Sehr geehrte Damen und Herren, ich schlage der Landesregierung vor – weil Ihnen das Motto „Privat vor Staat“ unangenehm geworden ist –, ihr Motto in „Gleiches Unrecht für alle“ zu ändern. Das würde die Situation in den Kindertageseinrichtungen und im Land insgesamt deutlicher beschreiben als „Privat vor Staat“. „Gleiches Unrecht für alle“ ist das Motto Ihres Kinderbildungsgesetzes.
Dabei liegen im Bereich der frühkindlichen Bildung die Erfordernisse klar auf der Hand: Eine Beitragsfreiheit für den Kindergartenbesuch wäre ein wichtiges Signal für den Stellenwert dieses Bildungsbereiches. Die Gehälter der pädagogischen Fachkräfte müssen verbessert werden. Bei ganztägigen Angeboten müssen kostenfreie Mahlzeiten zur Verfügung gestellt werden. Insgesamt muss die pädagogische Qualität natürlich deutlich verbessert werden.
Beim Ausbau der Plätze für die unter Dreijährigen muss der Elternwille uneingeschränkt umgesetzt werden.
Die Kommunen sollten darin unterstützt werden, für alle Bezieher niedriger Einkommen eine Beitragsfreiheit zu erreichen und besondere Maßnahmen zur Errichtung einer höheren Kinderbesuchsquote einzuleiten.
Das sogenannte Kinderbildungsgesetz fordert von den Familienzentren nicht nur eine zum Teil sehr aufwendige Zertifizierung, lieber Christian, sondern auch einen erheblichen Ausbau der Leistungen. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen – das kann sich jeder vor Ort noch einmal selber zu Gemüte führen –, ist mit einer monatlichen Zahlung von 1.000 € nicht möglich. Die Familienzentren sind absolut unterfinanziert. Daran muss dringend etwas geändert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sprachförderung in unserem Land liegt am Boden. Sie haben es innerhalb von dreieinhalb Jahren zwar geschafft, sehr viele Tests einzurichten, wissen aber genauso gut wie wir, dass diese Tests nur einen ganz kleinen Ausschnitt der Sprachbegabung eines Kindes abbilden.
Diese Tests sagen nicht aus, wer gefördert werden muss und wer nicht. Deshalb fallen bei diesen Tests viele Kinder durch, die eigentlich keinen Test brauchten. Aber viele, die den Test schaffen, brauchten dringend eine Sprachförderung. Insgesamt ist das derart schlecht aufgestellt, dass Sprachförderung in Nordrhein-Westfalen – man kann es so sagen – wirklich am Boden liegt.
Mit dem Haushaltsplan hat sich das Land fast komplett aus der Finanzierung der Investitionen für Kindertageseinrichtungen zurückgezogen. Im Bereich der Kindertageseinrichtungen werden 2009 rund 1,7 Millionen € weniger veranschlagt als im Jahr 2008. 90 % der Ausgaben, die überhaupt getätigt werden, werden durch den Bund finanziert und aufgebracht.
Jugendliche werden von dieser Landesregierung komplett alleine gelassen. Wir haben heute einige jüngere Gäste hier. Herzlich willkommen!
Man muss sich das einmal vorstellen: 13-, 14- oder 15-Jährige kommen um 3 Uhr aus der Schule nach Hause, häufig ohne Mittagessen, machen Schulaufgaben. Falls die Mama oder der Papa oder beide arbeiten gehen, müssen sie sich selber etwas machen.
Nach dem Abendessen müssen sie überlegen, wo sie schulische Defizite haben. Dann müssen sie weiter büffeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so nehmen wir den jungen Menschen ihre Jugend. Das ist Leistungsdruck. Das ist Stress, der dem Lernen auch nicht gerecht wird. In anderen Ländern, die es besser organisiert haben als wir, sind die Lernerfolge zum Teil größer. An dieser Stelle müssen wir etwas ändern.
Seitdem wir die Enquetekommission zu den Chancen für Kinder installiert haben und deren Ergebnisse kennen, wissen wir: 70 % dessen, was Kinder lernen, lernen sie informell außerhalb der Schule. Nur brauchen sie dazu Raum, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dazu brauchen Sie Platz und Zeit, um sich auf die Socken zu machen, ihr Leben selber zu entdecken und darüber zu lernen. Dieser Raum und diese Zeit werden ihnen genommen. Dabei ist das genau der Punkt, an dem sich Charaktere herausbilden, die wir uns alle wünschen und die ihr Leben selber gestalten und selbstbestimmt führen können.
Diese Steigerung erfolgte im Wesentlichen durch eine Zusammenlegung mit dem Sonderprogramm „Jugend in sozialen Brennpunkten“, das wir als SPD übrigens schon im letzten Jahr gefordert haben. Lesen Sie die Anträge bitte noch einmal nach!
Dies kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Kinder- und Jugendfördergesetz im Gegensatz zur vorherigen Absichtserklärung aller Parteien niemals die vorgesehene Höhe von 96 Millionen € erreicht hat.
Lieber Christian Lindner, das war ein zentrales Wahlkampfversprechen, das von Ihnen und den regierungstragenden Fraktionen gebrochen wurde. Die Landesregierung liegt um 16 Millionen € unter dem versprochenen Ansatz. Angesichts der Erkenntnislage, die ich gerade zitiert habe – 70 % des Erlernten werden informell erlernt –, ungerecht, und zwar nicht nur gegenüber den Kindern und Jugendlichen, sondern es ist schlichtweg ein Betrug an ihnen.
Eine besondere Ungerechtigkeit noch zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen. Herr Rüttgers ist im letzten Jahr viel verreist. Ich meine nicht seine langen Urlaube, sondern er war auch in Brasilien und hat dorthin eine Dienstreise gemacht. Er hat kleine, obdachlose brasilianische Kinder auf den Arm genommen. Ich habe das auf einem Foto gesehen. Es war sehr rührend.
Gleichzeitig, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat er ganz Nordrhein-Westfalen auf den Arm genommen. Hier hat er nämlich – Frau Kollegin Steffens hat es gerade schon gesagt – den Ansatz für die Obdachlosenhilfe auf null gesetzt.
Das ist ungerecht und eine Ungeheuerlichkeit und zeigt genau, wie er vorgeht: In Brasilien nimmt er kleine, obdachlose Kinder auf den Arm, und hier nimmt er sozusagen ganz Nordrhein-Westfalen auf den Arm, weil er die Förderung kürzt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und entschuldige mich noch einmal für meine anfängliche Unkonzentriertheit.
Herr Kollege Jörg, vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat nun für die Fraktion der CDU Frau Kollegin Kastner das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht nur so viel zu den Äußerungen des Kollegen Jörg: Dadurch, dass man manches – auch manches Falsche – mehrfach sagt, wird es nicht richtiger.
Der Haushalt, den wir hier im Einzelplan 15 besprechen, ist ein Zeichen dafür, dass wir das, was wir versprochen haben, auch wirklich umsetzen.
Unsere politischen Schwerpunkte – so hat es geheißen, und dazu stehen wir nach wie vor – sind Kinder, Jugend, Bildung und die frühe Förderung von Kindern. Dieser Haushalt belegt es: Es gibt mehr Geld für die Erziehung und die frühe Förderung. Es gibt mehr Geld für die „Bildung von Anfang an“, und es gibt mehr Geld für U3-Betreuungsplätze. Es gibt mehr Geld für individuelle Förderung, und es gibt mehr Wahlfreiheit für Eltern. Es gibt mehr bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Fangen wir mit dem Schwerpunkt Kinder und Familie an. Mit dem Einsatz der Mittel für Kinderbetreuung und für frühkindliche Bildung haben wir für diesen Bereich 1,2 Milliarden € veranschlagt. Das ist ein neuer Rekord, und Sie können noch so oft erzählen, es sei weniger Geld, die im Haushalt genannten Zahlen sind ganz deutlich: über 1,2 Milliarden €. Im Jahr 2007 waren es noch 819 Millionen €.
Es gilt, eine große Betreuungslücke zu schließen, die Sie uns leider hinterlassen haben. Wenn Sie heute immer mehr fordern, müssen Sie aufpassen, dass Sie nicht mit dem kleinen Häwelmann verglichen werden. Irgendwann holt es Sie ein.
Wir müssen einfach sagen: Wir haben die Kinderbetreuungsquote bei unter Dreijährigen von 2,8 auf 13,6 % gesteigert bzw. werden sie mit diesem Haushalt auf 13,6 % steigern.
Bis zum Jahr 2013 sollen 144.000 Plätze zur Verfügung stehen. Das entspricht einer Betreuungsquote von 32 %. Als Folge dieser Entwicklung und entgegen all dem, was Sie betonen, werden wir in unserem Land mehr Erzieherinnen einstellen als vorher.
Es werden ca. 7.400 Arbeitsplätze vorhanden sein. Meine Damen und Herren, ich denke immer noch – da ich auch damals schon politisch tätig war – an Ihre GTK-Reform: Die endete damit, dass viele Erzieherinnen ihren Arbeitsplatz verloren haben.
Wenn Sie heute von schlechten Bedingungen in den Kindertageseinrichtungen sprechen, kann ich Ihnen nur sagen: Gehen Sie ab und zu in eine Einrichtung. – Ich kann von den Einrichtungen, in de
nen ich in den letzten Wochen war, sagen, es hat mir das Herz erwärmt; denn es gibt viele Einrichtungen, deren Mitarbeiter auch dank der KiBiz-Reform mit Freude bei der Sache sind.
Ich darf hier auch denen noch einmal Dank sagen, die sich mit Intensität und auch mit viel Wohlwollen an die Umstrukturierung und an die pädagogischen Reformen in der Kinderbetreuung begeben.