Jetzt haben wir jedoch durch die völlige Schrankenlosigkeit die besondere Situation, dass hier mit extrem niedrigem Stimmenanteil Sitze zu erreichen sind und damit der Erfolgswert der Stimmen umgekehrt ungleich ist, also für die Kleinstgruppen viel günstiger ist, als zum Beispiel für die, die hinterher Fraktionen oder auch Gruppen wie die Linke bilden. Selbst für die trifft das zu; die müssen ungleich mehr Stimmen aufwenden.
Wir haben uns die Mühe gemacht – es wird schon hochinteressant, wenn man sich das ansieht –, das anhand des Beispiels Grüne und Kleinstgruppen einmal zu durchleuchten. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass in 35 von 55 Fällen signifikant – also deutlich – weniger Stimmen für den ersten und einzigen Sitz nötig waren, als für den Durchschnitt eines Sitzes bei den Grünen. Wenn Sie sich die Mühe machen, können Sie das mit Sicherheit für die CDU, die SPD, die Linke und auch für die FDP nachvollziehen.
Das heißt: Es gibt eine umgekehrt negative Beeinträchtigung des Gleichheitsgrundsatzes des Erfolgswertes der Stimmen. Da Recht dynamisch ist und sich anschaut, was an neuem Unrecht entsteht, sage ich: Neben der Frage der Funktionsstörung
Herr Innenminister, ich fordere Sie dazu auf, sich neben der Frage der Funktionsstörung das sehr genau anzuschauen und empirische Untersuchungen vorzulegen, aber bitte nicht irgend so eine flatterhafte Vorlage, wie sie in der Regel aus Ihrem Hause üblich ist.
Meine Damen und Herren, Herr Lux, lassen Sie mich mit Ihrem sehr unzureichenden Bild der paar Mandate, die nicht zu einer Funktionsstörung führen könnten, vorsichtshalber einmal kurz aufräumen. Wir haben es mit folgender neuen Situation zu tun: In drei kreisfreien Städten ist jeweils eine Gruppierung weniger als 2004 eingezogen. Elfmal ist die Anzahl gleich geblieben. 27-mal ist eine Gruppierung mehr eingezogen. Elfmal sind es zwei neue Gruppierungen, zweimal drei neue Gruppierungen. Es hat also eine signifikante Vermehrung mit all den Folgen, die Sie aus Ihrer Praxis selber kennen, gegeben. Deswegen glaube ich schon, dass man sich anschauen muss, was sich daraus in der Praxis zusätzlich ergibt. Darum bitten wir mit unserem Entschließungsantrag.
Abseits allen Pulverdampfes und der Umstrittenheit der beiden anderen Punkte, bei denen wir uns nicht einigen können, weil Sie ein ganz anders Ziel als das verfolgen, das Sie vorgeben, müsste man sich hier wenigstens darauf verständigen können, in Bezug auf die Sperrklausel und die Funktionsfähigkeit von Räten sowie den Erfolgswert der Stimmen gemeinschaftlich eine ordentliche, saubere wissenschaftliche Grundlage von der Landesregierung einzufordern, die in den nächsten zwei bis drei Jahren erarbeitet werden kann, damit das neue Parlament eine ordentliche Arbeitsgrundlage für seine Beratungen hat. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die Landesregierung hat Herr Innenminister Dr. Wolf das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Abschaffung der Stichwahl und dem angeblichen Legitimationsdefizit haben die Regierungsfraktionen schon hinreichend vorgetragen. Es liegt völlig auf der Hand: Das Verfassungsgericht hat diese Regelung ausdrücklich gebilligt. Bei der Gelegenheit erinnere ich daran, dass das Verfassungsgericht darauf hinwies, dass amerikanische Gouverneure seit 200 Jahren so gewählt werden. Niemand kommt auf die Idee, dass sie nicht demokratisch legitimiert seien. Alle Bundestags-, Landtags-, Kreistags- und Stadtratsdirektmandate werden auf diese Art und Weise ver
geben. Auch die SPD hat hingenommen, dass im Zeitraum bis zu ihrer Klageerhebung elf Hauptverwaltungsbeamte nach diesem System gewählt worden sind. Das hat niemanden gestört. Letztendlich sind wir durch das Urteil bestätigt worden.
Sie unterschlagen einfach immer die katastrophale Beteiligung im zweiten Wahlgang. Herr Lux und Herr Engel haben darauf hingewiesen. Jeder kann es nachrechnen. Von daher ist das alles weit hergeholt, nicht zuletzt auch weil 93 % der Hauptverwaltungsbeamten mit 40 % und mehr gewählt werden. Allein 75 % werden mit über 50 % gewählt. Wer sich das anschaut, wird überhaupt keinen Grund für Alarmismus finden.
Entkopplung der Wahlen! Auch hier dürften Sie freundlicher Weise zur Kenntnis nehmen, dass das, was wir in Nordrhein-Westfalen machen, in allen Bundesländern seit Jahrzehnten Praxis ist. Ich weiß nicht, warum bei uns nicht das gehen soll, was woanders auch geht. Wir wollen eine größere Unabhängigkeit der Kandidaten mit dem Fokus auf eine eigene Wahl. Auch die Rats- und Kreistagsbewerber sollen letztlich eine größere Aufmerksamkeit für ihren Wahlkampf bekommen. Es geht nicht um die Verkürzung einer Kommunalwahl zu einer reinen Bürgermeister- oder Landratswahl. Das haben meine Vorredner auch sehr deutlich gesagt.
Was den Wahltermin anbelangt, sind natürlich wieder die üblichen Unwahrheiten verbreitet worden. Das Verfassungsgericht hat die verfassungsgemäße Richtigkeit an der Stelle betont. Insofern ist es kein Trick, wie es Abgeordnete der Opposition behaupten, sondern es ist richtig gewesen, die Eigenständigkeit der Kommunalwahl hervorzuheben.
Nun zur Sperrklausel, dem Lieblingsthema der SPD! Allgemeiner Konsens ist doch, dass die Freude über eine Vielzahl von Einzelmandatsträgern hier im Hause unterdurchschnittlich ausgeprägt ist. Das steht doch völlig außer Zweifel. Dass – sieht man einmal von einzelnen Vertretern hier im Hause ab – niemand Angst haben müsste, dass etablierte Parteien betroffen wären, ist auch klar. Nur 2,5 oder 3 %? – Es geht einfach juristisch nicht. Das werde ich Ihnen gleich noch näher darlegen.
Der Abgeordnete der Grünen hat wieder den Schwenk auf die Ungleichheit beim Erfolgswert gemacht. Dazu kann ich nur sagen: Wer hat denn versucht, über die Mindestsitzklausel an der Stelle eine Remedur einzubringen? Mit den gleichen Argumenten wie bei der Sperrklausel ist das Gericht unserer Argumentation nicht gefolgt, obwohl wir das Problem gesehen haben. Das Ding ist durch an der Stelle. Das wird auch nicht mehr zu ändern sein.
Die Sperrklausel ist in ganz Deutschland abgeschafft. Wer nicht genau weiß, wie es geht, möge im Urteil des Bundesverfassungsgerichts und in den Urteilen der Verfassungsgerichtshöfe Nordrhein
Westfalen, Thüringen und Bremen nachlesen. Alle haben so entschieden. Der erste Entscheid ist im Übrigen während Ihrer Regierungszeit gefallen. Zwischen 1999 und 2005 haben Sie nichts, aber auch gar nichts gemacht, obwohl schon zwei Wahlen abgehalten waren. Sie kannten das Ergebnis aus dem Jahre 1999 und dem Jahre 2004. Trotzdem haben Sie nichts gemacht, weil sie unter dem Eindruck standen, die Funktions- und die Regierungsunfähigkeit darlegen zu müssen.
Nennen Sie mir doch bitte – Herr Engel hat das auch betont – eine einzige kommunale Entscheidung in Haushalts-, Planungs- oder Investitionsfragen – es geht also um wirklich wichtige Themen –, die durch ein, zwei oder drei Mandatsträger, die im Hintergrund sitzen, verhindert worden wäre! Nennen Sie mir nur ein Beispiel! Wenn ein Haushalt nicht zustande kommt, dann deswegen, weil sich zwei große Fraktionen nicht einigen oder sich eine kleine Koalition nicht einig wird, aber doch nicht, weil einige wenige, die uns nicht immer lieb sind – vor allen Dingen wenn sie in gewisse extremistische Richtungen denken –, irgendetwas verhindert hätten. Das stimmt einfach nicht, ganz abgesehen davon, dass wir mit Freude feststellen können, dass die Rechtsextremen ganz wenige Sitze bekommen haben. Von daher ist es in dieser Hinsicht zu einem guten Kommunalwahlergebnis gekommen. Wir werden es jedenfalls nicht beweisen können.
Funktionsunfähigkeit ist nicht Lästigkeit, meine Damen und Herren. „Lästigkeit“ können Sie im Übrigen durch Hauptsatzungen und Geschäftsordnungen verringern. Sie brauchen keine bis morgens früh um drei Uhr ausufernden Debatten, wenn Sie das kommunal vernünftig handeln.
Herr Bovermann hat davon gesprochen, dass durch die Belastung die Arbeit der kommunalen Ehrenamtler in Gefahr gerät. Natürlich ist das vor Ort alles nicht so schön. Aber juristisch handhabbar ist eine Sperrklausel wahrlich nicht.
Wenn man an dieser Stelle – das möchte ich hier nur einmal in den Raum werfen; darüber kann man auf kommunaler Ebene nachdenken – die Hürden etwas höher legen will, dann muss man wahrscheinlich bei der Anzahl der Mandate in den entsprechenden Gremien ansetzen. Von der fakultativen Möglichkeit, die Rats- oder Kreistagsmandate um sechs zu reduzieren, wird jedoch nur sehr zögerlich Gebrauch gemacht. In dem Moment, in dem man das macht, bewegt sich etwas.
Ich möchte Ihnen das einmal am Beispiel einer großen Stadt zeigen. Der Rat der Stadt Köln hat 90 Sitze. Würde man diesen auf 80 Sitze reduzieren, so hätte man 0,63. Wenn man auf 70 Sitze herunterginge, dann hätte man 0,71. Das heißt: Sie hätten eine gewisse Sperrwirkung durch weniger Mandate.
Nun weiß ich, dass dieses Thema auf kommunaler Ebene nicht immer Freude auslöst. Sie müssten sich dann also auch dazu verständigen, diese Debatte zu führen. Beim Rhein-Sieg-Kreis, der bisher regulär 72 Mandate hat, würde eine Reduzierung auf 62 zu 0,81 und eine Reduzierung auf 52 zu 0,96 führen. Damit hätten Sie schon fast eine 1-%“Sperrklausel“. Es wäre eine verfassungskonforme Möglichkeit, dies durch die Reduktion von Sitzen zu erreichen.
Nur ich weiß, wie die Diskussion in den Kommunen läuft. Ich als alter Kommunaler kenne die Diskussion. Da muss man sich entscheiden: Entweder man will die hohe Zahl von Mandaten behalten, dann hat …
Herr Jäger, wenn 90 Mitglieder in einem Rat sitzen, dann ist das sicherlich eine sehr große Versammlung.
Wir haben diesen Landtag ohne Schwierigkeiten von 201 auf 181 Sitze verkleinert, bei 18 Millionen Einwohnern. Auch hier sehen Sie, dass einiges möglich ist. Man muss schlichtweg den Mut haben, darüber zu diskutieren. Es steht Ihnen frei, wenn Sie in dieser Weise Vorschläge machen wollen.
Juristisch gibt es aufgrund der verfassungspraktischen Lage jedenfalls keine Begründung dafür, dass hier eine Sperrklausel auch nur annähernd in Betracht kommen könnte. Das haben der Kollege Lux wie auch der Kollege Engel sehr sachgerecht vorgetragen. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Kollegen Prof. Bovermann und Becker die fatalen Fehlentwicklungen, die sich nach dieser Kommunalwahl verstärkt zeigen, haben Revue passieren lassen, will ich mir die Freiheit nehmen, an ein paar Stellen auf die Argumentation des Herrn Innenministers und der koalitionstragenden Fraktionen abzuheben.
Ja, meine Damen und Herren, Argumentation kann verräterisch sein. Die Tatsache, dass hier von zwei Rednern die erfolgreiche Stichwahl 2004 in Mönchengladbach angeführt worden ist, bei der Herr Bude in der Stichwahl zum Oberbürgermeister gewählt worden ist, zeigt doch, worum es Ihnen geht, meine Damen und Herren: Das sollte Ihnen wohl
Im Fall Bude kann ich ganz stolz sagen, dass die Nummer gründlich schiefgegangen ist. Herr Bude gewinnt mittlerweile ca. 50 % der abgegebenen Stimmen und hat einen deutlichen Vorsprung. Aber das, was Sie umtreibt, ist durch die Argumentation ganz klar geworden: Sie haben nach der vorletzten Kommunalwahl gesehen, dass Sie die Stichwahlen verlieren. Also haben Sie sie abgeschafft. Das war der einzige Grund.
Wenn Herr Innenminister Wolf bei der Sperrklausel auf die Verkleinerung von Vertretungen in unseren Gebietskörperschaften hinweist, dann kann ich nur zurückgeben: Alles, was an Ihrer Argumentation falsch ist, kann man daran bemessen. Sie begreifen die Größe unseres Landes nicht. Sie begreifen die Größe unserer Kommunen in Nordrhein-Westfalen nicht, die vorwiegend von großstädtischen Ballungsräumen geprägt sind, und Sie begreifen nicht, dass die Kolleginnen und Kollegen in der Kommunalpolitik ehrenamtlich tätig sind, meine Damen und Herren.
Ich bin den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen dankbar, dass sie unseren ehemaligen Antrag noch einmal aufgerufen haben. Wir behaupten hier nicht: Eine Sperrklausel ist unproblematisch. Im Gegenteil: Wir haben, Herr Innenminister, im Gegensatz zu vielen anderen die Entscheidungen der Verfassungsgerichte genau gelesen.
Wir als SPD-Landtagsfraktion haben eine Vorlage erstellt. Prof. Bogumil hat dies auf unseren Auftrag hin schon einmal untersucht. Aus dieser Untersuchung haben wir den Wunsch abgeleitet – das steht heute aufgrund der Initiative von Bündnis 90/Die Grünen hier wieder zur Abstimmung –, die sich abzeichnende Funktionsbeeinträchtigung und Funktionsunfähigkeit unserer Räte gründlich untersuchen zu lassen, um genaue Anhaltspunkte dafür zu erhalten, ob eine Sperrklausel im Bereich von 2,5 % in NRW verfassungsrechtlich umsetzbar ist.
Und was sagen Sie? – Nein, das prüfen wir lieber nicht; da gehen wir gar nicht heran, allenfalls mit ganz spitzen Fingern. – Sie wollen keine Sperrklausel; Sie wollen ja noch nicht einmal die Prüfung darüber, ob eine Sperrklausel wegen der Funktionsunfähigkeit notwendig ist. Meine Damen und Herren, davor drücken Sie sich!
Dem Ganzen setzt Ihr Ministerpräsident die Krone auf. Wir haben über peinliche Auftritte in Duisburg
und an anderer Stelle schon geredet. Ich zitiere jetzt aus einer Rede vom 26. August 2009. Jürgen Rüttgers original: Aber es gibt einen Punkt, da bin ich ganz sicher, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger das nicht wissen: dass am Sonntag bei der Kommunalwahl keine 5-%-Klausel mehr gilt.