Protokoll der Sitzung vom 27.10.2005

In einem ersten Schritt wird dazu, wie der Minister angekündigt hat, jeweils mindestens ein Familienzentrum als Pilotprojekt in jedem Jugendamtsbezirk einzurichten sein. Wir versprechen uns davon

einerseits fachliche Anstöße für diese Kommunen, andererseits aber auch wichtige Rückmeldungen zu den vom Land zu schaffenden Rahmenbedingungen. Mit dem Nachtragshaushalt, den wir gestern beraten haben, und mit dem heute von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Antrag begeben wir uns auf diesen Weg. Die beiden Oppositionsfraktionen sind herzlich eingeladen, diesen Weg gemeinsam mit uns zu gehen. - Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Frau Altenkamp von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lindner, für die Einladung bedanken wir uns ganz herzlich. Wir hätten es aber ganz sicher auch ohne diese Einladung getan, diesen Prozess zu begleiten und mit Ihnen darüber zu diskutieren. Denn es geht uns bei dem Thema Familienzentren nicht darum, ein Haar in der Suppe zu finden, sondern darum, Dinge zu entwickeln und weiterzuentwickeln.

Sie führen mit dem Thema Familienzentren heute einen neuen Begriff ein, aber keinen wirklich neuen Ansatz. Sie haben es schon selber eingeräumt: Es gibt auf der Bundesebene, gefördert vom Bundesfamilienministerium, die Eltern-KindZentren. Es gibt das Haus des Kindes, das Haus für Kinder. Es gibt ganz unterschiedliche Ansätze; sie sind zehn, fünfzehn Jahre alt und greifen peu à peu im Land immer weiter um sich.

Vieles in Ihrem Antrag, was Sie jetzt in der Diskussion angeführt haben, bleibt allerdings vage. Ich will einige Anmerkungen für unsere Fraktion machen:

Erstens. Ich glaube, dass wir alle gemeinsam aufpassen müssen, dass wir es nicht zu einer Überforderung der Kitas kommen lassen. Das muss klar sein. Wir haben in den letzten Jahren aus allen Fraktionen heraus unterschiedliche Anforderungen an die Kitas gestellt. Wir haben zum Teil das Thema Stärkung des Bildungsauftrags sehr intensiv diskutiert. Wir haben die Frage der interkulturellen Erziehung in den Kindertageseinrichtungen auch sehr intensiv diskutiert.

In den letzten Jahren ist sehr intensiv in der Fachszene diskutiert worden, sich mit der Aufgabenstellung des Übergangs zur Schule stärker zu beschäftigen. Die Betreuung der unter Dreijährigen, nicht zuletzt durch die Umsetzung des TAG, ist auch eine Anforderung, die wir an die Kitas gestellt haben.

Zweitens. Für die Sozialdemokraten ist es wichtig, dass bei der gesamten Diskussion um Familienzentren klar bleibt: Kitas sind Orte für Kinder. Kinder stehen in den Kitas im Mittelpunkt. Das heißt, die gesamte Palette der Erwachsenenberatung - Schuldnerberatung, Ehe-, Familienberatung, Lebensberatung, Suchtberatung - um die Kita herum zu gruppieren, würden wir für den falschen Ansatz halten.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP]: Das steht hier!)

Es geht uns vor allen Dingen um die Stärkung der Kita als Lotse in der Beratungsstruktur für Erwachsene in ihrer Rolle als Eltern.

(Beifall von der SPD)

Eltern brauchen Unterstützung - das ist überhaupt keine Frage - und Eltern brauchen zum Teil Hilfen, auch niedrigschwellige Angebote. Deshalb die Weiterentwicklung der Modellprojekte, die ich angesprochen habe.

Drittens. Sie machen leider keine konkreten Vorschläge, wie die einzelnen Zentren in den Kommunen aussehen. Das ist im Grunde im jetzigen Stadium nicht schlecht und nicht schlimm, weil es eine Menge Möglichkeiten gibt, da noch zu diskutieren und die Erwartungshaltung in die eine oder andere Richtung deutlich zu machen.

Also kann es in der Diskussion im Fachausschuss nur darum gehen, dass wir grobe Anforderungsprofile formulieren und Diskussionen schaffen, die Träger und Kommunen gleichermaßen einbeziehen. Aber uns geht es dabei vor allen Dingen um die Träger.

Viertens. Für uns ist die Fixierung auf die Kita als der Ort, um den herum es stattfinden soll, nicht unbedingt so schlüssig. Um wirklich zu Familienzentren zu kommen, sollten wir den Weg der engmaschigen Vernetzung weiter gehen. Es ist richtig: Im Sozialraum ist die sozialräumigste Einrichtung, die wir haben, die Kita. Vor dem Hintergrund macht es Sinn, einen Teil der Beratung und die Möglichkeiten der Familienbildung und der Familienberatung drum herum zu setzen.

Aber eines muss klar sein: Es gibt natürlich Beratungsstrukturen, die wir klar so vorhalten müssen, dass zum Beispiel das Prinzip der Wahlfreiheit gewährt bleibt. Es kann durchaus sein, dass einzelne Eltern sagen: Bei dem Träger, bei dem mein Kind in die Kindertageseinrichtung geht, möchte ich aber nicht unbedingt die Familien-, Ehe- und Lebensberatung in dieser Form haben, sondern ich möchte mir die Möglichkeit offen lassen, eine andere Stelle, zum Beispiel an einem anderen

Ort, suchen. Es muss nach wie vor anonyme Beratung geben.

Fünftens. Das Bundesfamilienministerium in Deutschland hat 120 Projekte unter dem Stichwort Eltern-Kind-Zentren gefördert. Uns geht es darum, dass der Begriff Familienzentren nicht dazu führen soll, dass es zu einer Kompetenzverlagerung seitens der Eltern in irgendwelche Institutionen kommen soll, was ihren Erziehungsauftrag betrifft, sondern es geht um die Kompetenzstärkung der Eltern. Ihren Beiträgen heute habe ich entnommen, dass es Ihnen zum großen Teil auch darum geht.

Sechstens. Was passiert mit den Kindern, die nicht mehr im Kindergartenalter sind? Auch da brauchen die Kinder wie die Eltern Unterstützung. Es reicht nicht, dass man sagt, wir arbeiten mit den Schulen zusammen, sondern wir müssen im Anschluss sehr wohl Strukturen aufrechterhalten, die diesen Übergang, nicht nur für die Eltern, sondern auch für die Kinder, durch Beratung gestalten. Dazu sagen Sie in Ihrem Antrag nichts.

Siebtens. Es soll in jedem Jugendamtsbezirk Pilotprojekte geben. Sie finanzieren die jetzt anteilig aus dem, was die Kommunen ohnehin - wenn ich das alles richtig verstanden habe - seitens des Landes im Moment an Finanzierung für die Erziehungsberatung, für die Elternbildung und andere Dinge erhalten. Wir müssen alle gemeinsam die Kommunen stärker einbeziehen. Ich habe nicht den Eindruck, dass überall angekommen ist, dass es nicht darum geht, jetzt etwas Neues, etwas Zusätzliches zu finanzieren, sondern dass es darum geht, in den Strukturen, die vorhanden sind, zu arbeiten.

Achtens. Nennen will ich noch, dass der Minister in dem „NGZ-Journal“ in einem Interview sagt, dass er sich wünscht, dass 2010 jede dritte Tageseinrichtung - also 3.000 Einrichtungen; wir reden heute von etwa 9.000 Einrichtungen - ein Familienzentrum ist.

Wir können davon ausgehen, dass, wenn Sie dieses Ziel weiter verfolgen, es ohne finanzielle Hilfe und Unterstützung des Landes so nicht möglich sein wird. Das heißt, wir müssen über finanzielle Umsteuerung reden, wenn wir alle gemeinsam zu einem Konzept bei den Familienzentren kommen.

Neuntens. Sie beantragen in Ihrem Antrag einen Bericht des Ministeriums. Für uns ist klar, dass es eine breite Beteiligung auch des Parlamentes geben soll. Deshalb kann ich heute schon ankündigen, dass wir zu diesem Thema eine Anhörung machen wollen.

Zehntens. Über Tagespflegestellen haben wir heute im Obleutegespräch schon gesprochen. Es soll in einem ersten Schritt vor allem um die Vermittlung von Tagespflegestellen gehen. Damit habe ich überhaupt kein Problem; das finde ich auch richtig. Nur erwarten Eltern - das wissen Sie -, dass Tagespflege definiert ist, sonst klappt es nicht. Wenn wir nicht klar definieren, was Tagespflege an qualitativer Betreuungsmöglichkeit bietet, dann nutzt es nichts, dass es über die Kitas vermittelt wird; denn die Eltern wenden sich an die Kitas, weil sie eine bestimmte Erwartungshaltung an die Kompetenz und Qualität von Tagespflege haben.

Sie können davon ausgehen, dass wir diesen Prozess ausgesprochen konstruktiv begleiten und mit Ihnen über die Details und auch über die Inhalte, die dahinter stehen, ausführlich diskutieren werden. - Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Frau Abgeordnete Asch von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Zielbeschreibung - das hat sich eben gezeigt - sind wir uns im Wesentlichen einig. Familien- und Lebensgemeinschaften mit Kindern brauchen stärkere Unterstützung bei den Zukunftsaufgaben, die sie für diese Gesellschaft wahrnehmen. Es geht darum, Frauen, aber auch Vätern die Vereinbarkeit von Familie und Beruftätigkeit zu ermöglichen, Unterstützungssysteme in Form von Beratungsangeboten und Bildungsmöglichkeiten zugänglicher und erreichbarer zu machen und natürlich um die bestmögliche Förderung der Entwicklung von Kindern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Genau hier setzt das Modell eines Familienzentrums an. Wir Grüne haben übrigens ein Konzept mit dem Namen „Haus für Kinder“ entwickelt. Es gibt auch noch andere Modelle, die von „ElternKind-Zentren“ sprechen. Letztendlich, auch wenn das „Kind“ unterschiedlich genannt wird, geht es um die Weiterentwicklung und Qualifizierung der Kindertagesstätte zu einem integrierten Angebot, in dem die verschiedenen Leistungen, die jetzt für Familien zur Verfügung stehen, besser aufeinander abgestimmt und vernetzt werden. Soweit, so übereinstimmend.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

In der Frage, wie man dieses Ziel erreicht, das scheinbar alle wollen, gibt es jedoch erheblichen Dissens. Ich sage ganz klar: Das, was die Koalition hier als Antrag vorgelegt hat, ist schlicht zu kurz gesprungen und völlig substanzlos. Im Grunde geht Ihr sehr dünner Antrag ja kaum über das hinaus, was der Ministerpräsident schon in seiner Regierungserklärung verkündet hat. Statt sich jetzt die Arbeit und Mühe zu machen, eigene Vorstellungen und Konzepte zu entwickeln, geben Sie diese Aufgabe vollständig an das Ministerium ab. Sie legen noch nicht einmal Eckpunkte fest, anhand derer eine Konzeptentwicklung erfolgen soll. Das, meine Damen und Herren, ist nichts anderes als die Preisgabe von politischem und parlamentarischem Gestaltungswillen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das einzige, das Sie im Grunde festlegen, ist, dass es kein festes Konzept geben soll, sondern dass jede Kommune für sich definieren soll, was sie unter einem Familienzentrum versteht.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Damit, meine Damen und Herren, ist der absoluten Beliebigkeit, Herr Lindner, Tür und Tor geöffnet. Man muss sich einmal vorstellen: Sie als Haushaltsgesetzgeber stellen Mittel zur Verfügung - das haben Sie ja im Nachtragshaushalt gemacht - und haben keine Ahnung wofür.

(Christian Lindner [FDP]: Doch!)

Sie geben zwar die Mittel für ein Familienzentrum, aber dazu, wie das im Einzelnen aussehen soll, wollen und können Sie noch nichts sagen. Sie werden aber nicht darum herumkommen, Ihre eigenen Vorstellungen zu entwickeln. Sie werden nicht darum herumkommen, sich inhaltlich und mit den Kommunen auseinander zu setzen, denn in diesem Feld gibt es ja drei Akteure, nämlich die Landesregierung, das Parlament und die Kommunen. Die Kommunen wollen von Ihnen wissen, wohin die Reise gehen soll.

(Beifall von den GRÜNEN - Zuruf von Chris- tian Lindner [FDP])

Die Kommunen muss man natürlich mit einbeziehen und kann nicht nur irgendein Gespräch mit ihnen führen. Ich finde es interessant, dass Sie es nicht für nötig befunden haben, den Ausschuss für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform mit diesem Thema zu befassen. Das halten wir für zwingend notwendig. Offenbar weiß bei Ihnen niemand, dass die Ausführung des KJHG bei den Kommunen liegt.

Wir als Bündnis 90/Die Grünen machen da nicht mit. Wir sagen ganz klar: Zur Verbesserung der gegenwärtigen Situation brauchen wir Mindeststandards, die in einem solchen Zentrum erfüllt sein müssen. Alles andere ist Etikettenschwindel, eine schöne Überschrift, die nicht mit Inhalten gefüllt wird. Wir werden dazu im Beratungsverfahren einen Antrag vorlegen, in dem Eckpunkte und Mindestkriterien definiert werden, die wir gerne mit den Kommunen und in den Ausschüssen diskutieren wollen. Wahrscheinlich brauchen wir dazu auch eine Anhörung, die wir beantragen werden.

Zu diesen Mindeststandards gehören zwingend eine Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren - das ist bereits genannt worden, aber sehr unverbindlich; das ist die vordringliche Aufgabe für die nächsten Jahre -,

(Beifall von den GRÜNEN)

die Vermittlung von qualifizierter Tagespflege, wenn nicht ausreichend institutionelle Plätze vorgehalten werden, niedrigschwellige Beratungsangebote für Eltern - hierfür müssen die räumlichen Bedingungen besser gestaltet werden, sodass die Beratungsstellen regelmäßige Sprechstunden in den Kindertageseinrichtungen abhalten können -, die Integration von medizinischer Prävention und Vorsorgeuntersuchungen - hier gibt es ein erhebliches Defizit - und die Sprachförderung von Eltern und Kindern - Sprache ist die Schlüsselqualifikation, auf der der ganze weitere Bildungserfolg aufbaut.

Meine Damen und Herren, Konzepte, wie so etwas optimal aussehen kann, sind bereits entwickelt. Das Rad muss keineswegs neu erfunden werden. Es gibt auch in Westfalen gute Modelle, an denen wir uns orientieren können, die modellhaft arbeiten.

Auch die wissenschaftliche Evaluation dazu gibt es bereits. Das Deutsche Jugendinstitut hat Dutzende Familienzentren im Auftrag des zuständigen Bundesministeriums wissenschaftlich untersucht.

Wir brauchen also keine neuen Pilotprojekte für Familienzentren zu beschließen, sondern die zügige Umsetzung dieser erfolgreichen Modelle. Wir brauchen den Aufbau in die Fläche hinein.

Entscheidend ist natürlich die Finanzierung. An dieser Stelle wird sich zeigen, meine Damen und Herren, ob sich hinter dem Vorhaben nur Symbolpolitik versteckt.

Nach Ihrem Antrag wollen Sie zunächst in allen Jugendamtsbezirken in NRW je ein Familienzent