Protokoll der Sitzung vom 09.09.2009

Vielen Dank, Herr Kollege Engel. – Jetzt hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Becker das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gerne die Vorlage, die ich gerade von Herrn Engel bekommen habe, aufgreifen. Herr Engel, Sie dürfen nicht mit Zahlen von Ende des Jahres 2008 arbeiten, sondern Sie müssen sich schon einmal die Mühe machen – jedenfalls wenn Sie Erkenntnisse haben wollen –, sich die Zahlen von 2009 zu besorgen. Das habe ich getan.

Ich will Ihnen die genauen Zahlen nennen, die Sie gerne beim Landesamt für Statistik nachprüfen können:

Ende des ersten Quartals dieses Jahres war die Zahl der Kassenkredite von 14,8 Milliarden € letztes Jahr bereits auf 15,483 Milliarden € und zum 30. Juni – Sie erkennen die Dynamik – bereits auf 15,961 Milliarden € hochgeschnellt, war also zum 30. Juni dieses Jahres rund 1 Milliarde € höher als zum 31. Dezember des letzten Jahres. Sie können sich unschwer ausrechnen, dass vom 30. Juni bis jetzt 16 Milliarden €, also die dann noch fehlenden 40 Millionen €, locker überschritten worden sind.

Insofern brauche ich überhaupt nichts zurückzunehmen, sondern Sie sollten sich, wie man so schön neudeutsch sagt, updaten und nicht mit Zahlen von vor über einem halben Jahr arbeiten. – Das vornweg.

(Beifall von den GRÜNEN)

Als Zweites möchte ich Ihnen gerne, da Sie offensichtlich schon die Melodie für den Wahlkampf üben – zweithöchste Zuweisung für die Kommunen –, ein paar Sätze ins Gebetbuch schreiben, welche Ausgangslange Sie haben und wie Sie mit dieser Ausgangslage arbeiten.

Folgende Zahlen sind, wenn man sie zum Vergleich heranzieht, interessant:

Im Jahr 2008 hatten Sie 8 Milliarden € mehr Steuereinnahmen als die rot-grüne Koalition im Jahr 2004. Im Jahr 2009 haben Sie knapp 5 Milliarden € mehr Steuerreinnahmen als die rot-grüne Koalition im Jahr 2004. Selbst im Jahr 2010, in der Wirtschaftskrise, haben Sie ausweislich des Haushaltsentwurfs des Finanzministers noch fast 3 Milliarden € mehr Steuereinnahmen als die rot-grüne Koalition im Jahr 2004.

Ich wiederhole: Das waren 2008 8 Milliarden €, 2009 5 Milliarden € und 2010 3 Milliarden € mehr, die das Land an Steuereinnahmen hat.

Vor diesem Hintergrund führt der Hinweis, dass Sie im Jahr 2010 die in absoluten Euro-Beträgen zweithöchste Summe an die Kommunen auskehren, deswegen in die Irre, weil Sie dabei immer wieder verschweigen, was alles Sie den Kommunen gegenüber dem, was ihnen im Jahr 2005 bei der damaligen Regierung und den damaligen Regelungen zugestanden hätte, abgezogen haben. Selbstverständlich ist es so, dass das eine Menge war.

Ich will nicht alles wiederholen, was Herr Jäger eben vorgetragen hat, aber ich will auf ein paar Sätze eingehen. Da sind zum einen die Anteile an der Grunderwerbsteuer – das sind rund 180 Millionen € pro Jahr –, und da ist zum anderen die Krankenhausfinanzierung. Das sind – je nachdem, wie man das rechnet – auch fast 300 Millionen € pro Jahr. Außerdem sind da die Belastungen des Verbundsatzes. Sie sagen, der Verbundsatz sei mit 23 % konstant geblieben. Sie haben den Verbundsatz aber um 1,17 % mit den Einheitslasten belastet. Das hat damals, als Sie es eingeführt haben, 460 Millionen € ausgemacht und macht im Moment für das Jahr 2010 ausweislich Ihrer eigenen Zahlen bereits 522 Millionen € aus.

Das sind nur ein paar Zahlen, aber ich kann das fortsetzen. Sie kürzen erneut die Investitionspauschalen, und zwar alle drei. Sie kürzen sie für das Jahr 2010 in der Summe um 37 Millionen €, übrigens an der Stelle nicht wie das gesamte GFG um etwas über 3 %, sondern mit über 7 %. Das heißt, Sie haben an allen diesen Stellen den Kommunen etwas weggenommen.

Ich erinnere an das Beispiel Elternbeiträge bei den Kindergärten, wo früher die Ausgleichszahlungen vom Land gezahlt worden sind. Heute drängen Sie die Kommunen in die schwierige Situation – insbesondere die Nothaushaltskommunen –, die Elternbeiträge zu erhöhen. Dafür hat das Land früher 84 Millionen € bereitgestellt. Das ist gestrichen worden.

So könnten wir das alles Punkt für Punkt durchgehen. Ich könnte Ihnen unter anderem auch noch vorhalten, wie Sie mit den Sparkassen umgegangen sind und welche Auswirkungen das hat. All das ist Legende, all das ist bekannt.

Übrigens, damit wir Klartext reden: All das wird von den kommunalen Spitzenverbänden – das müsste aus Ihrer Sicht ebenfalls die Gruppe sein, die die nötige Expertise hat – kritisiert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das sind die Leute, die Ihre Parteifreundinnen und Parteifreunde sind. Sie stellen sowohl im Städtetag – noch – als auch im Städte- und Gemeindebund – noch – die Mehrheiten. Diese Kritik ist von denen und nicht allein von uns gekommen.

Da haben wir ein Stück weit die Antwort auf die dramatische Situation der kommunalen Finanzen. Keiner sagt, dass die Landesregierung allein Schuld habe. Ich sage zum Beispiel – da stehe ich überhaupt nicht an, an der Stelle mit Kritik zurückzustecken –, dass die Steuerreform 2002 ein großer Fehler war. Nur: Wenn es nach Ihnen von CDU und FDP gegangen wäre, wäre die Steuerreform noch viel weiter gegangen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Kommunen haben sich von der Steuerreform, die damals gemacht worden ist, bis heute nicht erholt. Das wissen alle, die sich die Kurven auf der Einnahmenseite anschauen. Sie, Herr Lux, haben die Steuerreform in der Tat dadurch verschärft, dass Sie den Kommunen – wenigstens denen, denen es halbwegs gut ging – die Chance genommen haben, in den Zeiten, wo sie diese Steuereinnahmen hatten, sich selbst ein Polster anzulegen.

Ich will Ihnen noch einmal die Zahl vorhalten und zum Anfang zurückkommen, zu den Kassenkrediten. Herr Lux, wer sich die Dynamik von Ende des letzten Jahres bis zum Sommer dieses Jahres ansieht – Zunahme von über 1 Milliarde € von 14,8 auf 15,9 Milliarden € –, es hochrechnet und weiß, dass sich in diesem Jahr die kommunale Finanzsituation nicht bessern, sondern im zweiten Halbjahr weiter verschlechtern und es auch im nächsten Jahr abseits allen Geredes so bleiben wird, der kann sich unschwer ausrechnen, dass wir im Sommer des nächsten Jahres bei diesem Tempo, welches sich eher steigert – ich sage mal, bei einem konstanten Tempo –, 18 Milliarden € Kassenkredite haben werden.

Herr Engel, wenn Sie immer nur von den investiven Schulden reden – auch eben wieder –, den Schulden, die sozusagen legal aufgenommen werden durften, treffen Sie einen großen Teil der Wahrheit nicht. Die Wahrheit sieht ganz anders aus. Die Nothaushaltskommunen dürfen im investiven Teil keine Schulden mehr aufnehmen; das ist richtig. Deswegen hat sich da eine Bremse ergeben. Was machen die? Sie nehmen entsprechende Kassenkredite auf. Dazu habe ich eben ausgeführt.

Wenn Sie die Summe aus Kassenkrediten und investiven Krediten bilden – das müssen Sie selbstverständlich tun –, sind die Kredite, die Schulden, rasant angestiegen. Das, was sie machen, ist ein Taschenspielertrick. Genauso vollführen Sie einen Taschenspielertrick, wenn Sie sagen: Die Zahl der Nothaushaltskommunen ist zurückgegangen. – Ich kenne diese Argumentationsleier von Ihnen und weiß, Sie arbeiten immer mit diesem Trick. Denn die Umstellung auf die neuen kommunalen Finanzen und ihre Systematik – alle, die sich damit beschäftigen, kennen die – führt dazu, dass die Ausgleichsrücklage Nothaushaltskommunen zwar für ein Jahr, zwei, drei, maximal vier Jahre vorübergehend auf dem Papier aus dem Nothaushalt herausholt, um aber dann wieder umso kräftiger zuzuschlagen. Deshalb habe ich mir heute Morgen die Mühe gemacht und ein paar Telefongespräche geführt. Wenn Sie das auch einmal machen würden, würde Ihnen das einen Erkenntnisgewinn bringen.

Ich will Ihnen eine Zahl nennen: Der Städte- und Gemeindebund – das ist kein grünes Gremium – hat Anfang dieses Jahres, im Februar, und erneut im Juli dieses Jahres eine Umfrage – jeweils aktuell vor den Hintergründen, die die kannten – bei den

Mitgliedskommunen mit der Fragestellung durchgeführt: Wann, bitte schön, seid ihr, unsere Mitgliedskommunen, auf der Grundlage der aktualisierten mittelfristigen Finanzplanung in der Situation, dass die Ausgleichsrücklage aufgezehrt ist und ihr damit den Nothaushalt erreicht? – Anfang des Jahres haben bereits knapp 50 % der Mitgliedskommunen gesagt, dass sie den Nothaushalt innerhalb des Finanzzeitraums erreicht haben werden.

Ein halbes Jahr später, im Sommer dieses Jahres, waren es beim Städte- und Gemeindebund – vom Städtetag habe ich die Zahl noch nicht; die haben sie auch gerade ermittelt, und wir können sie im Laufe der Woche abfragen – bereits knapp 70 %. Das heißt, innerhalb eines halben Jahres waren es 20 % mehr, denen das Wasser innerhalb des Finanzzeitraums „Oberkante Unterlippe“ steht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist die Wirklichkeit und nicht das, was Sie sich immer als Selbstsuggestion zurechtlegen.

Die kommunale Finanzsituation, die sich real darstellt, kann man auch nicht mit dem ewigen Glaubenssatz, die Kommunen müssten nur ordentlich sparen, dann würde sich das Problem schon lösen, schönreden. Deswegen war es auch so schön, gerade von den kleinen Kommunen noch Zahlen zu haben, die ich Ihnen jetzt vorgetragen habe. Wir haben vielmehr eine Situation – darauf will ich auch noch hinweisen –, in der es, Herr Lux, keinen Widerspruch zwischen den Landesfinanzen und den Kommunalfinanzen gibt, wenn man die Dinge zu Ende denkt und nicht wie dieser Innenminister und dieser Finanzminister kleines Karo fährt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn wir eine Haushaltssituation haben – ich glaube tatsächlich, dass Herr Linssen beginnt, das zu begreifen, jedenfalls taktisch vor der Landtagswahl –, in der diese Kommunen alle freiwilligen Leistungen und noch einen Teil der pflichtigen Leistungen streichen und über die Zinsen für ihre Kredite immer noch jedes Jahr mehr Schulden haben, ist die Gestaltungshoheit am Ende. Dann können Sie den Kommunen auch nicht mehr sagen: Ihr müsst nur mehr sparen.

Das wird übrigens irgendwann dazu führen, dass Sie keinen normalen Menschen mehr finden werden, der den Kopf dafür hinhält, sich in der Bevölkerung als Puffer für die Streichorgien zur Verfügung zu stellen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie werden irgendwann nur noch Radikalinskis in den Räten sitzen haben, weil ein normaler Mensch sich dafür nicht mehr zur Verfügung stellt.

Wenn das so ist und wir ein System der neuen kommunalen Finanzen haben, das an einem bestimmten Punkt zu einer bilanziellen Überschuldung

der Kommunen führt – bei einigen großen Städten wird sich in den nächsten zwei Jahren eine massive bilanzielle Überschuldung einstellen –, stellt sich doch die Frage: Wer gibt diesen Kommunen überhaupt noch einen Kassenkredit? Wer wird im Zweifelsfall für diese Kommunen eintreten müssen? Und wer wird sich im Zweifelsfall damit zu beschäftigen haben, dass die Banken bereits hinter den Kulissen Schattenratings fahren, sich also Kommunen wie normale Betriebe daraufhin anschauen, welchen sie in den nächsten Jahren zu welchen Zinsen überhaupt noch Kredite geben?

Das ist ein gesamtstaatliches Problem. So, wie die Verschuldung auf der EU-Ebene in Brüssel und auf der Bundesebene – neben den einzelnen Ebenen – gesamtstaatlich gemessen wird, müssen Sie sich hier damit auseinandersetzen und den Kommunen eine Antwort geben, wenn sie mit bilanzieller Überschuldung vor Ihrer Tür stehen und sagen: Jetzt regelt das auch mal, von dem ihr behauptet, dass unsere Räte all das regeln könnten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn Sie ehrlich sind, wissen Sie das auch.

Herr Lux, ich habe eben Ihre Worte „Wir alle wissen, schwierige Finanzsituation“ gehört und will sie als guten Willen konstatieren. Nur, wenn Sie sich Ihre eigenen Wortbeiträge und insbesondere die von Herrn Löttgen aus den letzten Jahren und auch noch von Anfang dieses Jahres nehmen, dann war von dieser Selbsterkenntnis aber auch gar nichts zu spüren, sondern Sie haben immer die schönste aller Welten an die Wand gemalt.

Sie werden sich, um das am Schluss zu sagen, in Bezug auf die Kommunalfinanzen tatsächlich diesem etwas populären Spruch eines Fernsehmoderators stellen müssen. In Ihrem Fall heißt das: Wenn Selbstsuggestion auf Wirklichkeit trifft,

(Beifall von den GRÜNEN)

dann ist die Stunde der Wahrheit. – Ich bin fest davon überzeugt, dass spätestens dann klar wird, dass diese Landesregierung, jedenfalls mit ihrem gelben Teil, aber auch mit erheblichen schwarzen Anteilen, alles andere als kommunalfreundlich war, was Sie vorher immer behauptet haben. Sie waren nicht verlässlich, sondern Sie waren ganz im Gegenteil ein schlechter Partner der Kommunen, und das – darüber werden wir morgen früh zu prominenter Zeit noch mal zu reden haben – nicht nur an den von mir beschriebenen Punkten, sondern Sie haben den Kommunen auch noch über Gebühr Lasten der Einheit aufs Auge gedrückt. Bis jetzt drücken Sie in keinster Weise im Sinne der Kommunen auf die Tube, dass der Finanzminister im Haushalt 2010 die Rückzahlungen auch einsetzt. Da sehe ich weit und breit nichts.

(Beifall von den GRÜNEN)

Also: Verlässlich ist höchstens die Unverlässlichkeit und mehr nicht. – Schönen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die Landesregierung spricht noch einmal der Innenminister. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr gehrten Damen und Herren! Herr Jäger, es nimmt schon wunder, dass Sie ein Beratungsverfahren kritisieren, das wir hier über Jahre praktiziert haben. Wir hatten nie ein solches kurzes Gedächtnis, als dass wir über eine Rede von Herrn Dr. Behrens nicht noch nachmittags hätten diskutieren können. Wenn das bei Ihnen Schwierigkeiten auslöst, ist das Ihr Problem. Wir werden das Verfahren deswegen jedenfalls nicht ändern.

Auch als wir die Regierungsverantwortung übernommen haben, war die Welt in den Kommunen nicht schön. Wenn man die Redner von der Opposition hört, meint man, die Kommunen seien damals sozusagen mit einer Nullverschuldung gestartet und in den letzten drei Jahren in die Misere getrieben worden.

Genau das Gegenteil ist der Fall. Ich habe Ihnen heute Morgen schon einmal die Zahl genannt: Bereits im Jahr 2005, als sozusagen Ihre Zeit endete, standen die Kommunen alles in allem – Eigenbetriebe, auch was die Kommunen selber mit den Kernhaushalten und ihren Kassenkrediten und fundierten Schulden betrifft – mit 45 Milliarden € in der Kreide. Das heißt, all die Zinslasten, die Sie hier beschwören, sind zu einem übergroßen Prozentsatz auch von Ihnen verursacht worden, von Ihrer unzureichenden Kommunalpolitik. Deswegen entspricht es geradezu dem Bild „Der Brandstifter ruft die Feuerwehr“, wenn Sie jetzt sagen: Es muss aber etwas passieren.