Protokoll der Sitzung vom 24.06.2009

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 126. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 21 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich folgenden Hinweis: Der Chef der Staatskanzlei hat mir mit Schreiben vom 10. Juni 2009 die Haushaltssatzung des Landesverbandes Lippe für das Haushaltsjahr 2009 sowie zwei Durchschriften des Genehmigungserlasses des Innenministers zugesandt. Gemäß § 9 des Gesetzes über den Landesverband Lippe vom 5. November 1948 bitte ich um Kenntnisnahme. – Dies stelle ich hiermit fest. Die Unterlagen können im Archiv eingesehen werden.

Meine Damen und Herren, mit dem 2. Neudruck der Tagesordnung ist Ihnen ein Vorschlag der Fraktionen zur Neufassung der heutigen Tagesordnung vorgelegt worden, von dem ich annehme, dass er Ihre Zustimmung findet.

Wir treten nun in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Keine Politik gegen 100 % der Bevölkerung – Entscheidung über das CCS-Gesetz aussetzen

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/9458

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 22. Juni 2009 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zum genannten Thema eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem Herrn Priggen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Gäste! Die Erderwärmung schreitet voran. Nach allem, was uns Wissenschaftler berichten, läuft der Prozess ungebremst weiter. Hauptursache für die Erwärmung ist Kohlendioxid. Es entsteht bei der Verbrennung aller fossilen Rohstoffe, ob es Öl, Gas in unseren Hei

zungen, beim Autofahren, bei industriellen Prozessen in den Stahlwerken, in der Zementindustrie ist.

Vor allem entsteht Kohlendioxid aber bei der Verbrennung in den Kraftwerken, also bei der Stromerzeugung. Besonders viel Kohlendioxid entsteht in Nordrhein-Westfalen. Rund 44 % der Emissionen, die im Emissionshandel erfasst sind, entstehen in Nordrhein-Westfalen. In Nordrhein-Westfalen leben nur 20 % der Bevölkerung der Bundesrepublik. Damit wird in Nordrhein-Westfalen überproportional viel CO2 erzeugt.

Besonders viel CO2 entsteht in Nordrhein-Westfalen wiederum in den Kraftwerken. Die Gesamtemissionen in NRW betragen rund 300 Millionen t. Allein in unseren Kraftwerken entstehen 177 Millionen t CO2. Das ist die außerordentliche Dominanz der Stromerzeugung. Dieses Problem müssen wir in den Griff bekommen. Wie kann man das erreichen? – Hier nenne ich zunächst das Klimaschutzprogramm der Landesregierung.

Erstens: Energieeinsparung. Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben ein Programm verabschiedet, mit dem sie bis 2020 20 % des Stroms einsparen wollen.

Als Zweites wollen sie den Ausbau der KraftWärme-Kopplung auf 25 %, das heißt die gleichzeitige Erzeugung von Strom und Wärme und nicht die unglaubliche Energieverschwendung, die in unseren Kraftwerken passiert.

Darüber hinaus wollen sie den Ausbau der erneuerbaren Energien. Hier gibt die Bundesregierung die Zielmarke von mindestens 30 % bis zum Jahre 2020 vor.

Diese Vorgaben haben die Landesregierung und die Große Koalition in Berlin. Ich als Grüner könnte mir noch etwas mehr vorstellen,

(Beifall von den GRÜNEN)

aber wenn ich diese Zahlen nehme, dann bin ich 2020 bei rund 75 % der Stromerzeugung, die über diese drei Mechanismen eingespart oder abgedeckt werden. Das ist die Theorie. Das ist das, was in den Sonntagsreden verkündet wird.

In der Praxis geschieht jedoch etwas anderes. In der Praxis gibt es einen massiven Ausbau der Kohlekraftwerke. Und weil man weiß, dass man so nicht klarkommt, kommt jetzt das Wundermittel, das Ewigkeitsversprechen: Die Abgase aus der Stromerzeugung sollen auf 200 Bar komprimiert, flüssig gemacht, in eine 540 km lange Pipeline verpresst und dann nach Schleswig-Holstein tief unten in die salinen Aquifere transportiert werden. Das sind salzwasserführende Gesteinsschichten, 1.400 m, 2.000 m, 3.000 m tief. Dort soll es hineingepresst werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben sehr sorgfältig recherchiert: Es gibt überhaupt keine Erfahrungen. Es gibt weltweit kein Kraftwerk in einem technisch halbwegs vernünftigen Maßstab, das dies bereits in der Praxis ausprobiert hat. Es gibt ein kleines Modellprojekt in Ketzin in Brandenburg. Dort sollen 60.000 t innerhalb von zwei Jahren verpresst werden.

Nur einmal zum Vergleich: Allein in der Braunkohle fallen in unserem NRW-Revier jeden Tag 255.000 t an. Das Erdgasfeld Sleipner in Norwegen nimmt 1 Million t pro Jahr auf. Das heißt, die Braunkohle macht das in vier Tagen, was in Norwegen in einem Jahr in ein Feld hineingepresst wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

In In Salah, Algerien, sind es 1,2 Millionen t pro Jahr.

Als Beispiel wird immer angeführt, die USA hätten ausgedehnte Pipeline-Netze, mit denen sie das schon ganz lange machen. Aber was machen die Amerikaner wirklich? – Die Amerikaner – das ist eine bekannte Technik – nutzen Gase, um Öl aus den Lagerstätten stärker auszutreiben, das sogenannte Enhanced Oil Recovery. Sie nehmen Kohlendioxid, weil es das Öl flüssiger macht und es deswegen etwas leichter ausgetrieben werden kann. Es löst sich im Öl und entweicht oben in die Atmosphäre. Und ein Teil bleibt unten, aber es wird nicht kontrolliert, wie viel. Das heißt, das Ziel ist nicht die Ablagerung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Jetzt kommt der Gesetzentwurf der Bundesregierung. Ich sage, es ist ein bösartiger Gesetzentwurf, weil dadurch versucht wird, im Handstreich eine grundsätzliche Lösung herzustellen, anstatt Projekte zur Probe auf den Weg zu bringen.

Wenn man sich anschaut, wie mit EU-Richtlinien umgegangen worden ist: Wir haben eine Energieeffizienz-Richtlinie, die im April 2006 beschlossen worden ist und bis zum Mai 2008 hätte umgesetzt werden sollen. Das Ziel ist unter anderem, 1 % Energie pro Jahr zu sparen. Sie ist aber nicht umgesetzt worden. Die Bundesregierung hat es nicht geschafft, ein Gesetz auf den Weg zu bringen. Bis die neue Bundesregierung das gemacht hat, werden insgesamt vier Jahre vergangen sein, vier Jahre nach Beschluss über eine solche Richtlinie!

Es geht aber auch um Energiesparen, was in Sonntagsreden beschworen wird, dann aber nicht passiert. Da schickt man Beratungsbusse durch die Gegend, aber das ganz konkrete Handeln fehlt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Um einmal aufzuzeigen, wie es anders ablaufen kann: Die CCS-Richtlinie ist in diesem Monat im Amtsblatt veröffentlicht worden und müsste bis Juni 2011 umgesetzt werden. Schon im Februar lag der erste Referentenentwurf der Bundesregierung unter

Mithilfe der Industrie vor. Das heißt, noch bevor sie überhaupt beschlossen worden ist, war man schon dabei, den Referentenentwurf für das Gesetz zu machen. Das ist das ganz konkrete Handeln.

Aber beim Energiesparen, von dem bestimmte Unternehmen ja nicht profitieren, passiert gar nichts. Und bei der Frage, wie ich die Abfälle der Stromerzeugung entsorgen kann, passiert sehr viel.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung – das ist einer der beiden massiven Kritikpunkte – privilegiert die CO2-Verpressung und stellt alle anderen legitimen Interessen, die im Rahmen der Abwägung eigentlich geprüft werden müssten, zurück. Das heißt, die Frage der Tiefengeothermie, die in Bezug auf das norddeutsche Becken außerordentlich interessant wäre, ist tot, ist zu Ende, wenn die Verpressung kommt, weil sich das natürlich im Untergrund unter Umständen stört. Die Überlegung der Druckluftspeicherung, die außerordentlich interessant ist in Bezug auf erneuerbare Energien in Norddeutschland, wird an der Stelle auch behindert. Da gibt es also klare Prioritäten.

Und was aus meiner Sicht das Schlimmste ist: Die Stromerzeuger müssen nur 30 Jahre lang die Haftung übernehmen.

(Zustimmung von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Dann geht das volle Risiko der Überwachung und auch der Kosten auf das Bundesland über, in dem die Lagerstätten sind – nicht auf den Bund, sondern auf das entsprechende Standortland. Dass es in Schleswig-Holstein Widerstand deswegen gibt, ist absolut einleuchtend.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will klar sagen: Es gibt seriöse Leute, die uns sagen, wir müssen diese Option prüfen. Ich will nicht sagen, dass man sie nicht prüfen muss. Man muss sie prüfen. Aber wir sollten uns fragen, ob wir es uns erlauben können, die Stromerzeugung durch Braunkohle – die schmutzigste Stromerzeugungsart, die es gibt – so zu verlängern, oder ob wir nicht, wenn diese Möglichkeit tatsächlich gegeben ist, die Potenziale für die Chemieindustrie, für die Zementindustrie und für die Stahlindustrie nutzen sollten, wo wir aus technischen Gründen Reduktionen ab einem bestimmten Punkt nicht mehr hinbekommen können, um das auf Dauer betreiben zu können. In der Stromerzeugung könnten wir das anders machen.

Das heißt: Austesten, Probieren – ja. Aber wir sollten sehr sorgfältig überlegen, ob wir eine zutiefst unökologische Stromerzeugung so verlängern oder ob wir das als Reserve für andere Industriebereiche ganz dringend brauchen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Priggen. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Weisbrich.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte erst einmal ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur CO2Technologie machen. Herr Kollege Priggen, wir sollten uns zumindest einig sein, dass Energie sicher, sauber und bezahlbar sein muss. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist, dass heimische Primärenergieträger in bedarfsgerechtem Umfang zur Verfügung stehen.

Wir haben schon oft darüber gesprochen: Rund ein Viertel des in Deutschland erzeugten Stroms wird subventionsfrei aus heimischer Braunkohle gewonnen. Braunkohle ist damit, mit weitem Abstand, unsere wichtigste Energiereserve. Ein weiteres Viertel der Stromerzeugung entfällt ganz überwiegend auf importierte Steinkohle. Auch die ist preiswert und jederzeit verfügbar. Kohle hat aber den Nachteil, dass bei der Verbrennung in Kraftwerken in großem Umfang CO2 freigesetzt wird. Die bisherige Technologie zur Energieumwandlung aus Kohle ist deshalb in hohem Maße klimaschädlich.

Ob es gelingt, die Stromerzeugung aus Kohle künftig mit den Zielen des Klimaschutzes zu vereinbaren, entscheidet sich an der Technologie zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid. Die Umsetzung dieser sogenannten CCS-Technologie entscheidet damit über die langfristige Wohlstandsentwicklung in Deutschland, denn nicht zuletzt davon hängt ab, wie hoch unsere Energierechnung für Importe in Zukunft ausfällt.

Dieser Zusammenhang gilt nicht nur für uns, sondern vor allem auch für Staaten wie China oder Indien, die über riesige Kohlevorkommen verfügen und diese massiv nutzen. China verbrennt beispielsweise jährlich bis zu 3 Milliarden t Kohle und bringt praktisch jede Woche ein neues Kohlegroßkraftwerk ans Netz. Alle EU-Staaten zusammen haben ihren jährlichen CO2-Ausstoß seit 1990 um etwa 300 Millionen t pro Jahr reduziert. Allein China erzeugt jährlich eine Milliarde t zusätzlich und hat heute schon die USA als weltgrößten CO2Emittenten abgelöst.

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund entscheidet die Anwendung der CCS-Technologie auch in China, in Indien und anderen aufstrebenden Industriestaaten mit großen Kohlevorkommen darüber, ob wir die vom Weltklimarat vorgegebenen Schutzziele erreichen werden oder nicht.

(Beifall von Michael Groschek [SPD])