Protokoll der Sitzung vom 27.05.2009

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich glaube, dass Sie das, was Ihr Haus Ihnen aufgeschrieben und Sie eben vorgetragen haben, zumindest in die Lage versetzt hat, dass die 100 Tage, die man Ihnen normalerweise einräumen konnte, seit heute herum sind.

Ich sage das Ihnen aus folgendem Grund so deutlich: Wenn Sie die Fragen der Opposition in der Art und Weise bewerten, wie Sie es gerade getan haben, aber offensichtlich noch nicht einmal die Antworten Ihres Hauses im Zusammenhang mit dem, was Sie hier vortragen, auf Konsistenz überprüft haben, dann ist das ein ausgesprochen schwaches Bild. Dann will ich das hier auch deutlich so bezeichnen. Ich muss sagen: Was Sie sich eben erlaubt haben, war schon eine ausgesprochene Frechheit.

(Widerspruch von der CDU)

Es ist insbesondere vor dem Hintergrund eine ausgesprochene Frechheit gewesen, weil Folgendes festzustellen ist: erstens, dass der Neubau von Mietwohnungen – ich sage das noch einmal – um 55 % zurückgegangen ist, zweitens, dass die Modernisierung des Wohnungsbestandes um 85 % zurückgegangen ist, und drittens – ich sage Ihnen das ganz deutlich –, dass sich diese Landesregierung überhaupt nicht hinsichtlich der Probleme aufgestellt hat, die am Wohnungsmarkt im Zusammenhang mit der steigenden Armut der Gesellschaft und insbesondere mit der Altersarmut auf uns zukommen.

Ich habe Ihnen nachgewiesen, dass wir im Jahre 2005 805.000 Wohnungen in der Sozialbindung hatten. Sie als Parlamentarier sind zwar nur bedingt mitverantwortlich für die verheerende Politik Ihres Vorgängers, aber wenn wir nichts tun, werden wir im Jahre 2015 – Ihre Regierung hat sich ja auf die Fahne geschrieben, bis dahin regieren zu wollen – die Zahl von 430.000 Wohnungen mit Sozialbindung unterschritten haben.

Wie Sie vor diesem Hintergrund von einer Stärkung der Kommunen faseln können – ich kann das wirklich nicht anders sagen –, verstehe ich nicht. Das ist das pure Gegenteil: Sie haben die Kommunen nicht gestärkt, Sie haben die Kommunen geschädigt. Sie als Ministerium haben die Kommunen übrigens

auch im Zusammenhang mit dem LEG-Verkauf geschädigt.

Ich erinnere mich daran, dass wir hier gefordert haben, den Kommunen die Chance zu geben – wenn Sie schon den falschen Weg des Verkaufs wählen –, die kommunalen Wohnungsbestände zu übernehmen. Das wollten Sie jedoch nicht, weil Sie nur in toto verkaufen wollten mit der beschriebenen Wirkung – der Kollege hat das eben völlig zu Recht beschrieben –, dass das, was Sie Sozialcharta nennen – die angeblich größte Sozialcharta, die je im Wohnungsbau beschlossen worden ist –, null und nichtig ist.

Es ist bei der Frage der Mieterhöhung falsch, bei der Frage der Wohnrenovierung falsch, bei der Frage des Substanzerhaltes falsch, und wir haben es mit einem schleichenden Verzehr des Wohnungsbauvermögens im Land Nordrhein-Westfalen bezüglich des Vermögens für die unteren Schichten zu tun.

Herr Becker, es gibt eine Zwischenfrage von Herrn Sahnen. Würden Sie die zulassen?

Aber gerne.

Bitte schön, Herr Sahnen.

Herr Becker, Sie beklagen einerseits, dass wir Wohnungsnot haben und viele Mieter eine Wohnung suchen. Andererseits ist es Tatsache, dass es gerade in den Gebieten, die Sie wohl meinen, erhebliche Leerstände gibt. Wie bekommen Sie das übereinander?

Ich bekomme das sehr gut übereinander, Herr Sahnen, nämlich damit, dass wir keinen einheitlichen Wohnungsmarkt haben. Das ist ein Umstand, auf den ich Sie in den Debatten immer wieder hingewiesen habe. Während das Haus, das Sie vertreten und mit Ihrer Koalition stützen, immer wieder von einem entspannten Wohnungsmarkt gesprochen hat – übrigens auch Vertreter der Koalition, insbesondere der FDP, aber auch aus Ihrer Fraktion –, haben wir Sie immer wieder darauf hingewiesen, dass wir es mit Teilmärkten zu tun haben, die völlig divergieren.

An der Rheinschiene – selbst wenn es dort Leerstände gibt – haben wir es zum Beispiel damit zu tun, dass der bezahlbare Wohnraum für die unteren Schichten fehlt. Das ist das Problem, auf das wir zu Recht, glaube ich, immer wieder kritisch hingewiesen haben und das Sie und auch Herr Lienenkämper negieren. Sie haben es nicht mit einem entspannten Wohnungsmarkt zu tun, sondern mit ei

nem Wohnungsmarkt, der völlig unterschiedliche Tendenzen aufweist. Deswegen müssen wir dort auch unterschiedlich arbeiten.

An der einen Stelle muss man städtebaulich arbeiten. Das heißt: Wir müssen dafür sorgen, dass man dort mit Stadtentwicklung arbeitet, wo der demografische Wandel besonders hart zuschlägt. An anderer Stelle muss man daran arbeiten, dass wir Sozial- und Mietwohnungen ganz deutlich zubauen.

Wenn man den öffentlichen Wohnungsbau so zerschlägt, wie Sie das getan haben, wenn man sogar noch die Kündungssperrfristverordnung so verändert, wie Sie das getan haben, und man sich dann hinstellt und negiert, dass Länder wie BadenWürttemberg oder Bayern eine Kündigungssperrfristverordnung haben, die weit über die hinausgeht, die Sie abgeschafft haben, während Sie hier auf den Bundeslevel hinuntergegangen sind, wenn man das alles weiß, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass Sie für die Bevölkerung hier – insbesondere für die ärmere Bevölkerung, die im Gegensatz zu den Reicheren nachgewiesenermaßen mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Wohnraum ausgeben muss – eine verheerende Wohnungspolitik machen. Das gilt übrigens genauso für die energetische Sanierung.

Herr Becker, es gibt noch eine Zwischenfrage von Herrn Hilser.

Aber gern.

Herr Hilser, bitte.

Herr Kollege Becker, ich habe eine Zwischenfrage. Nachdem Sie die LEG erwähnt haben, hat der Minister beim Hinweis auf die Sozialcharta und den nicht vorhandenen Schutz mit dem Kopf geschüttelt. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund eine Aussage der CDU-Stadtratskandidatin Waltraud Beyen in Neuss? Ich zitiere: Durch die krassen Mieterhöhungen werden viele Menschen getroffen. Soziale Härtefälle sind zu befürchten.

Da ich die Kollegin nicht kenne, gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit ist: Es ist der blanke Populismus vor einer Kommunalwahl. Die andere Möglichkeit, die ich ihr zubilligen will, ist, dass an der kommunalen Basis der CDU in Teilen nach wie vor eine bedeutend höhere Sachvernunft vorhanden ist als bei der CDU hier im Hause.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich muss Ihnen ganz deutlich sagen, Herr Kollege Hilser: Das ist ein Eindruck, den ich in den drei, vier Jahren, die ich diesem Hause angehöre, gewonnen

habe. Ich habe früher immer gedacht, die CDU hätte wegen ihrer vielen Verankerungen in kommunalen Räten und Kreistagen tatsächlich eine gewisse Kompetenz – wenn auch bei Unterschieden in der Sache –, um kommunale Fragen mit nach vorne zu ziehen. Die Erfahrung, die ich hier machen musste, ist, dass die Kommunen sowohl bei der Finanzpolitik wie bei der Wohnungspolitik und bei der Reform des § 107 der Gemeindeordnung immer die Dummen waren, wenn diese Regierung gearbeitet hat. Das hat auch immer zu Protesten – auch der eigenen Basis, der CDU – geführt.

(Beifall von der SPD)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Herr Minister Lienenkämper, Sie sollten in Zukunft – auch wenn Sie langsamer vorlesen als Ihr Vorgänger – vielleicht weniger das vorlesen, was Ihr Haus Ihnen aufschreibt. Sie sollten sich noch einmal mit den Fakten beschäftigen. Die Fakten sehen so aus, wie ich sie Ihnen vorgetragen habe. Sie sollten sich ernsthaft fragen, ob dieses Land es sich erlauben kann, bei Bürgern mit niedrigem Einkommen innerhalb von fünf bis zehn Jahren wohnungsbaupolitisches Schlusslicht in der Bundesrepublik zu sein und auch hinter den Südländern zurückzubleiben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Herr Becker. – Meine Damen und Herren, es gibt jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehr. Deshalb kommen wir zum Schluss der Beratung.

Ich stelle fest, dass die Große Anfrage 26 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hiermit erledigt ist.

Wir kommen dann zu:

12 Medienkompetenz in Nordrhein-Westfalen – Was macht die Koalition?

Große Anfrage 24 der Fraktion der SPD Drucksache 14/7725

Antwort der Landesregierung Drucksache 14/8726

Ich eröffne die Beratung und gebe Herrn Eumann für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden über die Große Anfrage der SPD-Landtagsfraktion zum Thema Medienkompetenz in Nordrhein-Westfalen.

Große Anfragen haben immer zweierlei Chancen: die Chance für die antragstellende Fraktion, in die

sem Fall die SPD, ein wichtiges Thema auf die Tagesordnung zu setzen – dazu kann ich Ihnen sagen: Diese Chance haben wir erfolgreich genutzt –, aber auch die Chance für die Landesregierung, zu dokumentieren, dass dieses Politikfeld in ihrem Blick ist.

Ich möchte mich zu Beginn ganz herzlich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesregierung für das Engagement bedanken. Insbesondere im Hinblick auf die wirklich knappen Personalressourcen gerade in der Staatskanzlei, was dieses wichtige Feld anbelangt, geht mein ganz besonderer Dank an diejenigen, die das dort zu verantworten haben. Ich halte es für ein gutes Stück Arbeit. Herzlichen Dank dafür!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Antwort der Landesregierung macht ebenfalls zweierlei Sachen deutlich: Erstens. Es gibt tolle, spannende, vielfältige Projekte in Nordrhein-Westfalen, die sich mit Medienkompetenz beschäftigen. Zweitens. Abgesehen von dem Bereich Games und vielleicht ein bisschen mehr im Bereich Jugend fehlen die wesentlichen Impulse dieser Landesregierung in einem, wie ich finde, so wichtigen Feld.

(Beifall von der SPD)

So viel will ich dann auch noch sagen: Anders als in der Medienpolitik, wo Ihnen ja fast gar nichts gelingt, sind Sie bei der Medienkompetenzpolitik immerhin so weit, dass Sie auf Kontinuität setzen und hier gute Projekte, die lange vor Ihrer Regierungszeit gestartet sind, weiter pflegen. Leider nicht alle – darauf werde ich zu sprechen kommen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, warum beschäftigt uns das Thema Medienkompetenz? Warum ist es im Mittelpunkt der politischen Arbeit der SPD-Landtagsfraktion? Die Antwort darauf ist schnell gegeben. Wir halten den selbstbestimmten Umgang mit Medien für eine Schlüsselqualifikation in unserer Gesellschaft. Wir sagen: Das ist eine vierte Kulturtechnik, so wichtig wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Nur mit medienkompetenten Menschen kann es gelingen, eine Teilhabe gesellschaftlich wie politisch in unserer Informationsgesellschaft zu erreichen. Unser gemeinsames politisches Ziel muss es sein, die Spaltung in Digitalisierungsanalphabeten und Digitalisierungsalphabeten zu vermeiden.

(Beifall von der SPD)

Dieses Thema gilt generationenübergreifend und zielgruppenorientiert. Es ist für den Zusammenhalt einer Gesellschaft wirklich ganz entscheidend, dass uns das gelingt.

Wie wichtig die Aufgabe ist, geht auch aus einer Untersuchung des Hans-Bredow-Instituts hervor, die den Jugendmedienstaatsvertrag evaluiert hat. Das

Hans-Bredow-Institut kommt zu dem Ergebnis – ich zitiere –:

Abschließend ist festzustellen, dass trotz der mit Blick auf den Jugendmedienschutz ernüchternden Erkenntnisse über die schwindende elterliche Kontrolle und die komplexer werdende Medienwelt von Kindern und Jugendlichen Jugendschutzmaßnahmen durchaus Wirkungen in der Praxis haben. Gesetzliche Regelungen zur Unterstützung der elterlichen Medienerziehung, aber auch ein Handeln an Stelle der Eltern dort, wo diese Einfluss verlieren, nehmen daher an Bedeutung noch zu.

So weit die wissenschaftliche Empfehlung des Hans-Bredow-Instituts. Deshalb, meine Damen und Herren, war es ein so wichtiger, ein so entscheidender Richtungsschritt, den Rot-Grün mit der Änderung des § 39 im Landesmediengesetz damals gemacht hat, der Landesanstalt für Medien den gesetzlichen Auftrag zu geben, Medienkompetenzprojekte zu entwickeln. Heute muss man sagen: Das war die goldrichtige Entscheidung. Denn insbesondere ohne die Initiativen der LfM wäre das Medienkompetenzland in Nordrhein-Westfalen erheblich ärmer, meine Damen und Herren und liebe Kolleginnen und Kollegen.