Protokoll der Sitzung vom 10.09.2009

Beim Kinderlärm kann es nämlich nicht nur um Kindertageseinrichtungen, Schulen und Spielplätze gehen. Kinder spielen auch auf unseren Straßen, in Garagenhöfen und in Hausgärten. Selbst meine Kleine fährt mit den Nachbarskindern lieber mit ihrem plastikbereiften Bobby-Car über unsere Straße, als nur brav auf dem Kinderspielplatz zu bleiben. Dabei geht es mitunter ganz schön laut zu. Das ist für mich die eigentliche „Zukunftsmusik Kinderlärm“.

Kinderlärm ist weder ein Übel, ein Mangel oder ein Grund zu Mietminderung. Darüber sind wir uns alle hier im Haus vom landespolitischen Grundsatz her einig. Doch die eigentliche Arbeit steckt bekanntlich im Detail.

Darauf gehen Sie in Ihrem Beschlussentwurf nicht ein, sondern fordern in gewohnter Weise PRMaßnahmen. In Verbindung mit mangelhafter Rechtssicherheit ist das in der zu Ende gehenden Legislaturperiode zum Markenzeichen Ihrer gesetzgeberischen Tätigkeit der vergangenen vier Jahre geworden.

Wir hingegen wollen im Interesse der Kinder, der Anwohner und der Kita-Beschäftigten, dass entsprechende Initiativen auf Landesebene die Rechts-

und Fördersituation sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessern und sichern.

Wir von der SPD arbeiten mit unseren Kolleginnen und Kollegen der Bundestagsfraktion daher schon seit Längerem inhaltlich daran, die bauplanungsrechtlichen Zulässigkeiten von Kindergärten, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen in reinen Wohngebieten effizient zu verbessern; denn bislang sieht die Baunutzungsverordnung dort nur eine ausnahmsweise Zulässigkeit für diese Einrichtungen vor. Wir unterstützen den Vorstoß der Bundesebene, sie dort generell für zulässig zu erklären.

Wir wollen die Rechtssicherheit für solche Institutionen und Einrichtungen erhöhen. Dazu müssen auch die derzeit geltenden Regelungen des Lärmschutzes weiterentwickelt werden; denn Kinderlärm hat für uns unter einem besonderen Toleranzgebot der Gesellschaft zu stehen.

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen hier und jetzt als Abgeordnete, als Mitglied des Landesbeirats für Immissionsschutz und auch als Mutter einer kleinen Tochter: Es kann keine Emissionsgrenzwerte für kindliches Schreien, Lachen und Toben wie beim Lärm technischer Anlagen geben.

(Beifall von Svenja Schulze [SPD] und Walter Kern [CDU])

Kinderlärm ist nämlich die natürliche und notwendige Ausdrucksform und eine Begleiterscheinung des kindlichen Spiel- und Bewegungsdrangs. In einer kinder- und jugendfreundlichen Umgebung sind solche Lärmemissionen nicht dadurch unzumutbar, dass sie die empfohlenen Grenzwerte der TA Lärm, der VDI-Richtlinie 2058 oder der DIN 18005 überschreiten. Kinderfreundliche Entfaltung hat Vorrang vor dem Ruhe- und Ordnungsbedürfnis von Erwachsenen.

Bei der Beurteilung dieses Toleranzgrundsatzes muss aber genauso mit einfließen, dass es hier auch keinen Freibrief geben darf; denn unter Umständen können und müssen Lärmschutzmaßnahmen verlangt werden. Ist es Lärm oder ist es Zukunftsmusik, wenn Kinder und Jugendliche stundenlang Fußball auf einem Garagenhof spielen und dabei die Garagentore als Tore benutzen? Gemäß Ihrer PR-Kampagne zu diesem Wahlkampfantrag hätten die Anwohner dieses Garagenhofes demnächst gar keine Möglichkeit mehr, sich zu beschweren.

Bitte vergessen Sie bei aller Kinderliebe und Wahlkampf-PR nicht, dass Kinder auch grausam sein können und trotzig und ausdauernd mehr Lärm produzieren können, wenn sie sich von überwiegend älteren Anwohnern „angemacht“ fühlen. Mehrere an diesen Landtag gerichtete Petitionen bezeugen das eindeutig.

Daher meine ich, dass „Zukunftsmusik Kinderlärm“ kein Freibrief für junge Familien sein darf. Vielmehr

bin ich als Mutter der Meinung, dass ich auch eine Verantwortung gegenüber meinen Nachbarn habe und mein Kind zu Rücksichtnahme während der Mittagszeit und in den späten Abendstunden anhalten kann und anhalten muss.

Auch wenn wir von der SPD grundsätzlich jede Initiative, die das Verständnis für Kinder, Jugendliche und junge Familien fördert, sehr begrüßen, dürfen wir uns trotzdem nicht der Verantwortung für die Allgemeinheit entziehen und Einbahnstraßenregelungen treffen.

Zusätzlich müssen auch die rechtlichen Rahmen geklärt sein. Der Unterschied zwischen einem Spielplatz und einer Freizeit- bzw. Leistungssportanlage mag noch eindeutig sein. Doch wo ist im Einzelfall die eindeutige Grenze zwischen einem Spielplatz und einem Abenteuerspielplatz mit Bolzmöglichkeit oder einer Trendsportanlage zu ziehen? Macht ein Fußballtor einen Spielplatz zu einem Bolzplatz?

Hier ist genügend Potenzial für unterschiedliche Auffassungen vor der Gerichtsbarkeit und in Petitionen im Bund und in den Ländern gegeben. In der Regel hat sich die neuere Rechtsprechung bundesweit übrigens zugunsten der Kinder entschieden. Das ist auch gut so.

Fazit: Der auf Bundesebene eingebrachte Antrag zur Änderung der Baunutzungsverordnung für Kindertagesstätten in Wohngebieten inklusive Anpassung des Lärmschutzes war richtig und wichtig. Ihr hier vorgelegter Antrag kann und muss jedoch im Rahmen der nun anzuhörenden Fachausschüsse noch überarbeitet werden, sodass wir ihn auch mittragen und mit Ihnen gemeinsam einen überarbeiteten Antrag vorlegen können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wiegand. – Jetzt erhält das Wort Frau Kollegin Asch, Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat von Horst Köhler beginnen:

Ohne Kinder hat unser Land keine Zukunft. Daher ist es so wichtig, dass Deutschland als Land der Ideen vor allem ein Land für Kinder wird. Deutschland muss zu einem Land werden, (…) in dem es kein Schild mit der Aufschrift „Spielen verboten“ mehr gibt und in dem Kinderlärm kein Grund für Gerichtsurteile ist.

So weit unser Bundespräsident.

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass die Realität im Lande leider anders aussieht. Alle Vor

rednerinnen haben es beschrieben. Es ist traurige Realität, dass in einem Land – das müssen wir uns noch einmal vergegenwärtigen –, in dem es immer weniger Kinder gibt, in dem Kinder eben nicht mehr zur selbstverständlichen Realität in den Wohnvierteln und im öffentlichen Leben gehören, die Toleranz der Bevölkerung Kindern gegenüber deutlich sinkt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen diese etwas abstrakte Realität anhand einer konkreten Zahl vor Augen führen und Sie auffordern, einmal zu schätzen, wie viel Prozent der Haushalte in der Millionenstadt Köln überhaupt Kinder haben. Als ich diese Zahl für meine Heimatstadt gehört habe, habe ich einen Schrecken bekommen. In lediglich 19,8 % der Haushalte in Köln leben Kinder.

Das bedeutet im Klartext, meine Damen und Herren, dass 80 % der Haushalte in dieser Stadt eben nicht die Erfahrung haben und am eigenen Leib erleben, was Kinderlachen oder Kinderweinen heißt, dass es notwendig ist, einen Abstellplatz für den Kinderwagen im Hausflur zu finden, ebenso Spielplätze und Kindergärten.

Je weniger die Menschen selbst die Erfahrung mit Kindern machen, desto größer ist die Gefahr des Unverständnisses und der Intoleranz. Damit, meine Damen und Herren, entsteht ein Teufelskreis, der uns zu denken geben muss. Weniger Kinder im Alltag dieser Gesellschaft bedeuten weniger Selbstverständlichkeit, weniger Toleranz. Und weniger Toleranz gegenüber Kindern macht ein Leben mit Kindern immer schwieriger und führt letztendlich dazu, dass sich immer weniger junge Menschen für Kinder entscheiden.

Meine Damen und Herren, genau diesen Teufelskreis gilt es zu unterbrechen. Wir können ihn – das wissen wir alle – nur dann unterbrechen, wenn wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen ergreifen. Es ist leider nicht möglich, an einer gesetzlichen Stellschraube zu drehen und so dieses Problem zu lösen, sondern wir müssen auf allen Ebenen – auch der Politik – dafür sorgen, dass unser Land kinderfreundlich wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das beginnt mit der notwendigen Unterstützung der Eltern, auch finanzieller Art, und geht weiter über eine ausreichende Kapazität für Familienberatung und Bildung. Ein ganz wesentliches Moment ist die Stadtplanung. Für die Kinder müssen genügend Frei- und Grünflächen zur Verfügung stehen – nicht nur Spielplätze –, auf denen sie sich gefahrlos und auch mal ohne die Aufsicht von Erwachsenen bewegen können.

Wir brauchen weniger Autos in unseren Innenstädten, Verkehrsberuhigung, Tempolimits,

(Beifall von den GRÜNEN)

damit der Gang mit Kindern über die Straße nicht jedes Mal zu einem gefährlichen Risiko wird.

Wenn wir eine Gesellschaft wollen, in der Kinder im Mittelpunkt stehen und nicht als Störfaktor begriffen werden, dann spielt auch eine ausreichende und qualifizierte Kinderbetreuung und -bildung eine wesentliche Rolle. Das kann ich Ihnen an dieser Stelle leider nicht ersparen: Bei dieser wesentlichen Entlastung und Erleichterung für die Eltern erleben wir durch die neue Gesetzgebung des sogenannten Kinderbildungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen keinen Fortschritt, sondern einen Rückschritt.

Meine Damen und Herren, letztlich misst sich die Kinderfreundlichkeit einer Gesellschaft daran, wie viel ihr die Kinder wert sind, das heißt, wie viel sie bereit ist, an öffentlichen Mittel für Kinder – für ihre Erziehung und Bildung, die Gestaltung einer kinderfreundlichen Umwelt – auszugeben. Dass wir hier in Deutschland im Vergleich zu anderen Industrieländern weit abfallen, haben wir Anfang der Woche wieder konstatieren müssen. Die OECD-Daten für die Bildungsausgaben sind veröffentlicht worden. Deutschland steht mit 4,8 % des Bruttoinlandsprodukts für die Bildung beschämend auf einem der hinteren Ränge bei den reichsten Industrieländern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Deutsche Institut für Wirtschaft hat das kommentiert: All die schönen Worte und auch die im letzten Jahr gestartete Bildungsoffensive haben sich als Mogelpackung erwiesen.

Besonders deutlich fassbar wird die mangelnde Kinderfreundlichkeit dieser Gesellschaft bei den Skandalurteilen in Bezug auf den Kinderlärm, mit denen Eltern und Kinder von ihren Nachbarn aus den Wohnungen geschmissen werden sollen oder Kindergärten in Wohngebieten schließen müssen. Kein Platz für Kinder aus der Krachmacherstraße, das scheint immer mehr um sich zu greifen.

Ich finde es sehr bezeichnend für den Zustand unserer Gesellschaft, dass Menschen relativ klaglos Autolärm, Industrielärm akzeptieren, damit leben, dies hinnehmen, während Äußerungen von Kindern – Kinderlachen, Kinderschreien, alles, was zu ihrem Leben gehört – mit Gerichtsurteilen überzogen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Deutsche Kinderhilfe und der Kinderschutzbund mahnen seit Jahren an, dass diesen Auswüchsen ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben werden muss. Die Kinderkommission des Bundestages hat 2007 dazu eine Anhörung durchgeführt, und es sind sehr konkrete Lösungsvorschläge gemacht worden. Aber im Dickicht des Föderalismus ist es zu keiner gesetzlichen Lösung gekommen. Bund und Länder schieben die Verantwortung seitdem jeweils auf den anderen.

Interessanterweise – das finde ich auch bezeichnend – ist allerdings ein anderer Bereich des Lärms geregelt worden. Der Freistaat Bayern hat 1999 die Biergärten per Verordnung vom Bundeslärmschutzgesetz ausgenommen. Wir sehen, welche Prioritäten gesetzt werden: CSU-geführtes Bayern: Biertrinker und Brauereibesitzer vor spielenden Kindern. – Armes Deutschland!

(Beifall von den GRÜNEN)

Mit dem Antrag soll nun eine Initiative unterstützt werden, die im wahrsten Sinne des Wortes kurz vor Toresschluss kommt, die am 2. Juli dieses Sommers von der Großen Koalition in Berlin auf den Weg gebracht worden ist. Sie machen es sich ein bisschen einfach, schlicht zu sagen: Wir unterstützen die Initiative im Bundestag. – Eigentlich müsste Ihnen bekannt sein, dass die Bundesregierung nur noch bis Oktober dieses Jahres im Amt und es sehr wahrscheinlich ist, dass die Initiative dann der Diskontinuität unterliegt. Selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, müssen wir erwarten, dass eine neue Bundesregierung sie nicht sofort in den ersten Monaten aufnehmen wird.

Deswegen sage ich: Ich lade Sie ein, hier auf Landesebene ganz konkrete Verabredungen zu treffen und eine eigene Initiative zu starten. Denn wir müssen nicht nur, wie es im Antrag von CDU und FDP steht, konstruktiv im Bundesrat mitwirken – wir wissen gar nicht, ob und wann es diese Bundesratsinitiative geben wird –, sondern wir können selber aktiv werden, lieber Walter Kern, und eine Bundesratsinitiative starten.

Wir können sogar noch mehr tun. Wir können in Nordrhein-Westfalen das tun, was Bayern in Bezug auf die Biergärten gemacht hat, sodass Kindertagesstätten, Kinderlärm – per Verordnung – explizit nicht mehr unter die Bundeslärmschutzverordnung fallen. Dann nehmen wir einen sehr alten Wahlslogan der Grünen aus den 90er-Jahren ernst – das muss ich urheberrechtlich doch noch mal sagen –: Kinderlärm ist Zukunftsmusik. – Das stand bei uns Grünen auf Wahlplakaten, und diese Zukunftsmusik sollte an allen Orten dieses Landes gehört und auch toleriert werden. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die Landesregierung erhält Herr Minister Laschet das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte, über dieses Thema könne man auch ohne Streit sprechen. Aber Frau Asch hat gerade an diesem Pult quasi eine Eigenbankrotterklärung abgegeben. Sie hat zum einen gesagt: Wir Grünen haben das schon in den 90er-Jahren gesagt. – Dann haben Sie zehn Jahre