Protokoll der Sitzung vom 18.03.2009

Wir haben uns die Integration von Lernbehinderten fest vorgenommen – ein Thema, über das leider auch in den Bildungsdebatten nie gesprochen wird. Im letzten Jahr sind aus den Schulen für Lernbehinderte alleine in Nordrhein-Westfalen 7.250 Kinder entlassen worden. Davon haben 3.360 ein Angebot wahrgenommen, nach der Berufsvorbereitung in die Lehre zu gehen. Das ist die Hälfte. Wir wollen jetzt als Landesregierung wissen, wo die andere Hälfte bleibt. Es kann ja nicht sein, dass 3.360 verschwinden. Wo sind die? Wir wissen darüber relativ wenig. Deswegen werden wir dafür sorgen, dass wir nach

der Schulentlassung zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit jedem, soweit es geht, nach der Berufsvorbereitung ein Angebot für eine Ausbildung machen. Wir werden ein lückenloses System einführen, damit wir wissen, wo sie nach der elfmonatigen Vorbereitungszeit in den Kursen der Bundesagentur für Arbeit bleiben.

Ich werde analog zu dem, was in vielen Kirchengemeinden und in vielen Schulen im Rahmen des ESF passiert, ein ehrenamtliches Lotsensystem ausbauen und damit ein Stück weit Anerkennung schaffen, dass sich diese Menschen um diese jungen Leute kümmern. Ich weiß, dass man damit kein flächendeckendes Netz auf einmal spannen kann. Aber die vielen guten Projekte, die es da gibt, sollen von der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen unterstützt werden. Darüber bin ich auch froh, und darüber müssen wir hier im Landtag mehr reden.

Wenn wir Armut verhindern wollen, brauchen wir auch noch interessante Ausbildungs- und Wirtschaftsbereiche für Hauptschüler.

(Beifall von der CDU)

Wenn wir einen Berufsbereich nach dem anderen für Hauptschulqualifizierte dichtmachen, haben wir immer mehr Probleme. Deswegen müssen Sie ein wenig zurückhaltender sein, was immer höhere Qualifikationen angeht. In meinem Bereich haben wir mit der Altenpflegehilfeausbildung einen Beitrag geleistet, um für Hauptschülerinnen wieder ein attraktives Arbeitsangebot im Bereich der Pflege neu zu erschließen. Dies wünschen wir uns auch für andere Bereiche. Man darf nicht immer meinen, es ginge nur mit dem Einjährigen und es ginge nur mit dem Abitur.

Wir müssen insbesondere für die Mädchen interessante Angebote für Hauptschulabsolventen behalten. Da machen mir im Übrigen die Mädchen mehr Sorgen als die Jungen.

(Beifall von der CDU)

Die Jungen haben die klassischen Handwerksberufe, die man heute alle noch gut mit einem Hauptschulabschluss machen kann. Bei den Mädchen sieht es nun einmal schwieriger aus. Deswegen dürfen wir nicht jeden Bereich dichtmachen. Ich finde, dass wir damit gute Handlungsansätze geschaffen haben.

Meine Damen und Herren, mir kam es heute darauf an, dass Sie sehen, dass die Landesregierung ein ressortübergreifendes Konzept hat, um diese Menschen stärker im Auge zu haben. Dabei gilt es, nicht allein mehr Geld in das System zu pumpen, sondern vor allem, Teilhabechancen durch Bildung zu eröffnen, damit für diese Menschen auch ein Aufstieg möglich wird.

Aber auch in der Frage des Geldes haben wir einiges erreicht – damit komme ich, Frau Präsidentin, zum letzten Punkt –: Ich bin schon froh darüber,

dass wir beim Konjunkturprogramm diesen Kinderbonus von 100 € haben. Angesichts des Haushalts, über den wir aktuell geredet haben, ist das schon Geld. Andere mögen ja finden, das hätte nicht sein müssen. Ich glaube aber, dass das schon eine gute Sache ist.

Ich bin froh darüber – das ist viel wichtiger –, dass die Anhebung der Regelleistungen für die 6- bis 13Jährigen auf 70 % gelungen ist. Es ist eine weitere Stufe eingeführt worden, die wir hier immer gefordert haben. Einige mögen das vielleicht unzureichend finden, aber für jemanden, der ein 6- bis 13jähriges Kind hat, sind 35 € mehr schon viel.

Sie wissen, dass die Regelsätze durch die Rentenerhöhungen angeglichen werden, sodass die Eltern für ein Kind zwischen 6 und 13 Jahren ab Sommer dieses Jahres rund 50 € im Monat mehr zur Verfügung haben; denn zu den 35 € kommt die reguläre Regelsatzerhöhung hinzu, die sich an den Rentenerhöhungen orientiert.

Es ist noch nicht der kinderspezifische Betreuungssatz,

(Britta Altenkamp [SPD]: Ja, eben!)

den ich gerne hätte. Ich will nur sagen, es sind Schritte in die richtige Richtung. Und die darf man wohl mal nennen.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich finde, 50 € im Monat ist schon ein Wort bei 6- bis 13-jährigen Kindern.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat mit ihren Möglichkeiten im Bundesrat, aber auch in der Bundespolitik diese Entwicklungen sehr unterstützt. Wir haben hier Erfolge erzielt, die wir auch teilweise zusammen errungen haben.

Mir kommt es darauf an, dass heute durch diese Unterrichtung der Landesregierung noch einmal deutlich wird, dass die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, getragen von CDU und FDP, eine Landesregierung ist, die die Gesamtheit des Volkes im Auge hat und die sich vor allem daran orientiert, den Menschen in unserem Land durch Qualifizierung, durch Begleitung der Familien, durch Stabilisierung von Strukturen eine faire Chance auf Aufstieg und Teilhabe zu ermöglichen.

Ich darf mich auf jeden Fall bei den anderen Ressorts für die Mitarbeit an diesem Programm bedanken. Wir werden den Kreis jetzt öffnen, indem wir die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, die Wirtschaft mit zu diesem Runden Tisch einladen, um die Fragen auch dieser Bevölkerungsgruppe stärker im Auge zu haben. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Minister Laumann. – Meine Damen und Herren, der Herr Minister hat seine Redezeit etwas überzogen. Das heißt, dass wir mit den Redezeiten der Fraktionen großzügig sein werden.

Es spricht Frau Altenkamp von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es schon durchaus angemessen, dass wir uns mit dem Thema Kinderarmut auseinandersetzen und da vielleicht auch nicht auf die Redezeiten so genau achten. Insofern finde ich es nur in Ordnung, dass die Landesregierung etwas mehr Zeit gebraucht hat, um darzustellen, was sie in dem Bereich Kinderarmut vorhat, und dass wir insgesamt ein bisschen länger darüber reden können, welche Maßnahmen auch geeignet sind.

Was haben wir heute gelernt? Wir haben gelernt, dass eine interministerielle Arbeitsgruppe jetzt Runder Tisch heißt. Als politisch arbeitender Mensch bin ich da ein wenig überrascht, weil ein Runder Tisch nach meinem Verständnis das bedeutet, was wir in der Ausgangsphase und der Endphase der ehemaligen DDR als „runde Tische“ kennengelernt haben, dass man nämlich am runden Tisch sitzt und die Dinge offen anspricht und sich auch die Wahrheiten auf gleicher Augenhöhe sagt.

Dass das innerhalb der Landesregierung offensichtlich nicht selbstverständlich war, ist für mich eine interessante Erkenntnis. Sei’s drum – wenn Sie jetzt zu Ergebnissen kommen, dann soll es so sein.

„Kinder in Not“ nennen Sie nun den Bereich Kinderarmut, wobei ich sagen muss: Darunter hätte ich vor allen Dingen die Frage des Gewaltschutzes, des Kinderschutzes insgesamt verstanden. Aber Armutssituationen und Situationen von Kindern in Elternbeziehungen, die – verursacht durch Arbeitslosigkeit und andere Dinge – große Schwierigkeiten auslösen, überlappen sich oft; das will ich durchaus einräumen.

2,52 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen leben in einkommensarmen Haushalten. Das sind 14,1 % der Bevölkerung. Aber 24,3 % der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren in NordrheinWestfalen leben in einem einkommensarmen Haushalt.

Besonders Familien mit Kleinkindern sind häufiger von Armut betroffen. Eine Schlüsselfunktion kommt der Erwerbssituation der Eltern zu, aber auch die Frage, wie viele Erwachsene mit den Kindern in einem Haushalt leben, ist von entscheidender Bedeutung. Alleinerziehende haben ein deutlich höheres Armutsrisiko. Nicht zuletzt ist auch die Zuwanderungsgeschichte ein wichtiger Indikator. 60,8 % der Kinder mit Zuwanderungsgeschichte sind von Armut bedroht.

Armut von Kindern macht uns in Deutschland ganz besonders sensibel, weil Kinder aus sich heraus an ihrer Lebenssituation nichts ändern können. Die Studie der Arbeiterwohlfahrt gemeinsam mit dem ISS von 2005 macht deutlich, dass Kinderarmut ein strukturelles Problem ist und in den seltensten Fällen die Folge von Fehlverhalten der Eltern ist.

Nun ist die Frage: Ist die Landesregierung tatsächlich bereit, die Bekämpfung der strukturellen Armut in Nordrhein-Westfalen anzugehen? Das ist ja wohl der Sinn dieser Unterrichtung. Schaut man sich den heutigen Zwischenbericht an, dann können einem schon Zweifel kommen, ob die Landesregierung in allen Punkten verstanden hat, was notwendig wäre.

In Bezug auf strukturelle Armut ist Prävention nötig. Aber was kann man Ihrem Zwischenbericht entnehmen? Die Landesregierung schreibt auf, was sie alles macht, wie sie sich bemüht, was sie sich alles vorstellen könnte, wie man sich noch mehr bemüht und noch mehr macht. Die Botschaft – Minister Laumann hat es schon eingeräumt – von 2005 angesichts der Sozialberichterstattung war: Das sind die Armen von Rot-Grün. Dass sich die Armutsbekämpfung nicht so schnell machen lässt, ist dem heutigen Bericht zu entnehmen. Sie sagen auch, dass dies wohl doch längere Zeiträume in Anspruch zu nehmen scheint. Ist aber die Frage der Zeit tatsächlich der Punkt, oder ist es auch die Frage der Struktur der Maßnahmen?

Die Landesregierung schreibt an dieser Stelle die immer gleichen Maßnahmen herunter. Sie täuschen ein Stück Aktivität vor, indem Sie sagen: Das steht alles unter der Überschrift „Kinder in Not“. Vor drei Monaten stand es unter der Überschrift „Integration“ und vor zwei Monaten unter dem Begriff „Generationen“.

(Minister Armin Laschet: Ja und? Das hängt zusammen!)

Sie bemühen sich in der Zwischenzeit noch nicht einmal mehr, die Texte umzustellen, sondern Sie nehmen die immer gleichen Textbausteine.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Und nebenbei: Diese wortgleichen Textbausteine sind noch nicht einmal mit dem Thema verbunden.

Gerade einkommensschwache Familien brauchen Beratung und Unterstützung; das ist eine Binsenweisheit. Lassen Sie mich jetzt die einzelnen Maßnahmen durchgehen, die Sie aufgeschrieben haben, die unter dem Thema „Armutsbekämpfung und Prävention“ greifen sollen:

Die Landesregierung unterstützt 300 Familienberatungsstellen im Land. Die Frage ist nur: Werden die armen Familien durch diese Angebote wirklich erreicht? Ich lese die Jahresberichte von vielen Familienberatungsstellen. Die Komm-Struktur gibt den Menschen, die in den Beratungsstellen arbeiten, immer wieder Anlass, zu überlegen: Erreichen wir

mit unseren Angeboten tatsächlich die Menschen, die wir erreichen müssten? Erreichen wir gerade die Familien in prekären Lebenslagen? Wenn den Mitarbeitern in den Familienberatungsstellen selbst schon Zweifel daran kommen, sollte Ihr Bericht zumindest einen Hinweis darauf enthalten.

(Beifall von der SPD)

Ein anderes Beispiel: Die Landesregierung fördert zurzeit 1.500 Familienzentren bzw. sie sagt: 1.500 Kindertageseinrichtungen sind zu Familienzentren zertifiziert. Das Problem ist aber – das wird in Ihrem Bericht überhaupt nicht deutlich gemacht –: Wo liegen diese Kindertageseinrichtungen? Liegen sie in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf? Liegen sie in Sozialräumen, in denen besonders schwierige, auffällige Familien leben?

(Minister Armin Laschet: Ja!)

Ich sage Ihnen: Das ist nicht so, jedenfalls nicht immer so. Sie können das auch nicht nachweisen,

(Minister Armin Laschet: Doch!)

weil Sie an der Stelle nicht evaluieren.

(Beifall von der SPD)

Mit der Frage, warum Sie das nicht nachweisen können, komme ich zum nächsten Punkt: Sie erwähnen an der Stelle, dass das KiBiz zur Armutsbekämpfung beiträgt, weil es die frühe Bildung ermöglicht. In Wahrheit ist das KiBiz doch ein Rückzug der Landespolitik aus der Angleichung von unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Das ist der Punkt.

(Beifall von der SPD)