Protokoll der Sitzung vom 04.11.2009

Eines ist klar – das haben Sie eben auch noch einmal betont –: Der Koalitionsvertrag ist unter nicht ganz unwesentlicher Beteiligung von Ihnen bzw. der Landesregierung zustande gekommen.

Es steht fest: Die sozialen Rechte der Schwächsten in dieser Gesellschaft werden erneut unterminiert. Das ist auch ein Ergebnis dieses Koalitionsvertrages. Für Leiharbeiter, Beschäftigte in prekären Arbeitsverhältnissen und untertariflich Bezahlte deutet sich schon jetzt an, was ihnen in den nächsten vier Jahren ins Haus steht: eine Ausweitung der Minijobs, prekärer Beschäftigung und Lohndrückerei.

Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP wird ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn abgelehnt. Sie und Ihre Parteifreunde in Berlin behalten sich gar die taktische Option vor, nach den Landtagswahlen in NRW die wenigen Mindestlohnregelungen wieder abzuschaffen. Das ist die Realität, und das gehört auch zur Wahrheit, Herr Laumann. Damit würde die in Gang gebrachte Armutsspirale weiter beschleunigt. Genau das befürchten viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Schon jetzt sind nach einer Studie der HansBöckler-Stiftung von 2006 mehr als 14 % Erwerbstätigen in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt; das sind 5,4 Millionen Menschen.

Wir sagen, dass derjenige, der arbeitet, auch von dieser Arbeit leben können muss. Das entspricht hier in Deutschland aber leider nicht für alle Menschen der Realität, diese Aussage gilt nicht überall. Im Gegenteil: Immer mehr Beschäftigte sind trotz Arbeit aufgrund von Hungerlöhnen von Armut bedroht. Wie das Statistische Bundesamt berichtet, waren im vergangenen Jahr 6,2 % der Erwerbstätigen armutsgefährdet. 1998, also noch vor RotGrün, waren es nur 4,6 %.

Deswegen fordert die Linke die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns von 10 € sowie als ersten Schritt eine spürbare Anhebung der ALG-II-Sätze – das haben Sie auch nicht durchgesetzt im Koalitionsvertrag –, ganz zu schweigen davon, dass Hartz IV grundsätzlich weg und ein ganz anderes System eingeführt werden muss.

Sie plakatieren, dass sich Arbeit wieder lohnen muss, aber das genaue Gegenteil ist der Fall, denn bei dem, was Sie machen, lohnt sich Arbeit lediglich für eine Lobby von Freiberuflern. Zu meiner Rechten sitzt die Freiberuflerpartei, die FDP. Wer den gesetzlichen Mindestlohn von Rechtsanwälten und Ärzten verteidigt – denn deren Honorare sind nichts anderes als ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn –, sich aber zugleich mit allen möglichen Scheinargumenten einem gesetzlichen Mindestlohn von Pflegekräften, Erzieherinnen und Erziehern sowie Beschäftigten im Dienstleistungssektor widersetzt, der spaltet die Gesellschaft, schwächt den Binnenmarkt und verschärft damit noch weiter die Krise, deren Kosten, wenn es nach Ihnen ginge, den abhängig Beschäftigten aufgehalst werden sollen. Ihre Schuldenpolitik fällt gerade auf die Menschen am unteren Ende der Einkommensskala zurück; das haben wir vorhin schon ausgiebig debattiert.

Ich als Linker kann Ihnen nur sagen: Freuen Sie sich nicht zu früh. Wir haben am 9. Mai 2010 Landtagswahl. Dann wird Ihnen die Rechnung präsentiert. Ich kann Ihnen garantieren, dass die Linke alles tun wird, damit wir nach der Landtagswahl keine Regierung Rüttgers mehr haben werden.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Danke schön, Herr Sagel. – Meine Damen und Herren, es gibt keine weiteren Wortmeldungen.

Die antragstellende Fraktion der SPD hat um direkte Abstimmung gebeten. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages der SPDFraktion Drucksache 14/10020. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – Das sind CDU und FDP. Wer enthält sich? – Herr Sagel. Dann ist dieser Antrag abgelehnt.

Meine Damen und Herren, wir kommen zu:

4 10-Jahres-Programm Energetische Gebäudesanierung: In der Wirtschaftskrise 100.000 neue Arbeitsplätze schaffen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/8876

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Mittelstand und Energie Drucksache 14/10031

Ich gebe den Hinweis, dass der Antrag Drucksache 14/8876 gemäß § 79 Abs. 2 b der Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie überwiesen wurde mit der

Maßgabe, dass eine Beratung und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt.

Ich eröffne die Beratung und gebe Herrn Priggen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir haben den Antrag im März dieses Jahres gestellt, nachdem sich in den ersten Monaten des Jahres angedeutet hatte, dass wir in einer Wirtschafts- und Konjunkturkrise stecken. Der Antrag ist heute immer noch aktuell. Aus meiner Sicht wird er nächstes Jahr möglicherweise sogar noch aktueller.

Wir hatten ein Zehn-Jahres-Programm zur energetischen Gebäudesanierung beantragt, um damit 100.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Diese Zahl habe ich aus den Unterlagen von Frau Thoben. Warum haben wir das damals beantragt? Wir sind der Auffassung, dass wir bei den verschiedenen Konjunkturprogrammen, über die diskutiert worden ist und die in Teilen dann auch gekommen sind, eigentlich den größten Konsens bei diesem Programm haben müssten, weil die Maßnahme klimapolitisch sinnvoll ist, weil sie sozialpolitisch sinnvoll ist und weil das Konjunkturprogramm für die Bauwirtschaft und das Baunebengewerbe eine sinnvolle Maßnahme ist.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vor allen Dingen war uns an der Stelle wichtig, dass es sich nicht um eine Maßnahme für ein halbes Jahr oder für ein Jahr handelt, sondern dass wir im Landtag über alle Fraktionen hinweg eigentlich dazu kommen müssten, Signale in die Bauwirtschaft zu senden: Wir halten diese Maßnahme für so wichtig, dass wir sie über ein Zehn-Jahres-Programm anstoßen wollen, damit Beschäftigung tatsächlich aufgebaut werden kann.

Als Negativbeispiel führe ich die Abwrackprämie an. Sie hat für einen kurzzeitigen Hype gesorgt. Und jetzt – das merken wir überall in der Autoindustrie und bei den Autohändlern – kommt der Kater nach der Abwrackprämie. Wir werden alle erleben, dass Autohändler und andere in den nächsten Monaten zunehmend Schwierigkeiten haben und Betriebe schließen werden, weil die Anschaffungen nur vorweggenommen waren – staatlich begünstigt und unterstützt. Das heißt: Der Rausch ist zu Ende, und die Arbeitsplätze sind nicht dauerhaft gesichert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Gegenteil davon wäre ein Konjunkturprogramm im Bereich Gebäudesanierung. Wir wissen alle, dass unsere Gebäudebestände – gerade die großen Wohnungsbestände aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren – energetisch hoch sanierungsbedürftig sind. Wenn die Kosten für Energie, für Gas, für Öl und damit korrespondierend immer auch für Kohle und Strom steigen, werden gerade diejenigen, die

in großen Mietwohnungen wohnen, zunehmend Schwierigkeiten haben, ihre Heizkostenrechnung zu bezahlen.

Daher und auch aus umweltpolitischen Gesichtspunkten ist es sinnvoll, die Gebäude besser zu dämmen und in der weiteren Strategie gerade im Ruhrgebiet den Kraft-Wärme-Kopplungs-Anteil zu erhöhen, das Gas aus den einzelnen Häusern herauszuholen und stattdessen Strom und Wärme in KWK herzustellen. Das ist alles vernünftig.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Warum sage ich, dass das immer noch aktuell ist und nächstes Jahr möglicherweise noch aktueller wird? Wir wissen, dass viele Betriebe Kurzarbeit eingeleitet haben. Aus den Gesprächen vom Frühjahr wissen wir, dass die Automobilindustrie, die Zulieferer nicht nur eine Absatzkrise haben, sondern in einer strukturellen Krise stecken. Wir müssen uns zunehmend Sorgen machen. Nehmen wir die Insolvenz von Quelle vor wenigen Tagen oder das, was wir heute Morgen zu Opel gehört und diskutiert haben. Es besteht die ernst zu nehmende Sorge, dass Opel in Bochum auf Dauer keine Perspektive hat.

Wir wissen, dass der Einzelhandel das Weihnachtsgeschäft abwartet. Es gibt eine gewisse Disziplin, vorher nicht zu jammern. Aber viele haben Sorgen, dass danach das dicke Ende kommt, sodass man ganz nüchtern betrachtet befürchten muss, dass wir im nächsten Frühjahr eine deutliche Zunahme der Arbeitslosigkeit haben und dann wieder Konjunkturprogramme in der Diskussion sein werden.

Wir wissen, dass die Kommunen in ihren Haushalten jetzt das Konjunkturprogramm des Bundes, das Investitionsprogramm, nutzen. Wir haben tatsächlich eine Bauwelle bei Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Aber da auch das nur auf ein bzw. zwei Jahre ausgelegt ist, wird das nachlassen.

Wenn die Haushaltssituation der Kommunen im nächsten und übernächsten Jahr so dramatisch ist, wie das unter anderem durch den Koalitionsvertrag in Berlin eingestielt wird, dass die Kommunen eben massiv weniger Einnahmen haben, dann werden die Kommunen weniger investieren können. Dann wird es vor allem in der Bauindustrie, wo die Neubauten rückläufig sind, weniger kommunale Investitionen geben. Deswegen ist ein solches Programm zur Gebäudesanierung gerade für das Bauhandwerk und das Baunebengewerbe so wichtig.

Ich bin sicher: Auch die neue Bundesregierung wird, wenn es zu einer deutlichen Zuspitzung der Arbeitslosenzahlen kommt, nicht anders handeln können, als in der nächsten Runde wieder über Konjunkturprogramme nachzudenken.

An der Stelle sage ich: Dieses Thema haben wir im März eingebracht. Es steht ganz vage im Berliner

Koalitionsvertrag, dass bei der Gebäudesanierung mehr gemacht werden soll. Aber während die Finanzierung von Albernheiten ganz klar im Koalitionsvertrag steht, ist hier ganz unklar gehalten, was und wie viel gemacht werden soll und ob das Geld dafür tatsächlich aus dem Emissionshandel genommen werden soll. So wie es im Koalitionsvertrag steht, ist es eher anders geplant.

Zusammengefasst ist der Vorschlag aus meiner Sicht immer noch hoch vernünftig. Er wird befolgt werden müssen, weil wir auch aus Klimaschutzgründen gar nicht darum herumkommen, unseren Gebäudebestand zu sanieren. Es wäre sehr wichtig, dass wir uns zusammen darauf verständigen, das zu machen, damit verlässliche langfristige Signale in den entsprechenden Industrie- und Gewerbebereichen ankommen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das betrifft nicht nur das Bauhandwerk, sondern auch die Chemieindustrie, weil sie eine wichtige Grundstoffindustrie ist: Wir können keine Dämmstoffe haben, wenn die Chemieindustrie sie nicht anbietet. Auch die braucht verlässliche Parameter.

Der Antrag steht heute auf der Tagesordnung. Sein Mehrheitsschicksal kann ich erahnen. Aber er ist nicht von der Tagesordnung, sondern wird in Kürze wiederkommen, weil Sie da werden handeln müssen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Herr Priggen. – Für die CDU spricht Herr Dr. Petersen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es macht in der Tat Sinn, dass wir in diesen Antrag inhaltlich tief einsteigen und dabei die Sinnhaftigkeit des Themas Gebäudesanierung, bei dem es einen breiten Konsens über alle Parteigrenzen hinweg gibt, und die Fragen der dahinterstehenden Maßnahmen, was noch zu tun ist, betrachten.

Durch die Aussprachen und auch die Anhörung im Wirtschaftsausschuss ist deutlich geworden, dass dieses Thema ziemlich unumstritten ist: in seinen energiepolitischen Wirkungen, in seinen umweltpolitischen Wirkungen und auch bei der Schaffung von Arbeitsplätzen.

Man kann allerdings auch sagen – Herr Priggen, Sie haben auf Ihren Antrag vom März verwiesen –, dass da einiges vermutet worden ist, was heute nicht der Fall ist. Sie sprechen von einem erheblichen Verlust von Arbeitsplätzen in den zurückliegenden Monaten und von vielen anderen Dingen, die aus verschiedenen Gründen – auch wegen der Konjunkturpakete – so nicht eingetreten sind.

Sie sprechen auf der Basis von Zahlen aus dem Jahr 2007 auch von einem entsprechenden Nachholbedarf. Inzwischen sind wir schlauer: Wir wissen zum Teil auch aus der Anhörung, dass die Zahlen andere sind und dass die bei der KfW abgerufenen Mittel deutlich höher sind als in den Vorjahren. Gegenüber 2007 sind die Zahlen für das Jahr 2008 für NRW um rund 50 % nach oben gegangen.

Insofern ist das Thema aktuell und wird es auch bleiben. Aber wir müssen uns aus meiner Sicht davor hüten, zu meinen, dass Probleme in der Automobilindustrie oder an anderen Stellen in den Jahren 2010 oder 2011 dadurch kompensiert werden können. Das ist natürlich eine Illusion.

Im Übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass wir einen Fachkräftemangel in diesem Bereich haben. Teils haben wir in den Baustoffzulieferindustrien sogar Engpässe, was die Versorgung mit den entsprechenden Materialien betrifft. Wenn dort also investiert wird, müssen wir sicherstellen, dass das Ganze nicht überhitzt. Das sehen wir jetzt bei der Umgestaltung der Konjunkturpakete.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Insofern ist, wenn wir auf die Maßnahmenseite zu sprechen kommen, der Antrag – wir hatten das schon angedeutet – weitestgehend überflüssig. Laut Auswertung der Anhörung sagen das Handwerk und andere – ich darf die Ausführungen von Herrn Zipfel mit Genehmigung des Präsidenten zitieren –: Im Moment herrscht bei uns Zufriedenheit mit der KfW-Förderung in dem Bereich. Man sollte sie laufen lassen und ihr eine Chance geben.

Diese Zitate, nach denen sich hinsichtlich der KfWProgramme eine ganze Menge getan hat, ziehen sich komplett durch die Anhörung. Ergänzend kommt hinzu, dass es vonseiten Nordrhein-Westfalens über die NRW.BANK eine zusätzliche Förderung gibt.

Sie haben in Ihrem Antrag zwei konkrete Forderungen gestellt, die sich damit im Wesentlichen erledigt haben. Wir haben sehr günstige Zinskonditionen, die derzeit teilweise mit eher langfristiger Zinsbindung erhältlich sind und die zwar nicht ausdrücklich auf eine Laufzeit von zehn Jahren ausgelegt, aber ähnlich ausgestaltet sind. Wir haben natürlich durch die Mittel des Landes NRW und der NRW.BANK eine ganz konkrete Förderung.

Wenn uns die Experten sagen, dass das der richtige Weg sei, dass man dem eine Chance geben solle und dass man damit wesentlich zufriedener als in der Vergangenheit sei, muss man feststellen: Wir sind uns in der Zielsetzung weitestgehend einig, aber wir sind uns eben nicht einig bei den vermeintlich notwendigen Maßnahmen.