Protokoll der Sitzung vom 06.05.2009

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Grünen spricht nun Frau Kollegin Asch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns in den letzten Jahren schon des Öfteren mit dem Feld der vorschulischen Sprachförderung beschäftigt. Das ist auch richtig und gut so. Im Wesentlichen hat dies zwei Gründe:

Erstens ist es Ausdruck der wirklich eminent wichtigen Bedeutung der Beherrschung von Sprache. Die sichere Beherrschung einer Sprache eröffnet ja nicht nur Bildungschancen. Sie ist nicht nur notwendig, um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen. Nein, es ist so, dass wir als Menschen uns über Sprache die Welt erschließen, zu sozialen Wesen werden und in Kontakt und Interaktion mit anderen Menschen und mit der Welt treten können.

Der zweite Grund, warum wir uns hier im Hause leider so oft mit dem Erlernen von Sprache, mit den Sprachstandserhebungen, mit der Sprachförderung beschäftigen, ist, dass dieser Bereich in NordrheinWestfalen nicht optimal aufgestellt ist und hier offensichtlich etwas schiefläuft.

Die Landesregierung rühmt sich ihrer Taten. Sie rühmt sich vor allen Dingen dessen, dass – wir haben es eben gehört – Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland die Sprachstandserhebung, also die Testung von vierjährigen Kindern im Elementarbereich eingeführt hat. Und sie rühmt sich, dass sie

viel Geld – auch das haben wir eben gehört – für die Sprachförderung ausgibt.

Interessant ist, dass man den Eindruck gewinnen könnte, das alles werde aus Selbstzweck betrieben. Aber wir sehen – das haben die Antragsteller eben deutlich benannt –, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt niemand weiß, ob das gesamte aufwendige Testverfahren und das Geld, das in die Förderung fließt, überhaupt positive Wirkung erzielen. Das ist das Problem an der Stelle: Niemand weiß, weil es keine exakte wissenschaftliche Evaluation über das gibt, was im Moment in einem sehr aufwendigen, zweifelhaften und auch strittigen Verfahren passiert, ob das überhaupt wirkt und die Kinder hinterher tatsächlich mehr Sprachkompetenz haben, ob Kinder mit Migrationshintergrund eine höhere Kompetenz in der deutschen Sprache erwerben.

Das Problem besteht darin, dass sich diese Landesregierung bis jetzt einer systematischen Evaluation und dem Nachweis verweigert, ob der Einsatz der Mittel eine Wirkung zeigt.

Ich finde das vollkommen unverständlich. Wenn Sie nämlich der Meinung sind, dass alles so toll, optimal und wunderbar ist, was Sie auf den Weg gebracht haben, dann frage ich Sie, warum Sie dann den wissenschaftlichen Nachweis, wie das Ganze wirkt, scheuen. Dafür habe ich kein Verständnis. Unverständlich, dass Sie die Evaluation nicht in Auftrag geben, ist das auch, weil Sie damit der Aussage, Ihre Politik habe bezüglich der Sprachbeherrschung überhaupt nichts gebracht, nichts entgegenzusetzen haben. Diese Aussage, meine Damen und Herren, steht durchaus im Raum, und zwar nicht nur durch uns als Opposition von SPD und Grünen. Am Montag dieser Woche gab es in Gelsenkirchen einen Fachkongress, an dem 300 Erzieherinnen und Erzieher, Grundschullehrerinnen und – lehrer zum Thema „Sprachförderung im Elementar- und Primatbereich“ teilgenommen haben. Dort wurde sehr fachlich informiert und diskutiert. Beispielsweise wurde das KonLab-Programm des Sprachwissenschaftlers Dr. Zvi Penner vorgestellt, der einen sehr interessanten Vortrag über seinen Sprachförderansatz gehalten und dafür sehr viel Applaus bekommen hat.

Genauso viel Applaus gab es allerdings auch für die Aufforderung und Aussage der Koordinatorin für Sprachförderung in Gelsenkirchen, die von der Politik ganz deutlich verlangt hat, man möge endlich in den Einrichtungen die notwendigen Rahmenbedingungen für die optimale Sprachförderung im Alltag der Kinder setzen. Die Erzieherinnen und Erzieher, also die Praktiker, waren sich einig darin, dass Sprachförderung im Alltag, nämlich Sprachanlässe mit Kindern und Sprachsituationen schaffen, den eigentlichen Fortschritt im Erwerb der deutschen Sprache und Sprachkompetenz bringt.

(Christian Lindner [FDP]: Ja!)

Leider konnte das die Landesregierung nicht hören. Weder die Landesregierung noch Vertreter von CDU oder FDP waren auf diesem Kongress vertreten. Das ist symptomatisch: Sie scheuen die fachliche Auseinandersetzung. Sie machen sich nicht kundig, sondern Sie ergehen sich in Selbstbeweihräucherung, wie toll das alles ist, was Sie alles auf den Weg gebracht haben.

Außer der Evaluierung – das hat Herr Lindner zugestanden – müssen noch andere Maßnahmen greifen.

Erstens. Die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher muss gestärkt werden. Das haben wir bei der Anhörung zu unserem Grünen-Antrag im Haus gehört. Das war eine ganz klare Forderung der Sachverständigen.

Zweitens. Das System der Fort- und Weiterbildung in diesem Bereich muss reformiert und besser finanziert werden.

Drittens. Sie müssen – darum kommen Sie nicht herum – die allgemeinen Rahmenbedingungen in den Kitas verbessern – das heißt, kleinere Gruppen, besser ausgebildetes Personal, auch mit Hochschulabschluss –, damit die Kinder in intensivem Kontakt mit den Erzieherinnen und Erziehern Sprachanlässe haben und sie im Sprechen im Alltag Sprache erlernen. So erlernen sie Sprache bei den Eltern zu Hause übrigens auch. Das kann man übertragen.

Viertens. Sie müssen das Wissen über die Herkunftssprache der Kinder verbessern. Ich finde es hochinteressant, dass man zum Beispiel wissen muss, dass die Grammatik der russischen und türkischen Sprache – zum Beispiel bei der Pluralbildung oder dem Artikelsystem – vollkommen anders als im Deutschen funktioniert. Wenn man das einmal verstanden hat, versteht man auch, warum die Kinder mit türkischem Migrationshintergrund oder aus Russland solche Probleme haben, die deutsche Sprache zu erlernen. Auch das hat die Tagung in Gelsenkirchen noch einmal sehr eindrucksvoll belegt.

Wir meinen: Die Fachkräfte in den Tageseinrichtungen sind aufgrund ihrer Kompetenz und dem täglichen Umgang mit den Kindern in der Lage, selbst zu entscheiden, welche Kinder Sprachförderung brauchen. Sie kennen die Kinder am besten. Aber das lässt das Gesetz nicht zu.

(Christian Lindner [FDP]: Die Verfassung!)

Stattdessen machen Sie ein ganz hochaufwendiges Testverfahren, bei dem sehr viele Kinder durchfallen.

Ich möchte mit einem Beispiel aus der Praxis belegen, an dem man erkennt, dass der hochbürokratische, sehr teure Aufwand eigentlich an den Kindern vorbeigeht: Es gibt eine Beschwerde eines Kindes in Düsseldorf, das mit fünf Jahren nach Deutschland

in eine Einrichtung kam. Dieses Kind spricht kein Wort Deutsch. Aber ihm werden die 340 € Sprachfördermittel verweigert, weil es – als vierjähriges Kind – den Sprachtest – so heißt es – nicht absolviert habe. Meine Damen und Herren, so etwas ist völlig absurd. Das geht an der Praxis vorbei.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist aber Auswuchs Ihres hochbürokratischen Verfahrens.

(Christian Lindner [FDP]: Senden Sie uns das!)

Ich kann Ihnen noch ganz andere Fälle nennen. Auch Frau Beer kann Ihnen Fälle aus dem Petitionsverfahren nennen, welche Auswüchse dieses hochbürokratische, teure Verfahren mit sich bringt.

Meine Damen und Herren, zum Schluss noch etwas sehr Wesentliches: Sie machen diese Testverfahren nicht als Selbstzweck, sondern um hinterher Sprachförderung zu betreiben. Wir wissen aber: Dafür brauchen wir konsistente Konzepte. An der Stelle setzt der Antrag an: Wir brauchen konsistente Konzepte, die sowohl im Elementarbereich als auch im Grundschulbereich aufeinander aufbauen. Das alles haben wir im Moment nicht. Das aber wäre notwendig, damit sich aufgrund der Defizite die notwendige Sprachförderung ergibt. Daran muss sich dringend etwas ändern. Ich wäre dankbar, wenn die heutige Debatte dazu einen kleinen Beitrag leisten könnte. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Sommer in Vertretung von Herrn Minister Laschet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich – so Herr Laschet – die SPD und ihren Antrag richtig verstehe, dann fordern Sie die Landesregierung auf, alles, was in den letzten Jahren zum Thema Sprachförderung erreicht wurde, zu prüfen und zu evaluieren sowie die Effizienz zu kontrollieren. Ohne die Ergebnisse abzuwarten, sollen wir zugleich das gesamte System neu organisieren, die Förderung schneller und flächendeckender einsetzen und das gesamte Bildungssystem reformieren, also Entwicklung, Einführung, Evaluation und Neuausrichtung, und das bitte alles gleichzeitig.

So geht das nicht. Die Landesregierung tut das, was wirklich geleistet werden muss und was geleistet werden kann.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Sie hat sich seit Beginn der Legislaturperiode dafür eingesetzt,

(Britta Altenkamp [SPD]: Sie hat sich stets bemüht!)

die Versäumnisse früherer Jahre im Bereich der Elementarbildung auszugleichen. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Sprachförderung. Die aktuellen Zahlen belegen dies. Unter der alten Landesregierung wurde Sprachförderung ziemlich klein geschrieben.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Beer?

Ich bin ein traditioneller Mensch und bleibe dabei: Nein. – Gerade einmal 7,5 Millionen € wurden in 2005 dafür bereitgestellt. Im Jahr 2009 sind es 28 Millionen €. Das ist fast das Vierfache dessen, was die Vorgängerregierung eingesetzt hat.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Auch hieran erkennen Sie, dass die neue Landesregierung in die Zukunft unseres Landes investiert. Gut entwickelte Sprachkompetenz ist nämlich – das wissen wir alle – der Schlüssel für erfolgreiche Lern- und Bildungsprozesse sowie für die soziale und kulturelle Integration.

Ziel der Sprachstandsfeststellung ist, sicherzustellen, dass über die Sprachentwicklung der Kinder früh Klarheit besteht. So kann bei Kindern, die eine besondere Sprachförderung benötigen, diese so früh wie möglich ansetzen. Darum haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass bereits zwei Jahre vor der Einschulung der Sprachstand in der deutschen Sprache festgestellt werden kann.

Die Unterrichtssprache ist Deutsch. Deshalb sind altersgemäße Kenntnisse der deutschen Sprache unerlässlich. Der Sprachtest konzentriert sich daher nicht, wie von Ihnen dargestellt, aus Versehen, sondern ganz bewusst auf die Sprachentwicklung in der deutschen Sprache.

Die Landesregierung hat dabei zu keinem Zeitpunkt behauptet, der entwickelte Test sei alleiniges Diagnoseinstrument für jegliche Form der Sprachförderung. Selbstverständlich schaffen es Logopädie und Sprachheilpädagogik mit ihren Methoden, Sprachentwicklungsstörungen zu erkennen und zu beheben. Die zusätzliche Förderung in der deutschen Sprache steht als selbstständiges Instrument daneben und ergänzt die allgemeine Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen. Auch die gleichzeitige Förderung in der Muttersprache hat hier ihren Raum.

Sehr geehrte Damen und Herren, Ihrem Vorschlag, die Förderung auf nicht deutschsprachige Kinder zu konzentrieren, widerspreche ich vehement.

(Beifall von der CDU)

Uns liegt die Schaffung gleicher Bildungschancen für alle Kinder – unabhängig von der sozialen und kulturellen Herkunft – am Herzen. Dafür setzen wir uns ein. Wir wissen, dass auch in deutschsprachigen Elternhäusern ein sprachanregendes Umfeld fehlen kann und sich daher die Sprachentwicklung verzögert. Das wird im Übrigen auch durch die Ergebnisse der Sprachtests bestätigt.

Darum wollen wir – lassen Sie mich das ganz deutlich sagen – keinen Schnellschuss, sondern ein wissenschaftlich fundiertes und valides Testinstrument, wie Delfin 4 es ist. Sicherlich stellt sich im Rahmen der Entwicklung eines neuen Instruments wie Delfin 4 schnell die Frage nach einer Weiterentwicklung. Genau dem trägt die Landesregierung längst Rechnung. Frau Prof. Fried steht bereits seit rund einem Jahr in einem fachwissenschaftlichen Diskurs über die entsprechenden Testmaterialien. Diese wissenschaftliche Auseinandersetzung ist die beste Form der Evaluation; denn sie impliziert die kritische Reflexion. Deswegen wurde das Verfahren zur Sprachstandsfeststellung nach dem ersten landesweiten Durchgang im Jahr 2007 anhand der gewonnenen Erfahrungen mit Vertreterinnen und Vertretern aller beteiligten Gruppen erörtert und in der Folge überarbeitet.

Der Vorwurf, wir stellten uns einer Überarbeitung nicht, ist schlichtweg falsch.

(Beifall von der CDU)

Bei den Änderungen, die vorgenommen wurden und im letzten sowie im laufenden Testverfahren Berücksichtigung gefunden haben, ging es uns vor allem um eine stärkere Einbindung der Fachkompetenz von Erzieherinnen und Erziehern und um eine Stärkung der Effizienz des Verfahrens. Die Veränderungen sind – das möchte ich betonen – in beiden folgenden Durchläufen bei den Beteiligten auf große Akzeptanz gestoßen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Ach ja? Der Jubel wollte keinen Anfang finden!)

Ich stelle fest: Zu all dem bedurfte es keines Antrags von Ihnen. Alles, was notwendig ist, haben wir längst auf den Weg gebracht. Die zusätzliche Sprachförderung, die im Anschluss an Delfin 4 in den Kindertageseinrichtungen durchgeführt wird, findet ergänzend zur allgemeinen Sprachförderung statt. Alle Tageseinrichtungen für Kinder sind, wie Sie wissen, zur Förderung der Sprachentwicklung der Kinder verpflichtet.