Protokoll der Sitzung vom 02.04.2009

(Carina Gödecke [SPD]: Ich weiß, wovon ich spreche!)

Ich schließe jetzt schwerstbehinderte Kinder aus, weil diese nicht in den Regeleinrichtungen sind.

Es kommt hinzu – und bitte vergessen Sie das nicht –, dass Leistungen der Eingliederungshilfe für das behinderte Kind noch hinzugefügt werden. Das heißt, wenn man die Eingliederungshilfe über LWL plus die KiBiz-Förderung zusammennimmt, dann wird das behinderte Kind in jedem Fall unabhängig von dem ganz konkreten Sachverhalt – Sachverhalt, Betreuungszeit, Alter des Kindes – besser gefördert.

Ich komme zum Schluss. – Es ist richtig, dass Sie das Thema hier wieder in Erinnerung rufen. Es ist es immer wert, darüber zu sprechen. Indes sehe ich konkret in dem Antrag, den Sie vorgebracht haben, nicht so viele Vorschläge und Argumente, die eine Veränderung des Kinderbildungsgesetzes rechtfertigen würden. Ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass die Punkte, die Sie angesprochen haben und über die wir miteinander sprechen können, bei einer eingehenden Prüfung eher den Status quo rechtfertigen und bestätigen, als dass eine Änderung erforderlich wäre. – Herzlichen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Jetzt hat für Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Asch das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im vergangenen Jahr hat die Bundesrepublik Deutschland die UN-Konvention für

die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert. Damit verpflichtet sich Deutschland auch für den Bereich der Bildung, das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit in einem integrativen Bildungssystem auf allen Ebenen zu verwirklichen. So steht es im Text dieser Konvention.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die erste Ebene des öffentlichen Bildungssystems – das wissen wir – ist die Elementarbildung. Diese findet in unseren Kindertagesstätten statt.

Wir als grüne Landtagsfraktion haben im Januar diesen Jahres eine Veranstaltung durchgeführt, wo wir der Frage nachgegangen sind, wie wir angesichts dieser UN-Konvention, die ja wirklich ein Meilenstein ist, das Recht von Kindern mit Behinderung in unserem Bildungssystem umsetzen können. Im Rahmen dieser Veranstaltung ist deutlich geworden, dass im Elementarbereich in Nordrhein-Westfalen 70 % aller Kinder mit Behinderung eine integrative Einrichtung besuchen. Damit sind wir im Vergleich zur Schule, wo das Verhältnis sehr viel schlechter ist, im Elementarbereich in dieser Frage recht gut aufgestellt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das liegt auch daran – das möchte ich ganz klar sagen –, Frau Veldhues, dass die Umsetzung dieser Inklusion und der Integration den beiden Landschaftsverbänden obliegt, die nämlich in den vergangenen Jahren sehr intensiv dafür gesorgt haben, dass mehr integrative Plätze bestehen. Sie haben auf unterschiedlichen Wegen und mit verschiedenen Modellen dazu beigetragen, dass wir diesen hohen Grad an Integration im Elementarbereich haben. Von daher muss man an der Stelle die Landschaftsverbände lobend erwähnen.

Was bleibt? – Auch 30 % der Kinder mit Behinderung, die immer noch in Sondereinrichtungen, in heilpädagogischen Einrichtungen, betreut werden, sind 30 % zu viel. Denn wir wissen, dass die integrativen Einrichtungen die besseren Einrichtungen für die Kinder mit Behinderung und für die Kinder ohne Behinderung sind, die lernen, dass gemeinsames Leben und Aufwachsen möglich ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich finde es positiv, dass die SPD-Fraktion dieses Thema heute parlamentarisch aufgegriffen hat. Allerdings weist der Antrag einige Schwächen auf. Es gibt einige Schwächen in der Sachdarstellung der rechtlichen Grundlagen; das ist eben schon einmal angeklungen. § 8 des KiBiz, der ja integrative Betreuung vorsieht, ist nicht erwähnt. Ignoriert werden auch ganz wesentliche Sachverhalte, zum Beispiel die Leistungsgewährung nach dem SGB XII, die ja die Landschaftsverbände finanzieren. Leider wird auch nicht auf die eben zitierte UN

Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen bzw. auf die wesentliche Frage eingegangen, welche Schlussfolgerungen daraus für uns zu ziehen sind.

Ein weiterer Fehler im Antrag ist, dass allein der behinderungsbedingte Mehraufwand durch die Kindpauschale von 15.000 € abgegolten wird. Das ist es nicht, denn es sind nur die Leistungen der Jugendhilfe. Wir wissen ja, dass die Leistung der Behindertenhilfe über das SGB XII von den Landschaftsverbänden geleistet wird. Dieser Bereich kommt aber in dem Antrag nicht vor, obwohl er, wie wir eben gesehen haben, bei der Betreuung der Kinder mit Behinderung ein ganz zentrales Thema ist. Deswegen möchte ich jetzt dazu etwas ausführen.

Der LWL, Frau Veldhues – Sie wissen es ja; Sie sind ja dort verantwortlich tätig –, bezahlt neben den Leistungen aus dem SGB XII für den behinderungsbedingten Mehraufwand einen besonderen Zuschuss für unter Dreijährige. Dies macht er deshalb, weil das KiBiz genau in diesem Bereich ein Defizit aufweist. Das KiBiz hat nämlich die unter dreijährigen Kinder mit Behinderung überhaupt nicht im Blick. Das KiBiz tut so, Herr Laschet tut so, als gäbe es diesen Betreuungsbedarf für die Kinder unter drei Jahren nicht. Der Landschaftsverband Rheinland hat eigene Mittel in die Hand genommen und eine Modellförderung für die Kinder unter drei Jahren auf die Schiene gesetzt. Es hätte dem Land wirklich gut angestanden, das als KiBiz-Leistung zu finanzieren.

Es gibt im Gesetz noch weitere Ungereimtheiten im Gesetz. Herr Lindner, der den Plenarsaal verlassen hat, hat dies eben angemerkt, nämlich die Ungereimtheit, dass ein Kind unter drei Jahren in der Ganztagsbetreuung eine höhere Kindpauschale bekommt als ein Kind mit Behinderung. Diese fachlich vollkommen falschen Einschätzungen sind bezeichnend für das KiBiz. Hierzu möchte ich mich aber nicht weiter auslassen.

Ich weiß, dass im Landschaftsverband Rheinland abweichend von der Praxis im Landschaftsverband Westfalen/Lippe die Kindpauschale, der Zuschuss für Kinder mit Behinderung und die Leistungen nach dem SGB VIII sofort nach Feststellung der Behinderung gezahlt werden. Es ist richtig, dass Sie diesen Punkt in Ihrem Antrag aufgreifen.

Minister Laschet hat nämlich am 12. März 2009, also Anfang des vergangenen Monats, der Vorsitzenden des Landesjugendhilfeausschusses Westfalen/Lippe erklärt, dass es nicht möglich sein soll, für Kinder, bei denen im Verlauf eines Kindergartenjahres eine Behinderung festgestellt wird – das kommt nicht so selten vor, weil oftmals erst in der Kindertagesstätte zum ersten Mal eine pädagogisch geschulte Person, eine Erzieherin, auf das Kind schaut; diese stellt dann fest, dass es Defizite gibt, dass eine Behinderung vorliegt –, die Pauschale für

die Kinder mit Behinderung zu bezahlen. Das ist natürlich fachlich ein vollkommener Unfug.

Denn maßgeblich für die Zahlung der Pauschale ist demnach nicht, ob das Kind behindert ist oder nicht, sondern ob es als Kind mit Behinderung angemeldet ist oder nicht. Das ist also ein bürokratisches Monstrum. Die Kosten soll dann der Träger neben den laufenden Ausgaben mit dem 10%-Korridor des KiBiz übernehmen. Dass Minister Laschet diesen offenkundig fachlichen Unsinn in seinem Schreiben als einen Punkt benennt, der erst bei der Revision des Gesetzes im Jahre 2011 korrigiert werden soll, macht die Sache kein bisschen besser.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich freue mich aber darüber, dass der Minister diesen Punkt als ein Defizit in seinem Gesetz erkennt. Ich biete Ihnen an – ich glaube, da würde auch die SPD mitmachen; Frau Kastner hat eben auch schon eingestanden, dass man da nachbessern müsste –, jetzt gemeinsam an der Stelle das KiBiz nachzubessern. Wir sollten nicht erst bis 2011 warten, dieses von allen Seiten fachlich eingestandene Defizit gesetzlich zu beheben.

Meine Damen und Herren, wenn wir den vorliegenden Antrag in dieser Art und Weise diskutieren, dürften wir trotz aller Mängel auf einen guten Weg kommen. Im Interesse der Kinder mit Behinderung hoffe ich, dass wir diesen gemeinsamen Weg finden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Jetzt erhält die Landesregierung das Wort. Es spricht Minister Laschet.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei einem so wichtigen und sensiblen Thema wie der Integration und frühen Bildung von Kindern mit Behinderungen sollten wir sehr genau darauf achten, wie wir die öffentliche Debatte führen.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Es kommt sehr darauf an, keine Halbwahrheiten zu verbreiten und die betroffenen Eltern nicht zu verunsichern. Leider muss ich konstatieren, dass in manchen Punkten dieses Antrags genau das getan wird.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Zunächst zum internationalen Stand: Die Bundesregierung hat das schon erwähnte Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zwischenzeitlich ratifiziert. Am 26. März dieses Jahres, also vor wenigen Tagen, ist es für Deutschland verbindlich in Kraft getreten. Mit diesem Übereinkommen wird ein Maß

stab gesetzt, der weltweite Geltung beansprucht und an dem sich jeder Staat künftig messen lassen muss. Ob Deutschland und damit NordrheinWestfalen diesen Ansprüchen genügt, wird sich jetzt in der Praxis erweisen.

Die Landesregierung hat bereits ein Jahr vorher, am 13. März 2008, eine interministerielle Arbeitsgruppe unter der Führung des MAGS eingerichtet, der, wie es sich für die Querschnittsaufgabe Behindertenpolitik gehört, alle Ressorts angehören.

Gleichzeitig hat das MAGS alle relevanten Akteure und Institutionen in Nordrhein-Westfalen gebeten, die neue Konvention bis zum 30. August 2009 zu bewerten. Wenn diese Bewertung nach der Sommerpause vorliegt, können wir sicherlich im Herbst hier die Debatte nach Themenschwerpunkten gegliedert und im Dialog fortführen.

Nun aber konkret zum KiBiz: Zunächst einmal gilt es, einiges klarzustellen, was im SPD-Antrag unklar oder teilweise, wie Frau Kollegin Asch gerade schon nachgewiesen hat, schlichtweg falsch ist.

Die Teilhabe behinderter Kinder und der Abbau von Barrieren sind wichtige gesellschaftspolitische Ziele der Landesregierung. Mit dem Inkrafttreten des KiBiz wurde die entsprechende integrative Betreuung erstmals gesetzlich verankert. In dieser Klarheit stand das vorher nicht im Gesetz. Ich zitiere § 8:

Kinder mit Behinderungen und Kinder, die von einer Behinderung bedroht sind, sollen nach Möglichkeit gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen gefördert werden. Ihre besonderen Bedürfnisse sind bei der pädagogischen Arbeit zu berücksichtigen.

Damit trägt das KiBiz dem Grundsatz der Integration in besonderer Weise Rechnung.

Besonders wichtig ist, dass grundsätzlich kein Kind aufgrund seiner Behinderung bei der Aufnahme in eine Kindertageseinrichtung abgelehnt werden darf.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Natürlich findet diese Bestimmung für Kinder unter drei Jahren mit Behinderungen in gleicher Weise Anwendung.

Selbstverständlich profitieren auch Plätze in Tageseinrichtungen für behinderte Kinder vom Ausbau der Betreuung für die unter Dreijährigen.

2008 wurden zum Stichtag 15. März landesweit 134 Betreuungsplätze von unter dreijährigen Kindern mit Behinderungen im Rahmen des KiBiz in Anspruch genommen. Zum diesjährigen Stichtag waren es bereits 325 Kinder, also mehr als doppelt so viele wie im Jahre 2008. Das zeigt, dass der Ausbau der Plätze für die unter Dreijährigen und die praktizierte KiBiz-Regelung dazu führen, dass inzwischen auch mehr Kinder mit Behinderungen unter drei Jahren in den Kindertagesstätten Aufnahme finden.

Mit dem KiBiz wurde außerdem erstmals die verstärkte Förderung von Kindern mit Behinderungen in Nordrhein-Westfalen gesetzlich festgeschrieben. Zuvor hatten wir in den beiden Landschaftsverbänden unterschiedliche Sätze.

(Britta Altenkamp [SPD]: Auch unterschiedli- che Konzepte!)

Für jedes Kind in Westfalen-Lippe werden mit dem KiBiz im Schnitt 1.000 € mehr gezahlt, weil wir den erhöhten Satz des Rheinlandes auf das ganze Land ausgeweitet haben.

In der Summe gibt es für jedes Kind mit Behinderungen und für jedes Kind, das von einer Behinderung bedroht ist, den 3,5-fachen Satz der Kindpauschale III b der Anlage zu § 19 KiBiz. Für Zuhörer klingt das jetzt wahrscheinlich sehr kompliziert. Das ist aber exakt die Summe von 14.788,76 € – und damit deutlich mehr als für ein nichtbehindertes Kind im Kindergartenalter.

Die Behauptung, der Gesetzgeber habe nicht geregelt, welche Pauschalen für unter dreijährige Kinder mit Behinderungen gelten, ist somit schlicht falsch. Genau diese Summe war beabsichtigt. Dort ist auch nichts vergessen worden.