Protokoll der Sitzung vom 07.05.2009

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Gebhard.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Herr Minister Pinkwart, Sie haben Ihren Beitrag mit dem Hinweis eröffnet, dass wir auch im Wissenschaftsbereich eine Kultur der Vereinbarkeit von Familie und Beruf brauchen. – Ja, das stimmt. Doch schauen Sie einmal in Ihrer eigenen Parteigeschichte und der Ihrer Kollegen von der CDU nach, welche Positionen Ihre beiden Parteien in den letzten drei Jahrzehnten zu diesem Thema eingenommen haben.

Herr Hollstein, wenn Sie die Vergangenheit heraufbeschwören und uns vorwerfen, wir hätten in diesem Bereich nicht genug getan, dann ist es auch sehr lohnend, einmal in die Vergangenheit Ihrer Partei zu schauen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir könnten ein ganzes Buch mit Zitaten aus den Reihen Ihrer Partei, die Meinungen wie die Folgenden wiedergeben, füllen: Zuerst gehören die Kinder zu der Mutter. Ganztagsausbau ist schädlich für die Familie. Die SPD will die Kinder den Familien wegnehmen. Kinder bis drei Jahre gehören auf jeden Fall zur Mutter.

Mit solchen Äußerungen, die Sie uns in den letzten Jahrzehnten immer und immer wieder um die Ohren gehauen haben, wann immer wir entsprechende Anstrengungen unternommen haben, könnte man ein ganzes Buch füllen.

Wenn Sie in dieser Legislaturperiode inzwischen eine Kehrtwende um 180 Grad geschafft haben, dann gratuliere ich Ihnen ganz herzlich dazu. Ich bin froh, dass Sie die Kurve gekriegt haben. Aber tun

Sie nicht so, als könnten Sie die Tatsache, dass wir in Nordrhein-Westfalen keine bessere Situation haben, ausschließlich uns vorwerfen.

Warum haben wir nicht mehr durchgesetzt? Weil wir es gegen die Mobilisierung Ihrer Interessengruppen hätten tun müssen! Sie wissen ganz genau, dass in Nordrhein-Westfalen insbesondere unter Johannes Rau immer eine Politik des Konsenses betrieben wurde. Wir haben keine Politik gemacht, die wir der Bevölkerung aufgestülpt haben. Vielmehr ging es uns immer darum, die Menschen bei unserer Politik mitzunehmen und sie für die Menschen zu machen.

Wenn wir eine solche Kultur aber nicht haben, dann wird es für die Politik schwierig. Die Politik kann nicht eine Position einnehmen, wenn diese Bewegung nicht in der Breite getragen wird. Erinnern Sie sich nur, wie Sie die Kirchen bei dem Thema auf uns gehetzt haben. Ich kann Ihnen, wenn Sie möchten, ein ganzes Buch mit entsprechenden Zitaten zusammenstellen.

Nun lassen Sie uns aber zu dem kommen, was wichtig ist, wenn wir – da nehme ich Herrn Minister Pinkwart und den Kollegen Lindner beim Wort – die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Geschlechter wirklich alle wollen. Haben Männer in der Vergangenheit Probleme in ihrer Karriere gehabt, wenn Sie Kinder hatten? Nein, die hatten sie nicht. Die Probleme haben ausschließlich die Frauen gehabt.

(Beifall von der SPD)

Warum? Weil es eine Zuschreibung gab, wonach Kinder zu den Frauen gehören. Ich selbst habe vier Kinder und weiß, was ich hinter mir habe. Es war ein Spießrutenlauf, wenn ich erklärt habe, dass ich Berufstätigkeit und Kinder unter einen Hut bekommen will; dann galt ich als Rabenmutter. Wir müssen einmal konstatieren, dass es diese gesellschaftliche Entwicklung gab.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Nun komme ich zu den Hochschulen. Sie haben in Ihrer Vorbemerkung zu der Antwort auf die Große Anfrage geschrieben, mit dem Hochschulfreiheitsgesetz habe die Landesregierung den Hochschulen die Möglichkeit eröffnet, ihre ganz speziellen Profile für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auszubilden und eigene Lösungswege zu beschreiten. Ja, das haben Sie. Sie haben sich aber gleichzeitig selbst die Möglichkeit genommen, positiv dabei mitzuwirken.

Wenn man sich anschaut – ich nehme Tabelle 1 als Grundlage –, wie viele Hochschulen an den Audits zur Familienfreundlichkeit teilgenommen haben, muss man feststellen, dass 50 % der Universitäten – bei den Fachhochschulen ist es noch viel schlimmer – gar nicht an solchen Audits teilnehmen oder sogar wie Aachen eine Äußerung verweigern. Das zeigt auch, wohin Freiheit führen kann, nämlich

dahin, dass Sie überhaupt keine Rückmeldung mehr haben und kein Gespräch, keine Auseinandersetzung mehr stattfindet. Dieses sollten wir der Ehrlichkeit halber hinzufügen.

Ich komme zu den Mängeln, die sich aus der Großen Anfrage ergeben. Sie hilft uns eben nicht, einen klaren Überblick über die Situation in unserem Land zu bekommen. Sie suggerieren in Ihrer Vorbemerkung in Verbindung mit dem Hochschulfreiheitsgesetz und den anschließenden Angeboten, wie wir sie an den Hochschulstandorten vorfinden, dass diese das Ergebnis von Bemühungen in den Hochschulen seien. Sie weisen aber an den einzelnen Hochschulstandortsbeschreibungen überhaupt nicht nach, wer denn die Trägerschaft von den Einrichtungen hat. Es wird nicht ausgewiesen, ob es sich dabei um Elterninitiativen, kirchliche Träger, sonstige freie Träger oder die Hochschule selbst handelt. Die Tatsache, dass Sie uns dann vor Augen führen, die sich alleine aufmachen – im Verhältnis zu 35 anderen – macht wohl deutlich, dass wir gemeinsam noch einen langen Weg beschreiten müssen.

Ich will noch mal an das anknüpfen, was meine Kollegin Preuß-Buchholz gesagt hatte. Welche besonderen Strukturen brauchen wir denn im Wissenschaftsbetrieb? Dankenswerterweise ist der Minister zum Teil darauf eingegangen. Wir haben in der Tat eine besondere Situation, und wir müssen uns anschauen, ob dies unter KiBiz-Bedingungen möglich ist.

Ich will als Beispiel das Jährlichkeitsprinzip beim KiBiz nennen. Die Zeitplanung von Studierenden findet aber halbjährig, semesterweise, statt. Das heißt, die Belastung, die ich in dem einen Semester habe, kann in einem anderen Semester völlig anders sein. Ich kann einen völlig anderen Bedarf an Betreuung haben. Ich muss mich aber einmal im Jahr festlegen, welche Betreuungszeit ich für mein Kind brauche. Das zeigt, das ist nicht das, was an Hochschulen notwendig ist.

(Christian Lindner [FDP]: Da macht man eine Tagespflegegruppe!)

Das gleiche Problem – meine Kollegin hat schon darauf hingewiesen – gibt es bei den Öffnungszeiten. Ich habe andere Anforderungen an eine Kinderbetreuung in diesem Bereich. Der Hinweis auf Blockseminare ist schon gekommen. Auch Fachtagungen, die zwischendurch angeboten werden und bei denen ich mich innerhalb von zwei, drei Wochen entscheiden muss, ob ich daran teilnehme oder nicht, bedeuten, dass ich eine entsprechende Betreuung finden muss. Wenn wir wissen, dass die meisten Studierenden mit Kindern Alleinerziehende sind, gibt es im privaten Bereich selten die Möglichkeit, dies alleine zu organisieren.

In diesem Sinne ist es kein Showantrag. Lassen Sie uns ernsthaft miteinander darüber streiten, wie wir die Hochschulen, wie wir die Studierenden, wie wir

die Wissenschaftler unterstützen können, Familie und Beruf miteinander in Einklang zu bringen. – Danke schön.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Gebhard. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Westerhorstmann.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Frau Kollegin Gebhard, so ganz kann ich das nicht nachvollziehen, was Sie gerade geäußert haben. Sie waren in den Jahren in der Regierungsverantwortung, und wenn es vielleicht auch nicht immer so rübergekommen ist, dass Sie die Verantwortlichen waren, hätten Sie trotzdem andere Wege beschreiten können und müssen, um tatsächlich mehr für Familienfreundlichkeit auf allen Ebenen zu tun.

(Widerspruch von der SPD)

Vielleicht war die Zeit nicht in dem Maße reif – das müssen wir vielleicht ein Stück weit mit berücksichtigen –; aber Fakt ist, dass gerade Kinderbetreuung in vielen Bereichen auch in den vergangenen Jahren schon eine große Mangelware war. Viele von uns kennen es ja oder haben es möglicherweise in der eigenen Familie erlebt: Ob Studium, Karriere, Familiengründung, Kindererziehung – jede dieser Situationen ist mit besonderen und unterschiedlich stark empfundenen Herausforderungen verbunden. Wer diese Aufgaben auch noch nebeneinander, also zeitgleich, erfüllen muss, ist besonders gefordert. Für Studenten mit Kindern ist es eben nicht immer einfach, Kinderbetreuung, Studium und oft noch einen Job unter einen Hut zu bekommen.

Ich gehe davon aus, dass wir uns in diesem Punkt alle so weit einig sind und eine ähnliche Wahrnehmung haben. Die Antragsinhalte der Oppositionsfraktionen lassen jedoch keinen Zweifel aufkommen, wie sehr sie bereits vorhandene, gut ausgeprägte und bewährte Angebote der Hochschulen, die familienfreundliche Rahmenbedingungen schaffen, verkennen. Wir unterstützen Studierende mit Kindern in vielerlei Hinsicht. Es gibt zahlreiche Angebote sowohl unter der Betrachtung finanzieller als auch sozialer Aspekte. Sie müssen lediglich gut geprüft und den Bedürfnissen individuell angepasst werden, damit Kinder und Eltern in der nicht immer leichten Zeit des Studiums optimal versorgt sind.

Auf die wichtigsten finanziellen und sozialen Hilfeangebote für Studierende möchte ich kurz eingehen, um deutlich zu machen, was sich in den letzten Jahren getan hat:

Grundsätzlich können Studierende mit Kindern auf Antrag von Studiengebühren befreit werden. Diese Bestimmung greift bei denen, deren Kinder unter 10 Jahre alt oder behindert sind und bei Studieren

den, deren Eltern für drei oder mehr Kinder Kindergeld bekommen.

Des Weiteren gibt es einen Rechtsanspruch auf Elterngeld, das seit dem 1. Januar 2007 an die Stelle des bisherigen Erziehungsgeldes getreten ist. Dabei werden 67 % des nach der Geburt des Kindes wegfallenden Erwerbseinkommens bis maximal 1.800 € ersetzt.

Grundsätzlich erhalten Studierende kein Arbeitslosengeld II. Allerdings besteht ein Anspruch auf schwangerschaftsbedingten Mehrbedarf. Dabei handelt es sich meistens um Leistungen beispielsweise für Schwangerschaftskleidung oder auch die Erstausstattung für Kinder. Hinzu kommt der Mehrbedarf für Alleinerziehende.

Eine weitere finanzielle Unterstützung ist das Mutterschaftsgeld. Ein Anspruch besteht, wenn ein Arbeitsverhältnis durch Schwangerschaft und Geburt unterbrochen wird.

Hinzu kommt ein Rechtanspruch auf Kindergeld. Diesen Anspruch hat jeder, der ein Kind hat und dessen Wohnsitz in Deutschland liegt.

Studierende Eltern können auf Antrag einen Aufschub für Leistungsnachweise und somit die Verlängerung der Förderhöchstdauer durch das BAföG erhalten.

Mit dem Kind in einer Lehrveranstaltung aufzutauchen, ist dank zahlreicher Betreuungsangebote der Hochschulen, Studentenwerke und privater Initiativen heute nicht mehr nötig. Der seit 1996 geltende gesetzliche Anspruch auf einen Kindergartenplatz gilt für Kinder ab drei Jahren. Das am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Kinderförderungsgesetz sieht zum Jahr 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Betreuungseinrichtung oder in der Tagespflege für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr vor.

In Nordrhein-Westfalen ist das Betreuungsangebot mithilfe des Kinderbildungsgesetzes für Kinder unter drei Jahren systematisch ausgebaut worden. Ab dem 1. Januar fördert die Landesregierung landesweit 74.645 Betreuungsplätze für unter Dreijährige, davon 58.400 in Kindertageseinrichtungen und 16.245 in der Kindertagespflege. Hinzu kommen in etwa 12.000 Betreuungsplätze in privatgewerblichen Einrichtungen und Spielgruppen, sodass landesweit etwa 86.000 Kinder unter drei Jahren betreut werden. Dies entspricht bei der Betreuung unter Dreijähriger einem Deckungsgrad von 19%.

Vor diesem Hintergrund sind wir äußerst optimistisch, dass wir den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, den wir ab 2010/2011 für alle Zweijährigen planen, auch einlösen können.

In finanzieller Hinsicht sind Eltern mit einem niedrigen Einkommen von Beiträgen befreit. Das Kinderbildungsgesetz bietet somit eine zuvor nicht gege

bene Wahlfreiheit und Betreuungsflexibilität für Eltern.

Mit dem Ausbau von Familienzentren und durch zusätzliche Angebote für Familienbildung und beratung werden Eltern und Kinder unterstützt.

Oft sind die vom zuständigen Studentenwerk der eigenen Hochschule oder von aktiven Eltern betriebenen Kindergärten für Studentenkinder eine optimale Alternative. Für die Studierenden in Deutschland, die Verantwortung für ein Kind oder für mehrere Kinder tragen, stehen Stillräume und Wickelzimmer zur Verfügung. Die aus Initiativen an den Hochschulen entstandenen Betreuungen orientieren sich zudem an den Studierzeiten der Eltern. Daneben gibt es einzelne Wohnheime, die spezielle Wohneinheiten für studentische Familien bereitstellen.

Meine Damen und Herren, ich möchte deshalb festhalten, dass studierenden Eltern sicherlich viel Organisationstalent und oft besondere Kraftanstrengungen abverlangt werden. Mithilfe unserer Rahmenbedingungen, die es auszubauen gilt, werden allerdings zahlreiche Angebote geschaffen, die geschickt angenommen werden müssen, damit auch für Eltern ein erfolgreiches Studium möglich ist. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Frau Westerhorstmann. – Für die Grünen spricht Frau Dr. Seidl.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gar nicht erst in die Vergangenheit zurückblicken und noch einmal auf die Familienideologie der Landesregierungsfraktionen eingehen. Aber, Herr Minister Pinkwart, es ist doch immer wieder das gleiche Spiel: Sie ziehen sich auf die Hochschulfreiheit und damit aus der Verantwortung zurück. Das Ergebnis ist mehr oder weniger reines Mittelmaß. Ich glaube, das haben Sie eben selbst zugegeben.

Man muss festhalten: Wir haben große quantitative und qualitative Unterschiede bei den Kinderbetreuungseinrichtungen. Wir haben Unterschiede in den Studienstrukturen und in der Studienorganisation. Sie sind bislang nur in Einzelfällen so gestaltet, dass Elternschaft und Studium problemlos zu vereinbaren sind.