Protokoll der Sitzung vom 04.11.2009

Danke schön, Frau Steffens. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Laumann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag in Berlin ist noch nicht trocken

(Britta Altenkamp [SPD]: Doch! – Günter Garbrecht [SPD]: Ihr habt es ja drei Wochen lang inszeniert!)

und schon haben wir die erste Debatte im nordrhein-westfälischen Landtag – beantragt von der SPD – über die Frage, ob der Bundesrepublik Deutschland nun der soziale Kahlschlag, die Entrechtung der Arbeitnehmer bevorsteht. Ich kann mir vorstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen gerade von der Sozialdemokratie, dass Sie ziemlich enttäuscht sind, dass dieser Koalitionsvertrag so gelungen ist,

(Lachen von der SPD – Britta Altenkamp [SPD]: Das Gegenteil ist der Fall!)

ein Vertrag, der soziale Symmetrie und wirtschaftliche Notwendigkeiten in einem seit Jahren nicht mehr gekannten Maße wieder zueinander geführt hat.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich kann mir auch gut vorstellen, dass Sie enttäuscht darüber sind, einige Dinge in diesem Vertrag nicht zu finden. Sie hätten es ja gerne gesehen, dass in dem Vertrag Änderungen beim Kündigungsschutz, beim Tarifvertragsrecht und bei der Mitbestimmung gestanden hätten, weil Sie glauben, dass Sie damit aus Ihrer desolaten Isolation heraus wieder zu Kampagnefähigkeit gekommen wären.

Es ist nun einmal so, dass, wenn sich Parteien zu Koalitionsverhandlungen treffen, vorher etwas passiert ist: Sie haben eine Wahl gewonnen. Das muss man erst einmal zur Kenntnis nehmen. Grundlage von Koalitionsverhandlungen der politischen Parteien, die eine Wahl gewonnen haben und überlegen, zusammen eine Regierung zu bilden, sind die jeweiligen Wahlprogramme, mit denen sie in den Wahlkampf gezogen sind. Das waren in diesem konkreten Fall das Regierungsprogramm der Freien Demokratischen Partei, der Christlich-Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union.

Es ist schon ein Erfolg der Union und auch der Vertreter der Landesregierung von NordrheinWestfalen, die an den Verhandlungen beteiligt waren, dass Sie viele Punkte aus dem FDPWahlprogramm in dieser Koalitionsvereinbarung nicht wiederfinden, nämlich alles das, was im FDPWahlprogramm zum Tarifvertragsgesetz, zum Mitbestimmungsgesetz und zum Kündigungsschutzgesetz stand. Davon finden Sie in diesem Koalitionsvertrag kein Wort wieder. Das heißt, die Union und die nordrhein-westfälische Landesregierung stehen zu dem, was die Bundesrepublik Deutschland in den letzten 60 Jahren stark gemacht hat, nämlich soziale Marktwirtschaft und eben nicht nur Marktwirtschaft.

(Beifall von der CDU)

Wir haben überzeugen können, dass sich die soziale Partnerschaft gerade in der Krise, die wir jetzt durchleben, bewährt hat. Die Krise ist im Übrigen nicht von den Unternehmern und auch nicht von den Arbeitnehmern gemacht. Das sind die, die jetzt darunter leiden. Das sind mehr Opfer als Täter. Die Krise ist nicht von der nordrhein-westfälischen Wirtschaft gemacht worden. Die Krise ist in allererster Linie von Menschen an den Finanzmärkten in Amerika und England gemacht worden und nicht von denen an den Finanzmärkten in der Bundesrepublik Deutschland. Das muss man auch einmal deutlich sagen.

Davor, dass uns in dieser Umstrukturierung unsere soziale Partnerschaft ganz erheblich hilft, mit den Problemen in den Unternehmen fertig zu werden, dass die Tarifverträge, die Arbeitszeiten, die auf die Betriebe bezogenen Lohngefüge heute so flexibel sind, dass wir in allererster Linie Beschäftigungssicherung statt Personalabbau betreiben können, kann man die Augen nicht verschließen. Deswegen haben wir uns in diesen Punkten Gott sei Dank und richtigerweise durchsetzen können. Es war immer mein Bestreben, dass man einfach einmal zur Kenntnis nimmt, wie flexibel Tarifverträge, Arbeitszeitmodelle und vieles andere in unserer Wirtschaft heute sind. Deswegen ist die Frage von betrieblichen Bündnissen heute eine andere als noch vor zehn Jahren.

Der Koalitionsvertrag spricht aber auch Themen des Arbeitsmarktes und des Arbeitsrechtes an, zu denen es, wie wir übereingekommen sind, Regelungsbedarf gibt.

Wir sind der Meinung – darüber werden wir uns hier im Hause wahrscheinlich noch sehr oft unterhalten –, dass mit einseitig vom Staat festgelegten Mindestlöhnen das Problem nicht zu lösen ist, keine gerechten Löhne erreicht werden. Wir, die Union und die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, wie auch der Koalitionsvertrag sagen eindeutig, dass die Löhne durch Tarifverträge in der Tarifautonomie dieses Landes im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft festgelegt werden. Am Anfang dieses Kapitels steht ein großes Bekenntnis zur Tarifautonomie bei uns in Deutschland als Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Wir sind auch nicht der Meinung, dass Unternehmen einseitig Löhne festlegen können. Aber der Staat kann es einseitig eben auch nicht. Das ist nämlich nicht viel gerechter, als wenn es einseitig von Unternehmen gemacht wird.

Deswegen gibt es selbstverständlich auch in diesem Koalitionsvertrag die Möglichkeit, dass die Politik die von Tarifparteien bestimmten Löhne für allgemeinverbindlich erklärt. Wir haben in Nordrhein-Westfalen in der Landesregierung eine Geschäftsordnung, dass der Arbeitsminister das macht. Allerdings geht das wie immer nur im Einvernehmen der Landesregierung. Deswegen sehe ich es nicht als eine weitere Hürde an, dass man in Berlin gesagt hat: Das geht dann ins Kabinett.

Ein anderer Punkt ist – der ist mir sehr viel wichtiger –: Es ist nichts dagegen zu sagen, dass man sich angesichts der vielen Branchen, die man jetzt in das Entsendegesetz aufgenommen hat – wenn ich es richtig weiß: für fast vier Millionen Arbeitnehmer; die Bauindustrie war schon vorher drin –, einmal anguckt, welche Auswirkungen das auf den Arbeitsmarkt hat. Das ist doch richtig.

Ich persönlich habe im Übrigen, was die Überprüfung angeht, relativ wenig Angst, dass die Frage damit beantwortet wird, man könne keine Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären und keine

Branchen in das Entsendegesetz aufnehmen. Wenn man sich nämlich einmal ansieht, welche Branchen wir in das Entsendegesetz aufgenommen haben, stellt man fest, dass das in allererster Linie Branchen sind, die vor allem auf dem Binnenmarkt tätig sind. Es geht dabei um Arbeitsplätze, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen, weil es keine produzierenden Branchen sind.

Da ich, wie Sie wissen, sehr für die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen einstehe und das Entsendegesetz für eine wichtige Gesetzesgrundlage der Europäischen Union halte, um auf den zusammenwachsenden Arbeitsmärkten in Europa national – aus unserer Sicht – bestimmte Dinge zu regeln, bin ich ziemlich sicher, dass diese Evaluation so ausgehen wird, dass durch die Allgemeinverbindlichkeit keine Arbeitsplätze gefährdet werden.

Es gibt einen weiteren Punkt. Sie finden in diesem Koalitionsvertrag keinen Hinweis darauf, dass keine weiteren Branchen in das Entsendegesetz aufgenommen werden. Das ist offen. Es gibt zurzeit keine Branche in Deutschland, die die Aufnahme in das Entsendegesetz beantragt. Wir haben nämlich all diejenigen aufgenommen, die sich auf einen Tarifvertrag verständigt haben.

Aber ich bin fest davon überzeugt, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die im Mai des Jahres 2011 kommen wird, die Debatte über die Zeitarbeit und die Allgemeinverbindlichkeit der Zeitarbeit in unserem Lande neu beleben wird und dass man sich dann sehr genau anschauen muss – das habe ich hier immer vertreten –, was das bedeutet.

Zu der Frage – die Sie, Herr Kollege Garbrecht, aufgeworfen haben und die auch Frau Steffens angesprochen hat – nach den sachgrundlosen Befristungen und den Veränderungen, die wir in den Vertrag geschrieben haben. Es ging uns ganz einfach darum – ich habe ein bisschen an der Formulierung mitgearbeitet –, folgenden Sachverhalt zu klären:

Wir haben nun einmal befristete Arbeitsverhältnisse. Die sind ganz zaghaft von Norbert Blüm als Instrument eingeführt und dann richtig kräftig von Herrn Clement ausgebaut worden, der von einer rotgrünen Mehrheit im Deutschen Bundestag getragen wurde, die das Arbeitsrecht so verändern wollte. Aber bei den sachgrundlosen Befristungen ist es so: Es gibt einfach Fälle, in denen jemand in sehr jungen Jahren in einer Firma befristet beschäftigt war – ob als Student oder nach dem Studium, das soll mir egal sein. Wenn er sich dann, rein theoretisch, zehn oder 15 Jahre später wieder um eine befristete Stelle in dieser Firma bewerben würde, würde ihm die Firma sagen: Wir können Sie nicht nehmen, weil Sie sich sonst anschließend in das Unternehmen einklagen können. – Das ist die Rechtslage.

Da haben wir gesagt: Wir suchen nach einem Instrument, mit dem wir nicht auf der einen Seite eine

Kette befristeter Arbeitsverhältnisse bekommen, mit dem wir aber auf der anderen Seite nach einer bestimmten Zeit die Möglichkeit geben, sich trotzdem auf einen solchen Arbeitsplatz zu bewerben.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Dafür ist ein Jahr zu kurz!)

Das weiß ich nicht. Ich glaube, dass ein Jahr schon eine ganze Menge ist. Es geht darum, dass ein solches befristetes Arbeitsverhältnis dann schon seit einem Jahr ausgelaufen ist. Aber über den Zeitfaktor kann man reden. Ich glaube, dass man das Problem erkennen und dann nach einer Lösung suchen muss, die dem Problem gerecht wird.

Ich kann Ihnen sagen, dass es auf der einen Seite ungerecht ist, wenn jemand, der als Werkstudent irgendwo gearbeitet hat, anschließend in dieser Firma nicht über ein befristetes Arbeitsverhältnis den Berufseinstieg schaffen kann, dass es auf der anderen Seite aber auch notwendig ist, sich mit der ein oder anderen Befürchtung von Unternehmen auseinanderzusetzen. Ich meine, dass wir mit dem Puffer von einem Jahr die Hürde hoch genug aufgebaut haben, dass das in diesen Bereichen zu verantworten ist.

Im Übrigen: Wer in seiner Regierungszeit dafür gesorgt hat, dass etwa bei den Schwellenwerten und beim Kündigungsschutz befristet Beschäftigte nicht mehr als Menschen zählen, sondern nur noch als Zeitkontingente, der sollte ein bisschen vorsichtig sein, in dieser Frage eine solch massive Kritik an CDU und FDP zu üben.

(Beifall von der CDU)

Da mir das wichtig ist, will ich gerne noch einmal etwas zu dem sagen, was zur Pflege darin steht. Es ist nun einmal die Wahrheit, dass wir in unseren Haushalten in Nordrhein-Westfalen – und auch in ganz Deutschland – schon heute viele, auch legale, Pflegehilfen, Haushaltshilfen und Betreuungskräfte etwa aus osteuropäischen Ländern haben. Das ist im Übrigen unter bestimmten Voraussetzungen nicht verboten.

Ab Mai 2011 wird das für die Haushalte wesentlich erleichtert. Die rein rechtliche Frage ist – das sagt auch meine Sozialabteilung –, wenn man es in Privatwohnungen kontrollieren könnte, was fraglich ist: Darf eine Betreuungskraft, die man zum Beispiel einstellt, um die alte Mutter zu betreuen, diese nicht einmal kämmen, weil das nach den Gesetzen, wie wir sie definiert haben, eine Pflegeleistung ist, die allein Pflegefachkräften vorbehalten ist? Jetzt frage ich Sie: Wie weltfremd ist das denn? Deswegen haben wir da hineingeschrieben, dass wir eine Lösung wollen, mit der diese Menschen Pflegehilfstätigkeiten ausüben können – das soll die Fachkräfte nicht an die Seite drängen –, mit der sie einen Menschen also auch einmal kämmen und ihm beim Waschen helfen können. Das soll erlaubt sein, damit man dort nicht in einer Grauzone operiert.

(Beifall von der CDU)

Ich finde, dass auch diese Frage von uns sachlich und vernünftig aufgenommen wird. Es kommt natürlich immer noch sehr auf die Gestaltung an.

Ich sage Ihnen auch: Ich hätte es mir sehr gewünscht, dass dort etwas über die Regelsätze für Kinder stehen würde. Aber auch ich habe nicht alle Wünsche in diesem Koalitionsvertrag unterbringen können. Das ist nun einmal so. Aber das ist vielleicht auch ganz gut so; denn Sie wissen, dass dazu eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig ist, die im Januar entschieden wird. Ich bin sicher, dass wir uns dann in der Politik über die Frage, wie das mit den richtigen Sätzen für Kinder in Hartz IV ist, noch mehr unterhalten müssen.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Aber richtig stolz bin ich darauf, dass wir die Sache mit dem Schonvermögen hinbekommen haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Wissen Sie, es ist ja richtig, dass bis jetzt nur etwa ein halbes Prozent der Menschen, die einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt haben, ein Problem mit dem Schonvermögen hatte.

Meine Damen und Herren, ich bin viel in Facharbeiterkreisen unterwegs und weiß, dass allein die Angst, dass man arbeitslos werden könnte und nach zwölf Monaten alles auflösen muss, was man erspart hat, zu einer unguten Entwicklung gerade bei denjenigen, die Leistungsträger in der Arbeitnehmerschaft sind, geführt hat.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir wollen diesen Menschen ihre Ängste nehmen, und ich glaube, dass das ein richtiges Signal ist. Es ist im Übrigen auch ein Signal, für das Alter vorzusorgen, weil man keine Angst haben muss, dass der Staat einem das, was man angespart hat, wegnimmt.

Wir haben eine klare Aussage im Koalitionsvertrag dazu, dass wir uns um die Altersarmut aufgrund veränderter Erwerbsbiografien und weil ein Niedriglohnbereich entstanden ist kümmern müssen. Es gibt eine klare Zielbeschreibung: Wer ein Leben lang gearbeitet hat, muss im Alter mehr haben, als derjenige, der das nicht getan hat.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, auch das gehört zu meiner Philosophie von sozialer Gerechtigkeit.

Deswegen meine ich, dass der Koalitionsvertrag gut ist. Ich bin mir außerdem sicher, dass die neue Bundesregierung personell und inhaltlich sehr gut aufgestellt ist und dass sie einen guten Job machen wird. Es wird ähnlich werden wie in NordrheinWestfalen: Wenn man gut über die Regierung redet, ist man nah bei der Wahrheit. – Schönen Dank.

(Anhaltender Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Minister Laumann. – Nun spricht der Abgeordnete Sagel.

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Laumann, ich habe so meine Zweifel, dass Sie nah bei der Wahrheit waren. Ich hatte eher das Gefühl, dass das eine sehr eigenwillige Interpretation des Koalitionsvertrages war. Fakt ist, dass darin auch einige sehr unschöne Sachen sind. Dazu will ich einiges sagen.

Eines ist klar – das haben Sie eben auch noch einmal betont –: Der Koalitionsvertrag ist unter nicht ganz unwesentlicher Beteiligung von Ihnen bzw. der Landesregierung zustande gekommen.