Protokoll der Sitzung vom 10.09.2009

Gestatten Sie mir zuvor einen kurzen geschichtlichen Rückblick, um die besondere Bedeutung dieser Landesstelle zu verdeutlichen.

Meine Damen und Herren, nach den Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sind mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Schätzungen zufolge rund 14 Millionen Deutsche aus ihrer damaligen Heimat vertrieben worden oder geflohen. Viele von ihnen haben bei uns in Nordrhein-Westfalen eine neue Heimat, ein neues Zuhause gefunden.

Zwischen 1945 und 1951 war das Hauptdurchgangslager in Wellersberg in Siegen. Nach einem Beschluss der Landesregierung aus dem Jahr 1951 wurde schließlich die Landesstelle Unna-Massen errichtet.

Neben den Vertriebenen kamen im Laufe der Zeit zahlreiche weitere Menschen nach Unna-Massen. Ich erinnere daran: Deutsche aus Osteuropa, Flüchtlinge und Übersiedler aus der ehemaligen DDR und der Sowjetunion, Asylbewerber, Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie jüdische Zuwanderer aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. Insgesamt haben mehr als 2,5 Millionen Menschen aus über 100 Ländern in der Landesstelle eine erste Zuflucht gefunden und damit die Basis für einen Start in ein anderes Leben geschaffen. Für viele dieser Menschen steht Unna-Massen für einen erfolgreichen Neuanfang.

Meine Damen und Herren, alle diese Menschen haben tatkräftig beim Aufbau unseres Landes mitgeholfen und Nordrhein-Westfalen wirtschaftlich und kulturell bereichert und geprägt. Ihre erfolgreiche Aufnahme ist beispielgebend für eine gelungene Integration.

Wie kein anderer Ort in Nordrhein-Westfalen ist Unna-Massen ein Symbol für Integration. UnnaMassen kennt in Nordrhein-Westfalen jeder. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesstelle, der Verbände und der Kirchen sowie den Bürgerinnen und Bürgern im Kreis Unna.

(Beifall von CDU, SPD und FDP)

Die Erstversorgung und Vorbereitung auf das Leben in Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren, wäre ohne diese vielfältigen Kooperationen vor Ort einfach nicht möglich gewesen.

Die Landesstelle ist am 30. Juni endgültig geschlossen worden. Gleichwohl darf die Erfolgsgeschichte der Landesstelle nicht in Vergessenheit geraten und sollte auch einen besonderen Platz im kollektiven Gedächtnis unseres Landes einnehmen.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat einen ersten Schritt des Gedenkens getan. Das Ministerium für Integration hat eine Publikation mit dem Titel „Landesstelle Unna-Massen – Ein starkes Stück Landesgeschichte“ herausgegeben. Eine zusätzliche

Möglichkeit des Gedenkens ist eine auf dieser Publikation beruhende Ausstellung.

Aus diesem Grunde fordern wir die Landesregierung auf, unter Berücksichtigung der Plafonds der mittelfristigen Finanzplanung der Einzelpläne 02 und 15 ein Konzept für eine wissenschaftlich begleitete Ausstellung zu entwickeln, die Geschichte, Entwicklung und Bedeutung der Landesstelle UnnaMassen und des Hauptdurchgangslagers Wellersberg in Siegen dokumentiert. Das Konzept soll derart gestaltet werden, dass die Ausstellung sowohl als dauerhafte Ausstellung als auch als Wanderausstellung an wechselnden Orten präsentiert werden kann, um sie interessierten Personen, Museen und Einrichtungen zur Verfügung zu stellen.

Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kuschke, im „Hellweger Anzeiger“ vom 8. September habe ich gelesen: MdL Kuschke geht der Vorstoß von CDU und FDP nicht weit genug. – Ich kann darüber nur mein Erstaunen zum Ausdruck bringen und möchte daran erinnern: Bis zu unserer Regierungsübernahme hatten Sie die Mittel für Projektförderung für Vertriebene und Flüchtlinge auf null gesetzt. Darauf möchte ich noch einmal extra hinweisen, meine Damen und Herren.

(Wolfram Kuschke [SPD]: Da gab es die Landesstelle noch nicht! – Minister Armin La- schet: Welche Landesstelle?)

Mittlerweile hat sich das geändert. Wir stellen jährlich wieder 330.000 € zur Verfügung.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch Folgendes sagen: Flucht, Vertreibung und Aussiedlung sind unverrückbare Bestandteile deutscher Geschichte. Sie berühren die Menschen in Nordrhein-Westfalen in besonderem Maße. Deshalb darf die Erfolgsgeschichte UnnaMassen nicht in Vergessenheit geraten und muss für künftige Generationen dokumentarisch festgehalten und sichtbar gemacht werden.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, unserem Antrag in diesem Sinne zuzustimmen, und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Westkämper. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Lindner das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Lindner.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die ehemalige Landesstelle für Aussiedler, Zuwanderer und ausländische Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen hat am 30. Juni dieses Jahres ihre Tore geschlossen, da kaum noch Aussiedler nach Deutschland kommen. An der Stelle

dort befindet sich jetzt eine fachliche Weiterentwicklung, nämlich unser Kompetenzzentrum für Integration Nordrhein-Westfalen.

Die Geschichte Nordrhein-Westfalens ist auch nicht erst seit einigen wenigen Jahren oder Jahrzehnten in hohem Maße von Zuwanderung geprägt. In dieser Geschichte hat die Landesstelle eine bedeutende und kaum zu überschätzende Rolle gespielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es vor allem Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten sowie der damaligen DDR, die in UnnaMassen aufgenommen wurden.

Hinzu kamen in den 1950er-Jahren zahlreiche Kriegsrückkehrer aus der Sowjetunion, die in UnnaMassen eine erste vorübergehende Bleibe finden konnten. In den Jahren und Jahrzehnten danach folgten Aussiedler aus Mittel- und Osteuropa sowie Flüchtlinge aus der DDR ebenso wie Asylsuchende und Bürgerkriegsflüchtlinge aus aller Welt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kamen Spätaussiedler sowie jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, jüdische Kontingentflüchtlinge nach Unna-Massen. Insgesamt haben rund 2,5 Millionen Menschen in den 60 Jahren des Bestehens der Landesstelle aus über einhundert Ländern dort eine vorübergehende erste Bleibe, eine Anlaufstelle in unserem Land gefunden. Alleine aus der ehemaligen DDR kamen zwischen 1961 und 1991 insgesamt 165.175 Flüchtlinge nach UnnaMassen.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kamen zusätzlich deutlich mehr als eine halbe Million deutschstämmiger Aussiedler aus den ehemaligen GUS-Staaten über Unna-Massen nach Deutschland. Sie waren die mit Abstand größte Gruppe, die in der jüngeren Geschichte dort eine Heimat gefunden hat.

Ich hatte es gerade schon angedeutet: Auch nach Schließung der Pforten hatte die Landesstelle ihre integrationspolitische Bedeutung nicht verloren. Sie beherbergt mittlerweile ja das gerade genannte Kompetenzzentrum, das die zu uns kommenden Spätaussiedler und Flüchtlinge auf die Kommunen verteilt. Das ist unter anderem so im Fall der Flüchtlinge aus dem Irak geschehen, die in NordrheinWestfalen eine neue Heimat finden sollen.

Damit wird Unna-Massen – nicht anders als in den sechs Jahrzehnten zuvor – einen Beitrag zur Integration leisten. Diese Integration hatte in UnnaMassen stets ein sehr praktisches Gesichts. Unter anderem fanden dort Deutschkurse und berufliche Weiterbildungsmaßnahmen oder ähnliche vorbereitende Initiativen für ein erfolgreiches Leben in einem vielleicht noch fremden Land statt. Darüber hinaus gab es Kindergärten, eine Schule, eine Turnhalle mit angeschlossenem Schwimmbad, eine Bücherei und andere Einrichtungen dieser Art.

Die Geschichte von Unna-Massen hat gleichzeitig vielfältige Verbindungen zur allgemeinen Weltgeschichte. Große weltpolitische Entwicklungen hat man im kleinen Abbild in Unna-Massen beobachten können – von Afghanistan bis Zypern. Immer wenn sich in der Welt ein neuer Konfliktherd gezeigt hat, waren Auswirkungen davon hier in NordrheinWestfalen sichtbar. Als beispielsweise der ugandische Diktator Idi Amin 1972 in einem Willkürakt die indischen Einwohner des Landes verwiesen hat, fanden 26 von ihnen vorübergehend Aufnahme in Unna-Massen.

(Beifall von der FDP)

Als in Chile die demokratische Regierung Allendes von General Pinochet am 11. September 1973 gestürzt wurde, wurden 173 chilenische Flüchtlinge in Unna-Massen aufgenommen.

(Beifall von der FDP)

Es ist aller Ehren wert, dass dieser Einsatz hier Applaus findet.

Als nach Ende des Vietnamkriegs eine regelrechte Hetzjagd auf vermeintliche Kollaborateure mit den USA losgebrochen war und Tausende Vietnamesen in kleinen Holzbooten – das waren die sogenannten Boatpeople – die Flucht wagten, fanden zahlreiche von ihnen eine erste sichere Unterkunft hier in Nordrhein-Westfalen in der Landestelle Unna-Massen.

Man könnte diese Auflistung weiter fortsetzen.

Diese bewegte Geschichte macht die Landesstelle zu einem besonderen Ort im kollektiven Gedächtnis Nordrhein-Westfalens. Die geplante Ausstellung auf dem Gelände soll diesem Umstand Rechnung tragen.

Wir wollen durch eine Wanderausstellung aber auch Wert darauf legen, dass die besondere Integrationsleistung Nordrhein-Westfalens und der Menschen Nordrhein-Westfalens beispielgebend wird. Diese Wanderausstellung soll integrationspolitische und zuwanderungsgeschichtliche Hintergründe der heutigen jungen Generation verdeutlichen. Deshalb freuen wir uns darüber, dass es in der Koalition gelungen ist, dafür gemeinsam die Weichen zu stellen. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Kuschke das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um gleich mögliche Spannungen aus dieser Diskussion herauszunehmen: Wir liegen in der Zielsetzung überhaupt nicht auseinander. Ich bin Herrn Kollegen Lindner

sehr dankbar dafür, dass er das Stichwort „Weltgeschichte“ genannt hat.

Das soll meine erste Anmerkung sein: In der Tat waren wie mit einem Seismografen hier Entwicklungen der Weltgeschichte und Weltpolitik konzentriert. Was sich dort abspielte, war ja auch zum Teil ein Gradmesser für die Entwicklung der Beziehungen zwischen Ost und West. An bestimmten Zuwanderungsphasen konnte man feststellen, was eigentlich passierte. Sie haben ja dankenswerterweise einige Beispiele genannt.

Zweiter Punkt. Herr Kollege Westkämper hat es bereits genannt, aber ich möchte es auch aus unserer Sicht unterstreichen: Das, was dort von vielen Tausenden am Standort selbst und auch im Umfeld, also in der Stadt und in der Region, haupt- und auch ehrenamtlich geleistet worden ist, verdient Dank und Anerkennung.

Dritter Punkt. Es ist eine gewaltige Integrationsleistung, die dort stattgefunden und teilweise auch dort ihren Anfang genommen hat, aber oftmals gar nicht so sehr erwähnt wird. Es wird zwar in anderen Zusammenhängen von Integration und Integrationsleistungen gesprochen, aber was hier passiert ist, sollte in der Tat nicht in Vergessenheit geraten, und wir sollten auch in geeigneter Form daran erinnern.

Das, was in diesem Zeitungsartikel erwähnt worden ist, Herr Priggen, Herr Westkämper – das will auch hier noch einmal sagen –, ist allenfalls eine Aufforderung, Herr Minister, zu überlegen, ob diese Ausstellung – egal, ob Dauer- oder Wanderausstellung – nicht ein Bestandteil eines Konzeptes sein sollte, das man sich überlegt und zu dem Folgendes gehören könnte – ich möchte das einmal nennen, ohne dass dies eine abgeschlossene vollständige Aufzählung ist –: die Notwendigkeit der weiteren Dokumentation – möglicherweise auch eine kleine Arbeitsstelle, die sich damit befasst –, das Vorhalten einer Begegnungs- und Veranstaltungsstätte, wo man gut kombinieren kann, was sich aus der Ausstellung und der Dokumentation ergibt, sowie die pädagogische und didaktische Aufarbeitung für die Nutzung durch Schulen, Erwachsenenbildung und vieles andere mehr. Dies gehört sicherlich in den Zusammenhang, den Sie in Ihrem Antrag formulieren.

Ich fände es gut, wenn wir auch in den weiteren Beratungen noch einmal aufgreifen würden, welche Zusammenarbeit und welcher Zusammenhang sich mit dem Kompetenzzentrum ergibt, das ja nach wir vor vorhanden ist. Ich glaube schon, dass sich dort gute Effekte ergeben könnten.

Wir würden einer Überweisung des Antrags so, wie vom Ältestenrat vorgeschlagen, zustimmen, haben aber die Bitte, dass wir auf die Punkte, die ich gerade genannt habe, und auch andere in den Ausschussberatungen zurückkommen.

Ich möchte jetzt schon erwähnen – wir werden das im federführenden Ausschuss noch einmal vortra

gen –, dass wir darum bitten, nicht eine große Anhörung, sondern eine kleine Expertenrunde zu machen. Ich denke dabei an das Gerhard-HauptmannHaus und ähnliche Einrichtungen. Möglicherweise könnte man sich in diesem Zusammenhang sogar an eine Kooperation mit dem Haus der Geschichte vorstellen. Es sollten also vier bis fünf Experten sein, die wir für geeignet halten und die auch ausgewiesen sind, uns in dieser Frage zu beraten und bei der Entscheidung entsprechend zu helfen.

Wir sehen einer konstruktiven, ergebnisorientierten Diskussion entgegen. Wir glauben und haben die Hoffnung, dass wir dann auch zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und FDP)