benchmark werden die frei verfügbaren Zertifikate frei gehandelt und drücken den CO2-Ausstoß auf das vorgegebene Niveau. Sollte die Vollauktionierung kommen, wäre das nichts als ein Deindustrialisierungsprogramm.