Protokoll der Sitzung vom 27.10.2005

Lassen Sie mich dies noch als Nebeneffekt, aber nicht als Hauptidee der Familienzentren nennen: Wenn wir wissen, dass die Zahl der Familien mit Zuwanderungsvorgeschichte aufgrund der Demographie in den nächsten Jahren noch weiter steigen wird, dann ist das eigentlich auch der ideale Ort, um Integration möglich zu machen.

Integration gelingt mit am leichtesten über die Kinder. Migranten engagieren sich überdurchschnittlich im Ehrenamt, wenn es um Kinder geht. Wenn es im Elternrat und in der Schulvertretung darum geht, Verantwortung zu übernehmen, dann sind Migranten doch überdurchschnittlich stark engagiert. Insofern sind Familienzentren ein gutes Forum auch für die Integration, wenn sie zu einem Ort werden, an dem sich Kinder und Eltern begegnen und an dem ein ganzheitlicher Ansatz gewählt wird, um zur frühkindlichen Bildung einen wichtigen Beitrag zu leisten.

Denn das ist auch etwas, was auch die neue Landesregierung nicht ruhen lässt. Dass die PisaErgebnisse für Nordrhein-Westfalen so schlecht sind, ist eigentlich für jeden in diesem Haus Ansporn genug, daran etwas zu ändern.

Aber dass sie bei den sozial Schwachen, bei den bildungsferneren Schichten, bei den Migranten mit am schlechtesten sind, das ist ein ganz schlechtes Zeugnis für eine Regierung, die bis zum 22. Mai den Anspruch gehabt hat, ein soziales Land zu gestalten.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie haben gerade die sozial Schwachen schwach zurückgelassen. Sie zu ertüchtigen, sie zu ermutigen und bei Pisa wieder zu besseren Ergebnissen gerade für diese Gruppe von Menschen zu kommen, ist ebenfalls ein Ziel frühkindlicher Bildung. Auch dazu werden die Familienzentren ihren Beitrag leisten.

Ich freue mich auf eine engagierte Debatte auch im Parlament, auch mit den Trägern, auch mit den Kommunen. Dann können wir in den nächsten Jahren viel erreichen für die Kinder in unserem Land, damit wir in der Tat das familienfreundlichste und kinderfreundlichste deutsche Bundesland werden. Diese Ambition haben wir. Da wollen wir die anderen überholen. - Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. - Für die Fraktion der SPD erteile ich der Kollegin Fischer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Laschet, der Kerngedanke der Familienzentren oder der Kinder- und Familienzentren - wie wir sie nennen - ist in der Tat nicht neu. Ich meine, es geht auch weniger darum, ob sich das die alte oder die neue Landesregierung auf ihre Fahne schreiben kann. Das interessiert die Bevölkerung überhaupt nicht. Letztendlich zählt das Ergebnis: Was kommt dabei heraus?

Die Gedanken, die Ideen, die Modelle, die Beispiele gab es bereits in der letzten Legislaturperiode. Wir hatten bereits damit begonnen, genau diese Modelle systematisch zu fördern, auch in Kooperation mit Familienbildungsstätten, Erziehungsberatungsstellen und dergleichen mehr.

Was zu erwarten ist und was ich auch von einer neuen Landesregierung erwarte, ist die Weiterführung dieser Grundlagen. Und bei der Weiterführung dieser Grundlagen, bei der es eine große Übereinstimmung auch in der vergangenen Periode hier im Parlament gegeben hat, greift die Landesregierung und greift auch der Antrag der CDU-Fraktion absolut zu kurz.

Das, was die Landesregierung bisher dazu gesagt hat, ist vage und unbestimmt. Man kann sich keine konkrete Vorstellung von dem Konzept machen, weil es nämlich zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt noch kein Konzept der Landesregierung gibt.

Es gibt, meine Damen und Herren, gemeinsame Anliegen, es gibt gemeinsame Schnittmengen. Es sollen niedrigschwellige Angebote sein. Es muss stärkere Kooperationen der unterschiedlichsten Angebote vor Ort gehen. Wir wollen Hilfen aus einer Hand realisieren, um wirksame Hilfen anzubieten.

Bei all diesen Dingen gibt es eine Übereinstimmung; ebenso bei den Zielen, die die CDUFraktion in ihrem Antrag aufführt. Ich nenne beispielhaft folgende Punkte: Erziehungskompetenz stärken, wirksame Hilfen organisieren, individuelle Benachteiligung abbauen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf. - Hier herrscht Übereinstimmung. Ich vermisse allerdings eine stärkere Gemeinwesenorientierung, eine präventive Ausrichtung des gesamten Konzeptes im Sinne eines sozialen Frühwarnsystems und verbindliche Kooperationen der einzelnen Akteure vor Ort.

Die Frage ist also: Wie wollen Sie die bereits vorhandenen Kompetenzen vor Ort sichern, wie wollen Sie diese nutzen, und wie wollen Sie diese neu ausrichten?

Wir haben in der vergangenen Periode ein soziales Frühwarnsystem in Nordrhein-Westfalen implementiert, und Ziel war, dies auch flächendeckend einzuführen.

Die Grundlage für dieses System beschreibt das Motto: Wahrnehmen, Warnen, Handeln mit dem Ziel der rechtzeitigen Erkennung von Problemlagen. Es ging darum, davor zu warnen, wenn etwas nicht in Ordnung war, und mit allen Akteuren gemeinsam dafür zu sorgen, dass gehandelt wurde, und zwar bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist, bevor Kinder und Jugendliche Schaden genommen haben. Es ging also darum, rechtzeitig Hilfestellungen anzubieten, und das geht nur im Rahmen integrierter Hilfen.

In diesem Sinne sind Kinder- und Familienzentren sicherlich sinnvoll. Erkennbar ist aber nicht, ob Sie dieses Konzept so weiterverfolgen und wie Sie es dann flächendeckend umsetzen wollen.

Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt schlicht und ergreifend zahlreiche Ungereimtheiten. Ich möchte einige auflisten, weil ich hoffe, dass wir sie im Ausschuss klären können.

Zunächst einmal bedarf es einer Schärfung, einer Konkretisierung des Konzepts: Was wollen Sie wie mit wem erreichen?

Zweitens. Welche Konsequenzen hat denn Ihr Modell der Familienzentren beispielsweise für Familienbildung, für Beratungsstellen, für Erzieherinnen und für soziale Dienste? Welche Bedeu

tung hat es für Schulen? - Wir kennen die Problematik, dass die Anzahl der Hilfen zur Erziehung in allen Kommunen enorm ansteigt, weil gerade im Schulalltag immense Probleme bei Kindern und Jugendlichen auftauchen. Wie können Familienzentren Ihrer Vorstellung für genau dieses Klientel, also für diese Altersgruppe wirksam sein?

Drittens. Wie wollen Sie die Förder- und Arbeitsbedingungen der Kindertageseinrichtungen verbessern? - Das steht nämlich als Behauptung im CDU-Antrag. Welche Angebote zur Weiterqualifizierung - und mit welchem Ziel vor allen Dingen - soll es geben? Es steht als Behauptung lapidar im Antrag, aber was verfolgen Sie damit?

Viertens. Wie will die neue Landesregierung ein kommunales Netzwerk unterstützen und eine intensive Zusammenarbeit mit Kommunen, Kindertagesstätten und der Familienhilfe erreichen, obwohl sich die finanziellen Mittel, die Sie jetzt veranschlagt haben, ausschließlich an freie Träger richten? Wie wollen Sie dies erreichen, wenn die Kommunen, die diesen gesamten Prozess vor Ort mit entwickeln und forcieren müssen, mit ihren kommunalen Einrichtungen außen vor bleiben und überhaupt nicht eingebunden sind?

Fünftens. Eine weitere Frage betrifft die Anzahl. Sie wollen bis 2007 171 Zentren und bis 2010 3.000 Zentren schaffen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob dies nicht leere Ankündigungen sind. Und der Verdacht erhärtet sich bei mir nicht nur aufgrund der geringen Summe im Haushalt, sondern weil Sie, Herr Minister, eine Bundesratsinitiative anstreben. Wir reden aber über eine kommunale Aufgabe und eine Landesaufgabe.

Natürlich muss das Land diese Entwicklung forcieren. Aber dann zu fordern, der Bund, der in diesem Bereich überhaupt keine Kompetenzen besitzt, solle ebenfalls investieren, wie es auch bei der Kinderbetreuung geschehen ist, zeigt meines Erachtens deutlich, dass Sie schon heute wissen: Wir alleine können das gar nicht stemmen, was wir uns vorgenommen haben. - Man muss meiner Meinung nach realistische Konzepte auf den Tisch legen und nicht solche, bei denen man heute schon weiß, dass man später behaupten will, der Bund ließe einen im Regen stehen.

(Beifall von der SPD)

Sie betonen sehr stark, alles solle unter einem Dach organisiert werden. Das betonen wir auch. Nur: Die Frage ist, was man damit meint. Wenn „alles unter einem Dach“ wörtlich gemeint ist - dass man also die unterschiedlichsten Angebote

unter einem Dach zusammenfasst -, dann kann das nur zulasten der Qualität gehen. Die SPD will keine Zentralisierung der verschiedensten Angebote im wahrsten Sinne des Wortes unter einem Dach.

(Christian Lindner [FDP]: Wir auch nicht!)

Wir wollen vielmehr eine Vernetzung der unterschiedlichen Kompetenzen.

Herr Lindner, dass Sie sagen, Sie wollten sie auch nicht, ist schön. Dann kann das ja in den weiteren Beratungen sichtbar werden.

Tatsache ist: All dies sind Ungereimtheiten, Fragen, die offen geblieben sind, und wir können im Ausschuss sicherlich die Gelegenheit nutzen, sie zu klären.

Mich wundert - ehrlich gesagt - das Verhalten des Finanzministers. Mein Finanzminister hätte mir damals vorgehalten: Liebe Kollegin, Haushaltsreife! Überschriften und schöne Ideen allein reichen nicht aus, sondern man braucht ein konkretes Konzept.

(Beifall von der SPD)

Das, was mich bei aller guten Absicht besonders empört, ist Folgendes: …

Frau Fischer, ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Ich komme zu meinem letzten Satz.

… Ich halte es für ein absolutes Versäumnis der neuen Landesregierung, dass sie nach den Ankündigungen im Wahlkampf zu Familienzentren heute nach fünf Monaten als neue Regierung noch nicht in der Lage ist, ein Konzept auf den Tisch zu legen. Das ist ein Versäumnis gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber den Trägern, die davon betroffen sind, und schließlich auch gegenüber dem Parlament.

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Trotzdem freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss, weil ich glaube, dass wir dann die Fragen …

Frau Ministerin!

(Zuruf von der CDU: Ministerin a. D.!)

-Entschuldigung: Frau Ministerin a. D Fischer!

… klären können. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Fischer. - Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Milz von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu zwei Punkten möchte ich gerne noch etwas sagen. Es ist zum einen von Frau Fischer und Frau Asch die fehlende Konzeption moniert worden. Und zum anderen wird immer wieder einmal in den Raum gestellt, dass wir die Kindertagesstätten vielleicht mit der neuen Aufgabe überfordern würden.

Also, wie läuft denn so etwas bei Ihnen in der Fraktion? - Wenn Sie eine neue wichtige Aufgabe definieren, dann nehmen Sie wahrscheinlich doch auch - ich hoffe das zu Ihren Gunsten - den Besten, den Sie dafür haben oder zu haben glauben, und den betrauen Sie mit der Aufgabe. Und genau das machen wir mit den Kindertagesstätten.

Wir glauben, dass dort der richtige Ort ist, dass es dort die richtigen Träger und das richtige Personal gibt und dass die das können und schaffen. Wir trauen denen das zu.